Die Themen der Woche: Diverse Anglizismen, Fakegebärdensprachdolmetscher, geschlechterstereotypengelenkte Schreibstile und komische Beispielsätze. Einen schönen Sonntag allerseits!
- Auf SBS (Englisch) erklärt Adam Schembri, woran man mit etwas Fachwissen erkennen konnte, dass der Fake-Gebärdensprachdolmetscher bei Mandelas Trauerfeier fake war (wir berichteten). Und dieses Gif zum Thema (via @markusdahlem) sollte man niemandem vorenthalten.
- Luise Pusch befasst sich auf LAUT UND LUISE mit der merkwürdigen Grammatik des Wortes Prostituierte sowie mit der Tatsache, dass es für dieses Wort Dutzende von Synonyme gibt, nicht aber für sein Gegenstück Freier.
- Für LINGUISTICS RESEARCH DIGEST (Englisch) fasst Jenny Amos eine Studie zusammen, die zeigt, dass sprachliche Geschlechterstereotypen deutlich auf den Stil geschriebener Texte einwirken.
- Diese Sammlung von Sprachbeispielen aus Linguistik- und Sprachlehrtexten (LINGUISTICS SAMPLE SENTENCES) wirft ein seltsames, aber wenig überraschendes Licht auf die Disziplin (z.B. hier, hier, hier, hier).
- Und zum Schluss, und nur für den Fall, dass jemand unter einem Stein lebt: Die heiße Phase der Anglizismuswahl 2013 ist angelaufen. Seit dieser Woche diskutiert die Jury die Kandidaten. Los ging’s am Montag im LEXIKOGRAPHIEBLOG, wo sich Michael Mann den Veggie Day anschaute: »Die englische Entsprechung der deutschen Wikipedia-Seite lautet meat-free day, hierzu finden sich auch mehr einschlägige Belege; seltener zu finden ist auch vege day (vegetarian day). Der Ausdruck veggie day scheint also im Englischen nicht die erste Wahl zu sein; er kann aber verwendet werden und ist nicht als “Pseudoanglizismus” zu werten.«
- Hier im SPRACHLOG folgten Susanne Flach mit ranten (»Die Faszination für das shitstormesque an ranten macht aus, dass […] damit auch (oder überwiegend?) intensive und detaillierte Auseinandersetzungen mit einem Problemthema bezeichnet werden — mit dem Schuss Frust im Vordergrund«), ich mit Paywall (»Ich halte Paywall für ein sehr interessantes Wort – und zwar gerade wegen seiner Entsprechung Bezahlschranke«) und Anatol Stefanowitsch mit Thigh Gap (»Bleibt die Frage, ob das Wort eine Bereicherung für den deutschen Wortschatz darstellt. Wenn man Bereicherung als „Verschönerung“ versteht, dann sicher nicht. Das Wort dient nur einem Zweck: Weibliche Körper zu pathologisieren«).
Als Beispiel für die Merkwürdigkeit der Grammatik von Prostituierten führt Frau Pusch an:
“Eine, die sich prostituiert, ist also eine Prostituierte.
Aber eine, die sich auskotzt, ist keine Ausgekotzte.
Und eine, die sich beschwert, ist keine Beschwerte.”
Man könnte aber auch anführen:
Eine, die sich aufregt, ist eine Aufgeregte.
Eine, die sich entsetzt, ist eine Entsetzte.
Eine, die sich entrüstet, ist eine Entrüstete.
Jetzt klingt
Eine, die sich prostituiert, ist eine Prostituierte.
grammatikalisch nicht mehr so seltsam.
Frau Pusch stellt fest:
“Aber das Verb ‘jemanden prostituieren’ gibt es nicht. Es heißt ’sich prostituieren’.”
Dem widerspricht das DWDS: “sich, etw., jmdn. prostituieren sich, etw., jmdn. auf unwürdige Weise (für etw. Niedriges) öffentlich preisgeben, herabwürdigen” und gibt folgende Beispiele für den nicht reflexiven Gebrauch:
“Ganz dort innen frißt es, wo sie noch ganz göttlich ist, noch nicht vom Menschen prostituiert.”
“Meinen Sie, ich sollte dem nachlaufen, der vor einer Renetta Veit seine Kunst prostituiert? !”
“Gegenwärtig prostituiert der Staat das Rechtsgefühl, …”
“Ein Wesen, das sein Geschlecht prostituiert, mag als Weib, als Dirne noch irgendwie annehmbar erscheinen, …”
@ Daniel: Die „Gegenbeispiele“, die Sie bringen, haben alle eins gemeinsam: Es handelt sich um Verben, die sowohl reflexiv als auch transitiv verwendet werden können (Ich rege mich auf vs. Das Fernsehprogramm regt mich auf, Ich entsetze mich [übrigens sehr altmodische Verwendung von entsetzen] vs. Das Fernsehprogramm entsetzt mich usw.). Das ist also genau das, worum es Pusch geht: Das Verb prostituieren müsste eine transitive Variante haben: Der Zuhälter prostituiert sie. Diese Variante gibt es aber nicht. Ihre Beispiele für transitive Verwendungen von prostituieren sind allesamt metaphorisch, und das metaphorische Verwendungen von Verben oft andere Komplementationsmuster erlauben als die wörtlichen, lässt sich oft beobachten.