Wie jedes Jahr im Januar beteiligen wir uns an der Wahl zum Anglizismus des Jahres, indem wir die Kandidaten der Endrunde auf ihre Tauglichkeit zum Sieger abklopfen. Bereits abgehandelt haben wir Social Freezing, Phablet und Big Data, heute ist Internet of Things an der Reihe.
In meinem Freundeskreis kursiert seit Jahren ein irres Konzept: Mehmet, Maike und Amaru haben sich irgendwann überlegt, dass man zusammengehörige Socken per RFID wiedervereinigen könnte und dann gleich weiter, dass auch die Auswahl passender Kleidungsstücke darüber erfolgen könnte. Das ging so weit, dass ein Ampelsystem bei Wetter- oder Modeuntauglichkeit das Verlassen der Wohnung verhinderte (rot) oder hinterfragte (gelb, “Wollen Sie das wirklich tun?”).
Irgendwann fanden die drei heraus, dass das alles gar nicht so weit ab der Wirklichkeit war — und ich fand heraus, dass es zum Internet of Things gehört, unseren heutigen Kandidaten für den Anglizismus des Jahres 2014:
»Das Internet der Dinge bezeichnet die Verknüpfung eindeutig identifizierbarer physischer Objekte (things) mit einer virtuellen Repräsentation in einer Internet-ähnlichen Struktur. Es besteht nicht mehr nur aus menschlichen Teilnehmern, sondern auch aus Dingen.«
So steht es im Wikipediaeintrag Internet der Dinge, eine Seite, die im Oktober 2006 angelegt wurde und auf die die englische Bezeichnung weiterleitet. Wir haben es also mit einem Netz zu tun, das Dinge im weitesten Sinn — Pakete, Waschmaschinen, Tiere, Socken, … — virtuell sichtbar und steuerbar macht, per RFID, aber auch mit anderen Systemen.
Ich will mir beim Internet of Things heute anschauen, wie es sich zur deutschen Übersetzung Internet der Dinge verhält, die bei der Wikipedia den Eintrag bildet, wie häufig die beiden Varianten sind, und woran das liegen könnte.
Werfen wir also mal einen Blick ins Deutsche Referenzkorpus, das primär Zeitungen und Zeitschriften enthält: ((Genutzt wurden die Korpora des W‑Archivs unter Ausschluss der Wikipediakorpora WPD und WDD — da es methodisch unsauber ist, diese Texte einem bestimmten Jahr zuzuordnen –, laufende Wortformen im Belegzeitraum 2001–2014: 3.848.970.698.))
Für das Internet of Things sieht es hier sehr mager aus: Nur 36 Treffer, und davon sind einige englische Zitate, Buchtitel oder Veranstaltungsnamen. Das Internet der Dinge schlägt sich viel besser: Es tritt schon 2001 auf (of Things erstmals 2007) und kommt auf fast 500 Belege. Zudem habe ich die Abkürzung IoT recherchiert, sie ist 28 Mal zu finden.
Internet of Things und Internet der Dinge zeigen zwar beide einen deutlichen Anstieg in der ersten Jahreshälfte 2014 ((Daten der zweiten Jahreshälfte liegen noch nicht vor.)), fast im gleichen Maß, die Abkürzung nimmt sogar noch rapider zu. Dass die Things dabei nur einen Bruchteil der Belege ausmachen, spricht aber deutlich gegen ihre Alltagstauglichkeit. Außerdem treten sie in fast der Hälfte der Fälle gar nicht selbständig auf, sondern in einem Text, in dem das Internet der Dinge ebenfalls zu finden ist. ((Internet of Things tritt nur in 19 Texten ohne erklärende deutsche Version auf. Die Abkürzung IoT tritt nie alleine auf und nur zweimal lediglich mit der englischen Version, sonst (zudem) mit der deutschen. Das zeigt noch einmal mehr, wie stark die deutsche Version dominiert.))
Es bleibt also festzuhalten: Die deutsche Bezeichnung ist schon früher da und wesentlich frequenter. Das ist ein ungewöhnlicher Befund: Normalerweise wird ein Wort zunächst so entlehnt, wie es in der Gebersprache aussieht, und dann möglicherweise nach und nach integriert. Hier haben wir zuerst eine »deutschere« Form. Der Grund dafür wird die Struktur sein: Internet of Things ist ein Ausdruck, der klar erkennbar aus mehreren Wörtern besteht, die alle leicht übersetzbar sind — Internet gibt es ja so auch im Deutschen, Ding und Thing sind sich nicht nur im Klang extrem ähnlich ((Kein Wunder übrigens, sie stammen beide vom selben germanischen Wort ab, das einmal ‘Gerichtsversammlung, Rechtsurteil’ und dann allgemeiner ‘Sache’ bedeutete.)) und der deutsche Genitiv entspricht der englischen of-Phrase sehr gut. Man ging damit also um wie mit einem englischen Satz, nicht wie mit einem englischen Wort.
Ein Blick in die DeReKo-Daten zeigt, dass sehr viele der Verwendungen (232!) aus den VDI nachrichten stammen, einer Ingenieurszeitschrift, die sich naturgemäß mit dem technischen Aspekt befasst. Die hat auch schon einen Hinweis darauf gegeben, dass sich der Terminus vielleicht nicht dauerhaft halten könnte:
Gestern noch war vom Internet der Dinge die Rede, inzwischen geht es ums „Internet of Everything“, in das Menschen, Daten, Prozesse und Systeme umfassend eingebunden sein sollen. Doch was bedeutet das für Datenschutz und Datensicherheit? (VDI13/AUG.00349 VDI nachrichten, 16.08.2013, S. 10; Im „Internet of Everything“ ist Datenschutz eher Glückssache)
Und wer weiß, vielleicht weicht dieses Internet of Everything irgendwann dann wieder dem altbekannten Internet, das sich ja sowieso permanent in seiner Funktion verändert?
Mein Fazit? Das Internet of Things hat keine Chance gegen die deutsche Übersetzung. Wenn schon Anglizismus des Jahres, dann müsste es das Internet der Dinge werden. Aber ob das Aussichten hat? Das Internet der Dinge verspricht sich so nahtlos in den menschlichen Alltag einzufügen, dass in Zukunft möglicherweise nur wenige Menschen über das Gesamtkonzept sprechen müssen.
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