Die Wörter asylkritisch, Asylkritik und Asylkritiker haben sich in den letzten Monaten zu euphemistischen Oberbegriffen für alle möglichen Spielarten rechten und/oder rassistischen Denkens und Handelns entwickelt. Zunächst geschah das fast unbemerkt, aber seit ein paar Wochen bekommen die Wörter endlich die kritische Aufmerksamkeit, die ihnen zusteht: Schon im Juni kritisierte die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Sachsen die Formulierung „besorgte, asylkritische Bürger“, und in den letzten Tagen gab es ausführliche Kritiken in The European, der Zeit und der taz. Inzwischen hat die dpa sogar angekündigt, dass sie die Wörter gar nicht mehr verwenden wird.
Auch ich habe mich zu den Begriffen geäußert, z.B. im in der Sächsischen Zeitung, bei Radio Corax und bei MDR INFO. Eine Frage, die ich dabei nur allgemein beantworten konnte, war die, woher das Wort überhaupt kommt und seit wann es im Umlauf ist. Hier nun eine genauere Antwort auf diese Frage.
Vor 2014 finden sich in den Medien nur vereinzelte Belege für die Wörter Asylkritik, asylkritisch und Asylkritiker. Eine Suche im Deutschen Referenzkorpus (einer Textsammlung, die vorrangig aus deutschen, österreichischen und Schweizer Tageszeitungen besteht) und in der WISO-Pressedatenbank ergibt nur etwa zwanzig Treffer.
An den frühen Treffern fällt zunächst auf, dass sie sich im Wortsinne auf (politisch vertretene) Kritik an Asylgesetzen und deren Umsetzung beziehen und nicht auf Feindseligkeiten gegenüber Asylbewerber/innen.
Asylkritik bezieht sich in diesen Treffern nicht immer auf einen Ruf nach einer restriktiveren Asylpolitik, sondern kann im Gegenteil ein Ruf nach weniger Restriktionen sein. So titelt die Tiroler Tageszeitung am 8.9.1998 „Grüne halten Asylkritik aufrecht“ und die Salzburger Nachrichten berichten am 11.7.2003) unter der Überschrift „Asylkritik als Sommerlektüre“ über Forderungen von Amnesty International nach einer Entschärfung einer geplanten Asylgesetznovelle.
Meistens ist allerdings auch in diesen frühen Treffern eine Kritik an einer vermeintlich zu großzügigen Asylpolitik gemeint, wie in diesem Beispiel aus dem Spiegel vom 13.7.1987:
Linke Gewaltkader, heißt es im jüngsten Verfassungsschutzbericht, hätten republikweit die „Flüchtlings- und Asylproblematik“ zu ihrem „zentralen Thema“ gemacht. Militante Rechte wiederum sehen sich durch Bonner Unionspolitiker ermuntert, die ihnen mit asylkritischen Aussagen „Legitimation und Motivation“ lieferten. [Link]
Auch hier geht es aber um tatsächliche Kritik: obwohl ein Beziehung zwischen politischer Asylkritik und rechter Gewalt(bereitschaft) hergestellt wird, wird letztere nicht selbst als Asylkritik bezeichnet.
Diese frühen Verwendungen des Wortes Asylkritik sind nicht euphemistisch, da sie sich eben tatsächlich auf Kritik an Asylpolitik beziehen (allerdings nicht auf die Institution Asyl an sich, weshalb das Wort Asylpolitik-Kritik, das sich auch gelegentlich findet, treffender wäre).
Die Bedeutungsverschiebung zur heutigen, euphemistischen Verwendung des Wortes lässt sich gut an dem einzigen anderen Treffer aus dem Spiegel-Archiv zeigen, der vom 14.1.2015 stammt:
Bewohner des Dresdner Stadtteils Laubegast haben die Einrichtung eines Asylbewerberheims verhindert. Der Eigentümer des Hotels habe sein Angebot „überraschend zurückgezogen“, teilte die Stadt Dresden mit. Begründet habe er seine Entscheidung mit dem „massiven Widerstand der Bevölkerung“. Der Mann war in sozialen Netzwerken bedroht worden, die Wände des Hotels wurden mit asylkritischen Sprüchen beschmiert. [Link]
Die Formulierung asylkritische Schmierereien, findet sich auch in vielen anderen Medienberichten über Laubegast (u.a. im Hamburger Abendblatt, der Süddeutschen Zeitung, beim MDR und auf Tagesschau.de). Möglicherweise stammt sie aus einer Pressemeldung der dpa (hier die Kurzversion).
Dass es sich hier um eine euphemistische Verwendung von asylkritisch handelt, zeigt sich daran, dass in anderen Medien etwas deutlicher von asylfeindlichen Sprüchen, ausländerfeindlichen Parolen und fremdenfeindlichen Parolen die Rede ist.
An der Bedeutungsverschiebung des Wortes Asylkritik von einer Bezeichnung für tatsächliche (mehr oder weniger legitime) Kritik an Asylpolitik hin zu einem Euphemismus für fremdenfeindliche, rassistische und/oder rechtsextreme Hetze, Gewaltbereitschaft oder sogar Gewalt haben verschiedene Einflüsse mitgewirkt.
Erstens findet der Begriff sich von Anfang an sehr häufig in Zusammenhängen mit rechten Parteien. In der Schweiz, wo das Wort von 2014 am häufigsten zu finden war, wird es regelmäßig verwendet, um Positionen der SVP zu bezeichnen (z.B. hier und hier). In Deutschland findet er sich in Berichten über die NPD und deren Positionen, z.B. in der Sächsischen Zeitung in Sätzen wie Verfassungsschützer gehen davon aus, dass die NPD vor der Landtagswahl im August mit Asylkritik punkten will (6.5.2014, S. 6) und Rechtsextremisten setzen auf Asyl-Kritik (21.7.2014, S. 6). Hier wird zwar (noch) keine Gleichsetzung des Wortes Asylkritik mit rechtem Gedankengut vorgenommen, es ist aber klar, dass es nur noch einen kleinen Schritt davon entfernt ist.
Zweitens haben rechte Gruppierungen und Parteien den Begriff in den letzten Jahren für sich entdeckt. Auf entsprechenden Webseiten (hier nicht verlinkt) findet sich das Wort als Selbstbezeichnung verstärkt seit etwa 2013. Ob dies in bewusst euphemistischer Absicht geschieht, also um rassistische, fremdenfeindliche oder rechtsextreme Meinungen zu beschönigen und zu legitimieren, oder ob die betreffenden Akteure tatsächlich glauben, dass sie sachliche Kritik an Asylpolitik und Asylgesetzen äußern, lässt sich dabei natürlich schwer sagen. Aber dass die scheinbare Legitimität, die zusammengesetzte Wörter mit -kritik ausstrahlen, bei der Verwendung eine Rolle spielen, dürfte unstrittig sein. Dasselbe Muster existiert ja schon länger in dem Wort Israelkritik(er) das theoretisch ebenfalls legitime, sachliche und reflektierte Kritik bezeichnen könnte, das aber tatsächlich meistens ein Euphemismus für antisemitische Positionen ist.
Drittens sahen sich Medien und Politik ab Ende 2014 recht unvermittelt mit dem Phänomen der Pegida-Bewegung konfrontiert und waren sich offenbar unsicher, welchen Sammelbegriff sie für die Mischung aus ideologisch gefestigten Rechtsextremen, mehr oder weniger reflektierten Alltagsrassisten und von allgemein fremdenfeindlichen Ressentiments getriebenen Mitläufern finden sollten. Also übernahmen sie zunächst sehr unkritisch die Selbstbezeichnung Islamkritiker/islamkritisch (die vermutlich ihrerseits in Analogie zu Israelkritik/israelkritisch entstand). Im Zusammenhang mit der Pegida-Bewegung, verbreitete sich dann das Wort asylkritisch in den Medien – oft gemeinsam mit dem Wort islamkritisch, in der Verbindung „die islam- und asylkritische Pegida-Bewegung“ (beispielsweise in der Freien Presse, der Welt, der Rheinischen Post, der FAZ, der Bild, bei der ARD, beim Deutschlandfunk, auf evangelisch.de in der taz, im MiGAZIN, bei Agenturen wie Reuters, und in vielen anderen Medien.
Obwohl die Berichterstattung häufig sehr differenziert und kritisch war und ist, wurde hier also auf breiter Ebene eine Sprachregelung übernommen, die nahelegt, die Pegida-Bewegung und ihre Mitläufer seien durch legitime und sachliche Kritik am Islam und an der deutschen Asylpolitik motiviert. Von da aus war es nur noch ein kleiner Schritt zur Übertragung des Begriffs Asylkritik auf Gruppierungen, die sich noch weniger Mühe geben, ihre wahren Motive zu verbergen: Aus Menschen, die sich direkt vor Flüchtlings- und Asylbewerberheime stellen und hetzerische Parolen skandieren, wurden auf breiter medialer Ebene „Asylkritiker“ (z.B. im Deutschlandfunk, im ZDF, im Domradio, in der Dresdner MOPO24, in der Märkischen Allgemeinen, in der Bild und in Pressemeldungen der Polizei Sachsen, um nur einige Beispiele zu nennen).
Auch hier ist die Berichterstattung selbst in vielen Fällen durchaus kritisch, aber durch diese Euphemismen entsteht schnell der Eindruck, es gebe hinter den Protesten, Drohungen und Angriffen auch ein legitimes Anliegen. Wer das tatsächlich kommunizieren will, kann weiterhin von Asylkritikern oder asylkritischen Demonstranten reden. Alle anderen sollten sich präziser ausdrücken.
Vielen Dank für Ihre Mühe. Mich erinnert die Wortwahl der letzten paar Jahre, wenn es um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ging, immer mehr an die lingua tertii imperii…
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Ja, das ist das Problem — ein “Asylkritiker” oder “Islamkritiker” verhält bei der eingebürgerten Verwendung dieser Wörter sich zum Asyl oder Islam nicht so, wie sich ein “Buch-” oder “Filmkritiker” sich zum Medium Film bzw. Buch verhält. (Für Asyl‑, Buch- etc.- Kritikerinnen gilt sinngemäß dasselbe.)
Erkennbar ist das mMn vor allem daran, dass man in den einen Fällen “-kritiker(in(nen))” mit “-gegner(in(nen)) ersetzen kann, ohne dass sich die Aussage ändert, und bei den anderen nicht, und außerdem am Adjektiv: Marcel Reich-Ranitzki war nicht “buchkritisch”.
Ist jetzt vor allem unfair gegenüber Leuten, die das heutige Asylrecht als zu restriktiv kritisieren. Einmal nicht nachgedacht, und die Medien hauen die in die völlig falsche Ecke.
Eine schleichende Besorgnis und auch Angst vor der Zukunft kommt langsam bei mir auf. Wenn jetzt schon Personen durch benutzte Wörter oder Begriffe in eine Ecke gestellt werden und das Wort “Kritik” gleichgestellt wir mit Wörtern wie “Hass”, “Feindschaft” und “Intolleranz” oder gar schlimmeres, erinnert mich das an eine furchbare Zeit in den ‘40 Jahren. Auch da wurde eine neue Sprache erfunden und bestimmte Begriffe verboten oder umgedeutet. Ich glaube gerne, dass Kritik allgemein nicht gerne von unseren Politikern und einigen politischen Medien gewollt ist. Ist die Pressefreiheit bedroht schreien alle auf. Bei der Meinungsfreiheit gilt diese nur solange eine bestimmte Richtung bedient wird. Leider sind nicht alle Menschen studierte Sprachwissenschaftler, reiche Kinoschauspieler oder gottähnliche, unfehlbare Journalisten. Es gibt auch Menschen die einfach nur eine Meinung haben, ob jetzt politisch korrekt oder nicht, ohne Brandsätze werfen zu wollen oder anderen Menschen leid antun. Wir dürfen nicht selbst in die Richtung gehen vor der wir jetzt warnen.
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Guter Artikel…
ich bin dafür einen universellen Begriff einzuführen… wie wär’s mit “Systemfeind”?
@ T. S.:
Sie zäumen das Pferd insofern von hinten auf, als dass es ja nicht eine (bedachtsame, fundierte, abwägende) Kritik ist, die dieser Tage mit einen Mal mit Hass/Feindschaft/Intoleranz gleichgesetzt wird, sondern eben die letzteren durch die Bezeichnung als “Kritik” zu diskutablen Positionen geadelt werden. Die “Aggression”, wenn Sie so wollen, also die Aneignung eines Begriffes, ging (mit viel unbedarfter medialer Schützenhilfe) von der Seite der fremdenfeindlichen Akteure aus: Der Begriff “Kritik” wurde von ihnen für etwas in Anspruch genommen, das in seinem ganzen Wesen der Idee von Kritik (der “trennenden” Bestandsaufnahme und Abwägung) nicht nur nicht entspricht, sondern ihr blankes Gegenteil darstellt: das Ressentiment (die nicht-diskutieren-wollende Ablehnung). Insofern ist die Diffamierung von selbsternannter sog. “Asylkritik” als “Fremdenfeindlichkeit” o.ä. nicht ein Maulkorb, sondern nur ein Zurückverweisen von diskussionsunwilligen aufgebrachten Akteuren in ihre alten (begrifflichen) Schranken.
Das Problem ist in der Tat nicht die Formulierung von Ängsten — diese könnten in der offenen Diskussion abgebaut werden (bzw. ausgelotet werden, welche tatsächlichen Probleme oder Gefahren ihren Ausdruck in diesen Ängsten finden). Das Problem ist die Diskussionsunwilligkeit derjenigen, die ihre Ängste in Ressentiment bis hin zur offenen Feindschaft umschlagen lassen; diese Diskussionsunwilligkeit verbietet aber die Anwendung des Begriffes “Kritik”.
Übrigens kann man durchaus auch Offenheit und Denkwilligkeit beweisen, ohne Sprachwissenschaftler oder ein möglicherweise arroganter Schauspieler oder Journalist zu sein. “Eine eigene Meinung” zu haben dürfte nur da wirklich von Wert sein, wo man versucht, diese Meinung (weiter) zu entwickeln, indem man auch bereit ist, sie in Frage zu stellen. Sonst ist sie allenfalls Aufputschmittel für das eigene, möglicherweise desolate, psychische Befinden.
Es kann und darf jeder gegenüber allen möglichen Dingen kritisch sein. Jemand, der einer Regierung gegenüber kritisch ist, nennt man Regierungskritiker. Jemanden, der Literaturkritiken schreibt, nennt man Literaturkritiker. Und jemand, der der Vorgehensweise des Asyls in einem Land kritisch gegenübersteht, ist nunmal ein Asylkritiker. Da gibt es keine Wertung.
Eine Literaturkritik kann auch positiv ausfallen. Die meiste Asylkritik kommt ja derzeit von Grünen und Linken, die das System dahingehend kritisieren, daß zu wenig Leute Asyl bekommen und zu viel abgeschoben wird, sowie die Unterbringung zu unkomfortabel sei.
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Wo die Rede von Euphemismen für rassistische, nationalistische, fremdenfeindliche und rechtsextreme Positionen ist: Mir ist gestern das Wort “überfremdungskritisch” begegnet, verwendet an einer Stelle, an der ich sonst “asylkritisch” erwartet hätte. Es ging da um “Pegida und andere überfremdungskritische Gruppen”, die — selbst natürlich sanftmütig und friedfertig in Köln das Abendland und da insbesondere die deutschen Frauen per Spaziergang rettend — vom “brd-Regime und seinen antifaschistischen Fußtrupps” ganz übel angegangen worden waren.
Bei Google hat “überfremdungskritisch” derzeit 660 Treffer. Ich habe das jetzt nicht jeden einzelnen Treffer angeschaut, aber es waren viele von 2010, einer von 2009. Das scheint also noch recht neu zu sein. Mich wundert, dass es sich nicht weiter verbreitet hat, wo es doch sehr elegant und umfassend die besorgte Ablehnung jeglicher Zuwanderung zum Ausdruck bringt, ohne dass man dazu offensichtlich rassistische oder “böse” Vokabeln benutzen müsste. Als Euphemismus ist das eigentlich ziemlich hochkarätig…
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