Duden, Weltliteratur

Von Susanne Flach

Wir soll­ten uns viel öfter die Frage stellen, ob wir mit unser­er ket­zerischen Kri­tik an den Apoka­lypse­prophezeiun­gen vom Unter­gang des Deutschen nicht zu ein­seit­ig argu­men­tieren. Wo die anderen doch so überzeu­gende Argu­mente haben.

Die SÜDWEST PRESSE hat das Überzeu­gungspo­ten­tial der Apoka­lyp­tik­er erkan­nt und titelte deshalb unlängst „Deutsche Sprache auf Abwe­gen“. Vor­ange­gan­gen war unter anderem ein Gespräch mit Hol­ger Klat­te, Geschäfts­führer des VDS. Sind wir ehrlich: der VDS ist gegenüber dem Ver­dacht ein­er dreis­ten Ver­wirrungstak­tik voll immun und glück­licher­weise find­en deshalb sprachkri­tis­che The­men immer häu­figer Ein­gang in lokale Leitmedien.

Und vielle­icht ist es Zeit, nei­d­los anzuerken­nen, dass es endlich mal jemand ausspricht, wie es um den Zus­tand der deutschen Sprache wirk­lich bestellt ist:

Er [Hol­ger Klat­te, SF] habe ja nichts gegen den Ein­fluss ander­er Sprachen, aber man habe den Ein­druck, „dass auf manchen Seit­en im Duden mehr englis­che als deutsche Wörter ste­hen“. Sein Beispiel ist Seite 977 in der aktuellen 26. Auflage, auf der sich Wort-Importe aneinanderreihen:

Zum Glück hat man beim VDS ja einen pro­movierten Ger­man­is­ten, ((Dr. Hol­ger Klat­te)) der uns sein Wis­sen uneigen­nützig zur Ver­fü­gung stellt. Und, was kommt? Das hier:

Shake, Shake­hands, Shak­er, Sham­poo, Sham­poon, Shan­non, Shan­ty, Shan­ty­chor, Shap­ing­mas­chine, Share, Share­hold­er-Val­ue, Share­ware, Shaw, Shed­bau, She-DJ, Sheffield, Shel­ley, Sher­iff, Shirt, Shit, Shit­storm, Shock­ing, Shoot­ing, Shoot­ingstar, Shop, Shopa­holic, shop­pen, Shop­per, Shop­perin, Shop­ping, Shop­ping­cen­ter, Short­list, Shorts, Short Sto­ry, Short­track, Shorty, Show, Show­block, Show­busi­ness, Show­case, Showdown.

Diese Anglizis­men­flut ist unfass­bar schw­er zu ertra­gen, denn das geht über zwei Seit­en so. ((Danke an Jan Wohlge­muth für die Ver­i­fizierung der Seiten­zahl für <Shy­lock>, weil alle Exem­plare in der Philol­o­gis­chen Bib­lio­thek der Freien Uni­ver­sität von anglizis­men­ver­liebten Studieren­den für Hausar­beit­en in der Anglis­tik block­iert sind.)) Klat­te aber hat­te ein Ein­se­hen und hat uns dankenswert­er­weise den Großteil der ins­ge­samt 114 Ein­träge dieser Kat­e­gorie erspart. Denn immer­hin würde er uns mit grauen­haft mar­o­dieren­den Ein­drin­glin­gen wie Shi­itake, Shut­tle oder dem shein­heili­gen Shet­land­pony im Shaf­spelz so richtig um den Shlaf bringen.

Den Unter­gang des Dudens illus­tri­ert offen­bar nichts so zutr­e­f­fend wie die Tat­sache, dass sich das große Wörter­buch mit jed­er neuen Auflage immer wieder aus dem Kanon deutschsprachiger Weltlit­er­atur her­auskat­a­pul­tiert und damit sein Poten­tial für gehoben-lit­er­arische Philoso­phie ver­spielt. Das Feuil­leton sieht den Fak­ten längst ins Auge: die Zeit­en des gediege­nen Rezen­sierens der Ein­träge Lu–Ma bei badis­chem Rotwein und Kam­in­feuerknis­tern sind vorbei.

Wir wären aber nicht das Sprachlog, wenn wir nicht noch ein ein­seit­iges Fünkchen Hoff­nung aus der dahin­schei­den­den Kam­in­ro­man­tik hüpfen sähen: als let­zten Hort für Kopf­nahrung kurz vor dem Schlafenge­hen empfehlen wir deshalb das Studi­um der Ein­träge <pf-> auf den Seit­en 816–819 und <sch-> zwis­chen 924–965. Bei let­zterem lesen Sie über Schal (engl.), Schar­la­tan (frz.) oder Schickse (jidd.) ein­fach hinweg.

Ich über­lege noch, welchen Aktanden ich in diesem Apoka­lypseszenario am meis­ten bewun­dere: Klat­te, Presse oder das Publikum.

15 Gedanken zu „Duden, Weltliteratur

  1. Muriel

    Man hat es aber auch schw­er mit den deutschen Worten. Ich wollte mein Buch, das ich hier­mit dreist bewerbe, ohne die Gast­ge­ber vor­ab auch nur gefragt zu haben (vielle­icht merken sie’s ja nicht), zuerst Nim­mer­mehr nen­nen, durfte das dann aber nicht, weil es das schon gibt, und nun heißt es griechisch Dis­cor­dia, englisch Inc.
    So leis­tet das Urhe­ber­recht seinen eige­nen Beitrag zum Ver­fall der Rein­heit unser­er völkischen her­rlichen schö­nen deutschen Sprache.

    Antworten
    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Statistiker: naja, man kann es auch anders sehen. Sie wer­den eben auch immer wieder zitiert, per­ma­nent, unwider­sprochen und ungeprüft. Und in diesem Fall ist das Ver­sagen des lokalen Leitmedi­ums auch so schmerzhaft offensichtlich.

      Antworten
  2. DrNI

    Ja, schön so am Duden rumzunörgeln, aber man finde mal ein urdeutsches Wort,das mit Sh am Anfang. Kein Wun­der also, dass sich dort nur Wörter aus dem Englis­chen ein­find­en. Das ist ja fast so toll wie diese Sta­tis­tik: “Annäh­ernd 100% aller Haus­frauen sind weiblich.”

    Antworten
  3. Carsten B.

    Inter­es­san­ter­weise enthält die von Her­rn Dr. Klat­te so uneigen­nützig bere­it­gestellte Liste auch einige Orts- und Per­so­nen­na­men: Shan­non, Shaw, Sheffield, Shel­ley. Was jet­zt — sind für den VDS also auch schon harm­lose englis­che Namen böse und sprachzersetzend?!

    Antworten
    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Carsten: auch wenn ich glaube, dass diese hier keine Rolle spie­len, ist es tat­säch­lich oft so, dass VDS-Orts­grup­pen sich gerne darüber mock­ieren, wenn in Gren­zge­bi­eten die „deutsche“ Schreib­weise auf Hin­weiss­childern ersetzt/gestrichen/ergänzt wird. Mir ist da so ein Aufreger um „Liège“ irgend­wo im Dreilän­dereck in Erin­nerung, weil „Lüt­tich“ von den Schildern gestrichen wurde. Für dieses Mal hab ich mich schon gefragt, auf welch­er Grund­lage Klat­te diese 40 oder so Wörter aus den 114 möglichen aus­gewählt hat.

      Antworten
  4. mawa

    »gehoben-lit­er­arische Philoso­phie« – bitte brin­gen Sie den guten Namen der Philoso­phie nicht durch Erwäh­nung in einem Atemzug mit dem VDS in Verruf!

    Antworten
  5. Statistiker

    @ Susanne: Ja, genau das ist wider­lich. Dieser Club älter­er, weißer, reich­er Män­ner erhält eine Aufmerk­samkeit, die ihn nicht gebührt. 

    Schade drum.….. mach weit­er so, auch wen die reicehn, älteren, weißen Män­ner was anderes sagen.…

    Antworten
  6. peer

    @Casten: Natür­lich, jet­zt wo man Bejing statt Peking, Mum­bai statt Bom­bay oder Chem­nitz statt Karl-Marx-Stadt sagen muss, ver­schwinden immer mehr urdeutsche Namen zugun­sten von aus­ländis­chen Sprachimporten!
    😉

    Antworten
  7. Brian O'Brien

    Es stimmt und ist sehr betrübich: Die meis­ten Wörter, die mit ¨SH¨ anfan­gen, sind eigentlich englisch und haben sich hin­ter­rücks in unser treues Duden einge­mogelt. Oben­drein sind die meis­ten Wörter, die ein ¨GN¨ enthal­ten, franzö­sisch durch­set­zt. Unerhört!
    Aber unser ¨Ü¨ bleibt unser, und damit im Schilde wer­den wir die Wörter­büch­er dieser frem­den, aus­ländis­chen Sprachen im Sturm erobern! Keine Über­legung ist uns dabei zu über­mütig, unsere Überzeu­gung wird dabei von keinem der üblichen Über­drüsslin­gen über- oder gar unter­hört, kein Über­vater kann unser Über­flug überwachen, ünd über­haupt. Üsch habe gesprochen!
    Hülfe, die Türken ste­hen vor den Toren der Stadt! Sü schüßen mit den Üs auf üns zurück! Oh! Wo bleibt der VDS wenn man ihn braücht. Hüüülfe!

    Antworten
  8. gnaddrig

    Herr O’Brien, mit der Attitüde wird das aber nix! Das deutsche ü ist doch nur eine typografis­che (warum schreibt man das eigentlich mit dem grüchis­chen Ü‑Surrogat Üpsilon?) Kuriosität, und es ist auch längst schon Ziel fremd­sprach­lich­er, dies­mal welsch­er, Infültrierung:

    Der Desertör wird von Kürassieren füsiliert.

    Antworten
  9. Susanne

    Es ist immer wieder erstaunlich, dass bei dieser ganzen Diskus­sion meist außer acht gelassen wird, dass das Deutsche im Laufe sein­er jahrhun­derte­lan­gen Entwick­lung immer wieder Wörter aus anderen Sprachen aufgenom­men hat. Manch­mal frage ich mich, ob man sich im Mit­te­lal­ter auch darüber aufgeregt hat. Dann hät­ten wir manche unser­er schö­nen “deutschen” Wörter wahrschein­lich gar nicht…

    Antworten
  10. gnaddrig

    @Susanne: Unsere schöne deutsche Sprache ist ihrer­seits ja auch nur das Ergeb­nis der Degen­er­a­tion ein­er “guten alten richti­gen” Sprache. Immer­hin ist sie nicht aus dem Nichts gewach­sen, son­dern nur ein Urenkel ein­er von allen möglichen Leuten auf ver­schieden­ste Art ver­wursteten indoger­man­is­chen Ursprache und war selb­st also irgend­wann auch mal “so niveaulos­er neu­modis­ch­er Schnickschnack”, über den damals bes­timmt jemand gemotzt hat.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.