Um und bei dialektologisch

Von Susanne Flach

In meinem Kom­men­tar zu round about let­zte Woche erwäh­nte ich als Umschrei­bung von round about als ‚unge­fähr‘ beiläu­fig um und bei. Das führte im Kom­men­tarz­im­mer zu Ver­wun­derung: gibt’s das über­haupt? Wenn ja, wo? Nie gehört! Nun ist mir die Wen­dung intu­itiv so geläu­fig und ich glaub(t)e auch nicht, dass sie als dialek­tal markiert ist (son­st hätte ich sie so oder so nicht ver­wen­det). Aber ich habe eine lin­guis­tisch bewegte erste Leben­shälfte in zwei sehr unter­schiedlichen Dialek­tre­gio­nen hin­ter mir, dass es mir offen­bar beson­ders leicht fällt, angenommene Region­al­is­men wie Stan­dard­sprache zu behandeln.

Man kann ein sprach­lich­es Phänomen aus zwei Grün­den noch nie gehört haben: ein­er­seits kann es so sel­ten sein, dass man es wirk­lich nicht gehört hat. Ander­er­seits kann man glauben, etwas noch nie gehört zu haben, man es also nur nie bewusst wahrgenom­men hat — und das kommt häu­figer vor, als man denkt, weil unser Gehirn eine ganze Menge Infor­ma­tio­nen aus­blenden oder „kor­rigieren“ kann. ((Seit diesem Beitrag von Ana­tol reg­istriere ich jeden Beleg ein­er vorher „nie gehörten“ Konstruktion.))

Weil um und bei aber auf jeden Fall eher ein gesprochen­sprach­lich­es Phänomen ist, habe ich im COW-Kor­pus nachge­se­hen, das Web­dat­en enthält, die der gesproch­enen Sprache etwas näher sind, als Stan­dard­zeitungsko­r­po­ra. Dort find­en sich ein paar Belege; und auch wenn es nicht über­aus fre­quent ist, sind es zumin­d­est so viele Beispiele, dass um und bei etwa 4 Mal häu­figer ist, als Klap­prech­n­er (welch­es ja vom VDS auf­grund eines obskuren „Fre­quen­zar­gu­ments“ für die Auf­nahme in den DUDEN vorgeschla­gen wurde).

Um und bei beschreibt unge­fähre Größen- und Men­ge­nangaben bei räum­lichen, zeitlichen und mon­etären Relationen:

Und dann noch die Dis­tanz von um und bei 600 Meilen Luftlinie.

Es gibt zur Zeit sehr gün­stige Sets dieser Marke, die schon zweit­eilig um und bei 16 Euro beginnen.

Wenn man sich die Neupreise von um und bei 200 Euro das Stück vor Augen hält, ist es doch einen Ver­such wert …

ich muss lei­der noch so um und bei 10 Jahre warten, bis ich das anbrin­gen darf / kann

Gemäß Nikos HP wird es den Kalen­der um und bei ab dem 15. Dezem­ber herum auch im THW-Fan­shop geben.

Phasen­weise legt der Wind immer wieder auf 8 zu, das Log zeigt “um und bei” (wie meine Flens­burg­er Fre­unde so zu sagen pfle­gen ) 5 Knoten

Belege wie die let­zten bei­den mit Flens­burg- und Kiel-Bezug ver­an­lassten mich dann dazu, zu ver­muten, dass es möglicher­weise ein Region­al­is­mus aus dem Nord-nord­west­deutschen Raum ist. Ana­tol meinte auf Twit­ter, er kenne um un bi aus dem Niederdeutschen, Ludger erwäh­nte in den Kom­mentaren die nieder­ländis­che Wen­dung om en nabij für ‚unge­fähr‘. Dass es trotz­dem trans­par­ent ist und uns nicht bewusst auf­fall­en würde, liegt sicher­lich an den Teilen um und bei, die in ver­gle­ich­baren Aus­drück­en auf­tauchen (wir brauchen so um die 12 Stun­den, der Betrag lag bei 1.000 Euro). Bei­de zu verbinden hat zumin­d­est in meinem Sprachge­fühl noch einen extra Hauch ‚solala‘ und ‚in etwa‘.

Das Nette an den ganz neuen COW-Kor­po­ra ist, dass da Geo­dat­en mit­geliefert wer­den. Also hab ich das doch glatt mal aus­pro­biert: von etwas über 600 Bele­gen für um und bei in 10 Mil­liar­den Token sind gut 200 Tre­f­fer mit Angaben über den Ursprung des Belegs verse­hen. Soweit aus der dün­nen Tre­f­fer­lage sowie der Frage, wie zuver­läs­sig diese Geo­dat­en tat­säch­lich sind, Aus­sagen getrof­fen wer­den kön­nen, habe ich fol­gende Grafik erstellt. Die Farbtiefe gibt an, wie stark die beobachteten Werte über (dunkel­grün) bzw. unter (hell­st­grün) ihren erwarteten Werten liegen:

Quelle: DECOWA01-A10; um und bei ; Verteilung nach Bundesländern, relativ zur Frequenz von .

Quelle: DECOW14A01A10; um und bei; Verteilung nach Bun­deslän­dern, Fre­quen­zen in Rela­tion zur Fre­quenz von der.

Die großen Kon­traste ver­schleiern etwas, dass die tat­säch­lichen Unter­schiede eher ger­ing sind (und für die meis­ten Län­der sta­tis­tisch nicht sig­nifikant aus­fall­en): um und bei wird über­all ver­wen­det. Lediglich Nieder­sach­sen und das Saar­land liegen sig­nifikant über den Werten, die man bei Gle­ichverteilung erwarten würde. Aber die Rich­tung der jew­eili­gen Abwe­ichun­gen sprechen für die Nord­west-These. Der starke Auss­chlag im Saar­land sowie der uner­wartet niedrige Wert für Bre­men liegen eher an der gerin­gen Daten­menge, sowie der Tat­sache, dass drei von vier Bele­gen im Saar­land von der gle­ichen IP-Adresse kom­men. Es ist anzunehmen, dass sich dieses Muster mit mehr Dat­en und etwas genauer­er Analyse ver­fein­ern und bestäti­gen wird.

Es spricht also einiges dafür, dass um und bei einen dialek­tal­en Ursprung im niederdeutschen Sprachraum hat. Das find­et nach wie vor seinen Aus­druck darin, dass es ver­stärkt in den Sprachge­mein­schaften dieser Regio­nen ver­wen­det wird und für diese typ­is­ch­er ist. Das muss aber nicht heißen, dass man ander­swo nicht ken­nt. Und dass es in Baden-Würt­tem­berg sel­tener ist, muss nicht unbe­d­ingt etwas damit zu tun haben, dass es im Ale­man­nis­chen keine direk­te entsprechende Kon­struk­tion gibt — es hat sich eben in der dor­ti­gen Sprachge­mein­schaft (bish­er) nicht im gle­ichen Maße etabliert. Ich kön­nte mir aber vorstellen, dass es ab sofort auch Leser/innen auf­fall­en wird, die es nie gehört haben (wollen).

14 Gedanken zu „Um und bei dialektologisch

  1. Viss Shimley

    THW” im vor­let­zten Textbe­leg ist höchst­wahrschein­lich eher ein Kiel-Bezug als ein Flens­burg-Bezug. Tut dem Argu­ment zwar keinen Abbruch, aber ich würde empfehlen es schnell zu kor­rigieren, bevor eure Kiel­er und Flens­burg­er Leser ern­sthaft böse werden 😉

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  2. PhilK

    Als saar­ländis­ch­er Dialek­t­sprech­er habe ich auch die Ver­mu­tung, dass die dor­ti­gen Dat­en ein Aus­reißer sein dürften. Mir war die Wen­dung bish­er über­haupt nicht geläufig.
    Der dreifache Beleg von der sel­ben IP kön­nte z.B. ein Zuge­zo­gen­er aus dem Nord­west­en gewe­sen sein. (Ja, es ziehen tat­säch­lich auch mal Leute INS Saar­land und nicht nur weg 😉

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @PhilK: Na klar, sagte ich ja auch, genau­so wie Bre­men ein Aus­reißer nach unten ist. Die Daten­lage ist ins­ge­samt sehr ger­ing. Der dreifache Beleg kann jemand Zugereistes sein, muss es aber nicht. Es heißt erst mal nur, dass die Per­son die Wen­dung häu­fig ver­wen­det (woher sie sie hat, wis­sen wir nicht).

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  3. Mycroft

    @Michael: Die etwas abwe­ichende For­mulierung “dann sind/liegen _wir_ bei 1.000 €” ist mir (Ruhrgebiet/Sauerland) geläu­fig. Wobei ich das “bei” dann auch nicht als “vage” ver­ste­he, son­dern als recht genau.
    Es kön­nte auch jemand die Rech­nung auf­machen: “90 cm Brüs­tung­shöhe plus 12 cm Estrich plus 16 cm Decke sind 1 Meter 18, und mit 1 cm Putz und 1 cm Sicher­heit sind wir bei 1,20.”
    For­mulierun­gen im Schema “Um die [runde Zahl] [Maßein­heit]” empfinde ich hinge­gen als deut­lich ungenauer.
    Etwa das, was auch “cir­ca”, “rund” oder “unge­fähr” bedeutet.
    Beim In-mich-Gehen fiel mir ein, dass mein Vater auch gele­gentlich round­about gesagt hat. Aber dessen Eng­lish­skill wurde vor allem in Diskus­sio­nen mit indis­chen Tax­i­fahrern geschult…

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  4. Susanne Flach Beitragsautor

    @alle: Ich glaub, der Michael wollte mich nur ärg­ern. Auch wenn die da komisch reden, wo der wech kommt, das wird er kennen.

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  5. Statistiker

    Um und bei” ist in Nord­deutsch­land tat­säch­lich abso­lut nor­mal.…. im Gegen­satz zu nur “bei” rel­a­tiviert es aber etwas und bedeutet, dass man es nich sooooo genau weiß.…

    Z.B. Ein Kosten­vo­ran­schlag von “bei” 1.200 € heißt “ziem­lich genau 1.200 €”, ein Kosten­vo­ran­schlag von “um und bei 1.200 €” bedeutet, es kön­nen 1.000 €, es kön­nen auch 1.400 € sein. 

    btw: Im Bremis­chen wird das “und umzu” genau im Sinne des “round­abound” benutzt, eben als “drumherum”.…..

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  6. Mycroft

    Ahh, na dann. *g

    Wie häu­fig ist “um und bei” eigentlich im Ver­hält­nis zu “round­about”, “cir­ca”, “rund”, “etwa”, “unge­fähr”, “um” ohne bei, “so”, “näherungsweise” und “schätzungsweise”? Ich will ja nicht behaupten, es vorher nie gehört oder gele­sen zu haben, schon um den Vor­wurf vorzu­greifen, ich würde es nicht gehört haben wollen :-), aber wenn eine einzelne IP-Adresse schon die Sta­tis­tik durcheinan­der­bringt, kommt mir die For­mulierung recht sel­ten vor.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Mycroft: die einzelne IP-Adresse bringt es auch deshalb durcheinan­der, weil aus dem Saar­land ins­ge­samt sehr wenig Dat­en vor­liegen. Ein typ­is­ch­er Aus­reißer. Die Häu­figkeit im Ver­hält­nis zu den Alter­na­tiv­en zu evaluieren, wäre enorm zeitaufwändig, da diese jew­eils noch ganz andere Funk­tio­nen und Ver­wen­dungsweisen haben (und eine solche Suche würde ver­mut­lich auch nicht mehr Erleuch­tung brin­gen, als die Nordthese). um und bei IST sel­ten und ist offen­sichtlich, anders als etwa rund, unge­fähr etc., kein etabliert­er Bestandteil der Stan­dard­sprache; auch wenn es in den nördlichen Regio­nen zum Inven­tar des gesproch­enen regionalen Stan­dard zu gehören scheint (was erk­lären würde, dass es dort vie­len nicht als dialek­tal gefärbt auffällt).

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  7. ke

    Wie hast du die Grafik erstellt? Bietet COW das an? Bess­er fände ich ja einen Scat­ter­plot der Einzel­belege statt der Bun­deslän­der­gren­zen, die, wie du ja selb­st schreib­st, auf­grund der dün­nen Daten­lage ein recht verz­er­rtes Bild liefern.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @ke: mit R (spplot) und gadm-Dat­en, basierend auf der COW-Anno­ta­tion doc_region, welche das Bun­des­land zurück gibt. Weil die Karte rel­a­tive Fre­quen­zen statt absoluter Belege darstellt, und ich zusät­zlich keine Zahlen über die Gesamt­textmenge aus den Län­dern hat­te, musste es der Ver­gle­ich mit der jew­eili­gen der-Fre­quenz tun.

      Es gibt noch eine IP-Vari­able, aber da bin ich noch nicht sich­er, wie man das schnell ins LongLat-For­mat brin­gen kann; beson­ders wenn es hochfre­quente Phänomene sind, wäre das ja eher anstren­gend (und für rel­a­tive Darstel­lun­gen über­haupt nicht geeignet).

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  8. slowtiger

    Ich bin mir sich­er, nie im Leben “um und bei” gehört zu haben, benutze aber sel­ber oft “liegt bei um die 100 €”, was ja so ent­fer­nt nicht ist. (In Osnabrück sprach­sozial­isiert worden.)

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