Achtung: Wer bei unserem Aprilscherz-Rätsel von Gestern noch mitraten will, sollte sich schnell dorthin begeben und erst dann hier weiterlesen.
Absoluter Favorit war die Geschichte mit den infektiösen Verschlusslauten, gefolgt von der Lautverschiebung durch Höhenluft. Den dritten Platz teilten sich die vokalharmonisch friedfertigen Finn/innen mit der durch Reibelaute ausgelösten Aggression. Damit ist es mir anders als in den letzten zwei Jahren endlich wieder einmal gelungen, den Aprilscherz erfolgreich zu verstecken.
Hier die vier Geschichten und die Auflösung:
Finnland hat gemessen an der Bevölkerung die kleinste Gefängnispopulation aller europäischen Länder. Das ist kein Zufall: Finnisch ist eine Sprache mit wenigen Konsonanten und vielen Vokalen, die zudem innerhalb eines Wortes harmonieren (die sogenannte „Vokalharmonie“). Sprachen mit vielen Vokalen wirken auf das menschliche Gehirn beruhigend (weshalb auch Kinderlieder überdurchschnittlich vokallastig sind).
Tut mir leid, den Zusammenhang zwischen Vokalreichtum und Friedfertigkeit habe ich frei erfunden. Finnland mag die kleinste Gefängnispopulation haben, aber es hat auch die vierthöchste Mordrate in Europa, und das ähnlich vokalreiche und ‑harmonische Estland steht sogar an Platz 2.
Konsonantenreiche Sprachen können dagegen lebensgefährlich sein: vor allem, wenn sie viele sogenannte „aspirierte Plosivlaute“ (Konsonanten, bei denen wir stoßartig ausatmen) hat: Als 2003 die Infektionskrankheit SARS ausbrach, lag die Zahl der Infektionen in den USA weit höher als in Japan. Es zeigte sich, dass die hohe Anzahl von aspirierten Plosivlauten im Englischen dafür sorgte, dass mehr infizierter Speichel von Sprecher/in zu Sprecher/in übertragen wurde als im an aspirierten Plosivlauten armen Japanischen.
Das hat tatsächlich jemand behauptet, nämlich der Mediziner Sakae Inouye im Fachmagazin The Lancet. Allerdings stellte sich später heraus, dass der SARS-Virus sich nicht in nennenswertem Umfang durch Tröfpcheninfektion sondern durch Fäkalien ausgebreitet hatte, was Inouye zu der neuen Hypothese verleitete, dass das Händeschütteln der Amerikaner/innen im Vergleich zum berührungslosen Verbeugen der Japaner/innen für die unterschiedliche Ausbreitung verantwortlich war.
Aber auch Sprecher/innen des Deutschen sind und waren sicherer vor SARS: Die sogenannte deutsche Lautverschiebung sorgte dafür, dass aus vielen Plosivlauten sogenannte Frikaitve und Affrikate (Reibelaute) wurden (z.B. p zu f, vgl. sleep/schlafen, t zu z, vgl. time/Zeit). Grund dafür war, dass einige germanische Stämme in bergige Gebiete vordrangen, wo sie wegen der dünneren Luft schneller außer Atem gerieten, sodass die Aussprache der Plosivlaute weicher wurde.
Dass die deutsche Lautverschiebung etwas mit der dünnen Höhenluft zu tun hatte, kann als reine Spekulation gelten, denn wenn eine bergige Umgebung das Artikulieren nennenswert anstrengender machen würde, müsste es einen Zusammenhang zwischen Höhenlage und der Größe des Konsonanteninventars insgesamt geben. Das ist aber nicht der Fall. Trotzdem wurde die Theorie von den atemlosen germanischen Bergvölkern im 19 Jahrhundert tatsächlich vertreten.
So ganz ungefährlich sind aber auch die Reibelaute nicht: Sie entstehen in denselben Hirnregionen, die auch für Aggression und Gewalttätigkeit verantwortlich sind. Durch die Verarbeitung solcher Laute werden diese Zentren ständig aktiviert, was dazu führt, dass Sprecher/innen entsprechender Sprachen gewalttätiger sind, also etwa mehr Gewaltverbrechen verüben und als Gruppe häufiger Kriege führen.
Dass Reibelaute aggressiv machen sollen, ist eine tatsächlich vertretene Theorie, die mir so gut gefällt, dass ich sie schon zum zweiten Mal ins Sprachlog-Aprilscherzquiz eingebaut habe. Aber während Reibelaute aggressiv klingen mögen (man denke nur an das an Friaktiven und Affrikaten reiche Klingonisch!) gibt es keinerlei Zusammenhang zwischen Reibelauten und aggressivem Verhalten.
Oohhh! Daneben. Übrigens: wären Kinderlieder nicht eher vokallastig (sind sie’s denn überhaupt???) damit Kinder sie besser/früher mitsingen können? Das wäre zumindest meine erste Idee dazu.
@ Jan: Ich weiß nichtmal, ob Kinderlieder überhaupt besonders vokallastig sind. Ich habe es einfach mal behauptet und gehofft, alle würden an so etwas wie „La, le, lu“ denken. Man könnte das aber leicht empirisch überprüfen, mal sehen, ob ich Studierende finde, die das als Hausabeitsthema machen wollen.
@vokallastig… Liebe Leute, was sollte so eine Untersuchung besagen? Jeder Gesang (in Europa) ist vokallastig, wenn man die Zeit misst, wie lange Vokale beim Singen im Vergleich zu den Konsonanten dauern. (Die paar Klinger könnens nicht rausreißen.) Es ist wurscht, wie viele Konsonanten in einem Lied vorhanden sind, die Vokale werden immer viel länger klingen!
Wieso also sollte das eine lohnende Fragestellung sein?
…Naja, gut. Das da ist auch eine tatsächlich vertretene Theorie, vertreten von ungefähr genauso vielen Leuten.
Übrigens sollen es ausschließlich die stimmhaften Reibelaute sein. Ich lache gerade darüber, wie friedfertig die Wiener dann sein müssten.
Ist nicht tide homolog zu Zeit?
Wo kann ich denn mehr über die Theorie von atemlosen germanischen Bergvölkern lesen? Bzw. gibt es einige bekannte Anhänger der Theorie? Ich habe einmal gehört, dass sogar Grimm diese Idee vertreten hat.