Wow, beim Etymologierätsel herrschte Rekordbeteiligung! Und fast alle haben auch die richtige Lösung gefunden, Hut ab! Sie brauchen also gar kein Kleines Etymologicum meh… doch? Nagut. Fangen wir mit der Siegerehrung an, dann folgen unsere glücklichen Wortpaare mit kurzen Anmerkungen.
Von 66 Einsendungen waren 55 richtig — es gab also einen großen Lostopf! Ich habe zunächst einmal unter den richtigen Antworten gelost und dann — abzüglich der Gewinnerin — noch einmal unter allen. Behilflich war der Random Number Generator, und der verhalf zum Sieg:
Herzlichen Glückwunsch an beide, Sie gewinnen jeweils ein Kleines Etymologicum! (Ich melde mich demnächst per Mail.)
Ich hoffe, auch die übrigen Beteiligten hatten ihren Spaß! Wer jetzt leer ausgegangen ist, bekommt übrigens noch einmal eine Gelegenheit, ein Buch zu gewinnen. Näheres dazu gibt es wahrscheinlich nächste Woche.
Und wie waren die Rätselwörter nun miteinander verstrickt? Vieles wurde ja in den Kommentaren schon aufgelöst, wobei auch einige neue Fragen entstanden:
- Gas — Chaos: Kein Zufall! Das Gas wurde im 17. Jahrhundert in Belgien für die Chemie entdeckt und entsprach in der dortigen Aussprache weitgehend dem griechischen Chaos: Das flämische <g> klingt — auch am Wortanfang — wie das standarddeutsche <herzig>, <günstig>.
- Gast — Hospiz: Im lateinischstämmigen Hospiz waren anfangs gesunde Gäste willkommen, die Klientel veränderte sich erst (viel) später, mit der Hospizbewegung der 1980er. Beide Wörter gehen auf indogermanisch *ghostis ›Fremder‹ zurück. Der aufmerksame Christoph fragt, woher denn das p der lateinischen Form komme. Im Hospiz steckt ja letztlich lat. hospes ›Gast, Gastgeber/in‹, und — das wusste ich auch noch nicht — darin sind zwei Wörter zu einem verschmolzen: Das eine ist hosti ›Fremder‹, das andere potis ›Vermögend/er‹. Das p hat sich also aus einem anderen Wort eingeschlichen.
- Standard — hart: Eine wunderbare »Rückentlehnung«. Wer mehr davon (aber nicht diese) will, findet im Kleinen Etymologicum ein ganzes Kapitel dazu. Das Wort wanderte als standhart, also wörtlich ›standfest‹, aus dem germanischen Fränkisch ins Französische. ((So Pfeifer und vorsichtiger auch Kluge, aber nicht ganz unumstritten.)) Man bezeichnete damit in die Erde gerammte Fahnen. Das Französische gab es ein paar hundert Jahre später als Standarte ans Mittelhochdeutsche zurück und lieferte es außerdem ans Englische weiter. Dort hangelte sich die Bedeutung von ›Fahne‹ zu ›Zeichen‹ und dann ›Vorbildmaß, ‑gewicht‹ (wahrscheinlich wegen king’s standard, so ein König setzte eben Standards) und schließlich ›Norm‹. In seiner heutigen Form und Bedeutung kam der Standard dann Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Englischen ins Deutsche.
- Hose — obskur: Dieses Wortpaar fanden viele suspekt, aber hinter beidem steckt wirklich das indogermanische *(s)keu- ›bedecken, umhüllen‹ — so wie auch in Haus, Haut, Scheune und Schuh. Das lateinische obscūrus ›dunkel, unverständlich, unbekannt‹ kam im 17. Jahrhundert ins Deutsche.
- Klaus — Nikotin: Dass Klaus von Nikolaus und der von griechisch nike ›Sieg‹ und laos ›Volk‹ kommt, steht auch irgendwo im Kleinen Etymologicum. Das Nikotin war mir dagegen neu: Es heißt nach einem Herrn Nicot, der Tabakpflanzen aus Portugal nach Frankreich schickte. Der Familienname ist wohl eine Verkleinerungsbildung auf -ot zu Nicolas – der »kleine« Nikolaus also. Nach der gleichen Logik kamen auch Jacquot (< Jacques) und Pierrot (< Pierre) zustande. Wer sich mehr für Nikoläuse in Namen interessiert, sei hierher verwiesen.
- klauen — Klaue: Wie schade, niemand drauf reingefallen! Was man mit den Klauen packt, hat man auch schnell gestohlen, die Verbindung klingt zwar phantasievoll, stimmt aber so.
- Albert — Edelstein: Genau, der Albert war einmal ein Adalbert und von adal ›edles Geschlecht‹ wurde edel abgeleitet. Andere Rufnamen mit adal sind Adelheid und Alf (aus Adalwolf). Quercus bringt noch den englischen Namen Albright und das deutsche Albrecht ins Spiel, das sind tatsächlich weitere Varianten von Adalbert.
- Chanson — Karmen: Beides von lat. canere ›singen‹
- Benedikt — Edikt: Sehr transparent, hier sieht man das lat. dicere ›sagen‹ direkt.
- Bauwerk — ergonomisch: Das deutsche Werk und das griechische ergon lassen sich beide auf indogermanisch *u̯erg̑-/*u̯reg̑- ›wirken, tun‹ zurückführen. Der w-Laut ist im Griechischen verlorengegangen.
- Kolchose — Sakrileg: Das war fies, aber die meisten haben es gut gemeistert! Die Kolchose ist eine Abkürzung von kollektivnoe chozjajstvo ›Kollektivwirtschaft‹ und kollektivnoe ist natürlich ein letztlich lateinisches Fremdwort: kollektiv. In diesem Adjektiv collēctīvus, wörtlich ›angesammelt‹, steckt legere ›sammeln, auflesen‹. Das verbirgt sich als illegales Sammeln (also Stehlen), zusammen mit lat. sacra ›Heiligtümer‹ auch im Sakrileg. Arfst Nickelsen will wissen, ob Sakrileg vielleicht auch etwas mit *(s)keu- ›bedecken, umhüllen‹ zu tun hat — interessante Hypothese, aber leider nein, die indogermanische Wurzel des ersten Bestandteils ist *sak- ›weihen‹. Thomas Vesper interessiert sich dafür, ob die Kolchose irgendeinen Bezug zum Gast hat. Dazu müssen wir collēctīvus noch weiter auseinandernehmen: Das -lēctīvus geht auf ein indogermanisches *leg- zurück und ist damit aus dem Spiel. Das col- ist eine lautlich assimilierte Variante von com- ›mit, zusammen‹. Auch das hat keinen Bezug zum Gast, aber dafür zur deutschen Vorsilbe Ge-, wie in Geäst.
- Fatzke — Wenzel: Fast geschafft! Der Fatzke als unangenehmer Zeitgenosse geht tatsächlich auf einen Namen zurück, nämlich den polnischen Wacek — ähnlich wie vorhin Nicot ist auch der eine Verkleinerungsform, und zwar zu Wacław. Darin steckt das ältere Vęceslav. Vielleicht sehen Sie jetzt schon die Ähnlichkeit zu anderen slawischen Namen wie Miroslav, Stanislav oder Borislav – das Schema ist dasselbe. Mit slava ›Ruhm‹ verbindet sich hier vęšte ›mehr‹
Ganz herzlichen Dank für Ideen und Latein-Faktencheck bei Erstellung und Auflösung des Rätsels an Andreas Klein!
Hallo Kristin,
ich hatte bei der Kolchose aus dem Bauch heraus zunächst den chosjaistwo-Teil im Verdacht.
Mit chosjain (Herr, Gastgeber) auch nicht so völlig abwegig.
Laut russischem Wiktionary kommt das chosja aber aus einer Turksprache. Klassischer Holzweg ^^
Synonym zu chosjain ist aber der gospodin.
Und hier springt einen das hosti+potis wieder an.
Kreis geschlossen, nicht verwand, nur verschwägert.
Vielen Dank für das interessante und lehrreiche Rätsel! Hat mir einige Etymologie ins Gedächtnis zurückgerufen und andere habe ich neu entdeckt,
Allerding muss ich eine kleine Anmerkung machen, für den slavistisch unerfahrenen Leser formulierst Du (wie übrigens auch Pfeifer) etwas missverständlich (im Gegensatz zu den anderen Punkten, wo Du sehr detailliert bist):
Nasalvokale sollten im Polnischen eigentlich erhalten sein, deshalb kann poln. Wacław kein Fortsetzer von *Vęceslav (belegt? Pfeifer schreibt “atschech.”, sieht für mich aber ehr “urwestslav.” aus) sein, sondern eine Entlehnung aus tschech. Václav, sonst müssten wir wohl *Więcław, *Więcek haben, und letztlich einen *Fentzke (oder *Fjentzke).
Außerdem ist vęšte keine “slavische” (im Sinne von “urslavisch”) Form, sondern die altkirchenslavische Entsprechung zu wsl. vęce und damit keine Vorform [zeigt sie doch spezifisch südslav. Lautstand].) (So würde man als Laie diesen Absatz vielleicht sonst interpretieren.)
Je nachdem, ob man aksl. vęšte zu lat. vincere oder balt. Venta stellt, wäre die urslav. Form *vęktjo oder *vętjo.
Auch meinerseits vielen Dank! Zwei Fragen hätte ich noch, die eine hatte ich indirekt schon in meiner Lösung gestellt:
1.
Das Partizip Perfekt zu colligere (co-legere) ist doch einfach collectus, oder nicht? Wenn ja, was ist dann genau der Unterschied zur Form collectivus?
2.
Heißt das auch, dass die Slawen sich selbst als die “Ruhmreichen” oder so bezeichnen?
Wahrscheinlich haben die Slaven sich selbst als “die miteinander Sprechenden” bezeichnet (die aksl. Form ist slověninъ, zu slovo, “Wort, Rede”, steht aber etymologisch im Ablaut zu slava “Ruhm” [“Ruhm” ist “das Gehörte”]).
Im Gegensatz dazu heißen Fremde němьci, Sg. němьcь, wörtlich “Stummling, Stammelnder”, also die, die nicht mit einem sprechen können.
slovo ist ein s‑Stamm wie gr. κλέος und gehört zu einer idg. Wurzel *k’lew- “hören” wie in gr. κλύω, lat. cluō und slav. *slušati.
Lieber Quercus,
zu deiner ersten Frage: Bei -ivus handelt es sich um ein deverbatives (selten denominales) Adjektivsuffix. D.h. es macht aus einem Verb ein Adjektiv, das (ebenso wie das Partizip Perfekt Passiv) einen zugehörigen Zustand ausdrücken kann, der im Falle von collectus vs. collectivus tatsächlich eine sehr vergleichbare Semantik aufweist. Das ist nicht bei jedem Begriffspaar der Fall (Vgl.: actus ‘geschehen’ vs. activus ‘tätig’) und hängt nicht zuletzt mit einem stetigen Bedeutungswandel des Wortbildungsoutputs zusammen. Auffällig ist zudem, dass auch defektive Paradigmata (hier daher solche, die regulär kein PPP bilden,) -ivus-Derivate erlauben (Vgl.: fugere — fugitivus; fugitus hingegen unbelegt). Fleißigen Lesern lateinischer Lektüre dürfte fugitivus (‘flüchtig’) wahrscheinlich auch als Substantiv (‘der Flüchtling’) geläufig sein; in dieser Hinsicht ist es keineswegs ein Einzelfall: Nahezu alle Derivate dieser Art finden sich im usuellen substantivischen Gebrauch. Man denke hier, um auf das Ursprungswort zurückzukommen, nur an das Kollektiv. Während also in diesem Fall tatsächlich beide (Verbal-)Adjektive sehr nah beieinander liegen, sind die Zusammenhänge der Formen (PPP und -ivus-Derivat) an anderer Stelle für uns kaum noch transparent: So könnte sich wohl mancher fragen, was denn das Datum mit dem Dativ gemein hat.
Hallo,
zuerst will ich auch mal das Rätsel sowie die Seite hier im Allgemeinen loben. Im Prinzip ist dieser blog (dieses blog will mir nicht über die Lippen komen) für das Internet das, was Bruchtal für Mittelerde ist: Ein letzter Zufluchtsort, an dem die dunkle Macht des Sickron keinerlei Wirkung entfalten kann.
Um jetzt aber auf den eigentlichen Zweck des Kommentars zu kommen, ich will kurz mein Scheitern darlegen, denn im Internet mag man ja eigentlich immer gerne die Alltagstragödien der anderen lesen. Jedenfalls nehme ich mich im stillen Kämmerlein des Rätsels an, das Buch besitze ich selbstverständlich schon, deshalb mache ich erst gar nicht bei der Verlosung mit, und komme langsam aber stetig voran. Fünf Paare schaffe ich ohne Hilfe, die nächsten durch überlegene Googlestrategien, Wikipediaskills und halbgare Recherche, schließlich verbleiben lediglich die Wörter Hose, Kolchose, obskur und Sakrileg. Sakrileg analysiere ich richtig, auch Hose kann ich erfolgreich auf *(s)keu zurückverfolgen, bei Kolchose bin ich gänzlich unfähig auch nur irgendwas zu erkennen und während ich der kyrillischen Schrift zürne, werde ich gegenüber der einfachen Erkenntnis, dass es sich um ein Portmanteau handelt, blind. In einem verzweifelten Versuch die Etymologie von obskur herauszufinden, verfalle ich dem Charme der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts in Form einer kurzen Fußnote des Philologen Ludwig von Döderlein. Hier legt er mit nur geringen Selbstzweifeln (“wenn ich nicht irre”) dar, wie obscurus über obscusus und obsculsus aus occultus entstanden ist. Letzteres kann ich schließlich auf colere herunterbrechen. Da mich wissenschaftliche Redlichkeit noch nie begeistern konnte, drücke ich beide Augen zu und analysiere colere als co-legere und freue mich den gordischen Knoten durchhauen zu haben. Die Freude verfliegt schnell, als ich die letzten beiden Wörter betrachte und mein germanistischer Instinkt die Chance, dass sich Kolchose analog zu Kolkrabe entwickelt haben könnte, auf etwa 1% beziffert. Aber warum sollte es nicht eine Art Arbeitshose gegeben haben, die sich mehrere Menschen teilten? Als Kind habe ich schließlich auch die Kleidung meines älteren Bruders tragen müssen! Dass man den landwirtschaftlichen Betrieb nach der Arbeitshose benennt, hah!, da habe ich schon ganz andere Namensgebungen gehört. So ganz glücklich bin ich mit den Erklärungen nicht, aber ich schaue mir auf wikipedia das Porträt von Ludwig von Döderlein an und erkenne zwar in dem Gesicht, das wie ein 200-jähriger Eichenwald dreinschaut, das dämonische Antlitz des Captain Ahab, bin ihm aber wie Steuermann Starbuck auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Als ich die Lösungen der anderen sehe, von denen gefühlt 95% ohne den kleinsten Makel aber mit dem höhnischen Zusatz “ich hatte nur 5 Minuten Zeit und war mir sehr unsicher” behaftet sind, denke ich nur “well played, sprachlog. Well played.”
Hallo Simon,
leider liegst du falsch – neben Bruchtal widerstanden auch Lothlórien, das Waldlandreich und der Einsame Berg dem Dunklen Herrscher.
Ich komme erst heute dazu hier wieder ausführlich vorbeizulesen — und freue mich neben der interessanten Auflösung sehr über die schöne Überraschung! Ich gewinne fast nie was und dann gleich so ein tolles Buch. Vielen Dank, du machst mir damit wirklich eine große Freude 🙂
@Felix Thies
@Andreas Klein
Danke für die Erklärungen!