Nun sind, was gerechte Sprache angeht, die Universitäten natürlich ein vergleichsweise harmonisches Idyll — in offiziellen Dokumenten, auf Webseiten, in Rundschreiben, E‑Mails und Protokollen werden fast ausschließlich gerechte Formulierungen verwendet, die Mitarbeiter/innen werden entgegen landläufiger Meinung dazu aber nicht verpflichtet (und auch nicht die Studierenden) und eigentlich ist das alles sehr normal und im täglichen Geschäft in beide Richtungen ziemlich entspannt. Mir ist kein Fall bekannt, in dem vehement auf der einen oder anderen Form bestanden worden wäre. Es ist eher so, dass geschlechtergerechte Sprache im akademischen Umfeld mehr oder weniger der Normalfall ist.
Jetzt steht das Sommersemester vor der Tür und an unserer Universität hat in diesen Minuten die Kurszuteilung begonnen. Dazu hat die IT flink einen Hinweis auf die Startseite des Verwaltungssystems gesetzt, dass das System für einige Stunden nicht erreichbar sein wird:
Mir ist das deshalb aufgefallen, weil es in besagtem universitären Umfeld eher unerwartet ist, das sogenannte „generische Maskulinum“ zu verwenden. Auf der offiziellen Seite des Verwaltungssystems werden nämlich fast ausschließlich gerechte Formen verwendet (Lehrende, Dozierende, Studierende), ab und an findet sich vielleicht eine Mitarbeiter. Was aber auffällt, ist, dass immer von Studierenden die Rede ist.
Die Mischung von neutraler Form (Studierende) und dem Maskulinum (Dozenten) in dem Screenshot könnte ein Hinweis darauf sein, dass Studierende mittlerweile weit verbreitet und konventionalisiert ist (und es sich weniger, wie vermutet, um eine „jerechte Uffteilung“ oder „ein verbreitetes Übel“ handelt). Es scheint fast, als falle es auch Menschen, die gerechte Sprache nicht generell verwenden, nicht mehr als markierte Formulierung auf.
Vielleicht kommt das bei der nächsten turnusmäßigen Bestellung von Briefbögen, Visitenkarten und Hinweisschildern auch beim Studentenwerk Berlin an.
Ich bin keine Sprachwissenschaftlerin und verstehe folgeden Satz nicht ganz: “Es scheint fast, als falle es auch Menschen, die gerechte Sprache nicht generell verwenden, nicht mehr als markierte Formulierung auf.”
Markiert als was? Bedeutet das, dass es deiner Meinung nach nicht (mehr) als Bestandteil der gerechten Sprache wahrgenommen wird? Oder das genaue Gegenteil? Ich wäre dankbar, wenn du das noch mal erklären könntest.
@Lina: „markiert“ bedeutet soviel wie „Ausnahmefall“, „nicht der Normalfall“, „non-default“. Hilft das?
Ja, das hilft, danke! Aber ich habe noch nicht verstanden, wie das hier bewertet wird. Als etwas Positives: Die Formulierung hat sich weitgehend durchgesetzt? Oder als etwas Negatives: dass sie ihre Besonderheit, nämlich den gerechteren Charakter, verloren hat?
Ich frage vor allem, weil mir das Phänomen schon in anderem Zusammenhang aufgefallen war. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass “Studierende” mittlerweile als männlich wahrgenommen wird, so dass man wieder extra dazu sagen muss, wenn man (auch) weibliche Studierende meint. In Extremfällen (sicher nicht die Regel) führt das dann zu der Formulierung “Studierende und Studentinnen”, wie ich es hier gefunden habe: http://lhg-marburg.de/category/unsere-positionen/
@Lina: die Bewertung habe ich bewusst offen gelassen. Denn in der Tat gibt es zwei Perspektiven darauf: die eine, dass sich die Formulierung tatsächlich durchgesetzt hat (entgegen vielen kritischen Stimmen unterschiedlichster Motivation). In der anderen Sicht kann es auch bedeuten, dass die Gefahr, Studierende als männlich wahrzunehmen möglicherweise real ist. Die Beobachtung ist spannend.
@Lina: Interessante Beobachtung! Ich bemerke dagegen immer mal wieder Fälle wie diesen:
(Quelle)
Das spricht auch dafür, dass Studierende/r als sprachlicher Normalfall wahrgenommen und entsprechend auch im Singular benutzt wird (statt dann Student/in), also wie Angestellte/r etc.
Und was ist mit den fehlenden Strindebichen?
@Ali Baba: bei Campus Management Web Anwendung? Ich denke, das ist Ausdruck der Tendenz, lange Komposita auseinander zu schreiben. Und vermutlich die Tatsache, dass in der IT für schnelle, vergängliche Hinweisboxen sinnigerweise kein konservativ-redigierendes Lektorat bemüht wird. Oder dass Campus Management Web Anwendung als Eigenname wahrgenommen wird, den man intern immer so schreibt.
Ich glaube, dass die IT-ler mit der Verwendung der männlichen Form bewusst darauf hinweisen möchten, dass Frauen nach wie vor im Lehrkörper unterrepräsentiert sind.
@Klaas: steile These.
@Susanne Ist ein Kompositum denn noch eines, wenn man es „auseinander“ schreibt?
@Ali Baba: na klar. Die Tatsache, dass wir im deutschen eine orthografische Konvention haben, ist gegenüber den Kriterien der semantischen Einheit, der morphologischen Eigenschaften (der „Kopf“ des Kompositums ist ja trotzdem Anwendung, da er die Genus- und Numerusinformationen der Einheit trägt) und dem syntaktischen Verhalten mindestens nur viertrangig.
Die arme orthograviehsche Konvention!
Ich glaube ja eher, der Webmasterin ist die männliche Form nicht als solche aufgefallen, ein simpler Flüchtigkeitsfehler; warum sonst sollte sie sonst einmal die eine und dann gleich die andere Form gebrauchen?
[SF: Siehe die Vermutung in meinem Beitrag.]
Interessanterweise ist das zwar die häufigste, normale Form, allerdings nicht die bevorzugte. http://www.univativ.de/site/kompakt/unicensus-kompakt‑2
Nicht einmal Studentinnen können sich mehrheitlich dafür begeistern, als Studierende bezeichnet zu werden.
[SF: Die Studie, die hier verlinkt wird, sollte auch richtig interpretiert werden: denn entscheidend ist weniger, ob Studentinnen sich „mehrheitlich“, also in mehr als 50%, für eine Form begeistern können, sondern ob sie das häufiger tun, als Studenten — und das tun sie. Das, sowie die Tatsache, dass es Studentinnen weniger „egal“ ist, welche Form verwendet wird, als Studenten, deutet durchaus auf eine gefühlte Ungleichbehandlung hin.]
@Susanne: Zumindest wäre das meine Ausrede, wenn mir so etwas passieren würde 😛
@Kristin Kopf: Das ist auch sehr interssant! “Lieber Studierender, liebe Studierende” gefällt mir — weniger aus ästhetischen als aus “strategischen” Gründen: Wenn das als Singular verwendet wird, wird das automatisch dazu führen, dass im Plural auf jeden Fall immer alle eingeschlossen sind, ohne dass man darüber erst lange nachdenken muss.
Schon ulkig, dass, wer sich so detailliert mit „gerechter“ Sprache befasst, gleichzeitig so engstirnig sein kann, wesentliche Rechtschreibprinzipien als bestenfalls viertrangig abzutun. „Campus Management Web Anwendung“ ist weder Eigenname noch Kompositum und ganz gewiss kein Ausdruck von irgendwas anderem als schlicht fehlender Schreib-Lese-Kompetenz. Da gibt’s nichts schönzuschwallen.
„Schon ulkig, dass, wer sich so detailliert mit arbiträrer Orthografie befasst, gleichzeitig so engstirnig sein kann, wesentliche Gerechtigkeitsprinzipien als bestenfalls viertrangig abzutun. „Student“ ist weder gerecht noch inklusiv und ganz gewiss kein Ausdruck von irgendwas anderem als schlicht fehlender Sozialkompetenz. Da gibt’s nichts schönzuschwallen.“
Sie sehen den Knick in Ihrer Logik?
Daß die Studenten nicht verpflichtet werden, ist aber auch nicht allgemeingültig:
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/gender-debatte-in-oesterreich-geschlechtsneutrale-bachelor-arbeit-a-1005813.html
@hm: seltsamer, möglicherweise extremer, aber problematischer Einzelfall. Der verlinkte Artikel in der Kleinen Zeitung ist aber auch sehr, sehr widersprüchlich (Rektor bestätigt Beschluss, rügt aber Kollegen). Klingt ferner eher nach schlechter Recherche bzw. lieblosem Zusammengeschreibsel (auf SPON- & Kleine-Zeitung-Seite). Auf der Seite des Instituts sind keine Prüfungsordnungen zu finden, um das wirklich nachzuprüfen.
Habt Ihr keine anderen Sorgen? Zu meiner Zeit hat sich niemand auch nicht die vergleichsweise zahlreichen Studententinnen an der Evangelischen Studentengemeinde gestört. Nun lese ich das Sprachmonster Evangelische Studierendengemeinde. Crazy!
@ Red Baron: Sie wollen doch in diesem Forum nicht wirklich mit dem Argument “Zu meiner Zeit…” aufwarten? Wann war / ist denn “Ihre Zeit” ? Sie leben doch noch, oder?
Erstens: Früher war nicht alles besser!
Zweitens: Was genau ist an dem Wort “Studierendengemeinde” so monströs?
Es ist genau um 3 Buchstaben länger als “Studentengemeinde”
Das sollte die deutsche Sprache doch verkraften können.
Wenn Sie meinen. Die deutsche Sprache musste schon viel verkraften und wird an den modischen Studierenden wegen dreier Buchstaben nicht übermäßig leiden. Was mein Leben betrifft, so muss ich in der Tat nicht mehr so lange.
“ ‘Campus Management Web Anwendung’ ist weder Eigenname noch Kompositum”
Ein Eigenname dürfte es tatsächlich nicht sein, da “alle” davor steht. Was ein Kompositum ist, wissen Sie vermutlich gar nicht?
In der Tat, Eigenname fällt zumindest fürs ganze Kompositum raus. CampusManagement ist hingegen einer, aber das hat ne Binnenmajuskel und böse.
@Red Baron: Haben Sie kein andeen Sorgen?
[gekürzt, bitte sachlich beim Thema bleiben :), SF]
Och ja, und “Die deutsche Sprache musste schon viel verkraften” Nö.
[gekürzt, SF]
Natürlich sind die Richtlinien und Leitfaden dort zu finden: http://www.fh-vie.ac.at/Die-FH/Gender-Mainstreaming-Diversity-Management
http://www.fh-vie.ac.at/Studium
[SF: Das ist kein Link auf eine Prüfungsordnung, sondern auf Seiten, die Links zu Leitfäden enthalten. Aber Leitfäden sind keine rechtsverbindlichen Kriterien.]
Wenn Sie den Journalisten schlechte Recherche vorwerfen, sollten Sie es doch besser machen.
[SF: Das ist richtig. Allerdings habe ich das — und die Diskussion um die Bewertungsgrundlagen für Bachelorarbeiten, die ich hier kommentiere, dürfte zeigen, dass die Beurteilung der journalistischen Arbeit als bestensfalls schludrig schon berechtigt ist: 10% der Bewertung entfallen auf Formalia, aber da fällt halt auch ein ganzer Berg an Formalia drunter. Die Meldung, für die nicht-Verwendung von gerechter Sprache könnten 10% abgezogen werden, steht so schlicht nicht drin und derartige Meldungen sind irreführend.]
PS: Die Schule bestraft u.a. nicht 100%ig perfekte Grammatik und “Rechtsschreibung” mit Punktabzug, ist aber in beidem nicht fehlerfrei.
[SF: Tja.]
Ist diesem Artikel eine Einleitung abhanden gekommen? Oder gab es hierzu irgendwo einen ersten Teil, den ich verpasst habe? Der erste Satz liest sich so, als würde etwas fortgesetzt.
http://www.fh-vie.ac.at/Studium
http://www.fh-vie.ac.at/content/download/6251/45404/file/Richtlinie%20Bachelorarbeiten%2020141117final.pdf
klingt für mich recht eindeutig, keine gendergerechte Sprache => Punktabzug.
@hm & alle: Danke fürs raussuchen! Ob ich das alles so „eindeutig“ finden soll, weiß ich nicht. Der Punkt ist unter „Formalia“ abgehandelt und der umfasst neben gerechter Sprache eben halt auch Rechtschreibung (inkl. Grammatik/Interpunktion), Schreibstil, Formatierung, Dinge wie Deckblatt oder Inhaltsverzeichnis und Aspekte der Zitierweise und des Literaturverzeichnisses. Das sind — mit Ausnahme von gerechter Sprache — alles Dinge, bei deren grober Nichteinhaltung ich Hausarbeiten zur Überarbeitung zurückgebe und meines Wissens ist es weit verbreitet, diese Dinge mit Punktabzug zu „bestrafen“.
Jetzt frag ich mich, wie sehr ins Gewicht dann auch medial die Aufregung unter gerechte Sprache fallen soll, wenn es ein Aspekt unter vielen für 10% der Gesamtpunktzahl sein soll.
Kann es sein, dass es beim Studiengang des Eingangsbeispiels keine Dozentinnen gibt?
[SF: bei über 2.200 Personen, die an der Freien Universität in der Lehre tätig sind, ist das hoffentlich unwahrscheinlich.]
[…]
Mal nebenbei, wenn geschlechterneutrale Sprache nicht verbindlich ist, kann das nicht abgemahnt werden.
[SF: Naja, wenn gerechte Sprache, wie hier, unter „Formalia“ fällt, ist es vermutlich genauso eine Einschätzungs- und Gewichtungssache, wie die Tatsache, ob jemand ein konventionelles Nummerierungssystem in seinem/ihrem Textverarbeitungsprogramm gewählt hat oder ob mir sein/ihr Stil gefällt.]
Guten Tag Frau Flach
Gibt es ein prinzipielles Problem mit der Freischaltung meiner Posts? Beide waren zum Thema und keineswegs “daneben”. Zum ersten: Das ist halt das Ergebnis einer Umfrage. Das es Ihnen nicht gefällt, ist mir schon klar. Wenn Sie gegenteilige Daten haben, lerne ich sie gern kennen.
Zum zweiten: Bei allem Respekt, aber diese Kritik haben Sie sich verdient. Ihr Kommentar zu den beiden Zeitungsartikeln war rüde und wenig fundiert; dass Sie die Prüfungsordnung nicht gefunden haben, zeigt, dass Sie selber schlecht recherchiert haben. Kein Beinbruch, ich selber mache es ja auch nicht immer besser.
So viel Kritik sollte einem Blog, dem Genderismus und Ihnen selber zuzumuten sein, finde ich.
Mit besten Grüssen
Daniel
[SF: Ich habe diesen Ihren Kommentar jetzt mal in Gänze freigeschaltet. Das prinzipielle Problem ist, dass ich auch am Wochenende 12–14 Stunden Semestervorbereitung, Fachaufsätze und Verwaltungsaufgaben zu bewältigen habe — und Ihre Kommentare und Einschätzungen fundiert kommentieren wollte. Ob Sie DAS jetzt auch als „rüde“ bewerten möchten, überlasse ich Ihnen.]
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Mit den 10% haben die Artikel vermutlich übertrieben.
In der Prüfungsordnung wird auf die Richtlinien verwiesen. Für mich klingt das verbindlich.
Ob 10% oder 1% der Gesamtpunktzahl ist eigentlich egal, von den Studenten wird verlangt, daß sie gendergerechte Sprache verwenden, ansonsten werden sie schlechter bewertet. Ich würde das unter Zwang einstufen. Zumindest auf die gleiche Weise, auf die sie gezwungen werden, sich an die sonstigen Formalia zu halten.
Und so ist es, denke ich, ein Gegenbeispiel zur Aussage, daß keine Studenten gezwungen werden, gendergerecht zu schreiben.
@hm: ich würde (oder habe) nicht bestreiten (bestritten), dass es ein Gegenbeispiel ist. Aber erstens halte ich es für irreführend hochgekocht und auf gerechte Sprache reduziert (über die absurde Losung „100%ig perfekte Rechtschreibung“ stolpert bezeichnenderweise weder die Debatte noch ein/e Journalist/in). Aber ich habe hier auch gesagt, dass ich den Zwang zumindest für problematisch halte (das ging jetzt in der Diskussion etwas unter).
Je länger ich drüber nachdenke, desto unwohler wird mir dabei, den Zwang aber grundsätzlich als problematisch einzustufen — wenn man sich vergegenwärtigt, wie Sie ja auch sagen, wozu Studierende sonst noch „gezwungen“ werden. Da bin ich fast geneigt, zu behaupten, dass ich den „Zwang“ zum Nachdenken über Gerechtigkeit und Inklusion für mindestens gleich legitim erachte, wie den „Zwang“ zur Einhaltung der Vorgaben bei Formatierungen und Konventionen des wissenschaftlichen Zitier- und Bibliografiestilen (von arbiträrer Rechtschreibung ganz zu schweigen). Und Studierende können ja auf die Formulierungsvorgaben verzichten, genauso wie sie auf Zitierkonventionen verzichten könnten (sie müssen dann halt mit den Konsequenzen leben). Wenn letzteres für die Bewertung der akademischen Reife eines Menschen wirklich gänzlich unwidersprochen als aussagekräftiger wahrgenommen wird, sollten wir demnächst etwas stärker über die Aussagekraft arbiträrer Normen diskutieren. (Nicht falsch verstehen, ich bestehe auf der Einhaltung bibliografischer Konventionen und ziehe durchaus negativ in Betracht, wenn einer Arbeit etwa Inhaltsverzeichnis, Überschriften oder Kapitelnummerierungen fehlen.)
Ein politisches Ziel mit Hilfe einer Prüfungsordnung durchsetzen zu wollen, halte ich für durchaus für problematisch.
Wenn Sie eine gendergerechte Sprache zum Bewertungskriterium machen, kommt jemand anderes und verlangt die Abwesenheit von Anglizismen (wie heißt dieser lustige Verein? Naja, Sie wissen schon, wen ich meine.).
Und wenn Sie eine gendergerechte Sprache verlangen, wäre es dann auch ok, wenn Profx Hornscheidt verlangt, daß geschlechtsneutrale Formulierungen mit x verwendet werden?