Hier im Sprachlog gab es ja mal so eine sprachgeschichtliche Komponente, nicht? Die kommt jetzt mit voller Kraft zurück! In den letzten Monaten war ich hier sehr zurückhaltend, weil all meine Lust daran (und vor allem Zeit dafür), Sprachwissenschaftliches allgemeinverständlich zu erklären, in ein Buchprojekt geflossen ist. Mittlerweile ist das beinahe abgeschlossen und im September kommt es raus – hier die Verlagsankündigung. Der Beschreibungstext ist etwas kryptisch, aber letztlich mache ich darin Sprachgeschichte an der Geschichte ausgewählter Wörter sichtbar. Die Etymologien sind also der Aufhänger, dahinter verbirgt sich ein zwar assoziativer, aber systematischerer Blick auf (vor allem) Laut- und Bedeutungswandel und den Wortschatz.
Auf dem (sehr steinigen!) Weg zum fertigen Produkt mussten immer wieder einzelne Kapitel dran glauben, und da ich so schnell sicher kein zweites Etymologiebuch schreiben werde, werde ich die in den nächsten Monaten nach und nach verbloggen – natürlich neu angepasst ans Medium. Los geht es mit der Geschichte von Kaiser und Zar, die nicht nur ähnlich mächtig sind, sondern auch noch beide einer gemeinsamen sprachlichen Quelle entspringen, und mit dem König, hinter dem Zeugung, Geburt und Geschlecht stehen.
Ein Name wird Programm
Den Kaiser als Herrscher haben wir uns in Rom abgeschaut. Dort gab es einst einen gewissen Gaius Julius Caesar, seines Zeichens enorm einflussreicher Chef des römischen Reichs – so einflussreich, dass sein Name Programm wurde. Bei der römischen Bevölkerung setzte sich Caesar als generelle Bezeichnung für ihren Herrscher durch − selbst als der schon wieder ganz andere Namen trug. Das verlief also ähnlich wie bei den Produktnamen Tempo oder Tesa, die heute an jeder Art von Papiertaschentuch oder Klebestreifen haften können: Ein herausragender Vertreter wird zur Bezeichnung einer ganzen Gruppe gleichartiger Menschen oder Gegenstände.
Dann kamen die germanischen Völker an und entlehnten das Wort. Sie bezeichneten damit jetzt auch Herrscher weiterer Völker und Reiche, besonders ihre eigenen, natürlich.
Aber nicht nur das deutsche Wort Kaiser, sondern auch das russische Wort Zar geht letztlich auf Caesar zurück. Das Gemeinslawische bediente sich nämlich ungefähr im 4. Jh. beim Gotischen, einer germanischen Sprache. Anfangs benutzte man das Wort als Ehrenbezeichnung für russische Großfürsten, 1547 schließlich wurde es der offizielle Titel für Ivan IV., der sich in der Nachfolge des römischen Reichs sah.
Auch Karl spielt mit
Dass aus einem Herrschernamen eine Herrscherbezeichnung wurde, ist später übrigens noch einmal passiert – bei Karl dem Großen. Diesmal war Deutsch die Gebersprache, und bedient haben sich verschiedene slawische Sprachen. Der Name Karl besaß damals auch die Varianten Karal und Karel (ja, wie Karel Gott). Ihnen merkt man die Ähnlichkeit zum russischen Wort koról’ ‚König’ gleich an. Weitere Entlehnungen des deutschen Namens sind bulgarisch kral, tschechisch král und polnisch król, bei denen der erste Vokal ausgefallen ist, der zweite aber, den unser heutiger Karl nicht hat, erhalten blieb.
Das althochdeutsche Wort karl hatte, neben der Verwendung als Rufname, übrigens auch eine Bedeutung als normales Substantiv: ‚Mann, Ehemann, treuer Geliebter’. Heute gibt es das Wort nicht mehr, aber eng verwandt damit ist unser Kerl − er hat allerdings eine weniger ehrenvolle Bedeutung angenommen.
Der König und das Kind
Die deutsche Herrscherbezeichnung König, zunächst genereller für den Chef eines bestimmten Gebiets verwendet, stammt hingegen nicht aus einer anderen Sprache, sondern lässt sich über die Vorstufen des Deutschen bis ins Indogermanische zurückverfolgen. Bevor sie sich auf eine Position festlegte, hieß sie einfach ‚Mann eines (vornehmen) Geschlechts’. Darin steckt wahrscheinlich (die Wörterbücher streiten sich aber darüber) das Wort kunni- ‚Geschlecht’.
Es teilt sich eine sprachliche Vorfom mit dem Kind (ursprünglich ‚Gezeugtes, Geborenes’), aber auch mit dem grammatischen Geschlecht Genus, mit der in einer Generation zusammengefassten Nachkommenschaft, mit dem erzeugenden generieren, der Genesis als Entstehung und damit Erzeugung und mit dem Genie, das sich einer großen Schaffenskraft bedient. Weitere Verwandtschaft steckt im Genitiv, dem »Abstammungsfall«, in der Nation, anfangs einer Gemeinschaft von Menschen gleicher Abstammung, und in der Natur, wörtlich ‚Geburt, Geborensein’.
In ihrer heutigen oder früheren Bedeutung lassen sich all diese Wörter also in Zusammenhang bringen – aber wie bringen wir sie so miteinander in Verbindung, dass das auch lautlich plausibel erscheint? Schon allein der Wortanfang unterscheidet sich ja stark: k, g und n. Doch dahinter steckt System:
Laute verschieben
In den germanischen Sprachen (wie Deutsch und Englisch) stoßen wir immer auf k-Laute: König (und zum Beispiel englisch king, niederländisch koning, schwedisch konung und dänisch konge) und Kind. In den italischen Sprachen (also Latein und seine Nachfolgesprachen) dominiert dagegen, wie in der indogermanischen Vorform, das g: Genus, Generation etc. So sieht es auch bei der griechischen Genese und dem Genitiv aus, und schaut man sich in weiteren indogermanischen Sprachen um, wird man auf Ähnliches stoßen.
Die germanischen Sprachen fallen also klanglich aus dem Rahmen, aber ihre Wörter sind denen der anderen Sprachen doch zu ähnlich, als dass es sich um reinen Zufall handeln könnte. Man vermutet, dass das g einmal der gemeinsame Vorgängerlaut aller indogermanischen Sprachen war und rekonstruiert für die gemeinsame, schriftlich nicht bezeugte Ursprache die Wurzel *gen(ə)- ‚erzeugen, gebären’. Von ihr und ihren lautlichen Nachfahren wurden im Laufe der Zeit mit den verschiedensten Mitteln die heutigen Wörter abgeleitet.
Für die Veränderung in den germanischen Sprachen ist die sogenannte »Erste Lautverschiebung« zuständig: Wo vormals ein stimmhaftes g stand, hörten die SprecherInnen der germanischen Sprachen irgendwann im 1. Jahrtausend vor Christus auf, ihre Stimmbänder schwingen zu lassen, sodass ein stimmloses k daraus wurde. Das machten sie übrigens auch mit b und d, die so zu p und t wurden. Zur Ersten Lautverschiebung gehören noch Veränderungen in weiteren Lautgruppen, die ich hier aber unterschlage.
Gnation?
Wie passen nun die lateinischstämmigen Wörter Nation und Natur ins Bild? Warum heißen sie nicht Gnation und Gnatur? Ah: War mal so. Bei manchen Wortbildungsprozessen benutzte man eine Variante von *gen(ə)-, der das e fehlte: *gn… Diese Konsonantenkombination ging den LateinischsprecherInnen am Wortanfang aber schwer über die Zunge, sodass sich mit der Zeit ein vereinfachtes n entwickelte. Im Wortinneren blieb das g hingegen erhalten, wie zum Beispiel co-gnatus, wörtlich ‚zusammengeboren‘.
Ganz Ähnliches hat übrigens unabhängig das Englische mit seinen gn-Anlauten durchgemacht. Es verrät aber mit der Schreibung noch etwas über die früheren Verhältnisse: gnome ‚Gnom‘ wird [nəʊm] gesprochen, gnu ‚Gnu‘ als [nuː] und gnaw ‚nagen‘ als [nɔː] – das lautete übrigens auch im Deutschen einmal gnagen und wurde zu nagen vereinfacht. Mit kn- verfuhr man im Englischen genauso: know ‚wissen‘ wird wie no ‚nein‘ gesprochen, knead ‚kneten‘ lässt sich in England nicht von need ‚brauchen‘ unterscheiden und im amerikanischen Englisch klingt knight ‚Ritter‘ wie night ‚Nacht‘.
Kaiser und Zar teilen sich also miteinander eine gemeinsame Herkunft und mit dem karol ein gemeinsames Benennungsmotiv, während dessen deutsche Entsprechung, der König, seine Wurzeln tief in der indogermanischen Zeit hat und daher über zahlreiche Wortgeschwister, ‑cousins und ‑cousinen verfügt.
Auch die Kaiserin, die Zarin und die Königin tragen erzählenswerte Sprachgeschichte mit sich herum – dazu dann das nächste Mal!
Quellen:
Kluge, Friedrich & Elmar Seebold (Hgg.) (252011): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. [Elektronische Ressource]. Berlin: de Gruyter.
OED (Oxford English Dictionary) (2001–heute). Oxford: Oxford University Press.
Pfeifer, Wolfgang (1993): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. [Ergänzte Online-Version].
“Ihnen merkt man die Ähnlichkeit zum russischen Wort koról’ ‚König’ gleich an. Weitere Entlehnungen des deutschen Namens sind bulgarisch kral, tschechisch král und polnisch król, bei denen der erste Vokal ausgefallen ist, der zweite aber, den unser heutiger Karl nicht hat, erhalten blieb.”
Statt Vokalausfall wären hier eher Liquidametathese und Vollaut die Erklärung für die unterschiedlichen Könige in den slawischen Sprachen.
Danke für den Hinweis, würde mich über eine Quelle freuen — dachte, die Liquidmetathese sei zum Entlehnungszeitpunkt schon durch gewesen (was natürlich nicht heißt, dass das Wort sich nicht in Analogie zu ähnlich strukturierten entwickelt haben könnte), kenne mich in der Slawistik aber nur sehr oberflächlich aus.
Danke für den schönen Artikel! Ich freue mich auf mehr und werde mir im September Ihr Etymologicum kaufen.
Vilen dank! Wobei mir in Sachen Lautwandel dann aber doch noch ein Hinweis zum Lautwandel in den romanischen Sprachen bei Diphthongen und Plosiven fehlt, der AFAIK erklärt, wie aus Caesar der Kaiser werden konnte, obwohl wir ersteren heute meist tsähsar bzw. tschesare aussprechen.
Dankeschön! Das war im Original tatsächlich dabei, hätte mir aber den Blogbeitrag zu lange gemacht. Vielleicht mache ich mal noch was Gesondertes draus.
Nicht nur in Amerika! ‘Knight’ wird auch in GB genauso wie ‘Night’ ausgesprochen!
Den Rest finde ich sehr interessant. Das mit ‘Karl’ ist faszinierend. ich habe einen ‘Carl’, der sich schon darauf freut, dass der Name sowieso ueberall in Nordeuropa zu finden ist, jetzt wo der in Osteuropa so geschaetzt wird — noch besser!!
Ich liebe solche Artikel und fand das spannend zu lesen. Vielen Dank!
Casar/Kaiser/Zar. Gemeinslawisch. Hm. Tja.
Ich als historisch interessierter Mensch hätte ja an die Übernahme “Byzanz/Ost-Rom > Orthodoxer Glauben > Christianisierung Russlands” gedacht. Das würde auch besser zu Iwans historischer Konstruktion passen…
Sehr interessant, gerne mehr davon! Vor allem die Lautverschiebung find ich immer sehr spannend. Das weckt die Detektivin in mir. Ich liebe es, solche Muster in Wortpaaren/-gruppen verschiedener Sprachen wiederzuentdecken. 🙂
@Rosamund: Die Ausspracheangabe habe ich dem OED entnommen, wo für night je nach Kontinent unterschiedliche Aussprachevarianten angegeben sind, für knight aber nur eine — was nichts heißen muss, mich aber zur vorsichtigeren Formulierung bewogen hat.
@Luise Pusch, Evanesca, Nathalie: Vielen Dank!
@Andrew: Für SkeptikerInnen habe ich ja die Quellen angegeben (zumindest Pfeifer ist auch frei zugänglich) und freue mich auch über Belege für gegenteilige Vermutungen.
Interessant — ich kann mir aber nicht vorstellen dass, ein Ausspracheunterschied etwas mit dem ‘K’ zu tun hat. Ehe mit dem Vokallaut. Wenn es einen Link dazu gaebe — wuerde ich gerne mal nachschauen!
Ah, da haben wir uns missverstanden: Ja, der Unterschied liegt an den Vokalen, nicht am k — aber ich wollte Beispielwörter, die wirklich exakt gleich ausgesprochen werden, nicht nur fast.
Für night heißt es im OED (Bezahlschranke) “Pronunciation: Brit. /nʌɪt/ , U.S. /naɪt/”, für knight dagegen nur “Pronunciation: /naɪt/”.
Mensch! Haette ich nie gedacht! Es stimmt aber! Wenn ich die Woerter selbst ausspreche, merke ich das — vor allem im eigenen Mund. Der Unterschied ist aber sooooooooo gering. Ob mich Nichtsprachwissenschaftler aber glauben, denk ich nicht. Das werde ich nun bei allen ausprobieren! Es gibt anderere solche Exemplare mit /u:/ aber ich weiss nicht ob die Unterschiede so deutlich nach bedeutung getrennt sind.
Ich zerbreche mir gerade etwas den Kopf über diese “/nʌɪt/”-Schreibweise. Aus dem Studium ist sie mir überhaupt nicht bekannt und auch eine kurze Suche in einem gängigen Referenzwerk zu englischer Phonetik (Gimson’s PoE) bzw. in Aussprachewörterbüchern (Longman bzw. Cambridge PD) ergab auch nix. Wikipedia sagt, “/aɪ/ as in price is also written /ʌɪ/” sei ein Unterschied im Transkriptionssystem, nicht in der Aussprache.
Der überwiegende Konsens einer nichtrepräsentativen Google-Suche ist aber, dass knight und night definitiv homophon sind. Würde mich mal interessieren, wie das OED zu seiner Aussprache kommt…
“So sieht es auch bei der griechischen Genese und dem Genitiv aus,{…]” — müsste Genitiv nicht lateinisch sein?
@Martin
Es ist nicht nur eine unterschiedliche Schreibweise. Das Dachsymbol* steht für das a wie in ’strut’ oder ‘bug’ oder ‘love’. Die Aussprache mit i dahinter würde eine winzige, aber vorhandene Pause zwischen den beiden Vokalen haben — es wären einzeln gesprochene Laute.
Das ai-Symbol hingegen ist ein Diphthong wie in ‘price’ oder ‘high’ — entsprechend dem deutschen ei/ai aus ‘Preis’.
Dann gibt es noch … eine Reihe britischer Dial-/Soziolekte, in denen der Diphthong in ’night’ gegen oi tendiert.
*Bin mir gerade nicht klar, wie ich schnell zwischendurch IPA hier rein beikomme.
@nightknight-Affäre: Ein Blick in die OED-Ausspracherichtlinien (hier): Da wird für die USA nur [aɪ] angegeben, für England nur [ʌɪ], Beispielwort ist immer price.
Dass knight nur eine Angabe hat, könnte sich durch verschiedene Wörterbuchversionen erklären: Während night für die dritte Auflage überarbeitet wurde, ist das mit knight noch nicht passiert. Vielleicht würden die OED-Leute da dann also auch zwei Einträge mit den beiden verschiedenen a‑Symbolen anlegen. Was uns aber noch immer nicht darauf bringt, warum.
@Markus: Fast alle griechischstämmigen Wörter im Deutschen wurden über das Lateinische vermittelt. Beim Genitiv ist die Geschichte etwas verwickelt.
@Dierk: beim OED ist /ʌɪ/ aber als Diphthong aufgeführt, mit “price” als Beispielwort. Und das mit den Dialekten weiß ich natürlich, aber darum geht’s ja gerade nicht…
IPA geht übrigens am einfachsten mit Copy&Paste. 😉
@alle (da Kristin mich gerufen hat). Kurze Antwort: es ist ein Transkriptionssystem„problem“ im Allgemeinen und des OEDs im Speziellen. knight und night sind auch für britische Muttersprachler/innen homophon (egal, woher). Das OED geht in einem ohnehin schon ziemlich zerrupften Feld einen Sonderweg. Die Hintergründe dazu sind sehr komplex, ich antworte morgen ausführlich.
Regionale Unterschiede werden im OED nicht abgebildet (und spielen für die Homophonie bei night/knight meines Wissens auch keine Rolle).
@Dirk: wie Martin sagte, geht hier um den Diphthong. Wäre, wie Kristin vermutet, der Eintrag für knight auch schon überarbeitet, würde auch dort ein gesonderter Eintrag für die Aussprache in AE/BE stehen. Ich bin bei Kristin, was die vorsichtige Formulierung betrifft.
Entschuldigung, dass ich das Thema vom K.u.K. Karl so weit abgelenkt habe!
Aber, die Aussprache bei ’night’ und ‘knight’ ist doch anders. Homophonen sind sie in der tat doch, weil der Unterschied so klein ist, dass es keinem auffaellt. Nichtmuttersprachler brauchen sich ueberhaupt keine Sorgen zu machen, das merket keiner.
Tatsaechlich sind [aɪ]& [ʌɪ] beide Allophonen von /aɪ/. Bei Woerterbuechen wird so einiges vereinfacht. Ich wuerde niemals erwarten, dass bei ‘Kitten’ [c] geschrieben wird statt [k] wie ‘Cat’. Ich habe auch zig Semester lang Phonologie studiert und das erst gestern erfahren!
Jetzt erforsche ich das Thema. Alle muessen “The knight rode through the night” aussprechen! Bei meinen Kindern 8, 10 & 12 merkte ich schon einen Unterschied (die sprechen so wie ich — wohnen 40km NW von London aber ohne Londoner Akzent). Mein Mann kommt aus dem Black Country noerdlich von Birmingham — bei dem gibts auch [ʌɪ] fuer ’night’. Beim Ausdruck “Frightnight” eine Veranstaltung die hier in der Naehe zu Halloween statt findet ist die Unterscheidung auch klar! (Jetzt wo ich genau zuhoere!) Danke fuer die Erleuchtung!
@Rosamund: Keine Entschuldigung notwendig. Die Diskussion ist ja wirklich sehr interessant.
Sie bringen leider ein paar Dinge durcheinander. 1.) Wenn Sie argumentieren, dass ʌɪ und aɪ den Bedeutungsunterschied zwischen night und knight ausmachen, dann können sie per Definition keine Allophone desselben Phonems sein. Das spielt im konkreten Fall aber keine Rolle, weil 2) geht’s hier um ein Phonem /aɪ/ (bei Homophonen). Ob ich das ɪ mit a oder ʌ kombiniere, ist eine Frage des Transkriptionssymbols, womit ich eine Vokalqualität darstelle, die das Phonem hat (hier: sowohl ʌ, als auch a haben eine Vokalqualität als ‚mid low vowel‘). Und das OED hat hier — wegen seiner Editionsgeschichte — keine einheitliche Transkription; das ist unglücklich, impliziert deshalb aber keinen Unterschied in der Vokalqualität. 3) Wie kitten und cat geschrieben werden, ist Orthografie und hat mit Phonologie nichts zu tun. Dass die beiden Konzepte in irgendeiner Form zusammenhängen, ist klar (das eine soll ja das andere abbilden), aber die Unterschiede sind historisch bedingt.
Die Unterschiede, die Sie mit The knight rode through the night in Ihrer Umgebung maximal abfragen können, sind Phone, also einzelne, konkrete akustische Realisierungen. Falls diese sich für Sie unterschiedlich anhören, kann das gleich eine ganze Reihe von Gründen haben: i) Sie hören den Unterschied, den Sie hören wollen (bias), ii) Prosodie und/oder Betonung, weil in unterschiedlichen Positionen/Umgebungen und/oder syntaktischen Funktionen; iii) phonische Variation, wie sie in JEDER Realisierung eines Phons besteht (wir können, selbst wenn wir wollten, nicht immer genau den gleichen „Ton“ treffen). Der Clou ist, dass unser Gehirn die abermillionen möglichen akustischen Unterschiede als Menge einer Kategorie wahrnimmt. Mit anderen Worten: wenn Sie zwei rosa Socken haben, die sich ein µ in ihrem Rosa unterscheiden, kategorisieren Sie sie trotzdem als rosa (und als Kategorie ‚Socke‘, nicht ‚Unterhose‘).
Was Sie mit „Wörterbücher vereinfachen“ meinen, ist, dass sie schlicht das abstrakte Phoneminventar einer Sprache abbilden, in diesem Fall /aɪ/. Dass das OED das für knight anders macht, als für night, ist ein tragischer Umstand der Editionsgeschichte.
Das ist wirklich hochinteressant. Toller Artikel. Was mich abseits dessen interessiert, ist die Frage, weshalb ausgerechnet Caesar und Cicero als C gesprochen werden, obwohl es doch eindeutig — wer Latein in der Schule hatte, weiß das — ein K ist. Gibt es dazu eine Spur?
Das wird wohl mit der sog. Palatalisierung zu tun haben. Vor i, e, ä, ö, ü wird c als c d.h. [ts] gesprochen, vor a, o, u als k. So ähnlich wie im heutigen Italienischen.
@ Shhhhh: Laut Wikipedia hat es im Lauf der Geschichte in Deutschland unterschiedliche Arten gegeben, Latein zu sprechen.
Zizero und Zäsar werden sich in einer Zeit eingebürgert haben, wo man lat. c eben als z aussprach, während Kaiser offensichtlich mit der tatsächlich zumindest in gebildeten Kreisen des Römischen Reichs üblichen klassischen Aussprache importiert wurde, später dann nicht mehr als lateinisches Wort wahrgenommen, eingedeutscht mit K geschrieben und weiterhin entsprechend ausgesprochen wurde. Kann ich nicht belegen, kommt mir aber halbwegs plausibel vor.
„3) Wie kitten und cat geschrieben werden, ist Orthografie und hat mit Phonologie nichts zu tun. Dass die beiden Konzepte in irgendeiner Form zusammenhängen, ist klar (das eine soll ja das andere abbilden), aber die Unterschiede sind historisch bedingt.“
Du hast da etwas missverstanden, Rosamund hat da richtigerweise angesprochen, dass hier üblicherweise in der phonetischen Transkription nicht die genauestmögliche gewählt wird – die /cɪtən/ und /kæt/ unterscheiden würde, was aber im Englischen irrelevant ist und wegen der Lautumgebung eh automatisch passiert, im Irischen aber z. B. bedeutungstragend und nichttrivial wäre.
(Rosamund, correct me if I’m wrong.)
@Vilinthril
Ja so habe ich es auch verstanden — das mit dem Irischen habe ich auch waehrend des Studiums gelernt. Einer meiner Kommilitonen (vor etwa 25 Jahre, Hilfe!) hatte vor in allen Faellen /c/ zu verwenden, um einigen Jahren spaeter zu merken ob das verbreitet waere! Das ging selbstverstaendlich nur wenn andere das mitmachen. So viel ich weiss hat keiner doch mitgemacht! Das hoert sich wohl ein Bisschen ‘posh’ an, wenn man /kæt/ als /cæt/ ausspricht — also wird /æ/ ein echterer /æ/ d.h. etwa altmodisch oder suedafrikanisch.
Ausserdem habe ich als Englaenderin das Recht mich zu jeder Zeit und unter allen Umstaenden zu entschuldigen!! (Kultursache!)
Dass die Römer ihren Staatschef “Caesar” nannten, ist allerdings ein Missverständnis.
“Caesar” war zwar immer Bestandteil der üblichen Amtstitulatur, aber genauso klar immer nachrangig gegenüber “Augustus” und “Imperator”. Soweit “Caesar” eigenständige Bedeutung erlangte, bezeichneten die Römer damit den “Kronprinzen” bzw. zweiten Mann im Staat.