Argumente gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare lassen sich am Ende immer auf eine einzige Behauptung reduzieren: Die Ehe diene der Zeugung von Kindern und da homosexuelle Paare keine Kinder zeugen können, könne man die Ehe für sie keinesfalls öffnen.
Dieses Argument hat eine offensichtliche Schwäche: Die Zeugung von Kindern ist einerseits auch ohne Ehe möglich und andererseits auch in der Ehe nicht zwingend.
Auf diese Schwäche werden die Bewahrer der Hetero-Ehe immer wieder hingewiesen, aber statt auf diese Hinweise einzugehen, denken sie sich immer neue Begründungen dafür aus, warum Ehe und die Zeugung von Kindern gegen alle Evidenz doch untrennbar miteinander verbunden sind. Da wird dann die Religion bemüht, oder die Evolution, oder die Tradition, oder die Perversion. Hauptsache, es endet auf -ion, scheinen die Homophoben zu denken.
Nicht so der Journalist Günther Lachmann, der jüngst im Deutschlandfunk erklären durfte, warum Ehe und die Zeugung von Kindern ein und dasselbe sind. Er bemühte keine -ion, sondern eine -ie: die Etymologie, also die Lehre von der Herkunft und Entwicklung von Wörtern.
Die Ehe, so Lachmann, sei die Verbindung von Mann und Frau:
Die beiden werden durch die Ehe zum Ehepaar, gemeinsam sind sie Eheleute und Ehegatten. Der heute nur noch selten verwendete Begriff der Ehegatten bezeugt den tieferen Sinn und Zweck der Ehe: die Begattung, also die geschlechtliche Vereinigung von Mann und Frau zur Fortpflanzung. Zur Ehe gehören folglich auch Kinder. Und Mutter, Vater und Kinder zusammen bilden eine Familie.
Zum Mitschreiben: Eheleute werden auch Ehegatten genannt, und das Wort Ehegatte ist aus dem Wort Begattung abgeleitet, was die geschlechtliche Vereinigung zum Zwecke der Fortpflanzung bezeichne. Folgt man der Etymologie, bedeutet Ehegatte quasi „Fortpflanzer“, und damit ist klar, dass die Ehe nicht für Menschen geöffnet werden kann, die sich von Natur aus nicht miteinander fortpflanzen können.
Nun wäre das natürlich selbst dann kein Argument, wenn die Etymologie stimmen würde. Das Wort Muskel, beispielsweise, kommt vom lateinischen Musculus, was soviel bedeutet wie „Mäuslein“. Trotzdem haben Bodybuilder keine überdurchschnittlich große Angst vor Katzen. Mit anderen Worten: Wörter ändern nun mal ihre Bedeutung.
Aber tatsächlich stimmt die Etymologie nicht einmal, Lachmann konstruiert sie genau verkehrt herum. Das Wort Gatte war zuerst da, es bedeutete ursprünglich „zur selben Gemeinschaft gehörend“, dann „Gefährte“, und dann „Ehepartner“. Das Verb begatten bedeutete zunächst einfach nur „vermählen, zum Mann/zur Frau geben“, wie in folgenden Beispielen:
- Da sprach Adam / das Weib / das du mir zu gestellet hast / gab mir von dem Baum / und ich aß. Als wolt er sprechen / hettest du mich nicht mit dem Weibe begattet / so wäre dieses Übel auch nicht geschehen (1657)
- Laß deine tochter nicht mit einem Welschen mann / Mein sohn / begattet seyn (1688)
Zu einem verschämten Euphemismus für den Geschlechtsverkehr, vor allem den zwischen Tieren (und hier besonders – kein Wortspiel – zwischen Vögeln), wurde begatten erst später (genau wie das Wort paaren, das zunächst „zusammenfügen“, dann „als Paar zusammentun“ und dann eben, auch vor allem bei den Tieren, wieder „Sex haben“ bedeutete). Und Tiere denken beim Sex natürlich nicht ans Kinderzeugen, sie tun es einfach, weil ihre Natur es ihnen nahelegt. Das tierisch-spontane, auf nichts als Lustgewinn gerichtete Sexualverhalten dürfte der Grund sein, warum begatten in der Anwendung auf Menschen einen etwas abfälligen, eben triebhaften Beiklang hat.
Spontanen, auf Lustgewinn gerichteten Sex haben die meisten Lesben und Schwule allerdings genau wie die meisten Heteros. Und man bekommt das Gefühl, dass es genau das ist, was die Ehegegner eigentlich stört.
Aber wer etymologisch gegen die Öffnung der Ehe argumentiert, muss entweder zugeben, dass er Homosexuellen nicht zugestehen will, einander Gefährtinnen oder Gefährten zu sein – also eben mehr als nur lustbringende Sexualpartner. Oder er muss sich der Etymologie beugen und Lesben und Schwulen nicht nur zugestehen, einander Gattinen oder Gatten zu sein, sondern auch, sich nach Herzenslust und ohne Einmischung zu begatten.
Damals im Biologie-Unterricht hat mein Biolehrer uns noch beibringen wollen, dass die Löwen sich begatten, weil sie ihre Gene weitergeben wollen. Ich bestritt das vehement: was weiß ein Löwe schon von Genen, Löwen und Löwinnen wollen schlicht Sex haben, weil sie geil aufeinander sind! 🙂
Etymologisch versuchen die Wenigsten, gegen die Öffnung der Ehe zu argumentieren.
Das einzige, aber zwingende Argument ist das, dass die Ehe hierzulande Traditionen entspringt, die über die längste Zeit der Geschichtsschreibung christlich nicht nur geprägt, sondern zutiefst gegründet waren.
Allen erdenklichen menschlichen Paarkonstellationen die gleichen Rechte, was die civitas angeht, zu gewähren und zuzusichern, das ist eine sich aufdrängende Forderung, weil logische Folgerung humanistischer Grundsätze.
Aber den christlich-traditionellen Teil der Ehe, der vielfach beinahe nur noch aus dem Begriff zu bestehen scheint, manchen aber offenbar so viel bedeutet, dass sie sich bedroht fühlen und abgrenzen wollen – was in der Diskussion keine Rolle spielen kann – und der ein kirchenrechtlicher ist sowie (für Katholiken) ein Sakrament, also etwas Weltanschauliches, was man folglich nicht von der beheimatenden Weltanschauung amputieren kann, den kann man nicht einfordern.
Genau: Das sind “Ehegegner”, nicht “Ehekritiker”.
Wenn man wie Günther Lachmann argumentiert, dann müssten Brautleute sich immer aus (mindestens) zwei Frauen zusammensetzen. Die Etymologie ist nicht gerade auf Seiten der Homophobie. *g
Sonst würde sie ja auch “Homosexuellenphobie” heißen.
Oder euphemistisch “Homosexualitätskritik”.
Andere Veröffentlichungen Lachmanns:
“Tödliche Toleranz — Die Muslime und unsere offene Gesellschaft”
“Verfallssymptome – Wenn eine Gesellschaft ihren inneren Kompass verliert”
Alles klar, konservativer Mahner und Bedenkenträger, der den Verein Deutsche Sprache als App und den Tipp mit der Brille von Thilo Sarrazin hat.
Immerhin steht der Eröffnungstext bei DRadio im Konjunktiv. Hoffe, er stellt dort einen Extremfall dar.
Ich finde es immer interessant, dass das “Ehe ist für Kinder kriegen” gerne von einer Kanzlerin gemacht wird, die selber mit 44 Jahren — also in einem Alter, in dem Kinder bekommen für Frauen ziemlich schwierig bis illusorisch ist — geheiratet hat.
Vielen Dank für die Dekonstruktion dieses Nonsens-Arguments. Leider enthält der Artikel eine systematische (womöglich nicht nur sprachliche) Unkorrektheit: Es geht bei der Eheöffnung nicht um Homosexuelle, sondern um gleichgeschlechtliche Paare. Die Einschränkung auf Homosexuelle (leider 3x in dem Artikel) macht Bi‑, Pan- und Asexuelle, die gleichermaßen betroffen sein können, sprachlich unsichtbar.
Da es für den Gesetzgeber zwischen der zivilen Ehe und Sexualität ohnehin keinen zwangsläufigen Zusammenhang gibt, erübrigen sich sämtliche biologistischen Argumente (wozu das hier diskutierte “etymologische” gehört).
Argumente ins Lächerliche zu ziehen, die sowieso niemand verwendet, ist eine oft verwendete, aber schwache Methode. Jeder weiß, dass Kinder auch außerhalb von Ehen gezeugt werden und nicht in jede Ehe Kinder gezeugt werden. Auch die schlimmsten Gegner von schwulen und lesbischen Partnerschaften streiten das nicht ab.
Dass Herr Lachmann behauptet, das Wort “Ehegatte” sei aus dem zeitlich früheren Wort “begatten” entstanden, stimmt nicht. Zum Mitschreiben: Von Etymologie ist in Lachmanns(ansonsten mir kein bisschen gefallendem)Text nicht die Rede. Die “Zum Mitschreiben”-Formulierung (Vorlesung; der Dozent gibt Anweisungen) hat mich besonders geärgert.
Ehe bedeutet bisher ‘gesetzliche Verbindung von Mann und Frau’ (zitiert nach DWDS, habe gerade kein anderes Wörterbuch zur Hand). Gesetzlich muss man vielleicht ein bischen weiterfassen, etwa als “institutionell bestätigt”; das Standesamt kann auch durch den Priester, die Stammesälteste, das gemeinschaftliche Hochzeitsfest im Dorf etc. ersetzt werden. Über die sexuelle Orientierung der Heiratenden wird da nichts gesagt; und zum Glück wird auch bei der Eheschließung keine Erklärung zu der Frage verlangt. In der Regel sind zwar Heiratende heterosexuell,
aber es gibt genug Beispiele für Homo-Ehen (Ehen, bei denen eine oder beide Personen homosexuell sind). Wenn man dauerhafte “gesetzliche” Partnerschaften Frau-Frau und Mann-Mann mit den gleichen Rechten und Pflichten wie Ehen ausstatten will, kann man das machen. Aber von zwei Frauen oder zwei Männern, die eine solche Verbindung eingehen, sollte keine Erklärung über ihre sexuelle Orientierung verlangt werden.
Dass “spontaner” Sex besonders guter Sex ist, mag sein; Ansichtssache. Aber über spontanen Sex in Zusammenhang mit Ehe oder Lebensbünden zu reden, scheint mir fehl am Platz, denn “Eheschließung” wird doch oft so aufgefasst, dass man ganz unspontan für die kommenden Jahrzehnte sich auf den Ehe- oder Lebensbund-Partner als einzigen Sexpartner festlegt und verspricht, der Lust auf ganz spontanen Sex mit diesem oder jener nicht nachzugeben. Jeden Morgen (außer Dienstag und Donnerstag, weil die Aufstehzeiten nicht passen) Sex im Ehe-(oder nichtehelichen Doppel-)bett zu haben, ist auch nicht zu verachten.
Wenn man den besonderen Schutz der Ehe durch das Grundgesetz nicht mehr will, soll man diese Stelle im Grundgesetz streichen. Wenn man den Schutz auch für Dauerverbindungen M‑M und F‑F, nicht nur M‑F, will, soll man die Stelle z.B. umformulieren zu “Lebensbund und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.”, aber dem alten Text eine neue Bedeutung unterzuschieben, indem man Wortbedeutungen per Gesetz umdefiniert, finde ich schlecht.
Warum Dauer-Zweier-Bünde überhaupt einen rechtlichen
Sonderstatus haben sollen, ist eine andere mindestens ebenso interessante Frage.
“Einander Gefährte oder Gefährtin sein” kann man nämlich auch ebenso gut ohne diesen Kram.
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@Arfst Nickelsen:
Das Argument, die Ehe habe intrinsisch etwas mit Kindern zu tun, wird enorm häufig angeführt und ist in der Regel ernst gemeint. Schauen Sie sich mal in den einschlägigen Foren um (auch auf den Seiten seriöser Zeitungen wie FAZ, Tagesspiegel o.ä.).
Dass Lachmann selbst nicht sagt, er betreibe Etymologie, bedeutet natürlich noch lange nicht, dass er es nicht macht. Ich kann auch Klavier spielen ohne dabei laut zu sagen “Jetzt spiele ich Klavier!” Lachmann leitet die Bedeutung eines Begriffes aus dessen (angeblichen) Begriffsgeschichte her. Die Bedeutungs- und Strukturgeschichte eines Wortes zu untersuchen ist Etymologie.
Ihn auf derselben Ebene zu widerlegen, ist also das seriöseste Gegenargument, dass er überhaupt bekommen kann. Und zwar ganz und gar nicht ins Lächerliche gezogen, sondern auf Basis wissenschaftlichen Fachwissens. Damit muss er als Autor zurecht kommen.
Was mir dabei noch in den Sinn kommt, als ergänzende Antwot auf Lachmann: Ich frage mich, warum seiner Meinung nach überhaupt ein Kompositum “Ehegatte” entstanden sein kann/muss, wenn doch “Gatte” die “Ehe” schon impliziert. Natürlich gibt es tautologische Komposita gelegentlich, aber erklärungsbedürftig erscheint mir bei seiner Art der Begriffsinterpretation diese vermeintliche Dopplung durchaus.
So wie es aussieht, hat sich Herr Lachmann mit der Etymologie vertan. Ich bin allerdings auch der Ansicht, dass das gar keine so große Rolle spielt, denn ein Argument wird durch ein anderes ersetzt. Es ist nicht so, dass die Eheleute Gatten heißen, weil sie sich begatten, sondern begatten hat die heutige Bedeutung übernommen, weil es eben das entscheidende Merkmal der Ehe ist. So entscheidend, dass nur noch die sexuelle Bedeutung übrig blieb.
“Und Tiere denken beim Sex natürlich nicht ans Kinderzeugen, sie tun es einfach, weil ihre Natur es ihnen nahelegt.” Da bin ich mir nicht bei allen Tieren so sicher. Bei Spinnen dürften Sie recht haben, bei Säugetieren kann ich mir sehr gut vorstellen, dass denen durchaus bewusst ist, dass Kinder entstehen können. Man wurde ein ums andere Mal überrascht, was Tiere alles können. Gut möglich, dass sie auch in dieser Hinsicht unterschätzt werden. Ohne genauere Erkenntnis bleibt aber jede Annahme Spekulation.
@Daniel: “begatten” hat- wie in dem Artikel dargelelgt- die heutige Bedeutung dadurch angenommen, dass es ursprünglich das Zusammenführen zweier Gefährten bedeutet hat, die dann als Ehegatten bezeichnet werden können, wonach allerdings bei dem Verb die sexuelle Komponente durch euphemistische Verwendung in den Vordergrund geraten ist, und zu dessen Bedeutungswandel (oder ‑verengung) geführt hat. Dass dies auch bei dem Substantiv Ehegatte (bzw. ‑gattin) der Fall ist, kann ich aus meinem Sprachgefühl heraus nicht bestätigen, denn wenn jemand von seiner Ehegattin spricht, stelle ich mir dieses Paar dadurch nicht automatisch beim Sex vor, während das bei “Begattung” sehr wohl der Fall wäre. Es ist denke ich auch keine Seltenheit, dass genannte semantische Veränderungen sich nur auf ein Wort innerhalb einer Wortfamilie beschränken.
Was die bewusste Intention von (höheren) Säugetieren, etwa Menschenaffen, beim Sex angeht, kann auch ich mir kein abschließendes Urteil bilden. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass Gorillas sich in völliger Unlust dem Sex hingeben, um ihre Art vor dem Aussterben zu bewahren, sonst müssten die entsprechenden Seiten ein größeres Videoangebot vorweisen können, und der Gorillaschutz kein so drängendes Problem sein.
Umgekehrt ist aber Nachgewiesen, dass Säugetiere ebenfalls nur zum Spaß Sex haben und es Homosexualität dort durch die Bank weg genauso gibt wie beim Menschen.Der heterosexuelle Mensch ist hierbei vielleicht das einzige Tier, welches in der Lage war den rein auf Lust ausgerichteten Sex mit oder ohne Ehe von der Gefahr des Kinderkriegens mit großem Erfolg zu befreien: Man nennt es Verhütung.
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Auch die Katze besteht aus lauter Musculi und beißt sich nur selten in den Schwanz 🙂