Wenn es etwas gibt, das der Verein Deutsche Sprache noch mehr hasst als die (eingebildete) Schwemme englischer Lehnwörter im Deutschen, dann ist das der vermeintliche Grund für diese Schwemme: die geopolitische Vorherrschaft der USA. Von ihrer Amerikafeindlichkeit getrieben haben die Sprachnörgler aus Dortmund den Anti-US-Geheimdienste-Slogan „Yes, we scan“ zur Schlagzeile des Jahres gekürt, und von ihrem Wunsch nach medialer Aufmerksamkeit hingerissen haben sie ihn der BILD zugeschrieben, die ihn am 10. Juni 2013 als Schlagzeile verwendet hatte.
Dumm nur dass der Slogan schon Tage vorher in Form eines Plakats des Blogs Nerdcore im Internet kursierte, und dass dessen Betreiber von der Preisverleihung gar nicht amüsiert war und das solange öffentlich kundtat, bis der BILD nichts anderes übrig blieb, als die Ehrung abzulehnen – zumindest, was eben das erstplatzierte „Yes, we scan“ betraf. Völlig verzichten wollte man auf die Ehrung aber nicht, und verlieh sich kurzerhand den Sieg aufgrund des zweiten Platzes:
Den Titel „Schlagzeile des Jahres“ hat BILD (natürlich) trotzdem gewonnen. Denn auch Platz 2 im Wettbewerb (über das Champions-League-Finale Bayern gegen Dortmund) stammt von uns und heißt passenderweise: „Wir gegen uns“.
Dumm nur, dass diese Schlagzeile auch nicht von BILD-Redakteuren erdacht wurde. Zunächst wurde sie schon am 2.5.2013 vom Berliner Kurier verwendet – die BILD brachte sie erst am 24.5.2013. Außerdem fand sich beim Googeln relativ schnell eine Ausstellung im Haus der Geschichte aus dem Jahre 2010, deren Titel „Wir gegen uns. Sport im geteilten Deutschland” lautete. Per Twitter auf diese Tatsache hingewiesen konterte BILD-Chef Kai Diekmann aber mit einer BILD-Schlagzeile von 1990, die sich auf ein deutsch-deutsches Länderspiel bezog und vielleicht sogar umgekehrt den Ausstellungsmachern als Inspiration gedient haben könnte.
Aber wie gesagt, von BILD-Redakteuren erdacht ist die prämierte Schlagzeile trotzdem nicht, und gerade beim Verein Deutsche Sprache hätte man das wissen müssen. Sie stammt nämlich von keinem geringeren als dem großen deutschen Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock. Und den schätzt man beim VDS so sehr, dass man ihn auf der eigenen Webseite mit folgendem Sinnspruch zitiert:
Verkennt denn euer Vaterland, undeutsche Deutsche! Steht und gafft mit blöder Bewunderung großem Auge das Ausland an! Dem Fremden, den ihr vorzieht, kam’s nie ein, den Fremden vorzuziehen. Er haßt die Empfindung dieser Kriechsucht, verachtet euch!
Ach, hätten die Sprachschützer ihre Kriechsucht gegenüber der BILD doch genauso im Griff gehabt, wie die gegenüber dem amerikanischen Feind!
Und bevor jetzt die Süddeutsche Zeitung auf die Idee kommt, sich aufgrund der drittplatzierten Schlagzeile „Vereinigte Stasi von Amerika“, die sie am 11.7.2013 verwendet hat, den Sieg zuzuschreiben: Dieser Slogan stammt nicht von der SZ, sondern von Aktivisten, die ihn an die US-Botschaft in Berlin projizierten. Darüber berichtete mit entsprechender Schlagzeile die Thüringer Allgemeine schon zwei Tage vor der SZ und das Piratenblog „Kompass“ sogar eine Woche früher.
Im Prinzip ist das ja alles egal, aber es zeigt doch eins ganz klar: Der Verein Deutsche Sprache vermutet sprachliche Kreativität systematisch bei den Falschen. Deshalb hasst man dort die Lehnwörter, die aus einer der lebendigsten Sprachen der Welt ins Deutsche kommen, und deshalb wählt man dort Sätze zu Schlagzeilen, die aus dem Internet und von gefühligen Poeten der deutschen Romantik stammen.
Ohne für BILD oder gar für Amerikafeindlichkeit reden zu wollen, möchte ich zu bedenken geben, dass ja nicht der beste Originalspruch, sondern eben die beste Schlagzeile gekürt werden sollte. Wenn also die BILD (wissentlich oder unwissentlich) ein Klopstock-Zitat als Überschrift wählt, macht sie es dadurch erst zur Schlagzeile. Hernn Klopstock gebührt vielleicht die Erfindung des Spruches (wobei das noch nicht erwiesen ist), aber er verwendete ihn ja nicht als Schlagzeile. Deshalb bin ich der Meinung, dass theoretisch auch ein geklauter Spruch die beste Schlagzeile des Jahres sein könnte.
(Theoretisch ist allerdings hier ein wichtiges Wort. Der Kritik an der Auswahl stimme ich ansonsten zu.)
Ich muss seitdem ich das gestern bei Nerdcore gelesen haben regelmäßig wieder vor mich hinkichern, wenn ich das lese. Nicht nur erinnert es mich irgendwie an diese Karikatur aus dem Geschichtsbuch denken. Auch ist es geradzu montypythonesque, dass der Verein “Deutsche” Sprache einen Slogn kührt, der deutsches Wort enthält. Das bedarf schon ganz besondere gedanklicher Beweglichkeit.
> Der Verein Deutsche Sprache vermutet
> sprachliche Kreativität systematisch bei
> den Falschen.
Die “Sprachschützer” haben halt _Angst_ (übrigens ein Germanismus im Englischen; wie das wohl kommt?) vor sprachlicher Kreativität. Und Angst hat man immer vor dem, was man nicht versteht.
“Klopstock!” — Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag…
“Überschätzung der Ausländer” heißt die betreffende Ode (aus: Oden, 1839, S. 255f.), und der VDS hat das “Zitat” vermutlich in einer Internetdatenbank wie aphorismen.de recherchiert, wo es sich ebenso findet wie beim VDS, obwohl da willkürliche Auslassungen vorgenommen wurden, etwa die schöne Strophe:
Auch unter Nazis ist das “Zitat” des VDS sehr beliebt, man müsste das mal genau recherchieren, in welchen Ausgaben des Nazi-Geschichtsbuchs “Die Epochen der deutschen Geschichte” von Johannes Haller der Spruch genau so verwendet wird und Eingang in die deutsche “Volkskultur” gefunden hat.
Sehr markant finde ich Klopstocks Wendung “undeutsche Deutsche” (oder im Original: “Undeutsche Deutsche!”), mit der er jene meint, die nicht antiausländisch sind, und sie schließlich als “unglücklich Und heilig” (wie man damals wohl politisch korrekte Gutmenschen nannte) bemitleidet (oder doch verspottet?).
Es hat sich doch wenig geändert in den letzten 230 Jahren.
@ben_: Stimmt eigentlich, so richtig viel Deutsch ist in “Yes, we scan” nicht drin. Reife Leistung.
Pingback: The Scum of the Earth, I believe | anmut und demut
“Ach, hätten die Sprachschützer ihre Kriechsucht gegenüber der BILD doch genauso im Griff gehabt, wie die gegenüber dem amerikanischen Feind!”
Hm, stützt sich die Kriechsucht gegenüber der BILD nur auf diesen verliehenen Doppelsieg oder ist das ein wiederkehrendes Schema? Ist natürlich satirisch gemeint, da darf man etwas übertreiben.
Aber was ist mit Kriechsucht “gegenüber dem amerikanischen Feind” gemeint?
ben und gnaddrig haben völlig zu recht bemerkt, dass in “Yes, we scan” wenig Deutsches ist. Ich denke, das zeigt sehr schön, dass der VDS nichts gegen Englisch hat, sondern gegen die Unterwanderung des Deutschen durch das Englische.
Der VDS war bei der Recherche schlampig, wofür man ihm mit dem Klopstock auf die Finger klopfen kann. Aber zuviel Aufhebens verdient die Sache auch nicht. Wer von uns war denn nicht auch schon schlampig?
So in der Art? „Die Schlagzeile des Jahres ist neben unserer Deutschtümelei und Anglizismenjagd als alternder Sprachnörglerverein in mühevollster Kleinarbeit entstanden und sie enthält fraglos Fehler. Und über jeden einzelnen dieser Fehler sind wir selbst am unglücklichsten. Es wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht. Eigentlich war das eine Patchworkarbeit, die sich am Ende auf mindestens 80 Datenträger verteilt hat. Sollte sich jemand hierdurch oder durch unangemessenes Einschmeicheln bei der Bild-Zeitung oder versäumte Recherche der einfachsten Tatsachen bei insgesamt 3 Schlagzeilen in 1 Presseerklärung verletzt fühlen, so tut uns das aufrichtig leid.“
Klopstock wird aber i.A. als Vorreiter des Sturm und Drang gesehen; ein Vertreter der Romantik ist er jedenfalls nicht.
Ein Verein für Deutsche Sprache, der einen komplett englischsprachigen Text zur deutschen Überschrift des Jahres erklärt, führt sich selbst ad absurdum und sollte sich auflösen.
Schon Karl Kraus kommentierte diese Art von Leuten völlig zutreffend in seiner Glosse “Hier wird Deutsch gespuckt”
(http://gutenberg.spiegel.de/buch/4691/21)
Ich nominiere den Verein für Deutsche Sprache für die Auszeichnung “Preispanscher des Jahres”. 😉
Soeben von mir Anatol Stefanowitsch sein Motto erfunden:
“Wir sind Sprachpapst”.
Es ist schon ein paar Jahre her, in der Zeit als man noch nicht mit Googlemaps sich den gewünschten Ausschnitt eines Stadtplans des Zielortes ausdruckte, wenn man mit dem ÖPNV unterwegs war. Ich stieg in Mannheim aus dem Zug und brauchte einen Stadtplan. Also habe ich einen im Bahnhofskiosk gekauft. Im Bahnhofskiosk erwarb ein Herr vor mir in der Schlange die aktuelle Ausgabe des Fachblattes für besonders deutschen Autoerotiker: die Nationalzeitung. Meine Fußstrecke war eine andere als seine. Aber ich traf ihn wieder: hinter einem Stand des „Verein für Deutsche Sprache“ in der Fußgängerzone. Seit diesem Erlebnis mag ich Adornos Satz „Fremdwörter sind die Juden der Sprache“ noch mehr.