Kandidaten für den Anglizismus 2014: Internet of Things

Von Kristin Kopf

Wie jedes Jahr im Jan­u­ar beteili­gen wir uns an der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres, indem wir die Kan­di­dat­en der Endrunde auf ihre Tauglichkeit zum Sieger abklopfen. Bere­its abge­han­delt haben wir Social Freez­ing, Phablet und Big Data, heute ist Inter­net of Things an der Reihe.

In meinem Fre­un­deskreis kur­siert seit Jahren ein irres Konzept: Mehmet, Maike und Amaru haben sich irgend­wann über­legt, dass man  zusam­menge­hörige Sock­en per RFID wiedervere­ini­gen kön­nte und dann gle­ich weit­er, dass auch die Auswahl passender Klei­dungsstücke darüber erfol­gen kön­nte. Das ging so weit, dass ein Ampel­sys­tem bei Wet­ter- oder Mode­un­tauglichkeit das Ver­lassen der Woh­nung ver­hin­derte (rot) oder hin­ter­fragte (gelb, “Wollen Sie das wirk­lich tun?”).

Irgend­wann fan­den die drei her­aus, dass das alles gar nicht so weit ab der Wirk­lichkeit war — und ich fand her­aus, dass es zum Inter­net of Things gehört, unseren heuti­gen Kan­di­dat­en für den Anglizis­mus des Jahres 2014:

»Das Inter­net der Dinge beze­ich­net die Verknüp­fung ein­deutig iden­ti­fizier­bar­er physis­ch­er Objek­te (things) mit ein­er virtuellen Repräsen­ta­tion in ein­er Inter­net-ähn­lichen Struk­tur. Es beste­ht nicht mehr nur aus men­schlichen Teil­nehmern, son­dern auch aus Dingen.«

So ste­ht es im Wikipedi­aein­trag Inter­net der Dinge, eine Seite, die im Okto­ber 2006 angelegt wurde und auf die die englis­che Beze­ich­nung weit­er­leit­et. Wir haben es also mit einem Netz zu tun, das Dinge im weitesten Sinn — Pakete, Waschmaschi­nen, Tiere, Sock­en, … — virtuell sicht­bar und steuer­bar macht, per RFID, aber auch mit anderen Systemen.

Ich will mir beim Inter­net of Things heute anschauen, wie es sich zur deutschen Über­set­zung Inter­net der Dinge ver­hält, die bei der Wikipedia den Ein­trag bildet, wie häu­fig die bei­den Vari­anten sind, und woran das liegen könnte.

Wer­fen wir also mal einen Blick ins Deutsche Ref­eren­zko­r­pus, das primär Zeitun­gen und Zeitschriften enthält: ((Genutzt wur­den die Kor­po­ra des W‑Archivs unter Auss­chluss der Wikipedi­ako­r­po­ra WPD und WDD — da es method­isch unsauber ist, diese Texte einem bes­timmten Jahr zuzuord­nen –, laufende Wort­for­men im Belegzeitraum 2001–2014: 3.848.970.698.))

n=

Vorkom­men pro Mio Wörter; n=492 (… der Dinge),  36 (… of Things), 28 (IoT)

Für das Inter­net of Things sieht es hier sehr mager aus: Nur 36 Tre­f­fer, und davon sind einige englis­che Zitate, Buchti­tel oder Ver­anstal­tungsna­men. Das Inter­net der Dinge schlägt sich viel bess­er: Es tritt schon 2001 auf (of Things erst­mals 2007) und kommt auf fast 500 Belege. Zudem habe ich die Abkürzung IoT recher­chiert, sie ist 28 Mal zu finden.

Inter­net of Things und Inter­net der Dinge zeigen zwar bei­de einen deut­lichen Anstieg in der ersten Jahreshälfte 2014 ((Dat­en der zweit­en Jahreshälfte liegen noch nicht vor.)), fast im gle­ichen Maß, die Abkürzung nimmt sog­ar noch rapi­der zu. Dass die Things dabei nur einen Bruchteil der Belege aus­machen, spricht aber deut­lich gegen ihre All­t­agstauglichkeit. Außer­dem treten sie in fast der Hälfte der Fälle gar nicht selb­ständig auf, son­dern in einem Text, in dem das Inter­net der Dinge eben­falls zu find­en ist. ((Inter­net of Things tritt nur in 19 Tex­ten ohne erk­lärende deutsche Ver­sion auf. Die Abkürzung IoT tritt nie alleine auf und nur zweimal lediglich mit der englis­chen Ver­sion, son­st (zudem) mit der deutschen. Das zeigt noch ein­mal mehr, wie stark die deutsche Ver­sion dominiert.))

Es bleibt also festzuhal­ten: Die deutsche Beze­ich­nung ist schon früher da und wesentlich fre­quenter. Das ist ein ungewöhn­lich­er Befund: Nor­maler­weise wird ein Wort zunächst so entlehnt, wie es in der Geber­sprache aussieht, und dann möglicher­weise nach und nach inte­gri­ert. Hier haben wir zuerst eine »deutschere« Form. Der Grund dafür wird die Struk­tur sein: Inter­net of Things ist ein Aus­druck, der klar erkennbar aus mehreren Wörtern beste­ht, die alle leicht über­set­zbar sind — Inter­net gibt es ja so auch im Deutschen, Ding und Thing sind sich nicht nur im Klang extrem ähn­lich ((Kein Wun­der übri­gens, sie stam­men bei­de vom sel­ben ger­man­is­chen Wort ab, das ein­mal ‘Gerichtsver­samm­lung, Recht­surteil’ und dann all­ge­mein­er ‘Sache’ bedeutete.)) und der deutsche Gen­i­tiv entspricht der englis­chen of-Phrase sehr gut. Man ging damit also um wie mit einem englis­chen Satz, nicht wie mit einem englis­chen Wort.

Ein Blick in die DeReKo-Dat­en zeigt, dass sehr viele der Ver­wen­dun­gen (232!) aus den VDI nachricht­en stam­men, ein­er Inge­nieurszeitschrift, die sich naturgemäß mit dem tech­nis­chen Aspekt befasst. Die hat auch schon einen Hin­weis darauf gegeben, dass sich der Ter­mi­nus vielle­icht nicht dauer­haft hal­ten könnte:

Gestern noch war vom Inter­net der Dinge die Rede, inzwis­chen geht es ums „Inter­net of Every­thing“, in das Men­schen, Dat­en, Prozesse und Sys­teme umfassend einge­bun­den sein sollen. Doch was bedeutet das für Daten­schutz und Daten­sicher­heit? (VDI13/AUG.00349 VDI nachricht­en, 16.08.2013, S. 10; Im „Inter­net of Every­thing“ ist Daten­schutz eher Glückssache)

Und wer weiß, vielle­icht weicht dieses Inter­net of Every­thing irgend­wann dann wieder dem alt­bekan­nten Inter­net, das sich ja sowieso per­ma­nent in sein­er Funk­tion verändert?

Mein Faz­it? Das Inter­net of Things hat keine Chance gegen die deutsche Über­set­zung. Wenn schon Anglizis­mus des Jahres, dann müsste es das Inter­net der Dinge wer­den. Aber ob das Aus­sicht­en hat? Das Inter­net der Dinge ver­spricht sich so naht­los in den men­schlichen All­t­ag einzufü­gen, dass in Zukun­ft möglicher­weise nur wenige Men­schen über das Gesamtkonzept sprechen müssen.

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