Ein merkwürdiger Aspekt der gestrigen Trauerfeier für Nelson Mandela in Johannesburg wird heute in den Medien diskutiert, nachdem die australische Nachrichtenagentur SBS ihn öffentlich machte: Der scheinbare Gebärdensprachendolmetscher, der neben den Redner/innen auf der Bühne stand, war gar keiner. Die gehörlose südafrikanische Abgeordnete Wilma Newhoudt wies per Twitter gleich zu Beginn der Feierlichkeiten auf diese Tatsache hin:
@GautengANC ANC linked interpreter next to ANC dep president is signing rubbish. Please get him off !
— wilma newhoudt (@newhoudt) December 10, 2013
Etwa: „Der mit dem ANC assoziierte Dolmetscher neben dem ANC-Vizepräsidenten gebärdet Unsinn. Bitte entfernt ihn (von der Bühne)!“
Newhoudt ist immerhin Vizepräsidentin der World Federation of the Deaf und stellvertretende Vorsitzende des südafrikanischen Gehörlosenverbandes Deaf Federation of South Africa, also würde man meinen, dass irgendjemand ihren Hinweis aufnehmen würde, aber der „Dolmetscher“ blieb.
Das folgende Video einer britischen Nachrichten- und Blogplattform für Gehörlose zeigt den Mann im Vergleich mit einer tatsächlichen Gebärdendolmetscherin – wie man sieht, besteht keinerlei Ähnlichkeit zwischen seinen Gebärden und der echten Gebärdensprache:
(Interessanterweise hatte ich mich gestern beim Ansehen der Trauerfeier kurz darüber gewundert, dass der angebliche Dolmetscher keine Mimik verwendet, wie es für Gebärdensprachen eigentlich typisch ist. Aber der Verdacht, dass der Mann gar keine Gebärdensprache beherrscht, ist mir natürlich nicht gekommen).
Wer der Mann ist, weiß man beim ANC auf die Nachfragen verschiedener Nachrichtenagenturen angeblich nicht zu beantworten. Besonders glaubhaft ist das nicht, denn schließlich muss ihn ja jemand akkreditiert haben; außerdem hat er schon mindestens einmal zuvor für den südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma „gedolmetscht“:
Die AP berichtet, dass die Deaf Federation of South Africa schon damals eine Beschwerde an den ANC gerichtet und gefordert habe, den Mann nicht mehr einzusetzen, solange er nicht eine Ausbildung zum Gebärdendolmetscher gemacht habe. Das bestätigt auch Newhoudt auf Twitter.
Ein falscher Gebärdendolmetscher bei einem Großereignis wie dieser Trauerfeier ist natürlich eine doppelte Katastrophe: Erstens konnten die südafrikanischen Gehörlosen im Stadion und vor den Fernsehgeräten der Feier auf diese Weise nicht folgen; zweitens zeigt dieser zumindest fahrlässige Umgang mit ihrer Sprache seitens der Organisation, wie wenig man sich für ihre Teilhabe tatsächlich interessiert.
Bleibt die Frage, warum jemand sich wiederholt fälschlicherweise als Gebärdensprachendolmetscher ausgeben sollte. Denkbar ist, dass der Mann sich auf diese Weise wichtig machen will. Aber die Meldung der AP legt einen einfacheren Grund nahe: Profitgier. Sie zitiert die Direktorin einer Johannesburger Gehörlosenschule, die berichtet, dass falsche Gebärdensprachendolmetscher ein häufiges Problem in Südafrika seien: Menschen, die ein paar Gebärden beherrschten, böten gegen Geld ihre Dienste an.
Da Artikel 6, Abs. 5 der südafrikanische Verfassung die Förderung und den Gebrauch der Gebärdensprache vorschreibt, könnte das ein lukratives Geschäft sein.
Vermeiden ließe sich die damit verbundene Peinlichkeit und Herabwürdigung der Gehörlosen durch ein breiteres Verständnis der Funktionsweise und Komplexität von Gebärdensprache, das es mehr Menschen möglich machen würde, zu erkennen, wann sie einem Hochstapler gegenüberstehen. Aber ein solches Verständnis fehlt nicht nur in Südafrika: Auch hierzulande begegnet mir oft die Vorstellung, Gebärdensprache sei eine Art improvisierte Pantomime, für die es keine besonderen Fähigkeiten braucht.
[Nachtrag: Der falsche Dolmetscher ist inzwischen identifiziert, er hat (wie erwartet) keine Ausbildung zum Gebärdensprachdolmetscher. Er selbst behauptet, während der Veranstaltung unter Halluzinationen gelitten zu haben; er habe wegen der bewaffneten Wachposten Angst gehabt, sich auffällig zu verhalten und habe deshalb versucht, einfach weiterzudolmetschen. Die stellvertretende Ministerin für Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderung, Hendrietta Bogopane-Zulu, behauptete in einer Pressekonferenz, der Mann sei durchaus der Gebärdensprache mächtig, nur handele es sich möglicherweise einen ungewöhlichen Dialekt; außerdem sei der Mann ein Muttersprachler des Xhosa und mit dem Dolmetschen englischer Reden überfordert gewesen. Expert/innen für die Südafrikanische Gebärdensprache halten von beiden Erklärungen nichts; die Gebärden des Mannes hätten weder denen von Sprecher/innen mit psychotischen Schüben, noch denen irgendeines Dialekts geähnelt. Die gehörlose Abgeordnete Newhoudt bewertet die Aussagen der Ministerin auf Twitter als „kompletten Müll“ und stellte gegenüber dem südafrikanischen Vizepräsidenten Kgalema Motlanthe klar, dass diese Aussagen „verletzend, schädlich und uninformiert“ seien. (Quellen: CBC, BBC)]
Welche Gebärdensprache sollte es eigentlich sein? Werden solche Veranstaltungen in SASL oder ASL gedolmetscht?
(Wikipedia so: “In addition to SASL and its regional and cultural variations, American Sign Language (ASL) is popular, although since 2006 the teaching of ASL has been officially discouraged” http://en.wikipedia.org/wiki/South_African_Sign_Language)
@anubis: Ich nehme an, es sollte SASL sein.
Die oben benannte Einstellung zur Gebärdensprache wundert mich. Da muss wirklich absolute Ignoranz dahinter stecken. Auf mich wirken diese Zeichen immer höchst kompliziert. Da sieht man mal wieder, worüber sich die Menschen so alles eine Meinung erlauben…
„… Gebärdensprache sei eine Art improvisierte Pantomime …“
Echt? Whoa. O_o ‑_-
@Susanne Apropos „Ignoranz“; Die Begriffe „Zeichen“ und „Zeichensprache“ werden von den Sprechern der Gebärdensprachen als abwertend wahrgenommen, wenn damit eigentlich Gebärden(sprachen) gemeint sind…
Zusätzlich zu Lupinos Kommentar ist zu sagen, dass es immer »Gebärdensprachdolmetscher« heißt.
Verständnis der Funktionsweise und Komplexität von Gebärdensprache
Viele wissen gar nicht, dass Gebärdensprachen eigenständige Sprachen sind. Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass eine Gebärdensprache einfach nur eine andere Art der “Verschriftlichung” einer bestimmten Lautsprache ist.
Und selbst wenn es so wäre, käme man nicht mit etwas improvisiertem Handwedeln aus.
Die Frage, welche Gebärdensprache es sein sollte stellt sich nicht.
Auch wenn die Gegenüberstellung des Zappelphillips mit einer echten Gebärdensprachdolmetscherin den Schluss nahelegt, es gäbe nur eine Gebärdensprache freut mich, dass auch “gebärdenbehinderten Personen” auffällt,dass da was nicht stimmt.
Wenn dieser, immerhin mutige Mann, auch viel Leute beleidigt hat muss man ihm zugute halten, dass er Gehörlosen und ihren Anliegen einen Dienst erwiesen hat.
ein interessanter Beitrag, der auf die Komplexität des Themas hinweist:
http://www.washingtonpost.com/blogs/worldviews/wp/2013/12/11/is-south-africas-fake-sign-language-interpreter-a-legacy-of-apartheid/
Nicht nur, dass es hier ebenfalls an Wissen über Gebärdensprache(n) mangelt:
Mindestens ebenso skandalös wie das Engagieren falscher Gebärdensprachdolmetscher finde ich die Tatsache, dass in Deutschland bei Veranstaltungen dieser Art in der Regel überhaupt kein Gebärdensprachdolmetscher anwesend ist.
Ich lese gerade in der spanischen El País, dass der angebliche Dolmetscher geistig krank war, während der Beerdigung Stimmen gehört haben und kurz vor einer Panikattacke gewesen sein soll. Aber eigentlich soll er tatsächlich ein Gebärdensprachdolmetscher sein. Das wirft eher Fragen zum Sicherheitsscreening in Südafrika auf, das Thema ist nicht mehr linguistisch. Hätte die NSA nicht jemanden kontrollieren können/sollen/müssen, der einen Schritt hinter Präsident Obama stand? Kann es sein, dass die NSA in Sachen Gebärdensprache (ebenfalls) inkompetent ist? Wird das Thema somit wieder linguistisch relevant?
So oder so ist die ganze Angelegenheit peinlich für alle Beteiligten. Eines Tages werden wir darüber lachen können.
Ich weiss nicht, ob es einen Zusammenhang gibt, aber der FC Barcelona plant für dieses Wochenende, dass die Club-Hymne, die vor Spielbeginn angestimmt wird, von einem Gebärdendolmetscher begleitet wird: http://www.sport.es/es/noticias/barca/camp-nou-cantara-himno-lengua-signos-2923669 Möge der Bessere gewinnen!