Nun hatten wir es erst vorgestern von der Krippen, da geht es schon heute mit dem selben Wort in eine ganz andere Richtung:
Zum Fest hat mein Vater die Weihnachtskrippe vom Speicher geholt und entstaubt — wir hatten die seit sicher 15 Jahren nicht mehr aufgestellt. Da mein Vater gelernter Elektromeister ist, besitzt unsere Krippe natürlich auch Strom in Form zweier kleiner Glühbirnen, die tatsächlich die ganze Zeit unbeschadet überstanden haben. Und da mein Bruder seine Katzen mitgebracht hat, war das Gras um die Krippe herum in kurzer Zeit ziemlich zerfressen. All das bot ausreichend Gelegenheit, über diese Weihnachtskrippe zu sprechen, und als dann am 24. beim Abendessen zum ungefähr fünfzigsten Mal das Wort dafür fiel, wurde ich stutzig: Meine Eltern sprachen die ganze Zeit vom Gribbili, also wörtlich ‘Krippelein’.
Zunächst mal war interessant, dass diese Verkleinerungsform im alemannischen Dialekt meiner Eltern den Normalfall darstellt. Eine Weihnachtskrippe, darauf beharrten sie eisern, kann man gar nicht ohne li-Endung (der dialektalen Entsprechung von -lein) bezeichnen, es gibt keine Gribb. Also so wie Mädchen oder Eichhörnchen im Standarddeutschen, für die nutzt man auch keine unverkleinerte Form.
Dann war interessant, dass eine unchristliche Futterkrippe mit einem anderen Wort bezeichnet wird: Gripf.
Und dann wurde es richtig spannend: Diese Gripf wäre diminuiert ein Gripfli, kein Gripfili. Woher kommt also das Extra-i im Gribbili? Ich habe angefangen, Formen zu elizitieren und versucht, ein System darin zu erkennen — es gibt nämlich noch weitere Wörter, die sich ähnlich verhalten, und im Standarddeutschen gibt es ja auch einzelne Fälle archaischer Sprache (Krippelein, Kindelein). Grobe Anhaltspunkte habe ich zwar, aber ausgerechnet für das i in Gribbili weiß ich bisher nichts.
Schließlich kam mir der Gedanke, dass ja vielleicht auch hier jemand Lust hat, mit den Daten herumzuspielen. Hm? Ich liefere einfach alle Formen, und wer was Schlaues drin entdeckt, schreit in den Kommentaren laut »Hier!« und erzählt allen Interessierten davon. (Und weil ich zuhause immer noch Gratisexemplare vom Verlag liegen habe, würde ich unter den Beteiligten wieder mal ein kleines Etymologicum verlosen.) Ich sortiere im Folgenden alle Wörter alphabetisch, damit auch das noch einmal gefunden werden kann, was ich schon entdeckt habe.
Also: Welche Varianten der Diminutivendung gibt es, und wodurch könnten die Unterschiede bedingt sein? ((Wenn zwei Möglichkeiten angegeben sind, waren sich meine Eltern uneins — immerhin stammen sie aus entgegengesetzten Ecken derselben Ortsgemeinde. Bei manchen der Wörter würde sich evtl. auch eine Überprüfung mit Dritten noch lohnen. Die Vokalwechsel im Stamm (ue — ie, a/o — ä, u — i, o — e) sind ganz reguläre Umlaute, nur teilweise durch weiteren Lautwandel entstellt.))
Basiswort | Diminutiv | Bedeutung |
Bluem | Bliemli | Blume |
Brunne | Brinnili | Brunnen |
Bubb | Bibbli | Puppe |
Gaabl | Gääbili | Gabel |
Gaarde | Gärdili | Garten |
Geddle | Geddili | Patentante |
Gipfl | Gipfili | Hörnchen (wörtl. Kipfel) |
Glaas | Glääsli | Glas |
Grib | Gribbili | Krippe |
Guggl | Giggili | Tüte |
Guller | Gillerli | Hahn |
Guuf | Giifli | Sicherheitsnadel |
Haafe | Hääfili | Topf |
Halde | Häldili | Abhang |
Hooge | Häägli | Haken |
Huffe | Hiffli/Hiffili | Haufen |
Karre | Kärrili | Karren |
Kaste | Kästli | Schrank (wörtl. Kasten) |
Kiddl | Kiddili | Jacke (wörtl. Kittel) |
Knoche | Knechli | Knochen |
Kuchi | Kichili | Küche |
Läärer | Läärerli | Lehrer |
Matt | Mättli | Wiese |
Mieli | Mielili | Mühle |
Ongl | Ongili | Onkel |
Pfool | Pfäälili | Pfahl |
Quell | Quellili | Quelle |
Roome | Räämli | Rahmen |
Schaachdl | Schäächdili | Schachtel |
Schaal | Schäälili | Schale |
Schni(n)der | Schni(n)derli | Schneider |
Schoof | Schääfli | Schaf |
Schuel | Schielili | Schule |
Schuufl | Schiifili | Schaufel |
Sool | Seelili | Sohle |
Stall | Ställili | Stall |
Stapfl | Stäpfili | Treppe |
Stecke | Steckli/Steckili | Stecken |
Stubb | Stibbli | Wohnzimmer (Stube) |
Subb | Sibbli | Suppe |
Waage | Wäägili | Wagen |
Wolg | Welgli | Wolke |
Wenn Sie mehr Informationen brauchen, fragen Sie ruhig nach den Formen für bestimmte Wörter, dann werde ich nacherheben. Aber seien Sie gewarnt: Für einiges weigert man sich hier strikt, Diminutive zu bilden (z.B. Pfarrerchen — »Das sagt man halt einfach nicht!«, Hälftchen — »Eine Hälfte ist immer eine Hälfte!«).
Viel Spaß beim Grübeln — ich bin gespannt!
(Für mehr Spaß mit meinen Eltern lesen Sie außerdem hier.)
“Grobe Anhaltspunkte habe ich zwar, aber…”
Es wäre sicher nützlich, diese Anhaltspunkte auch zur Diskussion zu stellen.
Wann hier ein ‘i’ eingeschoben wird, darin kann ich bisher tatsächlich kein System erkennen. Werde in den nächsten Tagen noch darüber grübeln. Vielleicht könnte man mit einer Liste darüber beginnen, welche Eigenschaften als Gründe für die Diminutivbildungen mit und ohne zusätzlichem ‘i’ ausscheiden. Wer mag anfangen?
(Ein gebundenes Exemplar des “Etymologicums” befindet sich bereits in meinem Besitz, daher keine Teilnahme meinerseits an der Verlosung. Und bitte den vorherigen Beitrag löschen und HTML in den Kommentaren deaktivieren. Danke.)
Hier!
Also ich habe jetzt deine Liste mal nach zusätzlichem “i” in der Endung sortiert und bei meinen Eltern in Bayerisch-Schwaben die Diminutivformen erhoben. Einige Worte bzw. Formen sind hier nicht gebräuchlich, aber es hilft doch bei dem ein oder anderen Wort, das sonst nicht ins System passen will, weiter.
Anschließend habe ich mir den Kluge aus dem Regal und das DWDS Wörterbuch genommen und mir die historischen Formen angeschaut.
Für drei Dialektbegriffe habe ich auf die Schnelle keine Etymologie gefunden, da es keine neuhochdeutsche Entsprechung gibt.
Das sind “Guuf”, “Geddle” und “Guggl”.
Lässt man dann noch die Wörter, die relativ spät, also im Frnhd. oder noch später entlehnt worden sind außen vor, dann kann man eventuell eine Tendenz entdecken:
Meine Theorie wäre, dass Wörter, die im Alt- und Mittelhochdeutschen in der Grundform auf Vokal enden, diesen mit in die Diminutivform nehmen. Aus einem ahd. brunno wird mhd. brunne. Die Diminutivendung wird angehängt und es ergibt sich mit Umlaut, etc. “brinnili” (bzw. “Brünnele” in meinem Sprachraum).
Diejenigen Wörter, die schon in früheren Sprachstufen nicht auf Vokal endeten erhalten auch nur die Endung ‑li. So wird aus einem mhd. schãf ein Schääfli.
Für deine Stichprobe wird insbesondere das Letztere nicht sehr deutlich. In meinem Dialektraum ist das an der ein oder anderen Stelle konsequenter.
Ich habe das hier mal übersichtlicher dargestellt und auch meine laienhaften Ideen, warum es beim ein oder anderen Wort mglw. nicht funktioniert:
https://docs.google.com/spreadsheets/d/1i4a5iXNxqOSpRELA9ARFovxBJHnAD1LP5PDVHAHZkeg/edit?usp=sharing
Was die Krippe angeht, so heißt es im Kluge und auch im DWDS den Hinweis, dass es wohl schon im Mhd. zwei Formen gegeben hat. Nämlich mhd. krippe und mhd. kripfe.
Es könnte so gewesen sein, dass diese beiden Varianten schon früher zur Bedeutungsabgrenzung zwischen “Krippe in der das Kind liegt” und “Krippe aus der die Tiere fressen” benutzt wurden. Ersteres könnte dann in der Schriftsprache (v.a. im religiösen Kontext) als Krippe tradiert worden sein, während man für Zweitere (die ja meistens auch eher größer ist) der Diminutiv eher nicht verwendet wurde und man nur von der “Kripfe” gesprochen hat.
Der Dialekt hat den auslautenden Vokal apokopiert und wenn man heute mit Dialektgefühl versucht den Diminutiv zu bilden kommt man auf “Kripfli”. (Das wird ja jetzt auch kein wirklich lebendiges Wort mehr sein)
Kann es sein, dass bei Steck(i)li sich der Diminutiv von Stock (Steckli) und Stecken (Steckili) überlagern?
@Chris: Interessante Idee! Ich habe nachgefragt, die beiden Formen unterscheiden sich im Vokal (Mundöffnung). Die Unsicherheit über das ili besteht nur bei Stäggli:
Stogg — Steggli
Stägge — Stäggli
@Hamid al-aSak: Ich habe meine bisherigen Erkenntnisse extra nicht notiert, weil ich niemandem den Ratespaß verderben wollte oder durch Vorstrukturierung der Daten Annahmen nahelegen wollte, die vllt. falsch sind.
@Michael: Wow, so viele Überlegungen — ich schaue nachher genauer rein.
Ich habe beim heutigen Abendessen noch einige weitere Formen erhoben, die ich später noch posten werde und die ich sehr erhellend fand.
So, ich ergänze:
Schobbe — Schebbli/Schobbili ‘Schoppen’
Hund — Hindli*/Hundili ‘Hund’
Die zweite Variante wurde von meinen Eltern als kindersprachlich bezeichnet und sie haben das Gefühl, dass die “doppelt verniedlicht” seien.
Ich habe dann mit den obigen i-Formen noch einmal getestet, aber die wurden als einfach empfunden, einzige Ausnahme evtl. Huffe — Hiffli/Hiffili. Zu Gribbili gab es keine Einschätzung, ich denke, weil die einfache Form nicht gebräuchlich ist.
Außerdem ganz interessant — aber für unseren Fall nicht informativ — ist die Diminution von Nicht-Substantiven:
sodeli ’so’, wird gebraucht, wenn man etwas beendet hat
jetzerdli ‘jetzt’, wird gebraucht, wenn man etwas anfängt
waasili ‘was’, wird verwendet, wenn man sich jemandem, der Aufmerksamkeit verlangt, zuwendet, i.d.R. Kindern
*Auch: Hundli
In meiner schwäbischen Mundart (Stuttgarter Raum) kann ich das zwischen i nur bedingt reproduziert. Bei uns heißts
Gärtle
Schächtele
Kiachle (Küchlein)
Häkle (Haken)
Manche Worte eignen sich gefühlt nicht für den Diminutiv (Quelle, Pfahl, etc.) — wo uns doch die Schwaben von der Alb vorwerfen selbst ein Scheißele zu machen).
Und Knochen wäre hier denk ich Knechele
@Kristin: Wie wird Bube/Bub verniedlicht?
Hier mal meine erste Analyse:
einsilbig, endet auf /l/ -> ‑ili
einsilbig, endet nicht auf /l/ -> ‑li (Gribbili fällt da raus, dazu gleich noch Anmerkungen/Fragen)
zweisilbig, zweite Silbe endet mit syllabischem /l/ -> ‑ili (syllabisches /l/ “fällt weg”)
zweisilbig, endet auf /r/ (wobei ich mir der Qualität des /r/ im Allemanischen nicht sicher bin) -> ‑li
zweisilbig, endet auf /i/ -> ‑li (was dann natürlich aber auch ein ‑ili ergibt)
zweisilbig, endet auf /ə/ -> hier gibt es sowohl ‑ili als auch ‑li (und die beiden Fälle, in denen sich deine Eltern nicht einig sind, fallen auch hier rein), das heißt hier muss es eine andere Erklärung als Silbenzahl oder Endlaut geben. Ich hatte nach Vokallänge in der ersten Silbe geguckt, aber hier gibt es auch kein System. Da muss ich noch grübeln. Phonologisch kommt man dem wohl nicht bei.
Zur Gribbili, die ja aus dem ansonsten wunderhübschen System der einsilbigen Basiswörter rausfällt: Woher hast du denn das Basiswort Gribb? Wenn’s doch gar nicht benutzt wird? Dein Sprachgefühl? Das deiner Eltern? Gedanke dahinter: Warum ist das Basiswort nicht Gribbe? Bzw. kann es sein, dass es das mal gewesen ist (hab da historisch vom Deutschen null Ahnung)? Es gibt ja jetzt kein wirkliches Basiswort zur Gribbili mehr, weil es nicht produktiv und ad hoc gebildet wird (im Gegensatz zu z.B. Subb — Sibbli, behaupte ich mal) sondern nur als (archaischer) Diminutiv benutzt wird und gespeichert ist.
@Holger: Bueb — Biebli
@Berit: Ha, wir sind beide sehr ähnlich weit gekommen 🙂 Die Grundform habe ich mir aus dem Standard erschlossen, im Alem. gibt es Apokopierung von auslautemdem Schwa, extrem regulär, daher habe ich Gribb angenommen, das stimmte auch mit der Intuition meiner Eltern überein. Es ist aber natürlich viel sinnvoller, keine Basis anzunehmen, denn wer weiß, wie alt der Diminutiv ist, der kann auch schon in Vor-Apokope-Zeiten gebildet worden sein, und sich dann durch den Schwund der Basis erhalten haben.
Ich habe auch noch mal tiefer gegraben und aus dem was ich mir so aus öffentlich zugänglichen Quellen erschließen konnte gab es wohl im Althochdeutschen drei Diminutivsuffixe nämlich ‑ilī(n), ‑ilo/-ila und ‑īn
Als Beispiele habe ich jeweils gefunden:
-ilī(n)
hūsilīn, kindilīn
-ilo/ila
mask. līhhamilo ‘Körperchen’, scalhilo ‘Knechtlein’, armilo ‘Ärmlein’
fem. chizzila ‘Zicklein’, burgila ’kleine Burg’, sceitlila ’Scheitel’
-īn
magatīn ‘Madchen’, fugilīn ‘kleiner Vogel’, fulīn ‘Fohlen’
Nur hilft das bei Gripfli und Gribbili auch nicht wirklich weiter. Es macht es eher noch undurchsichtiger.
Wenn ich das hier (http://goo.gl/dd38uF) richtig verstanden habe dann sind die Diminutivendungen nicht wirklich vom Wort abhängig sondern es gab regionale Vorlieben.
Quelle:
http://goo.gl/qYO2zT
@Kristin: Hast du denn ’ne Idee für die Variation bei den zweisilbigen Wörtern auf /ə/? Nicht dass du es hier posten sollst, du willst es ja noch offen lassen. Interessiert mich aber trotzdem schon mal 🙂
Ist es zu einfach wenn ich sage, dass sich die meisten dieser Wörter mit Extra‑i eben dank diesem Extra‑i besser aussprechen lassen als ohne?
Bei etlichen hat es ja schon ein e dort oder vermutlich ein Schwa (Gipfl, Gaabl), das dann einfach in ein i verwandelt wird.
Bei Karre vermute ich eine Kollision mit Kerl, dessen Diminutiv wohl zu nahe an dem von Karre liegen könnte, wenn man das e einfach weglässt statt es in ein i zu verwandeln.
Buchstabeneinfügen gibts ja auch beim Englischen aus diesem Grund. Der Artikel a bekommt ein n, wenn es sich dadurch leichter aussprechen lässt.
@Berit: Ich wollte mal in die Diachronie reinschauen (Flexionsklassenzugehörigkeit). Ich habe aber mit ein paar Pseudowörtern herumexperimentiert (z.B. hoome) und dabei festgestellt, dass ili dann der Defaultfall zu sein scheint.
Haben wir mittlerweile eine Lösung?