In der WELT hat sich letzte Woche Jörn Lauterbach Gedanken zum Gesprächsverhalten von Mittdreißigerinnen in Hamburger Yuppievierteln gemacht. Was an seiner Glosse bemerkenswert ist: Lauterbach ist ein wirklich interessantes sprachliches Phänomen aufgefallen. Leider zieht er in der Folge nur stereotypische Schlüsse und verpackt diese eben wieder in unmotivierte Sprachquengelei. Stellvertretend dafür seine Unterüberschrift: „Wie die arme deutsche Sprache im Schein der Bistrokerze weiter verkümmert“.
Im Grunde ist es ja schon fast löblich, die Verkümmerung der Sprache mal woanders suchen zu wollen, als bei Anglizismen, verrutschten Apostrophen oder im Bedeutungsverlust der SchönSchreibschrift. Denn Lauterbach ist aufgefallen, dass die Einleitung der Wiedergabe der Rede anderer auch mit einem kleinen Wörtchen so funktioniert: „Ich so: Tut das weh? Er so nö.“
Lauterbach leitet daraus drei klischeeverdächtige Aussagen ab:
- Frauen nutzen es, um Äußerungen von Männern wiederzugeben.
- Äußerungen von Männer sind unvollständige Sätze. Deshalb sind
- Männer Schuld daran, dass Frauen sich dieser Sprachverstümmelung bedienen müssen.
Lauterbach sagt es nicht, aber seiner Einschätzung des Phänomens als „Verkümmerung“ wohnt der Vorwurf inne, dass man es anders sagen kann. Tatsächlich stehen uns mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, die Wiedergabe wörtlicher Rede einzuleiten. Wir haben einige solcher sogenannten Quotative, wie sagen, meinen oder denken: er sagt(e), dass das nicht weh tue… oder sie meint(e), dass er es nicht weiß. Ich kann aber eben auch sagen: „Sie so: weiß nicht“.
So kann in der gesprochenen Sprache in diesen Kontexten verwendet werden. Es hat gegenüber den „Alternativen“ aber noch eine ganz besondere Note: so ist nicht einfach die Wiedergabe der Rede anderer, sondern ermöglicht, die Dynamik des Gesprächs direkt mitzuliefern. Er so: weiß nicht und er sagte, er weiß es nicht unterscheiden sich nicht nur in der Formalität und Objektivität, sondern vor allem im Grad der Involviertheit, die die Sprecher/innen sich und ihrem Publikum zugestehen. Andererseits können mit so neben der rein beschreibenden Nacherzählung von Gesagtem auch nicht-linguistische Kommunikationselemente wie Gesten, Gesichtsausdrücke oder Emotionen transportiert werden: „und sie so [Schulterzucken]“. Nutzer/innen von sozialen Netzwerken wissen auch, dass so eine Strategie ist, Meme und dergleichen einzuleiten: „und sie so #fail!“.
So ist also weder eine Verkürzung, noch eine gleichwertige Alternative zu sagen, meinen oder denken, sondern hat erstens eine eigene Bedeutung und erfüllt damit zweitens andere, diskurspragmatische Funktionen. Deshalb ist es natürlich auch unplausibel anzunehmen, dass so für die Wiedergabe der kurzen, „unvollständigen“ Rede männlicher Gesprächsteilnehmerinnen verwendet wird. ((Wenn Sie glauben, ich nehme Lauterbach ernster, als nötig… dann ich so: tja. Und dann noch so: transportiert halt so Stereotypen.))
Im Englischen wird schon länger ein sehr ähnliches Phänomen beobachtet, analysiert und diskutiert: das quotative be like („And I was like: really?“). Es gehört zu den sprachlichen Phänomenen, die in vergleichsweise gut eingrenzbaren sozialen Gruppierungen ihren Anfang nehmen (in diesem Fall: jung, weiß, weiblich, kalifornische Mittelschicht), mittlerweile aber von weiten Teilen der Sprachgemeinschaft übernommen wurden und sich längst zu einem festen Bestandteil gesprochener Sprache mit eigenen Funktionen und Bedeutungen etabliert haben (relevant für Lauterbach: der Faktor Geschlecht beispielsweise spielt keine Rolle mehr). Etwas neueren Datums ist diese hübsche Aufstellung zu I’m like ≠ I said — illustriert an Tweets.
Es ist plausibel, diese Entwicklung auch für das Deutsche so anzunehmen. Dass wir Phänomene wie so und be like mit bestimmten sozialen Schichten assoziieren, liegt häufig an ihrer Etymologie. Dass sie dann, selbst während oder nach der Diffusion durch die Sprachgemeinschaft, oft als Sprachverfall und nicht als sprachliche Ausdrucksfähigkeit wahrgenommen werden, liegt aber nicht an sprachinternen Faktoren (alle so yeah!), sondern daran, wie das Verhalten sozialer Schichten, die nicht gewissen eigenen (sprachlichen) Vorstellungen entspricht, allgemein eingeschätzt wird.
Denn wenn ich natürlich ohnehin albern finde, dass sich Mittdreißigerinnen in Bistros in Ottensen, Eimsbüttel und Eppendorf über Schmerzen beim Bleaching unterhalten, dann fange ich ja nicht bei deren sprachlichen Mitteln an, das interessant zu finden.
Eine weitere Sprachveränderung bei Quotativen bezieht sich auf deren Nebensätze: Sie haben keine Konjunktion und überwiegend Hauptsatzform.
Beispiel: “meinst du, wir sollen zusammen fahren?” (kaum jemand macht sich die Mühe “dass” zu sagen, wie im Artikel zitiert).
Meiner Meinung nach soll das “so” übrigens zusätzlich eine ungenaue Zitierung bedeuten. Deshalb ist es als Frage im Gegensatz zum Schlusssatz des Artikels unüblich.
In Lingua Franca war auch grad eben erst was dazu: http://chronicle.com/blogs/linguafranca/2013/10/30/whats-not-to-like/
Zwei Aspekte:
1. Nach meinem Eindruck handelt es sich bei dem, was nach “so” kommt, um Pseudozitate, und zwar, wie Stan Carey mit “like” klar macht, typischerweise um performativ untermauerte und zugespitzte direkte Wiedergaben von (impressionistisch/expressionistisch überformten) Eindrücken (Wentus so: keine Konjunktion, Hauptsatzform.)
Wenn man die Bedeutung schriftlich ausformulieren will, muss man vielleicht “Er so: [Pseudozitat]” nicht durch “Er sagte: [Pseudozitat]” ersetzen, sondern durch “Ich habe es so empfunden, als ob er gesagt/gemeint hätte: [Pseudozitat]”. Bei “Ich so:” dürfte entsprechend die subjektive Erlebenskomponente noch größer sein.
2. Wenn die Verwendung von “I’m like” und “Ich so” sich so stark ähnelt, frage ich mich, wie die Abhängigkeit dieser Sprachformen voneinander ist. Gab es eine amerikanische TV-Serie, in deren deutscher Ausgabe das “like” erstmals mit “so” übersetzt wurde?
@Erbloggtes: nicht auszuschließen — es ist aber plausibler anzunehmen, dass es sich um eine allgemein-kognitiven Sprachwandelprozess handelt. Die Grammatikalisierung von Elementen, die Gleichheit ausdrücken (like/so) bzw. Deiktika/Demonstrativa (so), also Elemente, die fokussieren, zu Quotativen ist in sehr vielen Sprachen feststellbar. Darauf hat uns auch eine Leserin bei Facebook aufmerksam gemacht (genaueres hier); ein interessanter Artikel zum Deutschen wäre nach Durchbruch der Paywall dieser hier.
Vergleiche hierzu auch Mertzlufft, Christine (2013) Quotativkonstruktionen mit “so” in Mädchentelefonaten. FRAGL Arbeitspapiere 15., die drei Funktionen von so-Quotativen herausarbeitet:
Danke, sehr interessant!
Muss das mal üben. Wird mich gleich um Jahr(zehnt)e verjüngen!
Gar nicht so neu, das Phänomen.
Vgl. Eins Zwo “Ich so, er so” auf der “Sport”-EP (1998, (interessanterweise auch aus Hamburg): http://www.youtube.com/watch?v=ZwmWbQ5A3r0
Dort bin ich, soweit ich mich erinnern kann, zum erste mal darauf gestoßen. Könnte mir vorstellen, dass der Ursprung tatsächlich Rap-Texte oder Szene-nahe Umgangssprache sind.
@Kai: Danke für die Info — darauf bin ich bei den Recherchen auch gestoßen, konnte nur die Jahreszahl auf die Schnelle nicht verifizieren. Ob das der Ursprung ist, sei mal dahin gestellt, aber natürlich ist klar, dass in derartigen Genre Umgangssprache schneller aufgegriffen wird, als anderswo. Außerdem hatten wir in den 90ern (und davor) das Internet nicht in der Form wie heute, wo gesprochensprachliche Phänomene verschriftlicht schneller und weitreichendere Verbreitung bzw. Sichtbarkeit finden. Das Phänomen an sich wird deutlich älter sein, siehe mein Kommentar um 15:07 mit dem Hinweis auf eine wissenschaftliche Untersuchung für das Deutsche aus dem Jahr 2000; inklusive Entdeckungs‑, Planungs‑, Forschungs- und Publikationsphase ist das ein Hinweis darauf, dass Eins Zwo etwas aufgegriffen haben, was — klar — in Jugendsprache längst einigermaßen etabliert war.
Ich verbürge mich für die zweite Hälfte der Achtziger. Da allerdings weniger in Bistros, als z.B. unter jungen besoffenen Kiffern auf dem Kemal Altun Platz in Ottensen.
„Er so saug, und ich so mach mal langsam, Alter! Und er so rauch das Bong heiß, und ich so geht’s noch? Und er so hust und würg, und ich so alles klar? Und er so blass werd und kotz und ich so aufspring, und er so umfall…“
In diesem Stil etwa. Also mindestens fast dreißig Jahre alt.
Könnte doch sein, dass das eine Verkürzung ist („Ja, und dann sach ich so zu ihm…“, oder „ich ging so meines Weges“), die sich mit Comicsprache im Stil von Erika Fuchs vermischt und eben viel Raum für Gestik und Mimik lässt.
Warum sollten dieses “so” nur oder hauptsächlich Frauen benutzen? Dieser Zusammenhang ist mir nicht ganz klar. Drücken sich Männer da tatsächlich anders aus?
Die Beschreibung von stan erinnert mich an Tom Gerhardt als diese Pudelmützenfigur (oderwasauchimmer). Der macht lt. Wikipedia seit den späten 80ern Comedy, dass deckt sich mit dem Zeitpuntk der Szene.
Nach einer sehr kurzen Stichprobe scheint, also ob die Erinnerung trügt. Zwar gibt es bei Gerhardt das performative Element (“lauf, lauf, lauf”), daher wohl der Gedanken an ihn, aber es wird nicht mit “so” eingeleitet.
Seht mal hier die Überschrift:
“Beteiligung? Und alle so: Yeah!”
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013–11/spd-mitgliederentscheid-beteiligung
wird wohl echt populär!