Ein Spoiler vorweg: Sie liegt gut, die deutsche Flexion. Wie jedes lebendige Wesen bewegt sie sich natürlich ein wenig in ihrem Bett, weshalb es zu gegenwartssprachlichen Varianten wie den folgenden kommt:
am Rand des Sonnensystems – am Rande des Sonnensystems
der Wasserüberschuss des Tanganika – der Wasserüberschuss des Tanganikas
einen Bär fangen – einen Bären fangen
der Entschluss des Autors – der Entschluss des Autoren
dank des Zaubertranks – dank dem Zaubertrank
mit langem weißem Haar – mit langem weißen Haar
wenn sie dort stünde – wenn sie dort stände
Ja, genau, mit »Flexion« ist die Markierung grammatischer Informationen an z.B. Substantiven, Verben und Adjektiven gemeint und wir befinden uns hier in Teil 3 unserer Artikelserie zum »Bericht zur Lage der deutschen Sprache« (zu Teil 1 und 2).
Das Kapitel zur Entwicklung der Flexion im Deutschen von Ludwig Eichinger ((Eichinger, Ludwig M. (2013): Die Entwicklung der Flexion: Gebrauchsverschiebung, systematischer Wandel und Stabilität der Grammatik. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Hg.): Reichtum und Armut der deutschen Sprache. Erster Bericht zur Lage der deutschen Sprache. Berlin, 121–170.)) nimmt das Phänomen aus zwei verschiedenen Perspektiven unter die Lupe: Zum einen betrachtet Eichinger einzelne Flexive (das sind die konkreten Endungen), zum anderen das dahinterstehende System.
Aus dem Beitrag möchte ich heute nur einen Punkt herausgreifen: Das Verhältnis von Genitiv und Dativ. Ich gehe insgesamt recht frei mit dem Kapitel um, markiere jedoch, wenn es um spezifische Forschungsergebnisse Eichingers geht.
Eine zentrale Rolle spielt die von Laien oft übersehene Tatsache, dass der Genitiv im Deutschen verschiedene Funktionen ausübt. In den folgenden Beispielen habe ich den Genitiven immer eine vergleichbare Konstruktion mit anderen Mitteln an die Seite gestellt:
- Ich beschuldige Sie des Mordes | Ich unterstelle Ihnen einen Mord
- Am Tag des Mordes regnete es | Am Tag, an dem der Mord stattfand, regnete es
- Anhand des Mordes lässt sich zeigen, … | Mit dem Mord lässt sich zeigen, …
In Beispiel 1 haben wir es mit einem Genitivobjekt zu tun, das vom Verb beschuldigen abhängig ist, in 2 ist es ein Attribut zu Tag und in 3 ein Kasus, der von einer Präposition (anhand) verlangt wird. In allen drei Fällen gibt es Entwicklungen, die aber nicht parallel verlaufen, aber in allen dreien stehen der Genitiv und der Dativ in einem spannenden Konkurrenzverhältnis zueinander.
Weg vom Objekt
Sowohl der Genitiv als auch der Dativ kann ein Objekt eines Satzes markieren:
Genitiv: Wir gedenken der zahlreichen Opfer
Dativ: Wir helfen den zahlreichen Opfern
In welchem Kasus das Objekt steht, hängt dabei vom gewählten Verb ab: Man hilft im Dativ, aber gedenkt im Genitiv. (( Natürlich stehen die meisten Objekte des Deutschen im Akkusativ, von dem hier aber nicht die Rede sein soll, manche auch im Nominativ oder in einer Präpositionalphrase. )) Oder doch nicht? Verben, die ein Genitivobjekt fordern, sind heute selten, und die meisten von ihnen sind ihrem Kasus mit der Zeit untreu geworden oder werden es noch. Sie weichen auf den Dativ oder ein Präpositionalobjekt aus:
Wir gedenken den zahlreichen Opfern
Ich entsinne mich an eine Zeit (statt: einer Zeit)
Eichinger bezeichnet den Genitiv als einen »Randfall des Systems«, und wie man hier sieht, wird er weiter marginalisiert. Dabei klammern sich die verbliebenen Genitive an eine höhere Stilebene (harren, sich bedienen, bemächtigen, erfreuen, rühmen) oder an bestimmte Fachsprachen (jmd. bezichtigen, beschuldigen, verweisen, … für den juristischen Bereich). Das ist ein Phänomen, das sich bei sprachlichen Relikten regelmäßig beobachten lässt. Eichinger verweist auf ähnliche Erscheinungen bei der fast völlig verschwundenen Verwendung des Dativ-e (im Walde, in diesem Sinne, dem Kinde).
Als möglichen Grund für den Kasuswechsel nennt er zum einen die Uneindeutigkeit des Systems:
M | N | F | |
Genitiv | eines lauten Hundes | eines lauten Kindes | einer lauten Menge |
Dativ | einem lauten Hund | einem lauten Kind | einer lauten Menge |
Sind das Substantiv und seine Begleiter feminin (wie hier die Menge), so lässt sich kein Unterschied zwischen Genitiv und Dativ erkennen. Da feminine Substantive sehr häufig sind, können die Grenzen hier zunehmend verwischen, was dann eine Uminterpretation zugunsten den Dativs bei den Maskulina und Neutra nach sich zieht.
Zum anderen, und hier geht es jetzt um Fälle wie auf das Ende harren könnten andere Verben mit ähnlicher Bedeutung Vorbild für ein Präpositionalobjekt sein – warten auf zum Beispiel.
Das stabile Attribut?
Der Genitiv zieht sich also aus den Objektskasus zurück. Dadurch tritt seine Hauptfunktion im Deutschen, die des Attributs, noch stärker in den Vordergrund. Ein Attribut nimmt eine nähere Bestimmung eines Substantivs vor:
Das Rücklicht des Fahrrads ist beschädigt
Die Leiterin des Betriebs ist kompetent
Eine Ablehnung meiner Bewerbung würde mich enttäuschen
In dieser Funktion markiert der Genitiv keine Funktion im Satz, sondern beschränkt sich darauf, sein Bezugswort zu spezifizieren. Er wirkt also nur innerhalb der sogenannten »Nominalphrase«.
Der »Bericht zur Lage der deutschen Sprache« will die Lage der deutschen Standardsprache beschreiben, und zwar in ihrer geschriebenen Form. Das hat sehr viel mit der Datenbasis zu tun – das Deutsche ist korpuslinguistisch nur mangelhaft erschlossen (( Die Untertreibung des Jahrhunderts. )), wenn man sich für etwas jenseits von Zeitungssprache und Büchern interessiert und dazu kommt noch das irreversible Problem, dass man für frühere Zeiten kaum bis keine brauchbaren gesprochensprachlichen Daten hat.
Entsprechend bleiben Strukturen, in denen der gesprochensprachlich quasi nicht mehr existente attributive Genitiv ersetzt wird, in der Untersuchung leider außen vor:
Das Rücklicht von meinem Fahrrad ist kaputt
Von meinem Fahrrad das Rücklicht ist kaputt
Im Bericht zur Lage von der deutschen Sprache entsteht damit der Eindruck eines in dieser Nische sehr stabilen Genitivs. Meiner Einschätzung nach wird sich da aber in absehbarer Zeit einiges verändern, gerade der von-Konstruktion räume ich gute Chancen ein. Weil das von einen Dativ fordert, entsteht auch hier wieder der Eindruck, dass der Genitiv dem Dativ weicht. Tatsächlich weicht er einer Präpositionalphrase mit Dativ.
Da der Genitiv ein sehr salientes (das heißt auffälliges) schriftsprachliches Merkmal ist, wird er außerdem oft eingesetzt, wenn man eine höhere Stilebene anstrebt, in der man aber oft nicht viel Übung hat. Das führt gelegentlich zu skurrilen Mehrfachkonstruktionen wie dieser (aus der ZEIT), die keinerlei gesprochensprachliche Entsprechung besitzen:
[sie] verlangte, die mutmaßliche Ausspähung Angela Merkels Mobiltelefons […] zu thematisieren.
Wegen der Präpositionen
Der dritte Ort, an dem man Genitive in freier Wildbahn beobachten kann, sind Präpositionalphrasen, also eine Wortgruppe, die mit einer Präposition eingeleitet wird. Dabei fordert im Deutschen jede Präposition einen (oder mehrere) Kasus:
bei dem Haus, zu dem Haus, mit dem Haus (Dativ)
um den See, gegen die Wand, für den Geburtstag (Akkusativ)
fern des Wassers, ob des Briefs, statt des Briefs (Genitiv)
Das Phänomen der »Wechselpräpositionen« kennen vor allem Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen. Hier hängt die Kasusverwendung von der Bedeutung ab:
in der Schule (Dativ, lokal) – in die Schule (Akkusativ, direktional)
Es gibt aber noch einen weiteren Fall, in dem dieselbe Präposition verschiedene Kasus verlangen kann, und zwar ohne dass ein Bedeutungsunterschied entsteht:
- wegen des guten Wetters – wegen dem guten Wetter
- trotz des guten Wetters – trotz dem guten Wetter
Die Präposition wegen in Beispiel 1 verlangt eigentlich Genitiv. Das lässt sich leicht mit ihrer Herkunft erklären: Ursprünglich handelte es sich um einen attributiven Genitiv (unterstrichen), den man folgendermaßen verwendete:
- das du sie von meinen wegen warnen solt ‘dass du sie von meiner Seite aus warnen sollst’
- da was Ulreich der Stainer von Gertraun von der gmainschaft wegen redner ‘da war Ulrich der Steiner von Gertraun Redner von der Gemeinschaft aus/im Namen der Gemeinschaft’ (Quelle)
Das von fiel schließlich der Verkürzung zum Opfer und das wegen verselbständigte sich gemeinsam mit dem Genitiv. ((wegen war der Dativ Plural von Weg (von den Wegen).))
Heute finden wir wegen umgangssprachlich auch mit Dativ, dem misst Eichinger allerdings keine große Bedeutung bei, da bei ihm ja die schriftsprachliche Verwendung im Fokus steht. Bei einer Korpusuntersuchung mit lektorierten schriftsprachlichen Texten aus drei Zeitabschnitten des 20. Jahrhunderts stellt er entsprechend auch nur einen geringen Dativanteil fest. ((Abschnitte: 1905‒1914, 1948‒1957, 1995‒2004. 30 Millionen Wörter in vier Textsorten (Belletristik, Zeitungstexte, Gebrauchsprosa, wissenschaftliche Texte.) ))
In Anbetracht der schlechten Aussichten des Genitivs richtig spannend ist aber die entgegengesetzte Entwicklung, die in Beispiel 2 an trotz sichtbar wird: Manche Präpositionen, die eigentlich einen Dativ verlangen, wechseln nach und nach zum Genitiv:
trotz dem guten Wetter → trotz des guten Wetters
dank dem guten Wetter → dank des guten Wetters
Eichingers Korpusrecherche zeigt, dass der Dativ in beiden Fällen zurückgeht. Ich habe zwei seiner Grafiken zusammengefasst ((Mit vielen Tricks und einem Lineal, denn die absoluten Zahlen sind leider nicht publiziert.)), sodass der sinkende Anteil des Dativs im Vergleich zum Genitiv dargestellt wird: ((Genitiv und Dativ machen also zusammen 100% aus.))
Bei trotz war der Wechsel zum Genitiv bereits Anfang des 20. Jahrhunderts fast komplett, bei dank hingegen tut sich richtig viel. Hier lässt sich also tatsächlich eine Ecke ausmachen, in der sich neue Kontexte für den Genitiv auftun. Trotz des (!) ebenfalls belegten Wechsels zum Dativ, wie bei wegen, und einiger Präpositionen, die kein klares Bild ergeben (zum Beispiel entlang), konstatiert Eichinger, dass der Genitiv zum »schriftsprachlichen Präpositionallkasus« werde, zumindest wenn die Präpositionen kausale Bedeutung haben.
Auch hier kann der Wechsel wieder mit einer hohen Zahl unklarer Fälle begründet werden – die Feminina, bei denen man nicht entscheiden kann, ob sie im Dativ oder Genitiv stehen (dank ihrer Position), machen je nach Zeit und Präposition zwischen 40 und 70% der Belege aus.
Dativ, Genitiv, Tod?
Die vielen unklaren Fälle legen nicht automatisch eínen der beiden Kasus nahe. Das sehen wir daran, dass die Genitivobjekte zugunsten des Dativs abgebaut werden, die von Präpositionen regierten Dative aber teilweise zu Genitiven wechseln. Die Uneindeutigkeiten im System ermöglichen also eine Neuordnung, ohne dabei einen Kasus vorherzubestimmen.
Der Genitiv zieht sich in der Schriftsprache, betrachtet man alle drei Funktionen, von der Satzebene zurück (keine Genitivobjekte mehr) und verlegt sich darauf, innerhalb einzelner Satzglieder zu wirken: In einer Nominalphrase als Genitivattribut, in einer Präpositionalphrase als von der Präposition geforderter Kasus.
Möglicherweise handelt es sich dabei aber nur um ein Rückzugsgefecht – der Einfluss der weitgehend genitivfreien gesprochenen Sprache könnte sich auch hier zunehmend auswirken. Selbst wenn das passieren würde, stünden wir im Deutschen allerdings nicht vor einem grammatischen Trümmerhaufen: Alle grammatischen Funktionen, derer (!) wir bedürfen, stünden weiterhin zur Verfügung, in anderer Form aber gleicher Verständlichkeit.
Viele weitere Phänomene aus dem Bericht zur Lage der deutschen Sprache haben wir in der Vergangenheit bereits hier im Sprachlog beleuchtet – zum Beispiel was »Flexionsklassen« sind und unter welchen Umständen das Genitiv-s verschwindet.
Im gesprochenen Deutschen gibt es neben der Präpositionalphrase mit “von” noch eine weitere Möglichkeit, eine Funktion des Genitivs auszudrücken, nämlich die der Besitzanzeigung. Beispiele wie “Dem Otto sein Sohn ist dieses Jahr in die Schule gekommen” oder “Dem sein Auto gefällt mir” erscheinen im ersten Moment sehr umgangssprachlich und wenn man Leute darauf anspricht, bekommt man Antworten wie “Oh Gott, was für eine schreckliche Grammatik, die deutsche Sprache ist in Gefahr, man muss den Kindern in der Grundschule absolut lernen, dass das falsch ist”. Dabei wird der adnominale possessive Genitiv im gesprochenen Deutsch viel häufiger verwendet als man glauben mag. Ein Ansatz hierzu ist in 177 ausgewerteten Fragebögen zu erkennen.
Wenn es stimmt, dass Sprecher in der alltäglichen Kommunikation in nähesprachlichen Situationen (evtl. bisher in bestimmten Regionen) eher dazu tendieren “dem/den/’n Otto sei/sein Sohn” zu sagen statt “Ottos Sohn”, was ja eigentlich kürzer wäre, dann könnte dies ein weiterer Beleg für den Rückzug des Genitivs in die Schriftsprache sein.
[Das Thema war Gegenstand eines germanistischen Hauptseminars “Norm und Variation” mit Hausarbeit an der FAU-Erlangen-Nürnberg im WiSe 2011/12]
Vielen Dank für die Ergänzungen, Martina! Ich habe die possessiven Ersatzformen nicht mit reingenommen, weil sie umgangssprachlich (noch) stärkeren Restriktionen zu unterliegen scheinen als die von-Phrase (häufig beschränkt auf belebte Possessoren) — das muss aber natürlich nicht so bleiben.
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Vielen Dank für diesen Artikel! Wie immer eine reine Lese-Freude. Gerade trotz und dank verunsichern mich mittlerweile immer wieder, weil zumindest meiner Wahrnehmung nach beide Wendungen mit beiden Kasus gleichermaßen und häufig verwendet werden.
Außerdem: ist das Beispiel aus der Zeit um das Mobiltelephon der Kanzlerin nun zumindest formal korrekt? Oder ist es auch grammatikalisch so krumm, wie es sich anhört?
Ich weiß ja nicht, ob man sich hier was wünschen darf, aber falls doch: mich würde eine Erklärung für das sechste Beispiel ganz oben (mit langem weißem Haar – mit langem weißen Haar) brennend interessieren. Ich benutze die zweite Variante, kann aber nicht erklären, wieso mir das “richtiger” erscheint als Variante 1. Also, nur für den Fall, dass Euch beim Sprachlog wirklich keine Themen mehr einfallen sollten…
@anni: Freut mich, dass es Spaß gemacht hat. Zur Kanzlerin: Uffz. Das kommt drauf an, was man unter “korrekt” versteht. Wenn die Frage ist, ob Grammatiken es aktuell zulassen: Da müsste ich auch suchen. Vielleicht einfach mal Dr. Bopp fragen? Halbwegs vergleichbare Sätze (die Erhaltung Borneos bedrohten Urwaldes) bezeichnet er als “selten” (hier), aaaaber er sagt auch “Wenn vor dem Nomen kein Artikelwort und kein flektiertes Adjektiv steht, kann kein Genitivattribut verwendet werden.” (Beispiel *die Filterung Trinkwassers.)
Ich finde die Frage letztlich aber relativ uninteressant, viel interessanter finde ich den tatsächlichen (Nicht-)Gebrauch und mögliche Gründe dafür.
Zu -em/en kann ich bei Gelegenheit gerne mal was schreiben, es ist ein eher obskures Thema, aber warum nicht.
@ Martina: Meines Wissens stammt die Konstruktion “dem x sein y” aus dem Niederdeutschen. Bei uns im Dorf waren übrigens auch Formulierungen wie “Meine Mutter sein Fahrrad”, das 1:1 aus dem Plattdeutschen übernommen ist.
Und im Alemannischen heißt es auch “Vater siin Huus”. Möglicherweise gibt es noch mehr Mundarten, in denen ähnlich formuliert wird. Jedenfalls wäre es kein Wunder, wenn in Gebieten mit so formulierenden Mundarten diese Formulierungen auch ins Hochdeutsche übernommen würden.
Insofern könnte es sein, dass es sich nicht um einen Rückgang des Genitivs im Hochdeutschen handelt, sondern um eine Bewegung von streng hochsprachlichem zu mehr mundartbeeinflusstem Sprachgebrauch.
@Kristin: Danke!
Oh weh, (linguistischer) Fehlerteufel! Ich meinte natürlich “adnominaler possessiver Dativ” als Bezeichnung für das “dem x sein y”-Pattern; im Eifer des Gefechts ist mir da der Genitiv rausgerutscht, Entschuldigung!
@Kristin: Ja das stimmt, derzeit scheint die Verwendung des Dativs noch auf belebte Possessoren beschränkt zu sein. Wie du richtig sagst, muss es theoretisch nicht dabei bleiben. Wir dachten, dass Wendungen wie “dem Haus sein Dach” kategorisch als unakzeptabel gelten, einige Personen fanden sie aber doch akzeptabel, wenngleich sehr wenige.
@gnaddrig
Danke für den Kommentar! Der Frage, woher die Formulierung genau stammt, war ich bisher nicht weiter nachgegangen. Eine Vermutung, die sich aus der synchronen Datenanalyse ergeben hat, ist, dass auch eine doppeldeutige Syntax und Verteilung der semantischen Rollen dazu führen kann / konnte, dass “dem x sein y” als zusammengehöriger Ausdruck wahrgenommen werden kann und nicht nur der Genitiv Possession ausdrücken kann, sondern auch der Dativ, z.B. in “Der Referent nutzte bei der Versammlung die Möglichkeit, der Stadt ihre Grenzen aufzuzeigen.”
Die Tatsache, dass die Wendung in vielen Dialekten, sowohl in Nord als auch Süd, scheinbar seit Langem zu bestehen scheint, lässt die Frage aufkommen, warum sie im Hochdeutschen als nicht der Norm entsprechend gilt. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde sie tatsächlich im Zuge der Normierung und Grammatikschreibung der deutschen Sprache im 18. / 19. Jahrhundert als “nicht schön” eingestuft und war damit verpönt. Dennoch hat sie in der Mundart (Singular stellvertretend für viele) bis heute überlebt und scheint auch nicht einem Ende entgegen zu gehen.
Wie viel Mundart und Umgangssprache im Hochdeutschen steckt, ist eine spannende Frage, sowohl synchron als auch diachron!
Es mag manchem im Norden ja komisch vorkommen, aber diese Form ist zumindest bei uns im Südwesten seit langer Zeit gebräuchlich und wird vom Dialekt in die Hochsprache übernommen.
“das ist (d)em Tobi sein Vater”
Es ist spannend wie sich die deutsche Sprache entwickelt.
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