Nicht erst seit Neustem gibt es Sonnenfinsternisratgeber … bei meiner Korpusarbeit bin ich über dieses Traktat des Mathematikers Eberhard Welpern gestolpert, dessen Beschreibung ich so charmant fand, dass ich sie niemandem vorenthalten möchte:
Nun wolan/ diese Finsternus insonderheit betreffend/ so wollen wir dieselbe den Philomatematicis vnd der Sternkunst Liebhabern zu gefallen/ erstlich Astronomicé jhrer Erscheinung nach/ betrachten: […] So wird diese Finsternus sich begeben zu Straßburg/ den 2 12. Augusti/ […] wird zwar partialis, aber auff 11 Zoll groß genug seyn/ vnd die Sonne von oben herab vom Mond vast gar bedeckt vnd verfinstert werden/ welche Verdunckelung dann mit grosser Verwunderung/ weil der gleichen bey vns nicht viel ist gesehen worden/ anzuschawen seyn wird. Der Anfang wird seyn vbm 8. Vhr 57. m. das ist ein klein wenig vor 9 Uhr/ da der Mond motu suo proprio mit seines Leibs lincker Seyten der Sonnen rechte Seyten oder Ranfft zubestreichen vnd vns derselben Schein zubenehmen anfangen wird: welches momentum principij Eclipsis man fleissig mercken/ vnd durch eine zuvor wol zugerichte Sonnen oder Zeigvhr/ gewiß erforschen solle/ oder aber die Zeit ex altitudine solis supra Horizontem per Qnardrantem Astronomicum investigatam, außrechnen/ vnd dieselbige hernach mit obgenandter Zeit conferiren/ vmb zusehen/ wie die Observatiom mit dem Calculo zutreffe. Das Mittel vnnd gröste Verdunckelung wird sich erzeigen vmb 10. Vhr 7. minut. das ist ein 1/2 Viertelstund nach 10. Vhr da dann vmb diese Zeit wird offenbar werden/ ob es finster seyn wird/ wie einer darfür haltet/ vnd vnden soll erklärt werden/ oder ob es nur dunckel vnd düster seyn werde/ als wenn der Abend herzu kommen wolte. Das End begibt sich vmb 11. Vhr 19. min. das ist ein wenig mehr/ als ein Viertelstund nach 11. Vhr/ vnd solches alles vor Mittag; daß also diser Finsternus gantzeWärung sich erstrecken wird auff 2. Stund vnd 22. minut. vmb welche Zeit der Mond von der Sonnen seinen Abschied nemmen/ vnnd mit seiner Rechten Seyten die lincke Seyten der Sonnen verlassen/ vnd vns das volle Liecht wider einraumen wird: […] Demnach nun diese hochbedenckliche Finsternus bey hellem Wetter vom Anfang biß zum End wird können observirt vnd gesehen werden: Als wollen sich die Philomatematici mit tauglichen Jnstrumenten/ sonderlich einem Tubo optico bey Zeiten gefast machen/ damit sie die observation recht vnd wol anzustellen mögen […]
Irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen werden übrigens nicht empfohlen — der erwähnte tubus opticus ist einfach ein Fernrohr, und hochbedenklich bezieht sich wohl nicht auf das Naturschauspiel, sondern wahrscheinlich auf die Folgen, die das für die Menschheit hat: Krieg und Verderben, zum Beispiel, aber kommt drauf an, in welchem Land man lebt und wann man geboren ist. Und wenn man nur ordentlich betet, ist das auch alles ganz erträglich:
Darauß dann vermuthlich zuschliessen/ daß ob wol insgemein diese Finsternus ein gar böses ansehen hat/ zu Krieg vnd Kranckheiten geneigt/ wie wir vnden ferners hören werden: daß jedoch solches alles durch Gottes sonderbare Gnad dermassen werde gemiltert werden/ daß wir es in gedult ertragen mögen/ wann wir nur auch allerseits vnsere Schuldigkeit darbey thun/ vnd Gott den Herrn vmb Vätterliche abwendung aller angeträwten Straffen ernstlich bitten / vnd mit erzeigung der Liebe gegen vnserm Nechsten beweisen werden/ was vnd wie starck vnser Glaube seye.
Wie sehr viele Texte aus dieser Zeit ist auch die Eclipsiographia digitalisiert: Hier kann man darin stöbern.
Sprachliche Fragen oder Anmerkungen zum Text gerne in den Kommentaren!
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Wortanfänge, die man nach heutiger Schreibweise mit “u” schreiben würde, werden mit “v” geschrieben. Den Buchstaben “u” gibt es, aber er kommt nur im Inneren oder am Ende von Worten vor. (Nur das große “U” scheint am Wortanfang vorzukommen, allerdings sehe ich keinen Unterschied zum großen “V”; vgl. etwa “8. Vhr 57. m.” mit “9 Uhr” in den ersten beiden Zeilen auf Seite 8.)
Gibt es dafür eine Erklärung?
Noch eine kleine Anmerkung: Bei der Erklärung von 10:07 Uhr fehlt ein “½” (“das ist ein ½ Viertelstund nach 10. Vhr”). Das wäre sonst eine etwas seltsame Rundung.
Überhaupt mutet es etwas seltsam an, dass man 10 Uhr vnd 7 Minuten noch erklären musste. War die Minute damals eine neue Erfindung oder war sie im gemeinen Volk nicht bekannt weil die Kirchturm-Vhr nur viertelstündlich geschlagen hat?
Spannend finden wir auch, dass der Autor offenbar genau wusste warum sich die Sonne verfinstert aber trotzdem glaubt dass es sich dabei vm eine Strafe Gottes vnd einen Vnheilsbringer handelt.
@Sven: Vielen Dank, ist korrigiert. Zu u/v antworte ich noch.
Kolumbus kannte auch schon Vulkanausbrüche und musste seiner Mannschaft trotzdem erklären, dass der Ausbruch des Teide KEIN böses Omen war.
Sonnenfinsternisse wurden schon in der Antike vorhergesagt; von den Menschen der frühen Neuzeit sollte man das erst recht erwarten können.
Bzgl. der Gnade Gottes — was soll man den Leuten sonst erzählen?