Wir wenigen verbliebenen gebürtigen Berliner/innen leben ja seit Jahren mit der Schmach der schwäbischen Invasion. Nein, ich rede nicht von den Immobilieninvestoren der ersten Nachwendegeneration oder den Betreiberinnen von Waldorfkindergärten und Szenerestaurants – ich meine Schwäbisch, die Sprache. Ich meine die Invasion der Berliner Bäckereien durch Wörter wie Wecke und Pflaumendatschi, gegen die unser revolutionserprobtes Berliner Urgestein Wolfgang Thierse Anfang des Jahres einen Aufstand anführte. Der blieb damals scheinbar erfolglos – ihm fehlte ein knackiger Slogan wie „Wir sind das Brot“. Unvergessen der zynische Ausspruch der siegreichen schwäbischen Zwetschgenkönigin Antonia Marie, „Wenn sie keine Wecken wollen, sollen sie doch Mutscheln essen.“
Und so ging die Berliner Schrippenrevolution in den Untergrund. Ein Jahr lang arbeiteten klandestine Konditoreikommandos hinter den feindlichen Linien an einer Destabilisierung der schwäbischen Backkunst. Und gestern konnten wir endlich die Früchte ihres Kampfes ernten: Am Hauptbahnhof der schwäbischen Hauptstadt München verkauft die urschwäbische Firma Rubenbauer ihre Bratwürste und ihren Leberkäs mit – Schrippen! [Update: Ich erfahre gerade, dass München nicht im Schwabenland sondern in Bayern liegt – ich gebe das einfach mal so weiter, verstehe aber nicht, wo da der Unterschied sein soll.]
Eine andere Front im Krieg der Wörter hat diese Woche der Focus-Money-Chefredakteur Frank Pöpsel eröffnet. Seine Feinde sind aber nicht diejenigen, die hochriskante Finanzgeschäfte hinter wohlklingenden Fachbegriffen verstecken, die sie gerne ohne genauere Definition aus dem Englischen entlehnen. Nein, er greift tapfer diejenigen an, die sich um sprachliche Transparenz bemühen. In diesem Fall den neuen Fraktionsführer der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter. [Update: Der übrigens aus diesem „Bayern“ stammen soll. Zufall? Ich denke nicht!] Der stellt seinen Internetauftritt auch in leichter Sprache zur Verfügung, was dann zum Beispiel so klingt:
Ich habe auch im Bayerischen Landtag mitgearbeitet. Bei zwei Abgeordneten: Susanna Tausendfreund und Christian Magerl. Abgeordnete sind Politiker, die bei Wahlen gewählt werden. Seit 2005 bin ich auch ein Abgeordneter. In Berlin, im Deutschen Bundestag.
Nun kann man den Verfechtern leichter Sprache vieles vorwerfen. Zum Beispiel, dass sie „leichte Sprache“ oft mit „Inhalten auf Sendung-mit-der-Maus-Niveau“ verwechseln. Aber Pöpsel stört die Sprache selbst:
Ihre Kinder würden vermutlich eine Sechs für diesen Aufsatz erhalten: Sprache Sechs, Grammatik Sechs, Interpunktion Sechs. Der Autor aber ist promoviert und sitzt seit Oktober als Fraktionsführer für die Grünen im Bundestag…
Wem es so vorkommt, als seien das etwas viele Sechsen, die Pöpsel da verteilt, der wird von mir keinen Widerspruch ernten. Denn weder in der zitierten Passage, noch irgendwo sonst auf Hofreiters Webseite, findet sich ein Fehler in Grammatik, Interpunktion oder Sprache allgemein. Tatsächlich würden Kinder für einen solchen Text wahrscheinlich eine glatte Eins kassieren.
Aber vielleicht sage ich das auch nur, weil ich mich nach den Schrippenkriegen nach ein bisschen Frieden sehne. Oder, in leichter Sprache: Ich möchte Schrippen beschützen. Schrippen sind kleine Brote. Jetzt will ich Frieden. Frieden ist, wenn alle nett zueinander sind.
Hey Ihr Berliner, ist doch alles klar: “Arm aber sexy”, ein Jahrzehnt lang erzählt Ihr Deutschland, Ihr seid die Zentrale von Kultur und Hipness und überhaupt the Place to be — und dann glauben die das Euch und kommen alle und bringen ihre Muttersprache mit und dann passt es auch wieder nicht. (Und hey, hier in Tübingen fehlen mir einige dieser Künstler sehr, die Ihr abgesaugt habt!)
Und natürlich ist Bayern eine komplett andere Baustelle, deren Sprache ist schließlich auch im UNESCO Atlas of the World’s Language in Danger verzeichnet. Was dringend dafür spricht, niemals nicht keine Absicht zu haben, eine Mauer um diesen Staat zu bauen, damit die Zustände konserviert werden können.
Der Rest könnte ja bei einem multilingualen multi-kulti Backfest versöhnt werden — gemeinsam Herausforderungen zu meistern, das verbindet. Darauf ein spätes Zwiebelkuchenfrühstück!
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Keine Sorge, Berlinerisch wird trotz Schwabenschwemme nicht aussterben. Zum Beweis brauche ich nur meiner Tochter (5 Jahre) zuzuhören. Ihre Mutter ist gebürtige Tschechin, ich bin aus Baden (das NICHT in Schwaben liegt!), ihre Tagesmutter aus Köln, der Erzieher aus Schwaben usw. Trotzdem sagte sie neulich: “Haben wir zuhause noch Gummibärchen zu liegen?” Ich frage mich ernsthaft, wo sie das her hat. Muss an der Berliner Luft liegen. Die Kinder der zugezogenen Schwaben jedenfalls werden alle berlinern.
Tja, trotzdem hat man auch mit dem Bayerischen manchmal Probleme in Berlin. Wurde schon vor Jahren wegen einem rausgerutschten “Grüß Gott” blöd angeredet. Eine “Semmel” zu verlangen, hätte ich mich natürlich nicht getraut;-)
Naja, den Pöpsel ignorieren wir mal.…. so doof kann neben dem Focus nur die Bild sein.…
Aber wenn ich hier in eine Bäckerei gehe: Ob ich da sage Bröchen, Schrippen, Semmeln etc.…. ich bekomme immer das gleiche Weizen- oder Roggengebäck.…
Nur Wecken versteht hier keiner.… naja, so ist das an der Küste.….
Ich frequentiere keine Bäckereien und esse keine Brötchen – bin ich dann ein perfekter Anwärter auf die Berliner Stadtsbürgerschaft, oder verunmögliche ich mich durch mangelnde Integrationsbereitschaft in die westliche Kulinarkultur?
Was bedeutet das denn: „Inhalte auf Sendung-mit-der-Maus-Niveau“? Mit solchen Bemerkungen kann ich Euch nicht mehr ernst nehmen.
Es bedeutet, dass „leichte Sprache“ (eine prinzipiell sinnvolle Idee) gerne mit „bis zur Bedeutungslosigkeit vereinfachten Inhalten“ verwechselt wird. Leichte Sprache ist aber nur sinnvoll, wenn sie hilft, gleichbleibend komplexe Sachverhalte besser verständlich auszudrücken.
Was Wecken angeht, das Wort ist mir in den 80er Jahren in Niedersachsen in der Zusammensetzung “Campingwecken” begegnet. Das ist eine Art Milchbrötchen mit mitgebackenem Zucker oder Sirup obendrauf.
Ich bezweifle, dass es damals viel Kommen und Gehen zwischen Niedersachsen und Schwaben gegeben hat, kann aber natürlich auch nicht sagen, wie die Bezeichnung zustandegekommen ist. Weder in Baden noch in der Pfalz ist mir diese Sorte Brötchen je untergekommen. In Schwaben war ich fast nie und kann darum nicht sagen, ob es dort sowas gibt oder wie es heißt.
In Osnabrück und Umgebung kennt man seit Olims Zeiten die “Hedewegge”, ein Milchbrötchen mit Orangeatstückchen und Rosinen. “Wecke” ist also nicht un-niedersächsisch.
Mein größtes Problem mit Berliner Bäckereien ist immer noch, dass sie “Berliner” als “Pfannkuchen” verkaufen. Das irritiert mich seit meinem Zuzug vor 8 Jahren.
Der Berliner isst eben nicht seine Artgenossen, genauso wie das Wiener Würstchen in Wien Frankfurter heißt.
Außerdem, was kann der Berliner Bäcker dafür, dass zugezogene Mitbürger die falschen Vokabeln benutzen. Da der Name „Berliner“ suggeriert, dass der Pfannkuchen aus Berlin kommt, dürfen wir auch bestimmen wie das Gebäckstück genannt wird.