Jugendwortschutz

Von Anatol Stefanowitsch

Seit Tagen herrscht helle Aufre­gung im deutschen Qual­itäts­blät­ter­wald, weil das Wort „Alpha-Kevin“ auf der Liste der nominierten Jugend­wörter erst auf- und nach ein­er Panikreak­tion des ver­anstal­tenden Ver­lagshaus­es wieder abtauchte. Wir veröf­fentlichen geheime Aufze­ich­nun­gen, die zeigen, wie es zu dieser Entschei­dung kam.

In den Redak­tion­sräu­men des Wörter­buchver­lags Schlangenei­dt in München.

Anwe­send sind OBERLEXIKOGRAF DR. WILLHELM WORTWISPERER und ASSISTENZOBERLEXIKOGRAF SIEGFRIED SILBENSÄUSLER.

SILBENSÄUSLER. Wortwisper­er, Wortwisperer!

(STILLE)

SILBENSÄUSLER. Aufgewacht, Wortwisperer!

WORTWISPERER. Sack­er­lot, Sil­ben­säusler, wie oft habe ich Ihnen gesagt, Sie sollen mich nicht beim Nach­denken stören!

SILBENSÄUSLER. Par­don, Wortwisper­er, aber ich hat­te just den Herr Direk­tor Schlangenei­dt am Fern­sprechap­pa­rat, er ist höchst erbost über unsere Vorschläge für das Jungspund­wort des Jahres!

WORTWISPERER. Es gibt schon wieder ein neues Jungspund­wort? Wir haben doch noch den Heumonat, ist das nicht viel zu früh?

SILBENSÄUSLER. Es geht um die Vorschläge, Wortwisperer.

WORTWISPERER. Welche Vorschläge?

SILBENSÄUSLER. Nun, ich wollte Sie nicht weck…, ahem, ich meine, beim Nach­denken stören, deshalb habe ich dem Her­rn Direk­tor die Liste eigen­mächtig zugeschickt.

WORTWISPERER. Aber woher haben Sie die Wörter denn genom­men, Silbensäusler?

SILBENSÄUSLER. Ich habe sie mir aus­gedacht, wie wir es immer tun, Wortwisperer.

WORTWISPERER. Und wo liegt nun der Hase im Pfef­fer, Silbensäusler?

SILBENSÄUSLER. Nun, ein Wort, auf das ich beson­ders stolz war, hat wohl den Zorn des Pöbels her­auf­beschworen, oder zumin­d­est glaubt der Herr Direk­tor, es kön­nte den Pöbel aufstacheln.

WORTWISPERER. Woher weiß denn der Pöbel von unser­er Wörterwahl?

SILBENSÄUSLER. Aus den Revolverblät­tern, Wortwisperer.

WORTWISPERER. Der Pöbel kann jet­zt lesen?

SILBENSÄUSLER. Natür­lich, Wortwisper­er, wir leben doch nicht mehr im neun­zehn­ten Jahrhun­dert, wir haben min­destens – genau weiß ich es nicht – aber min­destens 1960 oder 1970!

WORTWISPERER. Hach, das neun­zehnte Jahrhun­dert, für­wahr, das waren Zeit­en, was, Silbensäusler?

SILBENSÄUSLER. Es waren Zeit­en, Wortwisperer!

WORTWISPERER. Wohlan, Sil­ben­säusler, um welch­es Wort geht es?

SILBENSÄUSLER. „Alpha-Calvin“.

WORTWISPERER. „Alpha-Calvin“, was soll das denn bedeuten, Silbensäusler?

SILBENSÄUSLER. Nun, wir hat­ten doch vor zwei Jahren das Wort „Babo“, und da…

WORTWISPERER. Zwei Jahre ist das her? Don­ner­littchen, wie die Zeit verfliegt!

SILBENSÄUSLER. Das ist wahr, Wortwisper­er, das ist wahr! Auf jeden Fall, wir hat­ten doch das Jungspund­wort „Babo“, ein rotwelsches Wort für „Rädels­führer“, und das fand der Herr Direk­tor ganz fabel­haft. Und da wollte ich mir eben wieder so ein Wort aus­denken. Und da dachte ich, ich nehme den Namen eines Aufrührers und set­ze zur Sicher­heit noch den Buch­staben Alpha davor – weil doch der hell­ste Stern eines Stern­bildes mit diesem Buch­staben beze­ich­net wird. Ich musste viel nachsin­nen und herum­kno­beln – „Alpha-Cäsar“ war mir zu äqui­v­ok, „Alpha-Napoleon“ zu vul­gär. „Alpha-Calvin“ schien mir perfekt!

WORTWISPERER. Sehr feinsin­nig, Sil­ben­säusler. Aber wie kann sich der Pöbel an diesem Worte stören?

SILBENSÄUSLER. Nun, es sind Ein­falt­spin­sel, Wortwisper­er! Sie beste­hen mit Luther auf der Real­präsenz des heili­gen Geistes während des Abendmahls. Calvins sym­bol­is­che Inter­pre­ta­tion über­fordert sie! Sie wollen einen „Alpha-Luther“, aber wie klingt denn das!

WORTWISPERER. Das alles hat der Herr Direk­tor Schlangenei­dt gesagt?

SILBENSÄUSLER. Natür­lich nicht, er ist ja Katholik.

WORTWISPERER. Nun, Sil­ben­säusler, dann erfind­en wir etwas anderes. Wir haben ja noch Zeit. Lassen Sie uns darüber ein kleines Nick… äh, Nach­denkerchen halten.

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