Im heutige Spektrogramm gehts um Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, das Wort anstelle, noch einmal um den Unterschied zwischen expats und immigrants, darum, ob fließende Sprachbeherrschung möglich ist und darum, was can’t even so im Englischen macht.
- Für PROGESS hat Vanessa Gaigg ein Interview mit İnci Dirim, Professorin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, geführt, die sich zum Beispiel zum Verbot anderer Sprachen als Deutsch im Schulunterricht oder auf dem Pausenhof äußert: »Ich denke generell, dass die Pause für Erholung und Gespräche zur Verfügung steht. Dafür dass alle alle privaten Gespräche verstehen, besteht keine Notwendigkeit. […] Auch Lehrkräfte im Unterricht müssen nicht alles verstehen können, das wäre ohnehin auch mit dem alleinigen Gebrauch des Deutschen nicht möglich – man schreibt sich z.B. Zettel und flüstert sich zu. Zudem gibt es viele gute Möglichkeiten, die Mehrsprachigkeit für die Bildung von Schülerinnen und Schülern einzusetzen. […] Ein Verbot ist keine pädagogische Maßnahme.« (via @JollySea)
- Mit stiefmütterlich behandelten Wortarten befasst sich Michael Mann im LEXIKOGRAPHIEBLOG: Warum hält der Duden anstelle für eine Präposition und für ein Adverb gleichzeitig? Und wie logisch ist das?
- Kürzlich haben wir hier im Spektrogramm einen kurzen Text zu expats und immigrants empfohlen — Nic Subtirelu hat sich das Ganze auf LINGUISTIC PULSE einmal korpuslinguistisch angeschaut: »If it is acceptable for those we label expats to maintain their difference from their host countries, then it seems hypocritical to suggest that those we label immigrants should cast off their languages, cultures, and connections to their countries of origin.« (via @replicatedtypo)
- Fließend Englisch oder Deutsch sprechen — für MuttersprachlerInnen doch kein Problem? Wohl, findet Noah Harley auf BABBEL, und mehr noch, das ganze Konzept ist daneben: »No one will ever be completely fluent in a language like English, which is spoken in so many different ways by so many different people, and is used to describe so many different spheres of activity. You may be a native English speaker, but that does not mean you will understand an 80-year old bus driver from Scotland describing the terrible weather they had 50 summers ago, or a professor in algebraic topology.«
- Wie kommt es, dass die umgangssprachliche englische Äußerung I can’t even kein paralleles I can even hat? Gretchen McCulloch beleuchtet das auf MENTAL FLOSS: »What’s up with these sentences? Even, and its friends ever and any, are a type of word known as a Negative Polarity Item (NPI). They work with a sentence that’s already got a negative in it and make it even more negative, but they just don’t sound right in the positive ones. You can think of them like the glass-half-empties of grammar.«
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“Even” ist kein NPI.
(Vgl. etwa Dresden Dolls, “Coin operated boy”: “I can even take him in the bath.”)
Ich habe nochmal nachgesehen, weil mich interessiert hat, ob die Auffassung, daß “even” ein NPI sei, anderswo schon vertreten worden ist, und bin auf dieses Paper gestoßen: http://www.lingref.com/cpp/wccfl/25/paper1460.pdf
Auf Seite 289 erfährt man, daß in der Forschung teilweise eine Mehrdeutigkeit von “even” angenommen wurde, nach der es auch ein NPI dieser Form gibt. Der Grund ist, daß in (1a) “John read Ulysses” als unwahrscheinlichste Proposition aus einer bestimmten Alternativenmengen aufgefaßt werden muß, in (1b) aber als die wahrscheinlichste.
(1)
a. John even read Ulysses
b. John didn’t even read Ulysses
Man kann das aber auch dadurch erklären, daß “even” in (1b) die Negation im Skopus haben muß. Wenn p die unwahrscheinlichste Proposition aus einer Menge M ist, dann ist es auch die wahrscheinlichste aus der Menge {nicht p | pϵM}.
Die Argumente gegen diese Theorie, die auf Seite 289 angeführt werden, erscheinen mir nicht schlagend, und vor allem das Argument daß die nötige LF-Bewegung komisch sei, greift nur, wenn man denn überhaupt LF-Bewegung annimmt, um Skopuseffekte zu erklären.
(Das Paper selbst vertritt zudem wohl auch eine Form der Skopustheorie, aber ich habe es bis jetzt nicht weiter gelesen.)
Ein unzweideutiges NPI wie “ever” ist “even” aber auf keinen Fall.
Frau Dirim erweckt den Eindruck, dass Deutschgebot sei vor allem eingeführt worden, damit alle und nicht zuletzt die Lehrer alles verstünden. Ich glaube kaum, dass das der Grund war.
Schon vor zehn Jahren wurde das an der Herbert-Hoover-Schule in Berlin eingeführt. Der Grund war aber ein ganz anderer: Die Deutschkenntnisse der Schüler zu verbessern, damit sie leichter einen Ausbildungsplatz finden können. So nebenbei soll es dort viel friedlicher geworden sein, weil sich die Kinder besser untereinander verständigen können. Die Maßnahme sei gemeinsam mit Eltern- und Schülervertretern beschlossen worden.
Darüber empört hatten sich offenbar vor allem türkische Zeitungen und Organisationen. 2006 bekam die Schule für die Maßnahme den Nationalpreis.
Der Artikel http://www.morgenpost.de/politik/inland/article1394881/Wie-die-Tuerken-das-Deutsche-wieder-verlernten.html beleuchtet etwas die Thematik. “Wesentliche Integrationserfolge gingen wieder verloren. Da sich die arbeitslosen Jugendlichen fast ausschließlich in der türkischen Parallelgesellschaft bewegten, schrumpften ihre Deutschkenntnisse wieder. Im Jahr 2001 warnte eine Bildungsstudie, dass 60 Prozent der Zuwandererkinder nicht einmal einfachste deutsche Sätze verstünden.”
Inwieweit das die Situation in Deutschland oder Österreich korrekt widerspiegelt, weiß ich nicht. Ich denke aber, dass man mehr auf die Kinder hören sollte als auf Politiker, Organisationen und Experten.
Zu “can’t even”:
Wie ist das eigentlich mit “ain’t”? Das ist doch eine alternative Form von “is not” oder? Gibt es eine parallele Form dazu (abgesehen von “is”)? Sorry, bin kein Fachmann.