Diese Woche geht es im Spektrogramm recht monothematisch, aber keineswegs langweilig, fast nur um Dialekte und sprachliche Variation — und am Ende gibts noch einen tollen Audiolink zu Namen. Viel Spaß!
- Vorletzte Woche haben wir ja ein Interview zu deutschen Dialekten mit Stefan Elspaß verlinkt — der SPIEGEL hat das Thema kurzzeitig für sich entdeckt und noch einen Artikel über das Image von Dialekten veröffentlicht: »Wie austauschbar die Zuschreibungen von Dialekt und Hochsprache sind, zeigt ein Projekt von Plewnias Kollegen an der Universität Mannheim. Sie spielten Schülern in Tansania ohne Deutschkenntnisse Sprachproben von Plattdeutsch‑, Saarländisch- und Hochdeutschsprechern vor. Die Teilnehmer der Untersuchung bewerteten die Hochdeutschsprecher durchweg als kompetenter — wenn der Dialekt als solcher bezeichnet wurde.«
- Und aus der gleichen Quelle gibts auch einen Mitmachlink: Das unterhaltsame Dialektquiz Grüezi, Moin, Servus! von SPIEGEL und TAGESANZEIGER ist Ihnen vielleicht schon über den Weg gelaufen. Sie verraten, was Fußballspielen bei Ihnen heißt und wie man sagt, wenn man eine Klassenarbeit schreibt — das Quiz rät, wo Sie herkommen. Und zwar gar nicht schlecht. Oder? (Es gibt übrigens auch eine App, die noch zusätzliche Features hat.)
- Wenn wir schon bei Dialekten sind: Was macht der Gruß Moin eigentlich in der Schweiz? WORTGESCHICHTEN hat es sich angesehen: »Letzthin wurde die Redaktion angefragt, warum man denn das «berndeutsche» Grusswort moin im Idiotikon nicht finde. Nun, da moin also definitiv in der Schweiz angekommen ist, darf es auch eine unserer Wortgeschichten beanspruchen!«
- Wie kann vergönnen zwei völlig gegensätzliche Dinge bezeichnen? FRAGEN SIE DR. BOPP weiß die Antwort: »Ich vermute, dass der NZZ eine dialektale Bedeutung von vergönnen in die Tastatur gerutscht ist. In einigen Dialekten bedeutet vergönnen nämlich nicht gönnen, gewähren, sondern im Gegenteil nicht gönnen, missgönnen.«
- ABC Australia hat eine sehr spannende Serie zu Namen: Tiger Webb sieht sich interessante Aspekte zu Rufnamen, Familiennamen, selbstgewählten Namen und Ortsnamen an und spricht auf unterhaltsame Weise mit allen möglichen Menschen darüber: »What do our names say about us? From expectant parents agonising over what to call their children to economists using surnames as a measurement of tracking societal inequality, Given Names reveals the hidden stories behind something all of us have, yet rarely think twice about. Find out what would lead musicians and authors to disguise their real names, and check in with the surprising history of place names – where an unassuming Queensland beach might have links to proto-science fiction novels, Nazi mysticism, and a popular salty meat extract.«
Der Artikel über das Image von Dialekten ist ja witzig! Natürlich ist es reine Machtwillkür, ähh, historisch gewachsen, wenn man sagt: “Die Sprache in der Gegend von x ist jetzt Standardsprache, und der Rest ist Dialekt.”
Aber Menschen in Tansania raten zu lassen, welches Deutsch “richtiger” ist? Wenn man vorher sagt, welches die “richtige” Antwort ist, kriegt man eben die zu hören, wenn nicht, dann nicht. Vermutlich würde genau dasselbe passieren, wenn man in Deutschland eine Klasse über chinesische Dialekte befragt. Oder über Swahili-Dialekte. Oder arabische. Oderoderoder.
Ist ja lustig, aber ohne jede Aussagekraft.
Gegentest: Man spielt Menschen ohne jede Deutschkenntnis einen Satz auf Hochdeutsch vor, dann denselben Satz mit falschen Grammatike, und dann denselben Satz mit falscher Wortwahl, aber alles “hochdeutsch” ausgesprochen.
Würde irgendwer erwarten, dass jemand ohne Deutschkenntnisse den richtigen Satz erkennen könne? (Erraten schon.)
Es geht darum, dass Leute die Kompetenz von Sprechern einschätzen sollten, ohne den Inhalt des Gesprochenen zu verstehen. Also nur nach klanglichen Kriterien. Wenn man ihnen sagte, ein Text sei im Dialekt gesprochen, bewerteten sie den Sprecher als weniger kompetent, als wenn man behauptete, er würde die Standardsprache benutzen.
Das habe ich schon verstanden, aber erstens, wieso sollte der Klang der Aussprache ein Kriterium für die Kompetenz der Sprechenden sein? Wird die “Hochsprache” eines Landes nach ästhetischen Merkmalen ausgewählt? Wieso nicht die Mundart der Gegend, wo die Leute die schönste Handschrift haben? Oder das leckerste Essen kochen?
Und selbst, wenn eine “schöne” Aussprache ein Kompetenzkriterium wäre, dieser Test ist im Grunde folgender:
Leute, deren eigene Kompetenz in der fraglichen Sache objektiv gleich Null ist, sollen sich zu der Kompetenz von Leuten äußern, deren Kompetenz größer als Null ist. (Würde sich Deutsche ohne Vorkenntnisse zutrauen, die kompetentesten SwahilisprecherInnen zu erkennen?).
Einer Gruppe dieser Leute wird eine Antwort vorgegeben, einer anderen nicht. Man hätte vllt. noch eine dritte Gruppe nehmen sollen, und der dann sagen, dass das saarländische Beispiel die Hochsprache sei.
Die Gruppe ohne vorgegebene Antwort ratet einfach, die Gruppe mit vorgegebener Antwort gibt die vorgegebene Antwort.
Umgekehrt, wenn beide Gruppen gesagt hätten, dass die saarländisch sprechende Person ihrer Meinung nach die kompetentesten Deutschsprachigen seien, was hätte das bewiesen? Oder man spielt bei dem Test spaßeshalber einen niederländischen Satz vor; falls die TansanierInnen keinen Unterschied erkannten, wäre das der Beweis, dass das Niederländische und das Deutsche keine zwei verschiedenen Sprachen sind?
Die einzig richtige Antwort der Probanden wäre aus diesem Grund zu sagen: Kompetenz und Sprachklang? Das hat doch überhaupt nichts miteinander zu tun, die Frage lässt sich nicht beantworten.
Schon mal ein Interview mit Stephen Hawking gesehen?
@ Mycroft:
Umgekehrt, wenn beide Gruppen gesagt hätten, dass die saarländisch sprechende Person ihrer Meinung nach die kompetentesten Deutschsprachigen seien, was hätte das bewiesen?
Nichts anderes als die Veranstaltung so schon gezeigt hat: Dass nämlich kein Zusammenhang zwischen Dialekt bzw. Hochsprache und Intelligenz, Bildung, Kompetenz oder so besteht. Und dass offenbar auch in Tansania die Meinung verbreitet ist, Hochsprache sei besser oder wertvoller als Dialekt oder sei Zeichen besonderer Kompetenz. Das gibt die Befragung aber jetzt auch schon her.
Ups, da habe ich zu kurz gelesen. Ich hatte “gelesen”, dass in dem Szenario Saarländisch als Hochsprache augegeben worden wäre und sie Saarländischsprecher deshalb für kompetenter gehalten hätten. Nur so macht der zweite Teil meines Kommentars (ab “Und dass offenbar auch…”) überhaupt Sinn…
Die Veranstaltung zeigt für mich nichts, als das Tansanierinnen höfliche Menschen sind. Wenn Deutschsprachige ihnen sagen: “Hören Sie, so und so klingt unsere Hochsprache.”, dann sagen sie: “Ja, das klingt doch gebildet.” (Ob sie uns hinterher auslachen, sei mal dahingestellt.) Es beweist gar nichts, selbst, wenn man mit dem Ergebnis zufrieden ist. Wenn man TansanierInnen fragt, ob es der, die oder das Nutella heißt, und ihnen die präferierte Antwort gibt, werden die höflicherweise zustimmen, und man hat diesen Streit auch nicht gelöst.
Mit “Kompetenz” kann hier ja nur “Sprachkompetenz” gemeint sein, nicht Intelligenz oder Bildung. Dialektsprecher verstehen hochsprachliche Sätze i.d.R. problemlos. Also fehlt es ihnen nicht an Wissen und Verstand. Umgekehrt sieht die Sache schon anders aus. Eigentlich sind die nicht-Dialektsprechenden ja dümmer.
Nebenbei, Deutsche, die glauben, Dialekt wäre ein Symptom oder eine Ursache von Dummheit, wird man mit dem Urteil von Swahilisprachigen sowieso nicht erreichen. Die erreicht man ja nicht einmal mit dem Urteil von Bayern, Franken, Schwaben, Hessen, Sachsen, Österreichern, Berlinern, Baden, Hamburgern…*g
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