Es gibt die ganz normale Denkfaulheit. Es gibt mutwillige Ignoranz. Und dann gibt es noch das deutsche Feuilleton – erfunden, damit Denkfaulheit und mutwillige Ignoranz nicht so schlecht dastehen.
Ein Beispiel? Na gut:
Gestatten, mein Name ist Mohr. Reinhard Mohr. Mohr mit o‑h, wohlgemerkt. Nie habe ich Stammbaumforschung oder Etymologie betrieben, aber soviel weiß ich: Mohr kommt von Maure, ein ursprünglich griechisches Wort, das dunkel- und schwarzhäutige Menschen bezeichnet. Ich aber bin weiß.
In einem einzigen kurzen Absatz verdeutlicht Reinhard Mohr für das Deutschlandradio Kultur hier das Kernprinzip des Feuilletons. Erstens: „Es geht um mich, mich, mich!“ Zweitens: „Natürlich habe ich nicht recherchiert.“ Drittens: „Trotzdem erkläre ich euch Gutmenschen jetzt gleich mal, wo der große weiße Hammer hängt.“
Die feuilletonmüden Gutmenschen unter uns ahnen ja schon beim Hinweis auf die Schreibweise des Feulletonistennachnamens, worauf es (wieder einmal) hinauslaufen wird, und wir werden nicht enttäuscht:
Unzählige Male bin ich in meinem Leben mit dem abgewetzten Zitat aus Schillers „Fiesco“ konfrontiert worden: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.“ Haha. Ein Zitat übrigens, das falsch ist. Richtig muss es heißen: „Der Mohr hat seine Arbeit getan …“ Egal, er gehört zu mir wie meine Name an der Tür, sang schon Marianne Rosenberg. Doch jetzt ist Schluss mit lustig. Seit Neuestem steht mein Familienname unter akutem Rassismus-Verdacht. Der Mohr soll gehen, und zwar für immer.
Sie haben es erfasst, Herr Mohr. Man will Ihnen den Nachnamen verbieten. Muss ja so sein, denn sonst ginge es ja bei der Diskussion um die Mohrenstraße in Berlin, die Sie als Beleg heranziehen, womöglich gar nicht um Sie, und das ginge nun wirklich nicht. Dann ginge es vielleicht um historisch mehrfach vorbelastete Straßennamen, die für Schwarze (einschließlich schwarzer Deutscher) oder People of Color allgemein ein täglicher Schlag ins Gesicht sind.
Nein, das kann nicht sein. Denn die könnte man ja nicht als „Säuberungskommandos der neuen deutschen Sprachpolizei“ bezeichnen, „die auch die Untiefen des historisch rückwärtigen Raumes von allem reaktionären Schmutz zu reinigen hat.“ Das wäre schade, denn dann müsste man ja, naja, „Stammbaumforschung oder Etymologie betrieben“, oder überhaupt mal irgendetwas nachschlagen oder googeln, statt sich auf das Feuilletonistenbauchgefühl zu verlassen.
Aber Gott sei Dank geht es ja um Sie und Ihren Nachnamen. Also werden Sie ja wohl auf die „Namens- uns Sprachreiniger“ eindreschen dürfen, die „noch eine ganz andere Strategie als die Denunziation vermeintlich rassistischer Bezeichnungen“ verfolgen:
Das neue Nebeldeutsch, ein vermeintlich fortschrittliches Kauderwelsch, das im Wortsinn keine Diskriminierung, also keine Unterscheidung mehr duldet. Der semantische Kern ist zum Schwamm geworden, der alles aufsaugt und neutralisiert.
Nein, Nebeldeutsch mit einem Schwamm als semantischem Kern, das kann tatsächlich niemand wollen, vor allem, wenn das keine Diskriminierung mehr duldet! Man wird doch wohl noch diskriminieren dürfen! Sagen Sie, hätten Sie ein paar Beispiele für dieses Schwammkernnebeldeutsch?
Ah, ich sehe schon, danke:
Willkommenskultur, Inklusion, Gendergerechtigkeit, strukturelle Nachhaltigkeit, postkonventionelle Partizipationsformen, interkulturelle Sensibilität, Transparenz: Schaumgummi-Vokabeln wie diese sollen die freie Anschauung der vielfältigen und konfliktreichen Wirklichkeit apriori standardisieren und vereinheitlichen.
Willkommenskultur? Wo kämen wir denn da hin! Nein, wir wollen natürlich unsere traditionell deutsche Hau-Ab-Du-Ausländer-Kultur behalten, schon der vielfältigen Wirklichkeit halber! Inklusion? Auf keinen Fall, das ist etwas für Schaumgummimenschen, nicht für Kruppstahl-Deutsche! Wir bleiben bei der herkömmlichen Exklusion, die hat doch gerade für uns Deutsche immer gut funktioniert! Gendergerechtigkeit? Um Gottes Willen! Diese Art von Vereinheitlichung lehnen wir kategorisch ab. Die Frauen sollen doch bitte ungleich bleiben, das ist dann so angenehm konfliktreich. Und die anderen Wörter auf der Liste erst! Die haben ja bis zu sieben Silben, und wir haben doch keine Zeit!
Die perfekte Sprachregelung: Alles soll vorgegeben, angeglichen, gleich gemacht werden. Ein tendenziell totalitäres Vodoo. Semantik als Religion der Guten und Gerechten, die rein begriffliche Beschwörung einer schönen neuen Welt, in der nur Böswillige und hoffnungslos Rückständige den gesellschaftlichen Frieden stören.
Respekt, Herr Mohr! Gleich drei Leitsätze des deutschen Feuilletons in einem Absatz: „Gleichberechtigung ist Gleichschaltung“, „Rücksicht ist Totalitarismus“ und „Respektvolle Sprache ist Schöne Neue Welt“. Aber wo bleiben Sie? Ach, da sind sie ja zum krönenden Abschluss noch einmal:
Schlimmstenfalls heißt der Uneinsichtige auch noch Mohr, Reinhard Mohr. Dann kann er wirklich gehen.
Nachtrag: Woher kommt der Name Mohr und warum spielt das keine Rolle?
[Hinweis: Der folgende Text enthält Wissen und ist deshalb für Feuilletonisten nicht geeignet.]
Der Nachname Mohr/Moor (die Schreibweise spielt dabei keine Rolle) hat, wie das für europäische Familiennamen nicht unüblich ist, mehrere etymologische Wurzeln. Er ist in Deutschland seit 1340 nachgewiesen: Zu dieser Zeit war Mohr in der Bedeutung „dunkelhäutiger/dunkelhaariger Mensch“ bereits etabliert (noch nicht auf Menschen beschränkt, die wir heute als „Schwarze“ bezeichnen, siehe meinen Beitrag von letzter Woche). Und so ist eine der wahrscheinlichen Quellen des Namens tatsächlich die schwarze Haarfarbe eines der ersten Träger des Namens. Eine zweite Quelle ist das heute mit oo geschriebene Moor: Wer in oder bei einem Moor lebte, musste damit rechnen, diesen Familiennamen zu erhalten, ebenso wie die Bewohner verschiedener Orte, die Mohr oder Moor hießen. Die dritte Quelle schließlich ist das inzwischen ausgestorbene Wort mo(h)r für „Mutterschwein“, das dazu führte, dass manche Schweinebauern den Familiennamen Mohr/Moor erhielten. Warum genau Reinhard also Mohr heißt, lässt sich ohne viel Ahnenforschung nicht mehr nachvollziehen.
Und es ist auch egal, denn Namen haben, anders als andere Wörter der Sprache, keine Bedeutung (zumindest nicht im sprachlichen Sinne). Sie dienen nicht dazu, Dinge (in diesem Fall, Menschen) zu einer Klasse zusammenzufassen, sondern dazu, Individuen zu bezeichnen. Es spielt deshalb kaum eine Rolle, woher ein Name ursprünglich kommt oder ob er lautlich mit einem Wort der Sprache übereinstimmt. Ich sage „kaum“, weil es natürlich Assoziationen geben kann, die so unangenehm sind, dass sie niemand mit seinem Namen verbunden wissen will. So gilt es u.a. als Grund für eine Namensänderung, wenn Namen „anstößig oder lächerlich klingen oder Anlass zu frivolen oder unangemessenen Wortspielereien geben könnten (z. B. Fick)“ (Quelle). Das liegt aber zu recht in der Entscheidung des Namensträgers, denn der Name Fick heißt eben nicht „Fick“ im Sinne eines Geschlechtsaktes, sondern klingt nur so (tatsächlich ist es ursprünglich eine Kurzform von Friedrich). Ob der Name Mohr im Einzelfall auf Wunsch des Trägers geändert werden könnte, kann ich nicht beurteilen, aber mit Sicherheit fordern wir Gutmenschen niemanden zu einer solchen Namensänderung auf.
Musste grade hieran denken.
Vielleicht hängt es doch irgendwie mit dem Nachnamen zusammen?
http://www.fr-online.de/kultur/antisemitismus-sueddeutsche-keine-antisemiten–nirgends‑,1472786,26350914.html
Wenigstens tragen beide einschlägig auffallenden Mohrs anständig toitsche Vornamen.
*pssst*
Die “Mohre” als Muttersau ist keineswegs ausgestorben, sondern lebt in der Schweizerdeutschen “Färlimohre” (Ferkelmohre) fröhlich weiter — jedenfalls bis der Metzger kommt.
Auch in Mainz tobt die Namensdebatte um die bekannte Familie Neger gerade wieder heiß:
http://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/mainz/nachrichten-mainz/mainz-neue-erkenntnisse-zum-namensursprung-der-dachdeckerfirma-neger_13772381.htm Hat schon eine längere Vorgeschichte die Diskussion.
Immer die gleiche Rhetorik, immer die gleiche Ignoranz: “Gutmensch”, “hat sich noch nie ein Betroffener beschwert”, “nicht rassistisch gemeint” “Tradition”…
AS prügelt auf einen Mohr ein. Na sowas.
Aber Scherz beiseite. Das war jetzt eine etwas grosse Ladung Sarkasmus (oder Sardonismus?) für ein ernsthaftes Thema, finde ich.
Natürlich geht es Herrn Mohr nicht um sich; der Name war nur der Aufhänger. Ihn gleich mit allen Feuilletonisten daran aufzuhängen, ist möglicherweise übertrieben.
Auch setzt er nicht Rücksicht mit Totalitarismus gleich, sondern, dass alles vorgegeben, angeglichen, gleich gemacht werden soll, das sei TENDENZIELL totalitär. Nur um zwei Punkte richtigzustellen.
Eine sachliche Diskussion dient der Sache mehr als einen mit anderer Ansicht nach Herzenslust lächerlich zu machen, finde ich, und passt auch besser zu Ihrer Forderung nach respektvoller Sprache.
Ein Kommentar der Vollständigkeit halber: Mohre als Bezeichnung für ein Mutterschwein bzw. als Kraftausdruck ist in den deutschschweizer Dialekten alles andere als ausgestorben. Im Berndeutschen z.B. als Moore geschrieben.
Aber das ist ja kein Standarddeutsch, nicht wahr?
Die taz hatte vor gut 10 Jahren schon eine Kolumne mit dem Titel “Meinhard Rohr zur Lage der Nation im Spiegel seines Wissens”. Das hat sich bis heute offensichtlich nicht gebessert, auch wenn es die Kolumne nicht mehr gibt.
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Warum?
Und weshalb sollen die Verteidiger von Werten wie Humanismus, Gleichberechtigung sich rhetorisch auf sachlich beschränken, wenn ausgerechnet die Angreifer, die Hetzer gegen Humanismus, Akzeptanz und Gleichberechtigung so ziemlich gar nimmer sachlich sind?
Während die sachlichen Argumente gegen den Mohr’schen* Unsinn schon so oft aufgefahren wurden, dass es selbst wohlmeinende langweilt, kommen die starrsinnigen alten Männer [und Frauen] mit 3‑jährigen-Attitüde immer locker mit ihrer nicht mal guten Polemik durch. Weil immer gesagt wird, ‘Mach doch ma sachlich, Aldder!’
Das Sachlichste, was mir nach 30 Jahren “Debatte” über angeblich gefährliches “Gutmenschentum” noch einfällt, ist ‘Mach’s dir doch selbst.’ [natürlich in sachlich-faktischem Tonfall, nicht verärgert-laut.]
*Das ginge auch mit Matussek oder Sarrazin; Mohr ist hier der Stand-in, weil er halt Thema des Beitrags ist.
Ich möchte mich Daniel anschließen! Das hätte ich nicht so gut ausdrücken können, danke dafür.
Prinzipiell finde ich, dass man sich nicht über das Verhalten anderer (hier: “mutwillige Ignoranz”) aufregen und dabei das gleiche Verhalten anwenden sollte.
Natürlich ist es wichtig, über all diese Themen zu Reden. Obwohl ich mich als Frau nicht über jede Form des generischen Maskulinum ärgere bin ich überzeugt, dass die Diskussion darüber dringend nötig ist.
Ich vermisse allerdings ein gewisses Maß in der Diskussion und auch eine sachliche (!) Reflexion. Wo ist die Grenze der Rücksicht? Müssen alle Rücksicht sehmen, oder manche mehr als andere? Darf man sicht über rücksichtslose Menschen denn rücksichtslos öffentlich aufregen? Was muss man ertragen können? Gibt es Dinge, die man akzeptieren kann, auch wenn sie nicht 100%ig gerecht sind? Können wir 100%ige Gerechtigkeit erlangen? Wollen wir das?
(Das sind ernst gemeinte und ergebnisoffene Fragen)
Und eins noch: “Mach’s dir doch selbst”-Kommentare sind echt daneben! Muss das sein?
Vielen Dank für die Besorgnis- und Tonfall-Argumente. Sie sind hiermit zur Kenntnis, aber nicht zu Herzen genommen.
Das Problem ist, diese Leute wollen doch gar nicht vernünftig diskutieren. „Alles“ soll also „vorgegeben, angeglichen, gleich gemacht werden“ — ja wo denn, wie denn? Und was hat das mit seinem Namen zu tun?
Konkret geht es hier doch nur darum, dass in Straßennamen keine Wörter vorkommen sollen, die andere Menschen beleidigen (=Rücksicht). Das ist kein Totalitarismus, sondern allgemeine Höflichkeit. Stellen wir die Frage von Ky nach der Rücksichtnahme mal andersrum: Darf man manche Menschen mehr als andere beleidigen? Da erübrigt sich doch die Antwort, und meiner bescheidenen Ansicht nach muss man da auch gar nicht großartig sachlich drüber diskutieren. Und ich finde es höchst unsachlich, daraus zu konstruieren, dass „alles angeglichen und gleich gemacht werden soll“ (was immer das heißen soll).
Mit dem Ausdruck „tendenziell totalitäres Voodoo“ beleidigt Mohr übrigens auch noch ganz nebenher eine afrikanischen Religion. Hat schon Knigge geschrieben, dass sich das nicht gehört, so neu ist das also alles gar nicht.
Ich kann mit dem Zeitungsfüllbeton meist auch wenig anfangen: Nabelschau gehört in Blogs. Daher habe ich auch den Mohrschen Artikel nicht gelesen.
Man darf durchaus kritisieren, wenn neue Wörter oder Namen altes Verhalten verschleiern sollen. Das kann bei Mohr der Fall sein, aber bei den meisten Mohrschen Beispielen ist es das eher nicht.
Mauren sind für mich übrigens – anders als die verwandten Mohren – nicht über ihre Hautfarbe definiert, sondern bezeichnet einfach islamische Krieger und Beamte (evtl. auch ganze Völker) des Mittelalters, vor allem in ihrer Funktion als Besatzer der iberischen Halbinsel oder Belagerer Wiens. Weil es dabei um eine historisch relevante Gruppe geht, kann man den Begriff – unabhängig von seiner altgriechischen Etymologie – zumindest im passiven Bildungssprachschatz erwarten, wohingegen Mohr so veraltet ist, dass er in alten Texten schon jetzt eine Fußnote braucht und in Neuübersetzungen nicht mehr verwendet werden kann – ein Schicksal, das bald auch Neger und Konsorten ereilen wird.
mein Lebensgefährte heißt mit Nachnamen Mohr und ja er, sein Vater und sein Großvater hatten Pechschwarzes Haar!!!
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