Andere schwenken Fahnen, ich korrigiere Fahnen – und bin dabei auf ein Wort gestoßen, das auch in der Fußballwelt auftaucht: Das Körperteil. So lesen wir in der taz über den Freistoß:
Wenn dann noch Cristiano Ronaldo den Ball tritt, ist es egal, welches Körperteil getroffen wird, es ist ab.
Und die Schweizer Tageswoche meldet:
Und so ist den Ronaldo-Beobachtern und ‑Bewunderern auch nicht entgangen, dass sich der Mann von Champions-League-Sieger Real Madrid immer wieder mal an das linke Knie fasst. Es ist – zumindest bei den Anhängern der portugiesischen Nationalmannschaft – das meistbeachtete Körperteil des Ausnahmefussballers.
Die Augsburger Allgemeine hingegen hat einen Mannschaftsarzt gefragt
Was sind die häufigsten Verletzungen in einem Fußballerleben, welcher Körperteil ist am anfälligsten?
und stürzt uns damit in eine grammatische Krise: Während Körperteile in fast allen Medienberichten ein neutrales Genus (das) tragen, erkundigt man sich hier nach einem maskulinen Körperteil (der). So war’s auch in meinem Manuskript, wo ich das geschrieben und jetzt in den Fahnen der gefunden habe.
Was würden Sie spontan sagen? Neutrum? Maskulinum? Oder klingt beides gut? Ein Blick in den Duden (und ins ältere DWB oder den aktuellen Leipziger Wortschatz) stützt die der-Fraktion, dort ist das Wort eindeutig als Maskulinum eingeordnet. Ein Blick in die sprachliche Wirklichkeit verrät hingegen, dass es so einfach nicht ist.
Ich habe einmal alle Vorkommen des Lemmas ((Damit ist in der Korpuslinguistik das Wort in all seinen Flexionsformen gemeint, also auch Körperteils, Körperteilen, etc.)) Körperteil in der ZEIT analysiert. Die Zahlen sind klein, zeigen aber, dass dort das Körperteil auf dem Vormarsch ist: ((Ausgewertet wurden alle Treffer, bei denen sich das Genus eindeutig bestimmen ließ. Eine vereinfachte Suche im Deutschen Referenzkorpus (“der ODER den Körperteil” vs. “das Körperteil”) lieferte für die letzten beiden Zeiträume (vorher gibt es keine durchsuchbaren Texte) fast identische Verhältnisse: 1993–2002 sind es 11 Neutra zu 24 Maskulina, 2003–2013 hingegen 40 Neutra zu 27 Maskulina.))
Der kleine Unterschied
Und woher kommt die der-das-Verwirrung nun? Das Körperteil hat sie von seinem Kopf (Ja, so heißt das in der Linguistik wirklich!) Teil ererbt, ein Wort, dass sich bekanntermaßen schon seit Ewigkeiten mit seiner Genusuneindeutigkeit herumplagt. Aus dem DWB:
theil, teil, m. n. […] und zwar daʒ teil vorzugsweise im sinne von pars (stück eines ganzen), der teil im sinne von portio (antheil, zugetheiltes); doch ist diese scheidung schon fürs ahd. ((Althochdeutsche, ca. 500/750‑1050 gesprochen. )) nicht durchzuführen […], noch weniger fürs nhd. ((Neuhochdeutsche, seit ca. 1650 gesprochen.)) , zumal auszer dem nominativ und accusativ sing. das geschlecht nicht unterschieden werden kann
Das Genus macht hier also einen kleinen Bedeutungsunterschied – über den man sich trefflich streiten kann. Das Duden-Bedeutungswörterbuch versucht den Unterschied folgendermaßen zu fassen:
1. der, auch: das; -[e]s, ‑e: Glied oder Abschnitt eines Ganzen: […] Anteil, Ausschnitt, Auszug, Bestandteil, […]. Dazu: Bevölkerungsteil, Elternteil, Erbteil, Großteil, Hauptteil, Körperteil, […] Stadtteil.
2. das; -[e]s, ‑e: einzelnes [kleines] Stück, das zwar auch zu einem Ganzen gehört, dem aber eine gewisse Selbstständigkeit zukommt. […] Element. Dazu: Bauteil, Einzelteil, Ersatzteil, […].
Nach dieser Logik ist also ein Körperteil Glied eines Ganzen (Körpers), aber »ohne eine gewisse Selbständigkeit«. Das trifft sicher insofern zu, als es sich nicht dauerhaft ohne totalen Funktionsverlust ablösen lässt. In Sprachen, die grammatisch zwischen »veräußerlichem« und »unveräußerlichem« Besitz unterscheiden, sind Körperteile stets unveräußerlich. Und wenn wir Sätze äußern wie mein Kopf ist der wichtigste Teil meines Körpers, dann geht ein Neutrum nicht. (Oder?)
Andererseits sind Körperteile schon irgendwie eigenständig: Viele von ihnen tragen eigene Bezeichnungen (Hand, Fuß, Kopf) und besitzen eine eigene, charakteristische Form. Selbst die Vorstellung, dass ein Mensch aus ihnen »zusammengesetzt« ist, kommt mir nicht ganz abwegig vor.
Hinzu kommt, dass man hier (im Gegensatz zu anderen Nachschlagewerken) erkannt hat, dass auch die erste Bedeutung neutrales Genus haben kann.
Nun weisen wir Genus in uneindeutigen Fällen aber nicht nach klar im Wörterbuch definierten Regeln zu, sondern nach Mustern, die unser Gehirn erkennt. Dem Körperteil dienen vielleicht Parallelen, die wir unbewusst zu anderen, neutrale(re)n Teil-Komposita ziehen, zum Vorbild – aber ob und wie die sich in den letzten Jahrzehnten verändert haben, kann ich nach einigen oberflächlichen Recherchen nicht beurteilen. Vielleicht hat ja jemand Ideen?
Die Grammatik hilft
Die Frage, warum wir uns solche Genuswechsel überhaupt erlauben, ist auf einer anderen Ebene etwas leichter zu beantworen. Dem Übergang zwischen Maskulinum und Neutrum ebnet die deutsche Grammatik wunderbar den Weg: Wie hieß es eben bei den Grimms?
zumal auszer dem nominativ und accusativ sing. das geschlecht nicht unterschieden werden kann
Das nennt man in der Linguistik »Synkretismus«, und hier kann man’s sehen:
N | M | |
Nominativ Sg. | das Teil ist gelb | der Teil ist gelb |
Genitiv Sg. | die Farbe des Teils | die Farbe des Teils |
Dativ Sg. | mit dem Teil | mit dem Teil |
Akkusativ Sg. | gib mir das Teil | gib mir den Teil |
Nur an zwei von acht möglichen Stellen gibt es also eine Unterscheidung zwischen Neutrum und Maskulinum. Gelegentlich findet man bei den uneindeutigen Fällen im Kontext noch Pronomen, wie mit dem Teil wurde gehandelt, weil es/er … ((In der Mehrzahl unterscheiden sich die beiden Genera ja sowieso nicht voneinander (und auch nicht von den Feminina), da ist es immer die Teile etc. ))
In ganz vielen Verwendungskontexten ist das Genus von Teil also nicht klar spezifiziert, es kann Neutrum oder Maskulinum sein. Wenn es dazu auch noch beides gibt, ist es kein Wunder, dass es zu Übergängen kommt. Dazu lässt die Formulierung im DWB auch noch vermuten, dass wir diese Unklarheit schon sehr lange mit uns herumschleppen, unsere Datenbasis also immer wacklig war.
Warum ausgerechnet jetzt?
Das ist mir ebenfalls ein Rätsel und ich habe in meinen Daten bisher keinen Anhaltspunkt dafür gefunden. Nicht alle Teil-Komposita schwanken. Manche haben den Genuswandel schon viel früher vollzogen — so ist aus dem männlichen ein sächliches Geschlechtsteil geworden:
Und es gibt Fälle, in denen das Neutrum zugunsten des Maskulinums zurückgeht, wie beim auch insgesamt seltener werdenden Erbteil:
Wer hier Puzzleteile beitragen kann: Nur zu, ich bin gespannt!
Mein Tipp: Die Versächlichung resultiert aus der häufigeren Verwendung von Teil für das Ding an sich, wie in “Gib her das Teil”. Da Ding bzw. Gerät sächlich sind, gilt das auch für das Teil.
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Wenn ich spekulieren soll, würde ich tippen dass für das Geschlechtsteil eine gewisse Eigenständigkeit eher angenommen wird als für andere Körperteile. Angeblich kann man damit sogar denken.
Für den Erbteil würde ich tippen, dass in Hochsprache gern auf ungewöhnlichere Formen zurückgegriffen wird und sei es als Hyperkorrektur.
Ich denke, kaum jemand würde “das Anteil” oder “das Bestandteil” sagen. Es scheint also davon abzuhängen, wie “Teil” wahrgenommen wird — als eigenständiger Begriff, wie im ersten Kommentar angegeben, oder als Verkürzung der obigen Begriffe.
Ich für meinen Teil (ha!) empfinde “Körperteil” zwar eher als Maskulinum, aber das Neutrum löst in meinem Kopf keine Alarmglocken aus. Fühlt sich beides okay an.
Ist nicht vielmehr bereits seit einiger Zeit ein Sprachwandel im Gange, der sich durch (bewusste oder unbewusste) gezielte Umdeutung solcher grammatikalischen Einladungen hinreißen lässt? Gerade die Tatsache, dass sowohl “der” als auch “das” Teil bedeutungstragend sind, zeugt doch zumindest davon, dass (wenigstens hier) keine nonsens-Umdeutung, sondern vielmehr eine beinahe humoristische Sinnverschiebung stattgefunden hat.
Gerade am Beispiel des Fußballer-Beins geht die oben gezeigte Entwicklung des verwendeten Genus einher mit der steigenden Verehrung der Virtuosität einzelner Fußballer (selbst zu Zeiten Maradonnas wurde nicht derart ausschließlich über eine Persönlichkeit berichtet, wie es später ab Lothar Matthäus bis hin zu Zidane, den Ronaldos und ‑inhos etc. der Fall war). So könnte das Bein eines begnadeten Fußballers vielleicht nicht mehr als kontrollierteR und unselbständigeR, sondern vielmehr als eingenständigeS und virtuoseS sowie unabhängig vom Besitzer allen anderen überlegeneS Teil dargestellt werden, um die Besonderheit dessen Fähigkeiten zu unterstreichen.
Beim Geschlechtsteil (Dativ sei Dank) liegt die Analogie auf der Hand.
Es gibt ja einige Wörter mit schwankendem Geschlecht wie Joghurt, Rhabarber oder Tunnel; von dem her ist das nicht so ungewöhnlich.
Vielleicht haben eine Änderung der Körperwahrnehmung und der medizinische Fortschritt dazu beigetragen, dass die Körperteile als zunehmend reparierbare und austauschbare Teile eine stärkere physische Präsenz bekommen und nicht mehr einfach nur “Anteil, Ausschnitt, Auszug, Bestandteil” sind, sondern “eine gewisse Selbstständigkeit” erhalten, wie es der Duden schreibt.
@Detlef Guertler: Hmmm, möglich … wobei das Register ja ein ganz anderes ist, und die Semantik auch die vom losgelösten Teil.
@Hermsen: Zwar eine interessante These, aber das Wort “Körperteil” dürfte im Nicht-Fußball-Kontext viel öfter vorkommen, ich kann mir also nicht vorstellen, dass der da einen Einfluss gehabt hat.
@Daniel: Ja, die gibt es — sie unterscheiden sich aber von Teil insofern, als dass sie frei variieren. Je nach Herkunft o.ä. nutzt man das eine oder das andere Genus. Bei Teil gibt es hingegen im Wortschatz einer/es Sprecherin/s beide Formen, mit verschiedenen Genera, und wir nehmen einen semantischen Unterschied wahr.
Prinzipiell wollte ich das Phänomen auch nicht als völlig ungewöhnlich darstellen, das ist es wirklich nicht.
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Der (!) Teil unserer Sprache, der das (!) hier beschriebene Körperteil dem gleichen Geschlecht wie dem Teil zuordnen könnnte, wird gerade erst geschrieben.
Da Christiano Ronaldo gerade mal nicht so gut im Balltreten ist, ist das Problem praktisch jedoch etwas in den Hintergrund geraten, so daß die Selbständigkeit seines Körperteiles Knie von der seinigen, als selbständiger Teil der Mannschaft, nicht unbedingt bei jedem Schuß zu erwägen ist.
Jedenfalls ist sowohl der Teil als auch das Teil ein Ergebnis des gleichen Vorganges: Des Teilens, was nun wieder nach Abteilen, Aufteilen, Verteilen und AnTeilen (?) untersucht werden könnte.
Lustig ist die Frage nach den Teilen (Plural liebt sich wieder inniglich zusammen) allemale, gleich, um welchen Körper oder welche Teile es sich dreht.