Wenn Sie regelmäßig im LANGUAGE LOG vorbeischauen, dann haben Sie letztens dort vielleicht Mark Libermans Kommentar zu einer Studie gelesen, die keinen Zusammenhang von Narzissmus und der Verwendung von Personalpronomen (ich, mein, meins) gefunden hat. Eine Studie kommentieren, die kein Ergebnis hat?
Genau deshalb ist es aber interessant (gleich auf mehreren Ebenen). Und weil wir hier im Sprachlog schon mehrfach medienwirksame Forschung mit Sprachdaten, aber ohne sprachwissenschaftlichen Sachverstand kommentiert haben, möchte ich drei interessante Punkte kurz kommentieren — aber genau wie Mark Liberman skeptisch bleiben.
Worum geht’s?
Sozialpsychologische Studien wollen — sprachwissenschaftlich zumindest naiv — den Zustand unserer Gesellschaft an diversen Wortfrequenzen ablesen können. Denken Sie an die „materialistische Gesellschaft“ (hier und hier), „Stimmungen auf Twitter“ (hier), „Futur & Sparquote“ (hier) oder „Glückliche Sprachen“ (Kommentar steht noch aus). Zu erkennen ist diese Art der Sprachforschung schon zielsicher daran, dass man aus Frequenzen von isolierten Wörtern (Buchstabenketten) eine direkte kulturelle Signifikanz ableitet, die die Sprachverwendung aber bei genauer Betrachtung nicht hergibt (aber das erklären die verlinkten Kommentare ganz gut an einzelnen Beispielen).
Nun hat diese Studie eben keine Evidenz dafür gefunden, dass die ich-Frequenz etwas über den Narzissmushang aussagt. Das ist erstens insofern interessant, weil Forscher/innen hier Ergebnisse veröffentlicht haben, die ihren eigenen, langjährig verfolgen Annahmen, Thesen, Ergebnissen und Interpretationen eigentlich fundamental widersprechen. (Abgesehen von der interessanten Feststellung, dass Studien ohne Ergebnisse seltener veröffentlicht werden; vgl. „Publication Bias“.)
Zweitens ist es interessant, dass in der Masse der Daten diesmal kein Zusammenhang zu finden war. Denn das Problem ist, dass immer irgendwo ein Zusammenhang zu finden ist — das Phänomen nennt man „Scheinkorrelation“ (hier oder hier). Deren Unsinn fällt natürlich umso mehr auf, je absurder die Annahme eines tatsächlichen Zusammenhangs ist — wie der zwischen dem Konsum von Hühnchen und der Anzahl getöteter Autofahrer/innen bei Zusammenstößen mit Zügen.
Je plausibler der Zusammenhang zwischen Dingen aber auf den ersten Blick scheint, desto eher nehmen wir einen statistischen Zusammenhang, auch einen zufälligen, als Beleg dafür, dass ein tatsächlicher, kausaler Zusammenhang besteht. Und so ist es für Nicht-Sprachwissenschaftler/innen besonders plausibel, zwischen der Verwendung von Personalpronomina der 1. Person singular (ich, mein, meine) und der Ich-Bezogenheit auch einen direkten Zusammenhang zu sehen. Aber nun gilt natürlich auch für die Beziehung von Personalpronomina und Narzissmus: sie muss eine plausible Grundlage haben. Um Narzissmus an Pronomina messen zu können, müssten Pronomina verwendet werden, um Ich-Bezogenheit auszudrücken (Kriterium der Güte und Gültigkeit der Messung). Das tun sie aber nicht: wenn ich altruistisch über meine Kinder oder meine Eltern rede, dann ist die Plausibilität schon kaputt. Dies ist zugegebenermaßen etwas schwer zu sehen für Leute, die sich nicht täglich mit Sprache und Sprachstruktur auseinander setzen.
Skeptisch darf man deshalb bleiben, weil die Ursache für den Nulleffekt von den Autor/innen überall gesucht wird (sogar bei Narzisst/innen oder wie man sie wahrnimmt) — außer in Methode, Sprache und Sprachstruktur selbst. Mit anderen Worten, die Autor/innen reflektieren nicht, dass an ihrer Art, ihre These messbar zu machen oder ihren Messinstrumenten etwas nicht stimmt (davon erzählen wir ein andermal). Es wirkt fast, als ob man bei der nächsten Scheinkorrelation wieder in die andere Richtung argumentieren wird. Also dass wir X sind, weil wir Y häufiger verwenden, als Z.
ICH hatte bislang noch nie angenommen, dass man eine Persönlichkeitsstörung an bestimmten Pronomina erkennen könne, anstatt durch Psychoanalyse; aber gut. Und, Überraschung, nee, das geht doch nicht.
Folgenden Satz finde ich aber trotzdem bemerkenswert:
“Und so ist es für Nicht-Sprachwissenschaftler/innen besonders plausibel, zwischen der Verwendung von Personalpronomina der 1. Person singular (ich, mein, meine) und der Ich–Bezogenheit auch einen direkten Zusammenhang zu sehen.”
Erstens werden hier Nicht-Sprachwissenschaftler/innen pauschal in einen Topf geworfen, zweitens wird ihnen dabei eine bestimmte, falsche Ansicht zugeschrieben, von der sie drittens von Sprachwissenschaftler/innen geschützt werden soll(t)en.
Einer ganzen Gruppe ein Vorurteil zu unterstellen, ist ebenfalls ein Vorurteil, insbesondere, wenn man weder zu der Gruppe gehört noch das unterstellte Vorurteil teilt.
“…die Autor/innen reflektieren nicht, dass an ihrer Art, ihre These messbar zu machen oder ihren Messinstrumenten etwas nicht stimmt (davon erzählen wir ein andermal)”
Das wäre mal ein tolle Studie, die aufzeigt, mit welchen Mängeln und Schlampereien hinsichtlich Methoden, Datenerhebung, Fragestellungen etc Studien (die ja — wenn sie nicht gerade I‑talk und Narzissmus zum Thema haben — immerhin Grundlage für politische Entscheidungen sein können) behaftet sein können.
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In dem Zusammenhang sei vielleicht erwähnt, dass es Sprachen geben soll, in denen bestimmten Personengruppen die Benutzung von Possessivpronomina untersagt ist.
Nun, wie wird denn festgelegt, was ein Scheinzusammenhang ist?
Zusammenhang zwischen welchen Variablen? Wenn dem (erfolgreich) so sein sollte, dann wäre die Tatsache, dass einige Personengruppen Possessivpronomina weniger benutzen, eine logische, aber irrelevante Konsequenz. Die Frage, ob Pronomengebrauch mit der Ich-Bezogenheit zusammenhängt, betrifft das nicht. Es wäre nämlich eine andere Sache, woher ein solches „Verbot“ kommt — in der Regel sind diese Dinge soziale Konventionen. Eine solche Konvention könnte nämlich genau von dieser Auffassung herrühren, weshalb Nicht-Linguist/innen gerne davon ausgehen, dass Pronomen die Ich-Bezogenheit reflektieren. Linguistisch gibt es dafür aber keine Anhaltspunkte.
Evt. habe ich die Frage bzw. die Antwort falsch verstanden, aber wie würde man jetzt denn einen Scheinzusammenhang beweisen?
Bzw., was genau _ist_ eigentlich ein Scheinzusammenhang? Im Unterschied bspw. zu einer Arbeitshypothese, die man in Rahmen von Untersuchen beweisen oder widerlegen kann?
Ich bin z.B. Nicht-Linguist. Ich glaube nicht daran, dass Pronomen die Ich-Bezogenheit reflektieren. Ist ihr vorletzter Satz demnach ein Scheinzusammenhang?
Ich denke, ich kann sagen, ich habe damals, als ich zur Schule ging, zuwenig gelernt, wie ich mich komplexer ausdrücken kann, wenn es um meine Belange geht, die ich gern mitteilen würde, mir aber, meines Erachtens nach, Worte und Formulierungen fehlen, mit denen ich sagen kann, was ich sagen will, ohne zuviel “ich” und 2mir” zu verwenden.
Ich bin für mich gar nicht so selbstbezogen wie ich denke. Glaub ich.
Keine Sorge, das eine hat nichts mit dem anderen zu tun.