Kandidaten für den Anglizismus des Jahres 2013: Whistleblower

Von Anatol Stefanowitsch

Das Wort Whistle­blow­er war schon im ersten Jahr unseres Wet­tbe­werbs nominiert und lan­dete sog­ar auf dem drit­ten Platz (hin­ter dem Sieger leak­en und dem zweit­platzierten ent­frien­den). Seinen Anstieg im Sprachge­brauch ver­dank­te das Wort damals (wie auch das Verb leak­en) der plöt­zlichen Promi­nenz von Wik­ileaks, ein­er Net­z­plat­tform, die geheime Doku­mente veröf­fentlichte, die ihnen eben von soge­nan­nten Whistle­blow­ern zuge­spielt wurden.

Das Wort Whistle­blow­er ist inzwis­chen akzep­tiert­er Bestandteil der deutschen Sprache, es ste­ht im Duden, wo es mit „jemand, der Missstände [an seinem Arbeit­splatz] öffentlich macht“ definiert ist, und es find­et sich seit 2010 durchgängig im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus des Insti­tuts für Deutsche Sprache, ein­er Samm­lung von Tex­ten (haupt­säch­lich Zeitung­s­tex­ten), die wir in der Bew­er­tung unser­er Wortkan­di­dat­en immer als Abbild des all­ge­meinen Sprachge­brauchs verstehen.

Mit der englis­chen Vorgeschichte des Wortes sowie der Entlehnung ins Deutsche habe ich mich sein­erzeit in einem Sprachlog­beitrag aus­führlich befasst und will meine Diskus­sion hier nur kurz wieder­holen. Ich habe damals die Ver­mu­tung geäußert, dass sich das Wort von der Redewen­dung to blow the whis­tle on someone/something ableit­et, die zunächst all­ge­mein die Bedeu­tung „etwas been­den“ hat­te und sich bild­haft auf die Fab­rik­sirene bezieht, die das Ende ein­er Schicht sig­nal­isiert. Diese Deu­tung führt inzwis­chen auch die deutschsprachige Wikipedia neben den von mir damals abgelehn­ten Her­leitun­gen von Polizei- oder Schied­srichterpfeifen auf. Das Wort find­et sich seit Mitte der neun­ziger Jahre im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus, bre­ite Ver­wen­dung fand es, wie gesagt, aber erst ab 2010.

Die entschei­dende Frage ist, ob das Wort seit seinem dama­li­gen Häu­figkeitss­chub im laufend­en Jahr eine so drastis­che weit­ere Ver­bre­itung gefun­den hat, dass seine nochma­lige Nominierung gerecht­fer­tigt ist.

Das scheint zunächst klar der Fall zu sein: Seine rel­a­tive Häu­figkeit im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus hat sich 2013 im Ver­gle­ich zu 2010 fast verzehnt­facht und es zeigt sich nach einem rel­a­tiv kon­tinuier­lichen Anstieg 2011 und 2012 eine klare Beschle­u­ni­gung des Anstiegs 2013 (ich zeige diesen Anstieg gle­ich grafisch, etwas Geduld noch, bitte). Auch die bei Google Trends aus­gew­erteten Suchan­fra­gen für Whistle­blow­er zeigen nach ein­er ersten Inter­essensspitze Ende 2010 zunächst ein rel­a­tiv gle­ich­bleiben­des Inter­esse, bis Mitte 2013 die Suchan­fra­gen explo­sion­shaft ansteigen.

Aber der Grund für dieses plöt­zliche Inter­esse ist natür­lich ver­mut­lich nicht eine bre­ite Beschäf­ti­gung mit Whistleblower/innen im All­ge­meinen, son­dern die Berichter­stat­tung über einen ganz bes­timmten promi­nen­ten Whistle­blow­er: Edward Snow­den. Wenn das so wäre, dürften wir dem Häu­figkeit­sanstieg nicht allzu viel Bedeu­tung beimessen, denn es wäre dann zu erwarten, dass das Wort im Sprachge­brauch wieder sel­tener wird, sobald das Inter­esse an Snow­dens Enthül­lun­gen abn­immt (was ja – angesichts der immer drastis­cher­ern Enthül­lun­gen unfass­bar­er Weise – bere­its der Fall zu sein scheint).

Die Google-Trends-Dat­en bele­gen den Zusam­men­hang zwis­chen dem Inter­esse am Wort Whistle­blow­er und der Per­son Edward Snow­den klar: Die Kur­ven der Suchver­läufe für die bei­den Aus­drücke sind nahezu iden­tisch. Und auch die Dat­en des Deutschen Ref­eren­zko­r­pus lassen diesen Zusam­men­hang zunächst ver­muten: Die Beschle­u­ni­gung des Häu­figkeit­sanstiegs von Whistle­blow­er geht klar mit dem plöt­zlichen Häu­figkeit­sanstieg des Namens Edward Snow­den in der Berichter­stat­tung einher:

Die Wörter Whistleblower und Snowden im Deutschen Referenzkorpus (Jahresansicht)

Rel­a­tive Häu­figkeit der Aus­drücke Whistle­blow­er und Edward Snow­den
im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus (2005 bis 2013)

Ein genauer­er Blick auf die Jahre 2012 und 2013 (bis August, wo die Kor­po­ra des IDS derzeit enden) zeigt jedoch, dass die Sache etwas kom­plex­er ist:

Die Wörter Whistleblower und Snowden im Deutschen Referenzkorpus (Monatsansicht)

Rel­a­tive Häu­figkeit der Aus­drücke Whistle­blow­er und Edward Snow­den
im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus (Jan­u­ar 2012 bis August 2013)

Während die Häu­figkeit bei­der Aus­drücke im Juni 2013 (mit dem Bekan­ntwer­den der Enthül­lun­gen) stark ansteigt, deutet sich schon im August eine gewisse Entkop­pelung der Häu­figkeit­sen­twick­lung an. Die Häu­figkeit des Namens Edward Snow­den sinkt in der Berichter­stat­tung, aber die Häu­figkeit des Wortes Whistle­blow­er steigt weit­er. Dies lässt ver­muten, dass hier erneut (wie schon 2010) eine all­ge­meinere Diskus­sion um Whistleblower/innen begonnen hat, die nicht mehr nur mit Snow­den zu tun hat, son­dern mit der Frage, welchen gesellschaftlichen Stel­len­wert das Whistle­blow­ing hat und haben sollte und wie mit Per­so­n­en umzuge­hen ist, die sich entsprechend betätigen.

Diese Diskus­sion um Whistleblower/innen wird sich­er so schnell nicht ver­s­tum­men, da sich (trotz des erstaunlich gerin­gen all­ge­meinen Inter­ess­es an Snow­dens Enthül­lun­gen) doch ein Wan­del im Ver­hält­nis zwis­chen Poli­tik und Wirtschaft auf der einen und der Öffentlichkeit auf der anderen Seite abze­ich­net. Die Forderung nach mehr Trans­parenz von Seit­en der Öffentlichkeit wächst, und da sie Wirtschaft und Poli­tik auf wenig Gegen­liebe stößt, wird das Whistle­blow­ing auch nach Snow­den eine wichtige Rolle spielen.

Insofern dürfte uns das Wort Whistleblower/in langfristig erhal­ten bleiben und ver­di­ent auf jeden Fall eine zweite Chance, Anglizis­mus des Jahres zu werden.

4 Gedanken zu „Kandidaten für den Anglizismus des Jahres 2013: Whistleblower

  1. Peggy

    Sehr infor­ma­tiv, danke. Da ich schon lange nicht mehr in D wohne, Immer sehr inter­es­sant zu sehen welche Anglizis­men oft ver­wen­det werden.

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  3. Ferrer

    Zum Ursprung des Begriffs Whistleblowing/blower wird bere­its im zweit­en Beleg in Dein Beitrag zum Anglizis­mus des Jahres 2011 auf Ralf Nad­er ver­wiesen, (1971 The Code [of Good Con­duct of The British Com­put­er Soci­ety] con­tains secre­cy claus­es that effec­tive­ly pro­hib­it Nad­er style *whis­tle-blow­ing. (New Sci­en­tist 9 Dec. 69)), und die englis­che Wikipedia ver­weist eben­falls auf Ralf Nad­er (US civic activist Ralph Nad­er coined the phrase in the ear­ly 1970s to avoid the neg­a­tive con­no­ta­tions found in oth­er words such as “inform­ers” and “snitch­es”). Ob Polizeipfeife oder Fab­rik­sirene, ich würde als wesentlich­es Ele­ment des Whistle­blow­ers die fehlen­den neg­a­tiv­en Kon­no­ta­tio­nen her­vorheben. Ein Wistle­blow­er ist kein Ver­räter, kein Infor­mant, kein Pet­zer. Er tut das, was er als seine Pflicht betra­chtet. Um die Kon­tro­verse über den Ursprung des Wortes zu schlicht­en wäre es vielle­icht am ein­fach­sten, den Her­rn Nad­er selb­st zu fra­gen. Noch lebt er.

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