Nachdem Michael am Montag im LEXIKOGRAPHIEBLOG mit Veggie Day den ersten Kandidaten besprochen hat, startet heute auch die Juryabordnung des Sprachlogs in die Kandidatenbesprechung.
Eigentlich habe ich mich bei den Recherchen recht schnell gefragt, warum ranten auf der Shortlist gelandet ist. Und dann hab ich mich daran erinnert, dass ich das selbst war — vermutlich wegen einer gewissen Faszination für das Shitstormesque.
Das nominierte Verb ranten und sein nominales Pendant, der Rant, bezeichnen Vorgang bzw. Ausführung eines emotionalen Dammbruchs (vor allem im Netz) über große und kleine Aufreger, der vor allem von Wut- und Frustelementen charakterisiert ist. Im Gegensatz zum Shitstorm erfolgt ein Rant aber auf der individuellen Ebene, obwohl er bei gesellschaftsrelevanten Themen natürlich in einem Shitstorm enden kann oder aus ihm abgeleitet wird. Ein Rant ist quasi die (elektronisch) verschriftliche Version der Wutrede.
Die Suche nach Verwendungsbeispielen ist, sagen wir: schwierig. Erstens werden Suchanfragen nach Rant oder ranten gestört von Städten, Personen, Wikipedia-Usern oder Restau-rants. Zweitens, und diese Erkenntnis wurde durch Erstens hervor gebracht, ist ranten bisher offenbar viel zu selten, um diese Störtreffer zu übertrumpfen (Google fragt: „Meinten Sie geratet?“).
Nahezu alle Belege finden sich in netzkulturlastigen Kontexten bzw. sind stark von deren Soziologie bestimmt:
Über den Deutschland-Start der HuffPo dagegen wird schon seit Ende 2011 in den Medienmedien geschrieben, gesprochen, gerätselt und gerantet.
— Vera Bunse (CARTA)
Schön über Alternativmedizin gerantet von Tim Minchin.
— Gedankenabfall (von 2010)
Kurz gerantet: Bei jedem Hashtag auf Twitter, der Diskriminierungen sichtbar machen soll http://t.co/zX50a8zN6v
— Anna Zschokke (@nightlibrarian) 24. Oktober 2013
Wie üblich zu früh gerantet, Starfox ist gerade in der Packstation gelandet. Silly me!
— NeoNacho (@NeoNacho) 9. September 2011
@tante weswegen rantest du gerade?
— acid Sprawl Scholar (@acid23) 8. September 2013
Auslöser von Rants können einerseits aus Langeweile oder persönlichem Frust aufgebauschte, inhaltlichsleere Beschwerden über Paketstationen oder Paris sein. Andererseits spielen vor allem emotional aufgeladene, aber sachlich begründete Kommentare zu gesellschaftlich hochrelevanten Themen eine große Rolle — Diskriminierung, Alternativmedizin, Drosselkom-Flatrates, Leistungsschutzrecht oder StreetView. Auf der einen Seite also die zeitlich und thematisch begrenzte Nicklichkeiten, auf der anderen große Netzthemen. Und alles mit einer gehörigen Portion Frust — einmal queer durch die Netzpsychologie eben.
Ins Englische entlehnt wurde rant im frühen 17. Jahrhundert aus dem Niederländischen. Schon Rant-Experte Hamlet wusste: „I’ll rant as well as thou!“ (Hamlet, V.1). Und abgesehen von ein paar marginaleren Schattierungen und Kontexten ist die heutige gängigste Bedeutung
To engage in lengthy, vehement, and intemperate discourse, esp. as a means of expressing outrage or dissatisfaction.
[Sich an einer ausführlichen, leidenschaftlichen und unbeherrschten Diskussion beteiligen, besonders als Ausdruck von Empörung und Unzufriedenheit.]
— OED, s.v. rant, 1e.
unserer gar nicht so fern. Mit einem wesentlichen Unterschied: im Deutschen wird bisher eher schriftlich gerantet. Überwiegend wird es in beiden Sprachen intransitiv bzw. intransitiv mit einer Präpositionalergänzung benutzt: wir ranten, dabei meist über oder gegen Themen (seltener: Personen). Abgesehen von der englischen Aussprache [rænt] — die sich wohl halten wird, auch, um es von Formen des Verbs rennen zu unterscheiden — lässt es sich unkompliziert ins deutsche Flexionsparadigma integrieren (ich rante, du rantest, er hat gerantet).
Verbreitung? Das ist jetzt das Problem: sowohl Frequenz, als auch Verbreitung im (allgemeinen) Sprachgebrauch sind sehr schwer messbar. Gut schaut’s aber nicht aus: GoogleTrends verzeichnet für rant
keinen nennenswerten Anstieg für 2013; dieses Muster existiert seit mindestens 2007. Für ranten
gibt es nur zwei kleine Ausschläge (vermutlich Ende 2012 und einmal Anfang 2013). Das ist ein bisschen sehr wenig. Deshalb ist dann auch unerheblich, welche anderen Wörter und Formen, die mit rant(en) nichts zu tun haben, die Suchanfrage stören. Und viele Belege aus einer oberflächlichen Belegsuche bei Google liegen deutlich vor 2013 — ein möglicher Eindruck der Gebrauchszunahme wirkt deshalb zum jetzigen Zeitpunkt sehr gewollt.
Aber die Netzgemeinde weiß, was ranten ist. Böse Zungen würden behaupten, die soziale Netzwelt ist ein Rant. Die Faszination für das shitstormesque an ranten macht aus, dass es nicht nur für die unbedarfte Meckerei über Kleinigkeiten benutzt wird, sondern damit auch (oder überwiegend?) intensive und detaillierte Auseinandersetzungen mit einem Problemthema bezeichnet werden — mit dem Schuss Frust im Vordergrund.
Deshalb sehr hübsch, als Ergänzung zum Schwarmphänomen des Shitstorms (bzw. shitstormen), sowohl auf der individuellen Ebene, als auch aus der Perspektive der inhaltlichen Auseinandersetzung. Und als schriftliche Wutrede ist Rant definitiv eine lexikalische Ergänzung, das Verb dazu gibt’s frei Haus. Oder wutreden Sie etwa?
Letztlich wird ranten 2013 noch daran scheitern, dass es keinen nennenswerten Frequenzzuwachs geliefert hat und auch bisher kaum in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist, sondern vorerst ein Netzkulturphänomen bleibt — aber bei Shitstorm dachten wir das auch mal.
Ich kenne es seit ungefähr 1996 als , also ein nachgestelltes Pseudo-HTML-Tag hinter einer Ereiferung. Dazu muß man aber wirklich schon die Struktur von HTML kennen. (Krieg ich in dieser Form nicht gegoogelt, auch nicht mit Anführungszeichen.)
Oh. Ich muß es wohl ausschreiben: spitzeklammerauf-slash-rant-spitzeklammerzu.
Google “html rant” oder “rant tag”, dann findest Du etwas.
Die rant-Tags funktionieren aber nur, wenn sie in einer bestimmten Umgebung (z.B einem Blog) definiert sind, in reinem HTML bleiben sie unsichtbar.
Ich kenne sie aus IRC und Usenet.
Um “ranten” noch eine goldene Zukunft zu ermöglichen, schlage ich vor, “shitstormen” komplett zu streichen und “ranten” als gemeinschaftliches Tätigkeitswort für “einen Shitstorm veranstalten” zu verwenden. Individuell kann man ja in einem einzelnen Text ranten, aber wenn “wir ranten” oder “ihr rantet” oder “sie ranten”, dann fühlt sich das für mich ziemlich nach Shitstorm an.
Musste es nicht ausscheiden, weil es eigentlich ein Niederlandismus ist?
Zur Aussprache: längeres a,statt ä??
@MCBuhl: nein. Denn sonst führten wir die Wahl ad absurdum, weil der Großteil des englischen Wortschatzes entlehnt ist (Löwenanteil: romanische Sprachen, Germanische Sprachen, Griechisch). Das spielt für diesen Zeitpunkt aber keine Rolle mehr.
Ich will an dieser Stelle auch mal einen kleinen Rant loslassen, und zwar gegen falsche phonetische Transktiptionen in Sprachwissenschaftlichen Blogs: [rænt] — im Ernst?? Das wäre ein alveolarer Vibrant (also ein mit der Zungenspitze am vorderen Gaumenrand gerolltes “r”), gefolgt von einem fast offenen vorderen Vokal, der im Standarddeutschen gar nicht vorkommt. Das ist weder die übliche englische Aussprache (die wäre [ɹænt]), noch habe ich es jemals so im Deutschen gehört.
In meinem Ideolekt verhält es sich so: der alveolare Approximant [ɹ] bleibt tatsächlich aus dem Englischen erhalten, aber der Vokal wird ans Deutsche angepasst und wird in etwa zu [ɛː], als wäre er ein orthographisches (Randnotiz: in norddeutschen Dialekten wird meist nicht [ɛː] ausgesprochen, sondern [eː], somit kommt [ɛː] dort nur in englischen Lehnwörtern vor, z.B. Jam/jammen, Bam!/Bäm! oder eben Rant/ranten).
Da das keine enge, sondern eine breite phonetische Transkription ist, kommt hier selbstverständlich die anglistische Tradition zur Anwendung, bei der Transkribierung des Standardenglischen das [r] zu verwenden, wo laut IPA das [ɹ] stehen müsste.
Ist ja nicht mehr ganz aktuell. Aber mit dem Anglizismus hat es sich was. Im rheinisch-westfälischen Dialekt ist rantern (zugegeben mit einem zweiten “r”) ein üblicher und allgemeiner Begriff.
http://woerterbuchnetz.de/RhWB/?lemid=RR00872