Eine interessante Eigenschaft der Nachsilbe -gate, die wir im Februar zum Anglizimus des Jahres gewählt haben, ist, dass wir mit ihr Eigennamen schöpfen können (weshalb Kristin, Susanne und (in absentia) ich dieser Tage auf einer Tagung zur Namensforschung [PDF] darüber sprechen werden. Mit anderen Worten, jedes „-gate“ bezeichnet ein ganz bestimmtes Ereignis (anders als z.B. das Wort Skandal, das eine Kategorie von Ereignissen bezeichnet).
Das hat zur Folge, dass es die meisten Wörter mit -gate nur einmal gibt: Watergate gibt es nur als Bezeichnung für das erste Gate der Welt, die Abhöraffäre des damaligen Präsidenten Richard Nixon aus dem Jahr 1973. Ein weiteres Gate, in dem es z.B. tatsächlich um Wasser ginge, würden wir wohl anders nennen – zum Beispiel Wasserflaschen-Gate.
Aber einige Dinge ziehen Gates anscheinend geradezu magisch an, und dann entsteht eine Situation, in der ein und dasselbe Wort ganz verschiedene Gates bezeichnet. Dirndl scheinen ein solcher Skandalmagnet zu sein – in der Historie deutscher Gates gibt es seit heute drei Staatsaffären mit dem Namen Dirndl-Gate:
- das erste Dirndl-Gate löste 2008 die damalige Ministerpräsidentengattin von Bayern, Marga Beckstein aus, als sie sich weigerte, das Oktoberfest dirndltragend zu eröffnen;
- das zweite Dirndl-Gate löste der damalige FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle aus, als er die Journalistin Laura Himmelreich ungefragt und völlig unangemessen wissen ließ, dass sie seiner patriachalen Meinung nach ein Dirndl „auszufüllen“ wisse ;
- das dritte Dirndl-Gate schließlich, das sich entfaltet, während ich diese Zeilen schreibe, löste die Grünen-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl aus, als sie ihrer dirndltragenden CSU-Kollegin Dorothee Bär per Twitter mitteilte, dass die gesamte nicht-bayrische Welt Dirndl als „rückständig“ empfinde.
Was ist es bloß an dieser bayrischen Tracht, das zu Skandalen anregt? Ist es tatsächlich ihre altmodische Anmutung? Aber warum gibt es dann kein Taschenuhr- oder Dreiteiliger-Anzug-Gate? Ist es die Tatsache, dass es, nun ja, eine bayrische Tracht ist? Aber warum gibt es dann kein Lederhosengate und kein FC-Bayern-Trikot-Gate? Oder ist es, weil es etwas ist, das mit Frauen(körpern) assoziiert ist? Das würde dann wenigstens erklären, warum es auch ein Lewinsky- bzw. Monicagate, ein Nannygate, ein Camillagate und ein Nippelgate gab.
Ich habe die (nicht belegte) Vermutung dass die dreisilbigkeit eine Rolle spielt. Dirndlgate spricht sich genauso leicht wie Watergate.
@Ralf E: Als Spanier möchte ich Ihnen widersprechen: Dirndlgate spricht sich gar nicht leicht aus. Ganz im Gegenteil. Fünf Konsonanten hintereinander! Damit sind wir im Süden phonetisch überfordert.
Neben den vielen genannten Gates meine ich, dass noch Bill zu erwähnen wäre, auch wenn er noch nicht als Skandal aufgetreten ist. Aber wenn es eines Tages so weit kommt, wird es ein Gatesgate sein.
Ist es die Tatsache, dass es, nun ja, eine bayrische Tracht ist?
Da dies hier ein Sprachblog ist, nehme ich es mal ganz genau:
Das Wort “bayrisch” kommt von Bayern, also dem Bundesland, das auch nicht-bairische Gebiete wie Schwaben und Franken einschließt.
Das Dirndl kommt ursprünglich aus dem Alpenraum und war dort Arbeitskleidung. Bei Bedienungen ist das ja noch heute so. Über die Sommerfrischler ist es dann auch nach München und in andere Gegenden im Alpenvorland gekommen. Die dortigen Trachten sahen ganz anders aus, siehe z.B. die Dachauer Tracht in den Ludwig-Thoma-Verfilmungen.
Wenn man es nicht gerade mit einem Trachtenverein aus dem Alpenraum zu tun hat, der weiß was er tut, haben Dirndlkleider heute mehr mit Landhausstil zu tun als mit Trachten.
Was soll eigentlich das “nun ja” ausdrücken? Ist es eine Kneifzange, mit der man Bayern-Themen anfasst, wenn man in Berlin cool rüberkommen will?
Erinnert sich noch jemand an den Kopf-ab-Jäger, den früheren Bundestagsvizepräsidenten?
Ich zitiere die Allwissende
: “Als Vizepräsident des Bundestages erklärte er 1970, er würde es keiner Frau erlauben, das Plenum in Hosen zu betreten, geschweige denn an das Rednerpult zu treten. Diese Äußerung provozierte die SPD-Abgeordnete Lenelotte von Bothmer zum Protest, sie kaufte einen hellen Hosenanzug und betrat den Bundestag. Es kam zu einem Skandal, weil sie als erste Frau in einem Hosenanzug eine Rede im Bundestag hielt.”
Das Hosendrama hat einen deutlich jüngeren Nachfolger — den Schlipsstreit im Bundestag:
http://antjeschrupp.com/2011/02/16/schlipsmanner-ein-modeblogpost/