Dass Frauen systematisch unterschätzt werden, ist ja nichts Neues, aber dass Orkane unterschätzt werden, wenn sie weibliche Namen haben, klingt zunächst wie ein schlechter Scherz aus der Rumpelkammer des Patriarchats.
Genau das haben amerikanische Forscher/innen aber herausgefunden. In der in den Proceedings of the National Academy of Science erschienenen Studie „Female hurricanes are deadlier than male hurricanes“ [PDF, Bezahlschranke] stellt das Team um den Doktoranden Kiju Jung von der University of Illinois at Urbana Champaign zunächst die Ergebnisse einer Archivstudie vor, für die sie alle atlantischen Orkane ausgewertet haben, die zwischen 1950 und 2012 auf das nordamerikanische Festland getroffen sind. Sie fanden heraus, dass starke Orkane mit weiblichen Namen signifikant mehr Todesopfer fordern als solche mit männlichen Namen – und das, obwohl sie die besonders starken Stürme Audrey (1957, 416 Tote) und Katrina (2005, 1833 Tote) vorsichtshalber unberücksichtigt ließen.
Die Autor/innen vermuten, dass der Unterschied in den Opferzahlen auf eine unterschiedliche Ernsthaftigkeit im Umgang mit den Orkanen zurückzuführen sein könnte: Orkane mit Männernamen werden als gefährlicher eingestuft als solche mit Frauennamen. Dementsprechend bereiten sich die Menschen auf „männliche“ Orkane besser vor und nehmen Anweisungen der Behörden, etwa zur Evakuierung, ernster.
Diese Hypothese überprüfen die Autor/innen dann in einer Reihe von Experimenten, bei denen Versuchspersonen die Stärke fiktiver Orkane mit Männer- und Frauennamen bewerten oder angeben mussten, wie wahrscheinlich sie bei jeweils einem Evakuierungsbefehl Folge leisten würden. Die Experimente bestätigen die Hypothese: Orkane mit Männernamen werden im Schnitt als stärker und gefährlicher eingestuft und führten zu einer höheren Bereitschaft, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
Einige der Experimente deuten außerdem darauf hin, dass dieser Effekt verstärkt bei Versuchspersonen zu beobachten ist, die stereotype Vorstellungen von Geschlechterrollen haben („Männer sind aggressiv, Frauen sind warmherzig”).
Idee: Versicherungsgesellschaften sollten von Sexisten höhere Prämien für Sturmversicherungen verlangen. Vielleicht zwingt das ja ein paar Unverbesserliche zum Umdenken.
[Nachtrag: Der Wissenschaftsblogger Ed Young hat eine Kritik des Meteorologen Jeff Lazo veröffentlicht. Lazo kritisiert folgende Punkte:
- Vor 1979 hatten alle Orkane weibliche Namen, deshalb hätte man diese ausschließen müssen (vor allem, weil es früher bei Orkanen grundsätzlich mehr Todesopfer gegeben habe);
- die Wissenschaftler/innen haben auch indirekte Schäden einbezogen, die etwa bei Aufräumarbeiten entstanden seien; diese könnten aber nicht durch die Einschätzung der Schwere des Orkans beeinflusst sein;
- die Versuchspersonen in den Experimenten seien Studierende gewesen, aber die tatsächlichen Entscheidungen über Vorbereitungen auf Orkane würden ja nicht von Studierenden getroffen werden.
Diese Kritik geht aber an der eigentlichen Studie etwas vorbei. Erstens haben die Autor/innen „männlich“ und „weiblich“ bei den Namen nicht als binäre Kategorie behandelt, sondern als Skala (beruhend auf Bewertungen von VPn, die nicht wussten, worum es in der Studie gehen würde). Der Zusammenhang zwischen Schaden und „Weiblichkeit des Namens“ bleibt bestehen, auch wenn man sich nur die Frauennamen ansieht. Hier ein Diagramm, das ich aus den Originaldaten der Studie erstellt habe:
Die Stichprobe ist bei Weglassen der Stürme mit Männernamen zu klein, als dass der Zusammenhang noch Signifikant wäre, aber das ist kein Grund, die Studie zu kritisieren.
Die Autor/innen haben sich übrigens auch die Daten seit 1979 angesehen (also genau das getan, was Lazo fordert) und ebenfalls einen Zusammenhang gefunden. Da auch hier die Stichprobe zu klein wird, ist der Zusammenhang hier ebenfalls nicht statistisch signifikant, verfehlt das übliche Signifikanzniveau von p < 0,05 aber nur sehr knapp (p = 0,073). Nun sind Signifikanzniveaus nicht heilig: sie sind ein Ausdruck der Wahrscheinlichkeit, mit der man sich irrt, wenn man die Nullhypothese (also die Hypothese, dass es zwischen zwei Variablen keinen Zusammenhang gibt) ablehnt. Ein p‑Wert von 0,05 heißt, dass diese Wahrscheinlichkeit 5 Prozent beträgt (was konventionell als akzeptables Risiko gilt, solange es nicht um Reaktorsicherheit o.ä. geht), und ein p‑Wert von 0,073 bedeutet eben, dass diese Wahrscheinlichkeit 7,3 Prozent beträgt – was mir immer noch akzeptabel erscheint, da es ja hier nicht um endgültige Wahrheiten geht, sondern um eine allererste Forschungsarbeit zu diesem Thema.
Dass die Wissenschaftler/innen auch indirekte Schäden einbezogen haben, liegt daran, dass direkte und indirekte Schäden oft nicht getrennt ausgewiesen werden. Ich sehe aber ohnehin keinen Grund, warum indirekte Schäden nicht mit einbezogen werden sollten – wenn ich einen Sturm für harmloser halte als er war, bin ich vielleicht auch hinterher weniger vorsichtig.
Dass in den Experimenten nur studierende Versuchspersonen verwendet wurden, stimmt erstens nicht, und zweitens wäre es kein echter Kritikpunkt. Der Sinn der Experimente ist nicht, zu zeigen, dass die konkreten Entscheidungsträger/innen Stürme mit weiblichen Namen als harmloser einstufen, sondern, dass es überhaupt einen Einfluss des Sturmnamens auf die Einschätzung seiner Schwere geben könnte. An dieser Stelle ist die Kritik fast schon mutwillig unehrlich, ich wundere mich, dass Ed Young das unkommentiert stehen lässt.
Das Team um Kiju Jung hat einen möglichen Effekt von Sturmnamen auf den Umgang mit Stürmen identifiziert und einen möglichen Mechanismus vorgeschlagen. Beides wird durch die verfügbaren Daten gestützt. Heißt das, dass der Effekt tatsächlich existiert und seine Erklärung korrekt ist? Natürlich nicht, und die Autor/innen der Studie behaupten das selbstveständlich auch gar nicht. Wissenschaftliche Hypothesen lassen sich grundsätzlich nicht beweisen, sie sind immer vorläufig und können immer durch zusätzliche Forschung widerlegt werden. Aber eben durch zusätzliche Forschung, und nicht durch oberflächliche Kritik.]
Jein.
Ja, Menschen haben unterschiedliche Annahmen zu geschlechtsspezifischen Namen von Hurricanes.
Nein, es gibt keinen statistisch signifikanten Zusammenhang mit den Toden, wenn nur die Jahre betrachtet werden, in denen abwechselnd weibliche und männliche Namen vergeben wurden.
-> http://phenomena.nationalgeographic.com/2014/06/02/why-have-female-hurricanes-killed-more-people-than-male-ones/
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Hmmm, da ich die Studie selbst nich lesen kann, da a) Bezahlschranke und b) Englisch (ist bei mir nur marginal ausgeprägt.… can I become a beefsteak?.…) eine Frage:
Hat die Studie von vornherein nur und nur eine Beziehung zwischen Männer-/Frauenname untersucht oder haben die Personen einfach mal Orkane auf alles mögliche (Monat, Name, Anfangsbuchstaben etc.) untersucht und dabei eine Korrelation gefunden?
Sprich: “Die Autor/innen vermuten, dass der Unterschied in den Opferzahlen auf eine unterschiedliche Ernsthaftigkeit im Umgang mit den Orkanen zurückzuführen sein könnte: Orkane mit Männernamen werden als gefährlicher eingestuft als solche mit Frauennamen.”
Haben die Forschenden dies vorher vermutet und überprüft oder (zufällig) eine Korrelation gefunden und diese Vermutung, diese Kausalität erst hinterher entwickelt?
Wenn zweiteres zutreffend sein sollte, wäre ich sehr vorsichtig mit den Schlussfolgerungen, da eine Verblindung der anschließenden Experimente nach dem Text des Blogeintrages nicht gegeben zu sein scheint.
Da könnte sich der Trugschluss Beobachtung –> Theorie –> Überprüfung der Theorie an der Beobachtung durch suggestive Befragung leicht eingeschlichen haben.…
Ich vermute, dass die Hypothese zuerst da war, denn sie haben zunächst den Grad der Weiblichkeit für die Namen erhoben – sowas macht man vermutlich nicht auf Verdacht.
Gratulation zu den Artikel-Titeln. Immer wieder eine Freude!
Zum Thema: Ich habe mich gefragt, warum Jung nicht einfach das Geschlecht nimmt, sondern das Ausmass der Weiblichkeit/Männlichkeit des Namens. Wenn jemand die kompliziertere Möglichkeit wählt, dann oft, weil die einfache Variante nicht genügend überzeugende Resultate lieferte.
Ich habe selber mal kurz gerechnet mit Daten, die Wikipedia zu den “retired Atlantic hurricane names” liefert (das Retiring wird gemacht, “if it is felt that a storm is so deadly or damaging that the future use of its name would be inappropriate”, also die wirklich großen Dinger).
Bei den SCHÄDEN sieht es so aus (Daten seit 1979), dass die weiblichen (ohne Ausreißer Katrina und Sandy) durchschnittlich einen Schaden von 5173 Mio USD verursacht haben, die männlichen 5828 Mio USD.
TODESFÄLLE gab es bei den weiblichen im Durchschnitt 258, bei den männlichen (ohne Ausreißer Mitch) 227.
Die weiblichen sind tödlicher, die männlichen dafür zerstörerischer. Wenn ich die Ausreißer jeweils drin lasse, verkehrt sich das Bild ins krasse Gegenteil: die männlichen sind mehr als doppelt so tödlich, die weiblichen mehr als doppelt so zerstörerisch.
Durch die Beschränkung auf die wirklich großen sind die Resultate natürlich anders. Trotzdem finde ich wie Lazo die Jung’schen Resultate und vor allem die Schlussfolgerungen nicht überzeugend.
(Tschuldigung, ist etwas lang geworden.)
“Ich sehe aber ohnehin keinen Grund, warum indirekte Schäden nicht mit einbezogen werden sollten – wenn ich einen Sturm für harmloser halte als er war, bin ich vielleicht auch hinterher weniger vorsichtig”
Ich würde ein anderes Argument anbringen: Da indirekte Schäden wohl meist Folgen von direkten Schäden sind, sind sie auch Folgen der möglichen Fehleinschätzungen, die zu direkten Schäden geführt haben.
Zu meinem Vorredner: Ich befürchte, eine der ersten Reflexe der Leute, die die Studie wiedergeben ist zu vereinfachen, dass weibliche und männliche Namen einander gegenüberstehen. Die Autoren stellen aber einen Zusammenhang her zwischen der “Weiblichkeit” eines Namens und den Schäden. Also auch in den Jahren, in denen nur weibliche Namen vergeben wurden, gilt (laut Studie): Je weiblicher desto tödlicher. Und das ist nur das einfachste Argument, warum diese Kritik nicht trifft.
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Hallo,
immer wieder interessante Einträge auf diesem Blog.
Aber hier kann man erkennen, wie sich eine Meldung im Spannungsfeld von Studien zu Veröffentlichung verhält.
Studie: Es konnte eine knapp nicht signifikante Korrelation in einer ersten Untersuchung festgestellt werden: X könnte vielleicht Y bedingen.
Veröffentlichung: Eine Studie hat festgestellt, das aus X Y folgt.
Man lässt sich einfach zu leicht verleiten, wenn einem die Prämisse plausibel erscheint.
Sagt das Ganze mehr, als dass Männer als aggressiver und gefährlicher wahrgenommen werden als Frauen und das solche Attribute bei der Benennung von Orkanen übertragen werden? Vermutlich wäre das doch genauso, wenn ich einige Orkane “Gänseblümchen” oder “Häschen” nennen würde und andere “Tiger” oder “Bär”. Wo ist der Punkt?
Wieso ist überhaupt die Weiblichkeit überzeugend ermittelt? Schließlich haben dazu ganze 9 (in Worten: neun) Personen die Namen auf einer Skala von 1 bis 11 eingeordnet (wieso wurde hier unterteilt und es nicht gleich stetig festgelegt?)
Ich kenne die Studie nur aus dem Artikel, aber: Haben sie hier die Signifikanz dieser Einteilung überprüft? Und dabei auch die richtige Verteilungsfunktion verwendet: bei n=9<30 kann keine Normalverteilung angenommen werden …
Was ergäbe sich, wenn eine binäre Einteilung vergenommen würde? Diese herrscht wohl (noch) in den meisten Köpfen vor …