Wenn man sich die fast wöchentlich hochkochenden Diskussionen um politisch korrekte Sprache betrachtet, bekommt man schnell das Gefühl, der Deutschen heiligste Kulturgüter seien Schnitzel mit Paprika-Zwiebel-Soße, aufgeschäumter Zucker mit Schokoladenüberzug und schwedische Kinderbücher aus den vierziger Jahren in ihrer deutschen Übersetzung aus den fünfziger Jahren. Die ersten zwei dieser Dinge dürfen keinesfalls ihre „althergebrachten“ Namen ändern, das dritte darf keinesfalls sprachlich überarbeitet werden, denn das würde ja den Originaltext… äh, die Originalübersetzung… ach, egal, wir haben über Pippi Langstrumpf im Sprachlog so ziemlich alles gesagt, was zu sagen ist. Heute soll es um das Schnitzel gehen.
[Hinweis: Der folgende Text enthält Beispiele rassistischer Sprache.]
Der Stein des Anstoßes ist dabei nicht, wie vielleicht zunächst zu vermuten wäre, die Rezeptur, bei der (je nach Sichtweise) ein leckeres Schnitzel durch eine Soße aus verkochten Paprika und Zwiebeln verdorben wird oder eine leckere Soße aus Paprika und Zwiebeln durch ein trockenes Stück Schweinefleisch ungenießbar gemacht wird. Nein, es geht um den Namen, den diese kulinarische Monstrosität trägt: Zigeuner-Schnitzel. Dieser Name, so meldete vor einigen Tagen die hannoversche Tageszeitung Neue Presse (hinter einer Bezahlwand), müsse womöglich von den Speisekarten der Gastronomen in der niedersächsischen Hauptstadt verschwinden, weil das örtliche „Forum für Sinti und Roma“ die Abschaffung dieser Bezeichnung fordere. Tatsächlich hatte der Verein die Hersteller von Zigeunersoße aufgefordert, ihr Produkt umzubenennen, aber wie schon beim Veggie-Day war die Angst vor Fleischverlust in der Bevölkerung so groß, dass die vorhersehbare Empörung sich hauptsächlich auf das Schnitzel richtete.
Das habe schließlich schon immer so geheißen, sagten die einen. Sie hätten nichts gegen Zigeuner und deshalb sei der Name nicht weiter schlimm, sagten die anderen. Sogar der Vize-Vorsitzende des Zentralrats für Sinti und Roma wünsche sich, man würde sich um „Dringenderes kümmern“, reißen wieder andere ein entsprechendes Zitat aus dem Kontext.
Dann nehmen wir uns diese Punkte kurz vor (Grundsätzlicheres zum Begriff Zigeuner kann ich hier nicht sagen, das Thema ist zu komplex und braucht eine eigene Diskussion).
Hat das Zigeuner-Schnitzel schon immer so geheißen? Wenigstens so lange, dass es völlig lächerlich wäre, diese ehrwürdige Tradition zu beenden und das Gericht mit dem politisch (und vor allem kulinarisch) korrekten Ausdruck „Paprikaschnitzel“ zu bezeichnen?
Die kurze Antwort ist „Nein“. Die lange geht so: Das Zigeunerschnitzel, so vermutet die Wikipedia im gleichnamigen Eintrag, entstand
…vermutlich zur Zeit des Kaisertums Österreich oder der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Österreich. Damals begann Paprika – ausgehend von Ungarn – in der westeuropäischen Küche populär zu werden.
Eine plausible Vermutung. Allerdings findet die eine Suche in Google Books keine Treffer für [“Zigeunerschnitzel” OR “Zigeuner-Schnitzel” OR “Cigeunerschnitzel” OR “Cigeuner-Schnitzel”] vor 1957, wo es im „Lexikon der Küche: gekürzte Kochanweisungen, fachgewerbliche Angaben, Ratschläge usw. über Weine, Getränke, Servieren“ steht (leider nur in der Snippet-Ansicht verfügbar). Auch die [“Zigeunersoße” OR “Zigeuner-Soße” OR “Cigeunersoße” OR “Cigeuner-Soße” OR “Zigeunersauce” OR “Zigeuner-Sauce” OR “Cigeunersauce” OR “Cigeuner-Sauce”] taucht erstmals in diesem Kochbuch auf.
Gab es das Rezept vorher nicht? Ich fand den Wikipedia-Eintrag so plausibel, dass ich das nicht glauben mochte. Also suchte ich im 19. Jahrhundert nach [schnitzel paprika OR paprica] und siehe da, das Rezept existiert tatsächlich. Aber wie nannte man es, wenn es nicht Zigeuner-Schnitzel hieß? Sie werden es nicht glauben: Diese politisch korrekten Gutmenschen des 19. Jahrhundert nannten das Gericht doch tatsächlich… Paprika-Schnitzel.
Also ist wohl Folgendes passiert: In den selbstzufriedenen fünfziger Jahren des Wirtschaftswunders hatten die (West-)Deutschen ihre jüngere Vergangenheit ausreichend verdrängt, um wieder etwas Exotik in ihre Küche zu bringen. Der Völkermord an den Sinti und Roma war vergessen (er war ja auch schon zehn Jahre her), und die fiktive Romantik des „Zigeunerlebens“ konnte wiederbelebt und auf das Paprikaschnitzel projiziert werden. Dass die Sinti und Roma weder mit Paprika, noch mit Schnitzel besonders viel zu tun hatten, spielte dabei keine Rolle: Österreich-Ungarische Monarchie, fahrendes Volk, ist doch alles dasselbe – feurige dunkle Menschen aus dem Süden, halt.
Und damit zum zweiten Punkt: Ist es schlimm, dass das Schnitzel (und die Soße) das Wort Zigeuner im Namen tragen?
Die kurze Antwort ist „Ja“. Die lange geht so: Eine Gruppe von Menschen unterschiedlicher Ethnien, die jahrhundertelang verachtet und verfolgt und dann von deutschen Nationalsozialisten systematisch in Vernichtungslagern ermordet wurde, eignet sich nicht dazu, einem österreichischen Gericht einen exotischen Anstrich zu geben. Und zwar unabhängig davon, ob man dazu das in sich schon problematische Wort Zigeuner oder irgendein anderes Wort verwendet. Dass das die Deutschen in den fünfziger Jahren nicht erkennen konnten, verwundert angesichts der spektakulären Verdrängungsarbeit, die sie kollektiv geleistet haben, vielleicht nur am Rande. Dass die Deutschen im Jahr 2013 es immer noch nicht erkennen können, ist zutiefst schockierend.
Und zuletzt: Aber wenn doch selbst der Vize-Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma sagt, dass es Dringenderes gibt? Naja, er sagt eigentlich etwas mehr. Lesen Sie es selbst, ich verlinke es gerne noch einmal.
Und bitte, bitte, liebe Mit-Deutsche: Hört endlich auf, eure imaginären Sprachtraditionen über das Empfinden von tatsächlichen Menschen zu stellen. Denn das kann sich niemand erlauben, aber wir schon gar nicht.
[Hinweis: Die Kommentare enthalten Beispiele teilweise extrem rassistischer Sprache. Ich habe versucht, bei der Bewertung dessen, was ich freischalte, relativ viel Freiraum zu gewähren, da ich die Kommentare für lehrreich halte (trotzdem habe ich etwa zwei Drittel der bisher eingehenden Kommentare gelöscht bzw. nicht freigeschaltet). Achten Sie bitte darauf, beim Kommentieren zu überlegen, welche Wörter wirklich genannt werden müssen und wo darauf verzichtet werden kann. An extremen Stellen habe ich Passagen geschwärzt und werde das auch weiter tun, wenn unter den freigeschalteten Kommentaren welche sind, die Ihnen als Leser/in zu extrem sind, lassen Sie es mich bitte wissen (einfach per Kommentar), dann schwärze ich auch die. Auch weiterhin werde ich natürlich keine Kommentare freischalten, deren einziger Zweck darin besteht, menschenfeindliche Sprache zu verwenden oder menschenfeindliche Aussagen zu machen.]
Danke, ich habe gehofft, dass genau diese Dinge gesagt werden.
Leider lesen solche Beiträge wahrscheinlich genau die Leute NICHT, die es immer noch blödsinnig finden, Schaumkuss sagen zu müssen und über das erlaubte Diskriminierungsempfinden anderer bestimmen zu können glauben.
Das Argument im allerletzten Absatz würde ich mir deshalb zukünftig weiter vorne wünschen, vielleicht wäre es ganz allein für sich mal einen Beitrag wert.
Es ist ja auch keineswegs nur der “Zigeuner”-Bestandteil, den man als beleidigend empfinden kann.
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=1D_RJB_hv8A]
Demnach wurde das Paprika-Schnitzel also in den 50ern in Zigeuner-Schnitzel umbenannt. Warum? Was ist der Grund/Anlass dafür? Die Nazi-Zeit kann es ja eher nicht gewesen sein, denn über die wollte man in den 50ern lieber nicht so laut sprechen.
Das wäre doch durchaus ein interessantes Sujet für die Sprachforschung.
Würde das Schntzel Juden-Schnitzel heissen, wäre die Empörung groß, beim Türken-Schnitzel gäb es längst einen diplomatischen Disput usw. — doch immer da wo keine Lobby ist, herrscht der Gleichmut der Gedankenlosigkeit
Pingback: Wem gehört die Sprache – über politisch korrekten Sprachgebrauch | Warum alles auch ganz anders sein könnte.
Toller Eintrag. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell sich Menschen in ihrem diskriminierenden Sprachgebrauch diskriminiert fühlen und mit welcher Empörung sie dann reagieren, die sie wiederum tatsächlich diskriminierten Menschen nicht zugestehen. Seltsame Verdrehung, das.
Entschuldigung, Herr Stefanowitsch, aber kann es sein, dass Sie mit Ihrem Beitrag hier gerade selbst so etwas wie Sprachnörgelei betreiben, die Sie sonst immer so harsch kritisieren?
Das “Zigeunerschnitzel” heißt seit mehr als einem halben Jahrhundert so. Warum sollte man das ändern? Ich kann auch nicht verstehen, warum man einerseits das Wort “Zigeuner” ächten will, sich andererseits aber die Domains zigeuner.de oder zigo.de reserviert.
http://zigo.de/01_zigo-projekt.htm
Was will man denn nun? Den Begriff “Zigeuner” selbstbewusst als Geusenwort annehmen, so wie dies Schwule, Lesben, Nigger und Krüppel tun oder den Begriff ablehnen? Irgendetwas in der Mitte, das geht nun wirklich nicht!
http://de.wikipedia.org/wiki/Geusenwort
[Hinweis von A.S.: Passage wegen rassistischer und behindertenfeindlicher Sprache geschwärzt. Zum Lesen auswählen und kopieren.]
@ Gernot Back: Den Unterschied zwischen einer Forderung nach nicht-diskriminierender Sprache und Sprachnörgelei haben wir hier im Sprachlog mehrfach diskutiert, zum Beispiel hier und hier.
Warum man den Namen des Zigeunerschnitzels ändern sollte, habe ich in meinem Beitrag doch eigentlich sehr klar gemacht.
Was das „Geusenwort“ betrifft – falls Sie keiner der Ethnien angehören, die mit dem Begriff „Zigeuner“ bezeichnet wurden und werden, so können Sie ganz sicher nichts „selbstbewusst annehmen“. Falls sie doch einer der Ethnien angehören, können Sie es versuchen (wie es einige Gruppierungen innerhalb der Sinti und Roma übrigens auch tun). Wer nicht zu einer Gruppe gehört, kann aber keinesfalls einfach so ein entsprechendes Wort verwenden (so, wie Sie es in der von mir geschwärzten Passage tun).
Aber nichts davon hat irgendetwas mit dem hier diskutierten Schnitzel zu tun. Wie ich in meinem Beitrag schreibe, ist die Art der Benennung an sich, unabhängig vom verwendeten Wort, höchst problematisch.
Word. Punkt.
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Toller Beitrag. Danke! Ich wünschte, die großen Medien würden auch so gut recherchieren, bevor sie den Mob mit rassistischen Diskriminierungen zu füttern.
Der Ursprung der “Debatte” scheint mir doch um das Wort “Zigeunersauce” zu gehen. Dies dürfte der ursprüngliche NP-Artikel sein (keine Paywall): http://www.neuepresse.de/Hannover/Meine-Stadt/Muss-die-Zigeunersauce-bald-raus-aus-den-Regalen
Und vermutlich liegt da auch sprachgeschichtlich der Hase in der Paprika: Des Meisterkochs Escoffier Kochbuch soll 1903 das Rezept für “Côte de veau Zingara” enthalten haben, die englische Ausgabe von 1907 beschreibt die Zubereitung dieses Gerichts mit “Zingara sauce” (Digitalisat), deren Herstellung ebenfalls beschrieben wird. “Côte de veau Zingara” ist wörtlich “Kalbskotelett Zigeuner(art)”, und tatsächlich schlägt die Wikipedia vor, “Zigeunersauce” vorzugsweise zu Kalbskotelett zu servieren. Ich behaupte mal, dass dies der Ahnherr des “Zigeunerschnitzels” (oder sein französischer Bruder) ist, von dem in dem genannten Wikipedia-Artikel die Rede ist.
Dass die “Zigeunersauce” über 100 Jahre alt ist, behauptet auch der Geschäftsführer des Verbands der Hersteller kulinarischer Lebensmittel e.V. in der SZ: http://www.sueddeutsche.de/panorama/aerger-um-zigeunersauce-nicht-nur-eine-geschmacksfrage‑1.1746510 Die Geschmacksrichtung der Sauce ist demnach “ungarisch”. Von der von Escoffier beschriebenen Sauce (und dem Kalbskotelett) unterscheidet sich das, was heute so serviert (oder in Flaschen verkauft) wird, aber ziemlich deutlich. Nur der Verweis auf “Zigeuner”, der ist gleich geblieben
@ Erbloggtes:
Auf einen möglichen Zusammenhang mit „Sauce Zingara“ weist ja auch der Wikipedia-Eintrag zur Zigeunersoße hin und es ist möglich, dass dieses Gericht, oder eins der vielen anderen, die im französischen (und englischen) Sprachraum das Wort Zingara im Namen trugen, eine Inspiration für die Benennung des „Zigeunerschnitzels“ in den 1950er Jahren war. Eine direkte Abstammung sehe ich schon bei der Soße nicht: Das Rezept im verlinkten „Guide culinaire“ von Auguste Escoffier unterscheidet sich (wie du sagst) sehr deutlich von dem, was heute als „Zigeunersoße“ bezeichnet wird – es enthält nämlich gar keine Paprika:
Eine ähnliche Rezeptur legt dieser Eintrag in einem deutschsprachigen Kochbuch von 1910 nahe (die einzige deutschprachige Verwendung aus dieser Zeit, die ich bin jetzt finden konnte:
Sprachlogleserin @A_Christofiori, die gestern Abend in alten Kochbüchern und Speisekarten recherchiert hat, hat mich außerdem per Twitter auf ein Gericht „Kalbskoteletten, Zigeuner Art“ auf einer Speisekarte von 1910 hingewiesen. Eine Rezeptur fehlt dort, aber es dürfte sich etwas wie die bei Escoffier beschriebene Soße handeln; in einem Wiener Kochbuch von 1931 hat sie sogar ein Rezept für „Zigeunersauce“ gefunden, das allerdings noch weniger mit der heutigen Soße oder dem Schnitzel zu tun hat (es enthält nicht nur keine Paprika, sondern nicht einmal Tomaten, stattdessen aber Semmelbröseln).
Eine frühe Erwähnung einer post-1950er Rezeptur findet sich in einer Ausgabe des National Geographic von 1965, in der es heißt:
Die hier als Magyar („ungarisch“) bezeichnete Soße hat jetzt Tomaten und vor allem die entscheidenden Paprika – und außerdem Bohnen, die eigentlich nichts darin zu suchen haben. Die erste Erwähnung der heutigen Rezeptur (die auch gleich zur Zubereitung des entsprechenden Schnitzels empfohlen wird) bei Google Books findet sich in einer BUNTE von 1980 (leider nur in Snippet-Ansicht und ohne vollständige bibliografische Daten)
Die heutige Soße und das Schnitzel sind also nicht mit der Sauce Zingara verwandt; bezüglich der Paprika/Zwiebel-Mischung ähnelt die heutige Rezeptur eben eher dem im Beitrag erwähnten Paprikaschnitzel, (ein noch relativ entfernt verwandtes Rezept von 1851 findet sich hier und ein schon enger verwandtes Wiener Rezept von 1922 hat @A_Christofiori hier gefunden).
Was dort fehlt sind vor allem die Champignons (die sich in dem Kochbuch von 1851 in einem Rezept für „Kräuterschnitzel“ finden, das bis auf die Zungenstückchen wie eine bescheidene Version des Escoffier-Rezepts klingt). Außerdem enthalten die Rezepte Rahm, der sich beim „Zigeunerschnitzel“ aber auch manchmal findet (z.B. hier, wo die Rezeptur als „piquant paprika, mushroom, and sour cream sauce“ charakterisiert wird.
Dieser kulinarische Exkurs hat vielleicht Appetit gemacht. Er zeigt auch, dass auch die die Geschichte der umstrittenen Soße komplexer ist, als die Soßenhersteller das gerne möchten und das keine Tradition besteht, die die Namensgebung der 1950er Jahre gerechtfertigt hätte (selbst wenn wir so tun, als ob eine solche Tradition die Namensgebung überhaupt rechtfertigen könnte).
@AS: Fullstop. Sehr nette Herleitung und Conclusio, aber das Schwärzen von Kommentaren ist echt großartig, ich lache immer noch hart. ^^ Ich hoffe das macht Schule.
@Gernot Back: Entschuldigung, Herr Back, aber kann es sein, dass Sie die von Ihnen verlinkten Seiten gar nicht besucht/verstanden haben?
„Wir erwarben die begriffsproblematische Domain http://www.Zigeuner.de, um mit Vorurteilen gegenüber Sinti und Roma aufzuräumen, um einen Beitrag zum interkulturellen Dialog zu leisten.“
Welchen Teil von nicht „selbstbewusst als Geusenwort“ annehmen verstehen Sie daran nicht?
Also ich könnte mir gut vorstellen, dass die Bezeichnung “Zigeunerschnitzel” durch den wirtschaftlichen Aufschwung in den 1950/60er Jahren und der aufkommenden Reisefreude nach Italien so entstanden ist. Viele kehrten in österreichischen Gaststätten auf ihrem Weg nach Italien ein und wollten schnell und einfach essen. Da sich die Deutschen in den Jahren selber wie ein “fahrendes Volk” verhielten, wäre hier eine logische Erklärung für diese Wortschöpfung.
Persönlich empfinde ich das Wort “Zigeuner” nicht abwerten, ganz im Gegenteil, denn für mich steht das Wort für Freie ungebundene naturverbundene Menschen, auch wenn die meisten heute nicht mehr so leben.
Aber das ist ja nur meine Meinung.
Ich habe aber auch nichts dagegen, wenn man aus “Zigeunerschnitzel” einfach ein “Schnitzel Ungarischer Art” macht. Hört sich auch viel eleganter an.
Doch eins frage ich mich nun so neben bei, werden demnächst die Wiener-Würstchen oder Frankfurter, Thüringer-Mett/Bratwurst und so weiter auch geändert werden? Wäre sehr schade wenn wir unsere Sprache noch mehr verfälschen, denn ich glaube nicht, dass die Begriffe und Bezeichnung heute im negativen Sinn von normal denkenden Menschen gebraucht werden.
Idioten wird es immer geben, die Wörter/Bezeichnungen/Begriffe für ihre Propaganda missbrauchen! Hier ist es unsere Pflicht die Jugend aufzuklären da sie empfänglich dafür und ein Missbrauch vorprogrammiert ist.
Für ein besseres Miteinander!
Euer Lukaz
@Lukaz, Auch für Sie noch einmal: Wenn Sie zu keiner der herkömmlich als „Zigeuner“ bezeichneten Gruppen gehören, spielt es schlicht keine Rolle, ob sie das Wort „persönlich“ als abwertend empfinden oder ob sie stereotype Vorstellungen von „freien, ungebundenen, naturverbundenen“ Menschen damit verknüpfen. Dass Sie dieses Stereotyp als positiv empfinden, macht es dann nicht weniger rassistisch.
Ich schalte Ihren Kommentar aber überhaupt nur frei, weil Sie einen Punkt aufwerfen, den ich hier noch kommentieren will, weil er auch in der öffentlichen Diskussion immer wieder angebracht wird: Die Wiener Würstchen, Frankfurter, Thüringer Bratwurst usw. Diese haben mit der hier diskutierten Frage aus drei Gründen nichts zu tun: Erstens verwenden sie geographische Namen zur Bezeichnung, und nicht Namen für Menschengruppen (wir reden nicht von Ösiwürstchen, oder Ossibratwurst). Zweitens geben diese geographischen Namen schlicht die Herkunft des Gerichts an, statt auf stereotypen Assoziationen zu beruhen. Drittens sind diese geographischen Namen nicht abwertend, und die Menschen, die in diesen Regionen leben, sind keine verfolgten, diskriminierten und rassistisch stereotypisierten Minderheiten.
Vage kann ich mich noch an jene Zeit erinnern, wo brave Familienväter, die zwanzig Jahre zuvor noch als KZ-Aufseher klaglos funktionierten, sich das Bild einer ‘rassigen Zigeunerin’ mit prallen Möpsen übers Ehebett hingen. Wohl mangels Viagra als Anregung fürs triste Eheleben gedacht.
Der Begriff ‘Zigeuner’ leitet sich meines Wissens von ‘Zigan’, ‘Zigani’, ‘Zingaro’ usw. ab, ursprünglich eine Bezeichnung für irgendeine deviante christliche Sekte im frühen Mittelalter. Daraus wurde später dann z.B. auch ‘Gitanes’, eine französische Zigarettenmarke, beliebt in linken Kreisen (nur echt, mit tanzender ‘Zigeunerin’ auf der Packung). Aber auch in der Klassik und Romantik war der Begriff noch ganz ohne negative Konnotationen präsent (s. ‘Mignon’ und anderswo).
Worauf ich hinauswill: Erst die Nazis und die Rassisten im ideologischen Vorfeld haben den Begriff dann derart negativ ‘kontaminiert’. Damit aber, dass es nach Auschwitz keine ‘Zigeunerschnitzel’ mehr geben soll, kann ich trotzdem gut leben. ‘Sinti- und Roma-Schnitzel’ wären allerdings auch keine Lösung.
Die Empörung ist verwunderlich, da ja mit Paprikaschnitzel eine Alternative vorliegt, die völlig natürlich ist und auch nichjt lächerlich klingt oder so.
Schaumküsse oder Schokoküsse als Bezeichnung setzen sich auch immer weiter druch — ich hätte das niemals für möglich gehalten, so verwurzelt war das andere Wort bei mir udn meiner Umgebung. Wenn das mit dem Paprikaschnitzel ähnlich läuft, wundern wir uns in zehn Jahren über diese Empörung
(außer den Ewiggestrigen, die auch immer noch “Neger” sagen wollen, weil sonst die deutsche Kultur untergeht. Aber Extremisten kann man eh nicht überzeugen)
@Lukaz: „Persönlich empfinde ich das Wort “N—–” nicht abwerten [sic!], ganz im Gegenteil, denn für mich steht das Wort für Freie ungebundene naturverbundene Menschen, auch wenn die meisten heute nicht mehr so leben.
Aber das ist ja nur meine Meinung.“
Ja, genau, das ist deine Meinung.
Und, ich muss es dir hier sagen: wir werden alles erdenkliche tun, um dir deine Sprache des „normal denkenden“ Menschen weiter zu verfälschen. Wir werden wie verrückt weiter daran arbeiten, um deine Sprache von Idiotismen wie denen, die deine Jugend missbraucht haben, zu befreien. You’re welcome (in Normsprech: „Du bist willkommen“).
@Klaus Jarchow: Ein Blick auf dieses Wikipedia, von dem ja jetzt alle neuerdings reden, hätte gereicht um dir klarzumachen, dass der Begriff auch schon vor dem dritten Reich „kontaminiert“ war… Aber… „Sinti- und Roma-Schnitzel“ fordert auch gar niemand… Aber…
Zum Z‑Wort siehe auch: http://www.s‑u-bart.de/texte/sprechen-sie-die-mal-an
Bin ich der einzige, der für Paprikaschnitzel und für Zigeunerschnitzel verschiedene Rezepte verwendet?
Ich kenne Paprikaschnitzel als Schnitzel mit passierter, sehr scharfer Paprikasoße. Zigeunerschnitzel ‑heutzutage in Speisekarten eher als “Schnitzel nach Zigeunerart” bezeichnet — sind dagegen mit einer Mischung aus vornehmlich scharfen Gemüseteilen belegt. Im Englischen nennt man das Zeugs, soweit mir bekannt ist, auch “Bavarian Salad”.
@ Gerald Fix: Die Frage der Rezepte (so wenig sie hier eine Rolle spielt) wird doch in den Kommentaren von Erbloggtes und mir weiter oben ausführlich diskutiert. Der Hinweis mit dem Bavarian Salad ist interessant, dem müsste man mal nachgehen; vielleicht könnte man das Schnitzel am Ende „Bayrisches Schnitzel“ nennen.
Ich bin es aus Kindertagen gewöhnt “Mohrenkopf” zu sagen. Wenn ich den Begriff höre denke ich an eine mit Schokolade überzogene Süßspeise und nicht etwa an irgendwelche Vorurteile. Ich finde es richtig auf Verpackungen “Schaumkuss” zu schreiben (der political correctness wegen), aber nur weil ich “Mohrenkopf” sage macht mich das doch nicht zum Rassist. (Oder warum etwa doch?)
Die Frage die ich mir bei der Diskussion stelle: Welchen echten Vorteil hätten Sinti und Roma davon, wenn es “Papkrikaschnitzel” hieße? Die herrschenden Vorurteile kommen doch aus einer ganz anderen Richtung (etwa allgemeine Vorurteile gegen Osteurpäer). Ich bitte um
@ Ich: Was die Schaumküsse betrifft: Spätestens wenn jemand darauf besteht, das von Ihnen erwähnte Wort weiter zu verwenden, nachdem man ihn oder sie darauf hingewiesen hat, dass und warum es problematisch ist, wäre diese Person rassistisch (das Wort ist es sowieso, egal, ob es mit Absicht oder aus Gedankenlosigkeit verwendet wird). Ich empfehle in diesem Zusammenhang dringlich und aus tiefstem Herzen Noah Sows exzellentes Buch Deutschland Schwarz-Weiß. Wer sich auf die Lektüre einlässt (woran viele weißen Deutsche erfahrungsgemäß scheitern), sieht die Welt danach sehr viel klarer.
Was die Vorteile für Sinti, Roma und andere unter dem fraglichen Begriff zusammengefasste Menschen betrifft: Da wäre zunächst der, weniger rassistische Sprache aushalten zu müssen. Schwer zu verstehen, wenn man nicht selbst solcher Sprache ausgesetzt ist, aber ein absolut realer Vorteil. Und vor allem einer, der ganz leicht und schnell zu bewerkstelligen ist: Er kostet weder Geld noch Zeit. Einfach aufhören, das Wort zu benutzen, und schon ist mehr Zeit um sich um andere Probleme zu kümmern.
@ ayn_rant: Ich habe deswegen ja auch von einem ‘rassistischen Vorfeld’ geschrieben. Unscharf formuliert begann die Aufladung solcher Wörter mit abwertenden Konnotationen in der Kolonialzeit, wo die modische Rassekunde die Argumente für die Last der ‘white man’s burden’ liefern musste, die der brave Eurasier aus purer Philanthropie jetzt zu schleppen begann …
Existieren Zigeuner?
@A.S. 08:44: Danke für die Recherchen! Ich widerspreche mal in dem Punkt, dass die Sauce Zingara (1907) nicht mit der heutigen Zigeunersauce verwandt wäre, weil die Paprika fehlten. Man kann ja nicht sagen, dass eine Zutat die Essenz eines Gerichts ausmache.
Vielmehr zeigen die vielen verschiedenen Varianten, die als Essen “Zigeuner-Art” bezeichnet wurden, dass es keine Tradition gibt, sondern dass Benennungen von Produkten gewählt werden, um immer konkret mit den beabsichtigten Kunden zu kommunizieren. So sagt auch der Saucenherstellerverbandschef gegenüber der SZ, dass die Kunden mit “Zigeuner”-Sauce eine Geschmackserwartung verbinden (und — könnte man aufgrund der “Zigeuner”-Romantik ergänzen — ein phantastisches Gegenbild von ihrer trostlosen Alltagsexistenz).
Das irgendein Essen “traditionell” sei ist ebenso eine Fiktion, wie dass es einen bestimmten Namen tragen müsse. (Bavarian Salad kommt bestimmt aus der Zeit, als Otto die ungarischen Reiterhorden auf dem Lechfeld besiegte. 1000 Jahre vor der Sauce.)
Wichtig zu unterscheiden: “Zigeuner” kann eine (fiktive) ethn. Gruppe bezeichnen (@Sven Türpe: Nein.) oder eine soziale Gruppe, deren Existenz als besonders deviant stigmatisiert wird, oder ein Phantasma. Letzterem würde ich die Sauce zuordnen. Wegen dieser Bedeutungen und ihrer Verwirrung eignet er sich nicht, um damit echte Menschen zu bezeichnen. Und Saucen auch nicht.
Nach einer schnellen Spontanrecherche:
Die Bezeichnung Zigeunerschnitzel (Cutlets a la Zingara) findet man bereits in einem Kochbuch von Charles Elmé Francatelli aus dem Jahr 1846. Das ist 110 Jahre vor dem angeblichen ersten Erscheinen des Zigeunerschitzels im bösen rassistischen Deutschland.
Und die Zigeunersauce taucht spätestens ab 1909 (als Sauce zum Zigeuner-Rinderrücken) in einem Kochbuch von Auguste Escoffier auf. Auch damit kommt man den 50ern noch um ein halbes Jahrhundert zuvor.
Manchmal wäre es sinnvoll, in der Kulturgeschichte die Grenzen der eigenen Sprache hinter sich zu lassen, um logische Fehlschlüsse wie diesen Blogpost zu vermeiden.
@sprech.sucht Manchmal wäre es sinnvoll, zu Ende zu lesen, was man kommentiert, und schnelle Spontanrecherchen nicht überzubewerten. Die Cutlets a la Zingara und die dazugehörige Soße diskutiere ich oben in einem langen, eigentlich kaum zu übersehenden Kommentar: Sie haben erstens kulinarisch (also in ihrer Rezeptur) nichts mit dem Zigeunerschnitzel und der dazugehörigen Soße zu tun. Zweitens, und das sollte offensichtlich sein, spielen die Namen französischer Gerichte für die Bewertung deutschen Rassismus nur bedingt eine Rolle.
@Erbloggtes: Es fehlt nicht nur die Paprika, es gibt praktisch keine Gemeinsamkeiten bis auf Dinge, für Soßen allgemein typisch sind. Ich bezweifle deshalb, dass die Sauce Zingara Patin für die Benennung der Zigeunersoße gestanden hat, aber selbst wenn es so wäre, würde das wenig ändern – da die post-1950er Soße der Sauce Zingara nicht stärker ähnelt als irgendeiner anderen Soße, gab es keine Tradition, die die Bezeichnung als „Zigeunersoße“ nahegelegt hätte. Die noch sehr lebendige Tradition des Völkermords hätte aber jedem vernünftigen Menschen nahegelegt, auf diese Namens(neu)schöpfung zu verzichten.
Danke für Ihre Antwort, Herr Stefanowitsch.
Dass es (in Deutschland) alltäglichen Rassismus gibt, den die meisten garnicht bemerken will ich nicht nur abstreiten, ich will dem sogar zustimmen.
Man scheint, so meine Erfahrung, negative Begegnungen mit Menschen, die einer Minderheit angehören nicht als “schlechten Charakter” des anderen zu werten, sondern als “negative Eigenschaft” der Minderheit.
Möglicherweise, weil die Zugehörigkeit zur Minderheit eine auffällige äußere Eigenschaft ist (und bei kurzen Begnungen oft die einzige die hängen bleibt).
Ich sehe das als allgemeines Problem, nicht als eins eines Lades, sondern des Menschens an sich. Daher halte ich es für sinnvoller darüber zu diskutieren als über einzelne Begriffe. Leuten, denen der Alltagsrassismus nicht auffällt, werden sich durch Begriffsdiskussionen eher bestätigt fühlen und die Alltagsrassismusdiskussion als “lächerlich” hinstellen.
Zum OP: Ich finde den von Ihnen gewählten Titel sehr kontraproduktiv. Er nimmt alle Objektivität und die meisten Leser (auch ich) werden sich vorverurteilt fühlen und den Artikel an sich auch aus dieser Perspektive lesen.
Wenn es an einer Lösung gebricht, wo sind die Pusztahendl geblieben? Alle ab den 1970ern aus dem Wienerwald geflattert? Offensichtlich ist das Tertium comparationis die ungarische Küche, die das Klischee vom Zwiebel-Paprika-Glutamat-Mix in den Westen exportiert hat – in den Westen, denn in der DDR gab es für Schnitzel, Spieße, Soßen die inkriminierte Bezeichnung gar nicht. Wir brauchen also keine sekundären Vergewaltigungen wie „Sinti-Soße“ oder „Roma-Schnitzel“, die überdies nicht richtiger und nicht weniger rassistisch wären, der Bezug ist mit der ungarischen Geografie leidlich hergestellt. Schmeckt immer noch scheiße, tut aber keinem weh. Voilà.
Hmmmm, also um 1990 rum hieß es bei uns in der Kantine:
Schnitzel mit
— Rahmsauce
— Pilzsauce
— Pfeffersauce
— PAPRIKASAUCE
Und keiner hat sich dran gestört, dass er kein “Zigeuner”-Schnitzel kriegt. Rassismus, auch sprachlicher Rassismus entsteht erst dann, wenn er einen Nährboden hat.
Entzieht dem Rassismus den Nährboden. Damit hungert man ihn aus!
Sie haben völlig recht, Herr Stefanowitsch, vollkommen recht und haben es auch sehr geistreich dargelegt. Ich wage nicht zu widersprechen.
Aber zwei Fragen, die mir spontan kamen: Was machen wir mit dem Bauernfrühstück ?
Und kann irgendeine Nation außerhalb Deutschlands (die Skandinavier, mit denen ich über die dänischen Vorfahren verbunden bin, ausgenommen) mich eindeutig benennen: Denn ich fühle mich weder als Germane (gottbewahr!) noch als Alemanne (unverständlicher Dialekt). Aber das sind bestimmt Empfindlichkeiten, die an anderer Stelle diskutiert werden müssen.
Einstweilen herzlichen Dank für das anregende Nachdenken
Pingback: Pustaschnitzel | Ingo Buth
Das Wort “Zigeuner” kommt wohl ursprünglich aus dem Byzantinischen und bedeutet “Dreck”. Kann man sich hier anhören: http://www.youtube.com/watch?v=fZTLKYVVH_0
@ich: Wie soll eine allgemeine Diskussion über Alltagsrassismus aussehen, wenn man seine alltäglichen Erscheinungsformen besser unerwähnt läßt?
Ich stimme dem Artikel in seiner Grundaussage zu: Die Bezeichnungen der angesprochenen Lebensmittel gehören schon aus pädagogischen Gründen sämtlich auf den Müll — völlig unabhängig davon, seit wann sie nun genau im Umlauf sind und ob etwa der Zigeunerbegriff schon vor oder erst ab 1933 in diskriminierender Absicht ge-/missbraucht wurde.
Ich möchte nur kurz auf einen Randaspekt dieses Themas eingehen, den “Zigeuner”-Begriff. Herr Stefanowitsch, Sie schreiben zu Beginn: “Grundsätzlicheres zum Begriff Zigeuner kann ich hier nicht sagen, das Thema ist zu komplex und braucht eine eigene Diskussion.” Kurz vor Ende geben Sie diese Zurückhaltung jedoch auf mit der Formulierung: “das in sich schon problematische Wort Zigeuner”.
Genau darin sehe ich den grundsätzlichen Webfehler der gegenwärtigen Zigeuner-Diskussion in Deutschland: Begriffsgeschichte und Diskursgehalt des “Zigeuners” werden mit unbedingten moralischen Positionen gleichgesetzt. Der Begriff “Zigeuner” ist aber nicht “in sich schon problematisch”. Er wird erst in bestimmten Kontexten problematisch.
Ich möchte aufgrund begrenzter Zeichenzahl dazu nur kurz auf die zuletzt leider sehr polemischen Auseinandersetzungen innerhalb der Ethnologie (einzig in Deutschland!) hinweisen. Ich habe eine Zeit lang in Leipzig geforscht und dort miterlebt, wie Vertretern des “tsiganologischen Ansatzes” immer wieder pauschal Rassismus und Revisionismus unterstellt wurde. Wer die Kollegen persönlich kennt, weiß wie absurd der Vorwurf ist!
@Anatol Stefanowitsch.
Natürlich kann ich eine auf mich gemünzte Bezeichnung nicht selbstbewusst annehmen, die mir die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zuweist, mit der ich nichts zu tun habe!
Die Bezeichnung “schwul” für mich abzulehnen, hielte ich jedoch nicht nur für verklemmt, sondern es käme auch einer Entsolidarisierung mit meinen Mitschwulen gleich. Nur durch die Annahme dieses ursprünglichen Schimpfworts als Selbstbezeichnung und durch Verwendung gerade auch im Dialog mit denen, die es immer noch weiter als Schimpfwort verwenden wollten, konnten wir es schließlich umdeuten.
Dass Sie, Herr Stefanowitsch, meinen, in meinem Beitrag den Begriff “schwul” schwärzen zu müssen, stimmt mich da auch nicht gerade glücklich, denn damit betreiben Sie das Geschäft derer, die uns Schwulen die in jahrelangem Kampf erfochtene Deutungshoheit über den Begriff “schwul” wieder entreißen will. Das ist ein viel größeres Ärgernis, als dass der Begriff ursprünglich tatsächlich mal als Beleidigung gedacht war!
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013–02/zweibruecken-kalender-homophobie
Ob sich Roma und Sinti selbst als “Zigeuner” bezeichnen sollten, darüber steht mir in der Tat kein Urteil zu. Wenn Roma und Sinti sich den Schuh aber gar nicht anziehen, steht ihnen umgekehrt auch kein Urteil darüber zu, ob ich mein Schnitzel “Zigeunerschnitzel” nenne. Da könnten Roma und Sinti sich eher über die Operette “Der Zigeunerbaron” aufregen, denn die hat ja tatsächlich einen Bezug zu ihnen.
Ich habe einfach den ganzen Halbsatz geschwärzt, dabei ging es natürlich nicht um das Wort schwul.
Ein interessantes Thema.
Zur Kulinarik ist viel gesagt, und was die Zigeuner-Soße angeht, stimme ich Anatol zu. Es wäre aber tatsächlich interessant, sich dem Begriff Zigeuner noch einmal etwas ausführlicher zu widmen. Es könnte sich eine Parallelität zum ‘Eskimo’ ergeben.
Dass die Wortherkunft nicht mit dem ‘ziehenden Gauner’ zu tun hat, dürfte wohl unstrittig sein.
In einem im Frühjahr erschienen Buch setzt sich Rolf Bauerdick programmatisch für den Begriff ‘Zigeuner’ ein und setzt sich sehr kritisch mit dem Zentralrat der Sinti und Roma außeinander.
Ohne die Quelle noch im Kopf zu haben, habe ich vor einiger Zeit gelesen, dass es auch Stimmen gebe, die den Begriff ‘Sinti und Roma’ abschaffen wollen, da nicht alle Zigeuner Sinti und Roma sind.
Auch hier eine Ähnlichkeit zum Begriff ‘Eskimo’.
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Ich komme leider erst jetzt dazu, meine Hausaufgaben zu machen.
@ Gerald Fix, 17. August 2013 um 10:54: “Im Englischen nennt man das Zeugs, soweit mir bekannt ist, …” Nice try!
Weder die Bildersuche bei google.com nach Bavarian Salad noch bei bing.com hat irgendetwas anderes ergeben als z.B. Bayerischer Wurstsalat, Kartoffelsalat, Gartensalat.
Bei Rezepten für “Bavarian Salad” kam weder bei Google noch bei Bing auf den ersten Seiten etwas, das nach “einer Mischung aus vornehmlich scharfen Gemüseteilen” aussah, stattdessen wieder potato salad, Bavarian platter (sausages, gherkins und so etwas wie Obatzda) und… irgendwelche seltsamen Dinge, die mit Jello, Dream Whip und Wasser zusammengemixt wurden.
Auf mir bekannten Rezeptseiten wie z.B. simplyrecipes.com, bbcgoodfood oder der Rezeptseite vom Guardian, die alle oft und gern bayerische Speisen als deutsche ausgeben, bin ich auf die Schnelle (Bavarian salad site: XYZ) auch nicht fündig geworden.
Um dann ganz sicher zu gehen, habe ich noch bell pepper vegetable pickled garnish gesucht, da kamen Treffer wie Jalapeño, Japanese pickles, Filipino escabeche.
Ich bin vor kurzem umgezogen, daher stecken die meisten meiner ~ 4000 Kochbücher in diversen europäischen Sprachen, das älteste von 1832, noch in Kartons. Im Moment sind andere Dinge wichtiger. Aber: im BEWAG-Kochbuch von 1939, 12. Auflage 1954, gibt es keine Zigeuner, nur Schnitzel mit Zitronenscheiben und Kapern garniert.
@ Ich:
Zwei Punkte: 1. Spätestens sobald sie wissen, dass ein Begriff von der _betroffenen Gruppe_ als beleidigend eingestuft wird, sind Sie bestenfalls naiv und unhöflich, wenn Sie diesen Begriff weiterverwenden.
2. Auch Latenter Rassismus ist Rassismus, und auch aus Ignoranz stammender Rassismus (ist das nicht eine Tautologie?) (siehe 1) ist Rassismus. Es spielt nur eine geringe Rolle, welchen “Intend” Sie hatten, was zählt sind nun einmal Taten, nicht die Gedanken, die Sie hatten/nicht hatten — denn die sind quasi “nichtöffentlich”. Bewertet wird, was aus dem Mund kommt…
Und ja, man kann und man sollte mit solchen Trivilitäten anfangen, denn die lenken den Blick auf das Problem. Gerade die kleinen Dinge zu ändern ist ja leicht…und erst damit wird der Stein ins Rollen gebracht. Solche Veränderungen sind doch schleichend (siehe die Veränderungen in Bezig auf Sexismus, Rassismus, aber auch Umweltbewusstsein, Sicht über die Todesstrafe etc.) und gerade die kleinen Dinge zählen hier.
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Ich finde es eigentlich vollkommen belanglos, ob die Soße nun schon 10, 50 oder 100 Jahre unter diesem Namen in den Rezeptbüchern steht. Die Frage ist doch eher, fühlen sich Roma heutzutage von der Verwendung von Begriffen wie “Zigeuernsoße”, “Zigeunerschnitzel” oder “Zigeunermusik” diskiminiert?
Offensichtlich ja, dann muss man darüber reden, anstelle so etwas lächerlich zu machen.
Nur um das mal klar zu stellen: Bei “Wiener Würstchen” etc. bezieht man sich nicht auf den Ort, wie hier von Stefanowitsch behauptet wird, sondern sehr wohl auf die Bewohner des Städtchens. Das Wiener Würstchen ist das Würstchen der Wiener und nicht Wiens Würstchen. Allerdings ändert das nichts an dem guten Argument, dass das Wort “Wiener” weder eine Beleidigung ist noch sich auf eine Minderheit bezieht.
Ich kann zwar nicht nachvollziehen, wie man sich als Rom oder Romni über so ein dämliches Gericht wie das Zigeunerschnitzel aufregen kann, aber ich stecke ja auch nicht in deren Haut. Außerdem kann es den Leuten doch echt am Arsch vorbeigehen, wie bestimmte Gerichte offiziell genannt werden. Zu Hause kann man sich immer noch ein Paprikaschnitzel kochen und es Zigeunerschnitzel nennen.
Nein. Wiener Würstchen bedeutet nicht „das Würstchen der Wiener“, sondern „das Würstchen aus Wien“, denn wenn Wiener ein vorangestellter Genitiv wäre, müsste es [[der Wiener] Würstchen] heißen (analog zu des Meisterkochs Würstchen). Wiener ist hier aber ein Adjektiv und bezeichnet den Ort, an dem sich etwas befindet oder aus dem es stammt, analog zu Hamburger Hafen, Kölner Dom, Heidelberger Druckmaschinen, Berliner Philharmoniker, Münchner Merkur usw.
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Ich weiß nicht, wie man hier zitiert. Egal.
“Wiener” kann nur ein vorangestellter Genitiv sein, da das Wort an sich schon nicht dekliniert wird. Es ist kein Adjektiv. “Wiener” endet immer auf ‑er und der bestimmte sowie der unbestimmte Artikel machen rein gar nichts mit Wort. Die Wiener Würstchen, der Wiener Würstchen, den Wiener Würstchen.
Außerdem wird das Wort großgeschrieben, was schon darauf hindeuten sollte, dass es kein Adjektiv ist.
Dass es nicht “der Wiener Würstchen” heißt, liegt doch nur daran, dass “Wiener” nun ein erstarrter Genitiv ist und sich verselbständigt hat.
All die von Ihnen aufgelisteten Beispiele (Hamburger Hafen etc.) folgen demselben Prinzip und sind keine Adjektive.
Es stimmt, dass man heutzutage nicht direkt an die Bewohner der Stadt denkt, sondern eher an die Stadt selbst. Aber das liegt ja auch nahe, da alle Bewohner die Stadt repräsentieren.
Sie können aber gerne das Gegenteil beweisen.
Anatols Argument “Nein. Wiener Würstchen bedeutet nicht „das Würstchen der Wiener“, sondern „das Würstchen aus Wien“, denn wenn Wiener ein vorangestellter Genitiv wäre, müsste es [[der Wiener] Würstchen] heißen (analog zu des Meisterkochs Würstchen).” ist valabel. Aaaaaber, vielleicht hat man vor 500, vor 1000, vor 1500 Jahren tatsächlich “[[der Wiener] Würstchen] schmecken fein” statt “die Wiener Würstchen schmecken fein” geschrieben/gesagt. Das dem nicht so ist müsste er für die Würstchen (falls es die schon solange gibt) oder für ähnliche Fälle erst mal mit Quellen belegen, bevor er es ausschliesst. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich “der Wiener Würstchen” zu “die Wiener Würstchen” gewandelt hat so dass es wie ein Adjektiv aussieht, aber ohne Belege ist die eine wie die andere Behauptung reine Spekulation.
Sams Argument der Grossschreibung ist falsch. Bei festen Begriffen schreibt man auch Adjektive gross, wie zB “das Schwarze Brett” oder “Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken”.
Famose Argumente! Daraus folgt, dass ein “Wiener Steuerzahler” jemand ist, der für die Bewohner der Stadt Wien deren Steuerschulden begleicht, also wahrscheinlich ein Schwerreicher aus dem Umland. Oder er bezahlt Steuern nach Art der Wiener, d.h. vielleicht zähneknirschend? Jedenfalls ist es offenbar keiner, der in der Stadt Wien oder an die Stadt Wien Steuern zahlt, denn eine Stadt besteht ja aus ihren Bewohnern.
Richtig, Erbloggtes. Vielleicht gibt es diesen Begriff “Wiener” in adjektivischer Bedeutung noch gar nicht so lange und vorher war es ein reines Substantiv. Vielleicht. Dann wäre ein Ausdruck wie “Wiener Steuerzahler” in dieser Vorzeit ziemlich absurd gewesen und nicht vorgekommen. Wie gesagt braucht man dafür Belege aus früheren Jahrhunderten, um das zu entscheiden. Vielleicht findet sich ja noch jemand, der sie liefern kann.
Wofür ist es noch gleich relevant, seit wann Wiener ein auf Wien verweisendes Adjektiv ist?
Da hier Quellen zum Wortstatus von Wiener gefordert werden, werf ich mal eine in die Runde: hier. Seite 51 besonders, Seite 53 auch noch für Daniel.
Ansonsten müsste man zur Diachronie in Henzen (“Deutsche Wortbildung”) fündig werden, was ich aber grade nicht zur Hand habe.
@ Sam: Es gibt haufenweise Adjektive, die nicht dekliniert werden, Orthografie ist nie ein sprachsystemisches Argument. Wenn Sie sprachwissenschaftliche Argumente für den Status dieser Adjektive als vorangestellte Genitive (oder allgemein als Substantive, die die Bewohner der jeweiligen Stadt bezeichnen) anführen können, tun Sie das gerne, ansonsten ist diese Diskussion wenig sinnvoll. Da Ihre Auffassung der etablierten, durch vielfache Argumente gestützten Standardauffassung der Sprachwissenschaft widerspricht, ist es an Ihnen, hier sehr überzeugende Argumente zu liefern.
@ Daniel: Ob vor 500, 1000 oder 1500 Jahren weiß ich nicht, aber irgendwann in der Vergangenheit hat man mit Sicherheit das Analog zu „der Wiener Würstchen schmecken fein“ gesagt (denn das sagt man ja auch heute noch, wenn es das ist, was man meint). Aus einer solchen Konstruktion könnten die Adjektive, um die es hier geht, ja möglicherweise sogar entstanden sein; das spielt aber keine Rolle, denn heute sind es sowohl semantisch (von ihrer Bedeutung) als auch von ihrem grammatischen Verhalten eindeutig Adjektive, die sich auf den bezeichneten Ort beziehen, und noch eindeutiger keine Genitive, die sich auf die Bewohner der jeweiligen Städte beziehen. Das Beispiel von Erbloggtes zeigt es semantisch – noch deutlicher wird es in Wendungen wie Wiener Bürgerinnen, Hamburger Bevölkerung, Münchner Wählerinnen, Kölner Ureinwohner usw., die überhaupt keinen Sinn ergäben, wenn es sich bei den betreffenden Wörtern um Genitive oder andere auf die Bewohner bezogenen Substantive handeln würde.
@ Kristin: Danke für den Hinweis. Desweiteren könnte man Fleischer/Barz, S. 239f. hinzuziehen, die ein Argument ausführlicher darstellen, das Furhop nur am Rande aufgreift: dass es adjektivische Derivate mit [-er] gibt, denen keine substantivische Bewohnerbezeichnung gegenübersteht (z.B. Teutoburger Wald [auch von Furhop genannt] und Harzer Käse); im Gegenzug gibt es Bewohnerbezeichnungen, denen kein Adjektiv auf [-er] entspricht (z.B. Cherusker); ich würde noch Trojaner anführen: Trojanisches Pferd, nicht *Trojaner Pferd, trojanische Niederlage, nicht *Trojaner Niederlage usw.). Da das Suffix [-er] eigentlich Produktiv ist, ist dies klar ein Präemptionsphänomen – was ein weiterer Beleg für den Adjektivstatus der Ableitungen mit [-er] ist, denn warum sollten Adjektive auf [-isch] die Verwendung eines Genitivs blockieren. (Fleischer/Barz kritisieren auch die Großschreibung dieser Adjektive, aber von Orthografie fangen wir lieber gar nicht an…)
Auch wenn die er-Wörter für Anatol eindeutig Adjektive sind, ist das nicht die einhellige Meinung. Ich zitiere Frau Fuhrhop (2001) (danke dafür an Kristin): “Sowohl die Interpretation als Adjektiv als auch als Substantiv werden in der Literatur vertreten.”
Exemplarisch dokumentiert der Duden diese Uneinigkeit: der RECHTSCHREIB-Duden bezeichnet sie vorsichtigerweise nur als “Wörter”, der GRAMMATIK-Duden als “Ursprünglich ein Substantiv (eigentlich ein Genitiv Plural des betreffenden Einwohnernamens…)… die heute als attributives flexionsloses Adjektiv aufgefasst wird.”
Der ZWEIFELSFÄLLE-Duden meint hingegen: “Es handelt sich hier um Substantive in der Funktion eines vorangestellten Genitivattributs: Münch(e)ner Oktoberfest — Oktoberfest der Münch(e)ner…”
Fuhrhop selbst mag sich auch nicht festlegen und meint nur, dass “wohl mehr Argumente für die Interpretation als Adjektive sprechen, ohne daß es letztendlich entschieden werden kann.” (alle Zitate von oder nach Fuhrhop).
Sams Argument war doch nicht so falsch wie ich gemeint habe (es geht nicht nur um feste Wendungen): Die Grossschreibung widerspiegelt die Auffassung, es sei irgendwie “substantivisch”.
Vielleicht sollten wir die neue Wortart “das Subjektiv” einführen (keine Angst, nur ein Scherz).
@ Daniel: Der Zweifelsfälle-Duden ist kein sprachwissenschaftliches Werk, und Furhop lehnt die dort vertretene Auffassung klar ab (Abs. 2.6.3); diese Auffassung findet sich auch sonst nirgends in der sprachwissenschaftlichen Literatur, was nicht weiter verwunderlich ist, da die gesamte sprachliche Evidenz dagegen spricht. Auch Fleischer, der 1982, wie von Furhop zitiert, noch zwischen einer Analyse als Substantiv in adjektivischer Funktion (also nicht als Genitiv, wie im Zweifelsfälle-Duden) und einer als genuines Adjektiv schwankt, legt sich in der von mir in meinem vorangehenden Kommentar zitierten Neuauflage 1995 kristallklar fest: „Die Formen sind zwar identisch mit den detoponymischen substantivischen Bewohnerbezeichnungen auf ‑er, jedoch funktional davon zu unterscheiden. Das Suffix ‑er ist hier ein Adjektivsuffix, die WBK [Wortbildungskonstruktionen, A.S.] sind Adjektive…“ (Hervorhebungen von mir). Furhops Schlussfolgerungen geben Sie verkürzt und in der Folge falsch wieder: Sie entscheidet sich gleich zu Beginn ihrer Abhandlung dafür, dass die betreffenden Wörter Adjektive sind, und schlägt dementsprechend die Bezeichnung „Stadtadjektive“ vor. Sie fasst ihre Ergebnisse wie folgt zusammen (S. 47): „[E]s finden sich Argumente für und gegen die Interpretation als Adjektiv, und solche gegen die Interpretation als Substantiv, aber letztendlich spricht kein Argument für die Interpretation als Substantiv.“ Sie schließt als aus, dass es sich um Substantive handelt. Die Unsicherheit in der Kategorisierung, die sie in ihrem Fazit anspricht, bezieht sich nicht auf die Frage „Substantiv oder Adjektiv“? Sondern „Adjektiv oder etwas ganz anderes“? Das liegt daran, dass diese Adjektive sich in einigen Punkten ungewöhnlich verhalten; deshalb ist Furhops Lösung einer eigenen Unterklasse von Adjektiven (nochmals: „Stadtadjektive“) hier der richtige Weg. Dass sie sich hier nicht „festlegen mag“, liegt daran, dass Wissenschaftler/innen beim Vorschlagen völlig neuer Kategorien sehr vorsichtig sind.
Die Diskussion hier ist sinnlos. Hier werden Sachen angeführt (Teutoburger Wald und Trojanisches Pferd), die absolut nicht gegen einen erstarrten Genitiv sprechen. Die angeführte Arbeit ist übrigens auch nicht sehr hilfreich.
Ich stelle nur noch folgende Aussagen in den Raum:
Wenn “Wiener” ein Adjektiv sein soll, dann wird es nicht dekliniert, obwohl es leicht zu deklinieren ist (ein heiteres Kind – ein wieneres Würstchen). Alle Adjektive, die nicht dekliniert werden, werden aus zwei Gründen nicht dekliniert: Sie enden auf einen ungünstigen Laut (das stört die Umgangssprache nicht: ein rosanes Kleid) oder sie stammen von einem Substantiv ab (ein klasse Auftritt).
Soll es ein Adjektiv sein, muss “Wiener” somit auch von einem Substantiv kommen. Von welchem? Logischerweise von “Wien”.
Jetzt stellt sich die Frage: Seit wann ist ‑er ein Suffix zur Adjektivierung von Substantiven? Richtig, ist es nicht. ‑er stellt immer nur Substantive her.
Durchgängige Großschreibung von Adjektiven, die mit diesem er-Suffix gebildet wurden?
Diese Stadtadjektive sind wohl die beschränktesten Adjektive von allen: keine Deklination obwohl denkbar, nicht verschiebbar, nicht anderweitig flektierbar, nicht adverbial verwendbar. Eigentlich können die Dinger gar nichts.
Es gibt viele erstarrte Genitiv, die genau demselben Schema folgen, z. B. der Müllersjunge. Zugegebenermaßen werden diese Genitive normalerweise an das nachfolgende Substantiv gehängt.
@ Sam: Die Diskussion ist sinnlos, weil Sie – entschuldigen Sie meine Deutlichkeit – keine Ahnung von der Materie haben. Deshalb wiederholen Sie „Argumente“, deren Nicht-Zutreffen Ihnen bereits erklärt wurde und deshalb verstehen Sie die tatsächlichen Argumente nicht (und finden die „angeführte Arbeit … auch nicht sehr hilfreich“, obwohl diese alle Argumente zusammenfasst, die gegen Ihre durch nichts gestützte Auffassung sprechen). So gerne wir hier im Sprachlog versuchen, komplizierte sprachwissenschaftliche Fragen einfach zu erklären, so ungern führen wir Scheindiskussionen. Wenn es Sie zufrieden stellt, die betreffenden Adjektive gegen jede Evidenz als erstarrte Genitive zu betrachten, wird Sie niemand hier daran hindern, und die germanistische Sprachwissenschaft wird es wohl verschmerzen können, Sie an dieser Stelle nicht überzeugt zu haben.
Ist denn der Begriff “Eskimo” für eine Handelsmarke überhaupt politisch korrekt? Wo der von den Inuit doch bekanntlich als despektierlich empfunden wird. Was, wenn die Inuit-Interessenslobby das herausfindet? Nicht auszudenken ..
http://de.wikipedia.org/wiki/Eskimo_%28Eismarke%29
@nömix: Nicht auszudenken, wie die Umsätze der Marke einbrächen, wenn in Deutschland die Leute ihren Kindern keine Produkte mit rassistischen Namen mehr kaufen würden. Da besteht aber offenbar keine Gefahr. Rassistische Produktnamen scheinen eher als Argument angesehen zu werden, die Produkte gerade deshalb zu kaufen, um seine “Meinungsfreiheit” auszuleben, nicht wahr?
@ nömix: Natürlich ist es falsch, das Wort Eskimo als Marke für Speiseeis zu verwenden, und zwar aus ähnlichen Gründen wie im Fall der hier diskutierten Soßen und Schnitzel. Eskimos haben mit Speiseeis nichts zu tun, es handelt sich um eine stereotypisierende Assoziation „Speiseeis ~ Eis, Kälte, Arktis ~ Eskimos“. Auch hier ist das völlig unabhängig davon, welches Wort verwendet wird, der Rassismus liegt in der Stereotypisierung einer Menschengruppe. Da es in Österreich keine nennenswerte Anzahl von Vertreter/innen dieser Gruppe geben dürfte, wird diese (anders als bei den hier diskutierten Schnitzeln und Soßen) aber immerhin wenigstens nicht täglich mit dem Problem konfrontiert. Ob das Wort Eskimo an sich schon problematisch ist, ist schwer zu sagen. Ähnlich wie bei dem Wort Zigeuner ist eins der Hauptprobleme mit diesem Wort, dass damit Menschengruppen zusammengefasst werden, die nicht unbedingt zusammengefasst werden wollen; dazu kommt, dass einige dieser Gruppen das Wort als Fremdbezeichnung (teilweise als diskriminierende Fremdbezeichnung) ablehnen, andere es als Selbstbezeichnung angenommen haben. Es fehlt eine allgemein akzeptable Alternative – das Wort Inuit wird von einigen der betroffenen Gruppen explizit als Fremdbezeichnung abgelehnt (ähnlich, wie es auch bei Sinti und Roma der Fall ist). Über dieses Problem habe ich hier vor Jahren mal geschrieben – ich würde den Text nicht mehr voll unterschreiben, aber er macht einen Teil der Problematik recht gut deutlich. Eine umfassendere Behandlung des Problems muss noch warten, bis ich Zeit dazu finde.
Die DDR war nicht besser: es hieß hier Zigeunersteak.
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Sinti fühlen sich sehr wohl durch die Bezeichnung “Zigeuner” angesprochen, da diese (so vielfältig sie auch interpretiert wird) immer noch im Kern mit umherziehenden, dunkelhäutigen Menschen eindeutig indischen oder orientalischen Ursprungs verbunden wird, wobei fast immer ein negativ behaftetes Image (Dieb, Verbrecher, unhygienisch etc.) hinzugefügt wird.
Das solche brisanten Themen sozial- und sprachkritisch wie hier angegangen werden ist aber eher die Ausnahme als die Norm.
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Wie Sie hier anhand dieses Beispiels entnehmen können (Punkt 12, RTL 2), sieht die Mehrheit der Bürger die Angelegenheit aus jedem Winkel, aber ganz bestimmt nicht aus der Sicht der Betroffenen. Faschistisch getränkte Aussagen wie hier hat man wohl seit dem letzten Weltkrieg nicht mehr aus Deutschlands Köpfen kommen sehen, und das erschreckende ist, daß es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt. Auch auf den Plattformen der renommierten Nachrichten-Plattformen Focus, Stern und Spiegel sieht es kaum anders aus.
Hier wird eindeutig klar das es sich lange nicht mehr um ein einfaches Imbissgericht dreht, sondern die Unterordnung und Mundtot-Machung der Sinti (und vermutlich auch Roma) in Deutschland vom Rest Deutschlands zu verfolgen. In zahlreichen Kommentaren wird uns Sinti ein sklavenartiger Status hierzulande angedichtet.
Wenn nun deutlich geworden ist, dass aus einem Rezept für ein Schnitzel auf ungarische Art sprachlich ein Zigeunerschnitzel geworden ist, dann werden faktisch nicht Sinti und Roma (die übrigens nicht mehrheitlich in den Anbaugebieten der Paprika leben), sondern Ungarn als Zigeuner bezeichnet. Bei dem im Ungarn weit verbreiteten und selbst in linken Kreisen kaum reflektierten Rassismus gegen Sinti und Roma, ist das schon wieder eine Stilblüte des Rassismus.
Aber auch ein ‘Schnitzel auf ungarische Art’ wäre eine absurde Bezeichnung, da in Ungarn Schnitzel mit einer Zwiebel-Paprika Sosse fast unbekannt sind. Hier werden Schnitzel durchgehend paniert und auf verschiedene Arten gefüllt. Die Zwiebel-Paprika-Tomaten Sosse wird in Ungarn traditionell mit Ei oder Nudeln gegessen.
Bezeichnungen von Gerichten beruhen sehr oft auf Projektionen und spiegeln mehr die Vorstellungswelt der Zielgruppe wieder als eine Wirklichkeit. Gerade deshalb sollte man hier rassistische und stereotype Begriffe vermeiden und regionale Bezeichnungen nur dann verwenden, wenn diese nachweislich auf lokale Spezialitäten zurückgehen. Selbst wenn niemand sich diskriminiert fühlen sollte, die Verwendung solcher Begriffe zementiert eigene Stereotypen.
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Was mich etwas irritiert: sie betonen ja in ihrem Artikel, dass nach Ihren eigenen Recherchen die Soße oder das Schnitzel erst in den 50er Jahren den Namen Zigeunersoße/-schnitzel erhielten.
Gleichzeitig verlinken Sie einen Artikel, in dem der Hersteller der Soße zitiert wird mit der Aussage, die Zigeunersoße hätte eine über 100-jährige Tradition. Hm. Haben Sie diese Aussage auch überprüft? Das wäre dann ja deutlich vor den 50er Jahren gewesen, nicht wahr?
Der Verband wird hier mit der Aussage zitiert, die Sauce habe eine über 100-jährige Tradition, nicht, dass der Name seit über 100 Jahren verwendet wird. Sehen Sie sich dazu die Diskussion in den Kommentaren zum verlinkten Beitrag an.
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Wir leben in einem Zeitalter mit smartphones, events, lols, carports, highheels, tuning und tausenden anderen Wörtern, die in unsere Sprache und Kultur einfließen und leise klopften da ein paar Menschen an, ohne Gewalt und mit der Bitte ein Wort abzulegen, das sich für sie wahrscheinlich, wenn es sich um türkische Mitbürger handeln würde, wie Kanaken-Schnitzel anhört. Wenn es so was wie reines deutsches Kultur- und Sprachgut überhaupt gibt (was ich überhaupt nicht glaube), gibt es irgendeinen Menschen, der glaubt, es hängt an einem Zigeunerschnitzel? Wenn es das ist was die deutsche Seele ausmacht, dann ist sie auch nicht viel größer als ein Schnitzel. Es spielt aus meiner Sicht keine Rolle wo und wann, eine Soße, ein Gericht entstanden ist, wie lange oder wie oft ein Begriff verwendet wird.
Wenn ich zu einer Minderheit in einem Land gehören würde, wäre ich vielleicht auch froh nicht mehr mit dem Wort konfrontiert zu werden, das meine Großeltern ins KZ gebracht hat.
Nicht der Name eines Schnitzels ist unantastbar, sondern die Würde des Menschen.
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@Christiane:
Es hängt nicht an einem Wort. Das wäre lange durch.
Es ist vielmehr die Vielzahl der Änderungen (von denen viele auch nur noch bedingt nachvollziehbar sind), die die PC verlangt.
Ich empfinde so: Ähnlich das Teilgebiet Feminismus bzw. Gleichstellung mittlerweile völlig aus dem Ruder gelaufen sind (jüngstes Beispiel: “We should stop putting women in jail. For anything.” — http://goo.gl/qpajjc — Link to Washinkton Post)* läuft die ganze PC ’so langsam aber sicher’ aus dem Ruder. Wir ändern ja inzwischen schon literarische bzw. ‘historische’ Werke!
Natürlich gibt es da Widerstand.
Ich sehe mich jedenfalls nicht als Rassisten (sind Rotationseuropäer (oder wie ist der aktuell “korrekte” Ausdruck?) überhaupt eine eigene Rasse??? D.h. kann ich überhaupt Rassist (statt “nur” diskriminierend) sein, wenn ich ‘Zigeuner’ sage?) sondern schlimmstenfalls als Ignoranten, wenn ich weiter die alte Rechtschreibung nutze, gegen Frauenquoten (apropos Frauenquoten: Warum nicht auch im Knast? Es geht ja offensichtlich nicht um individuelle Befähigung/Schuld, sondern Geschlecht 😉 ) bin oder mich freue wenn ich auf einer Speisekarte das Zigeunerschnitzel finde. oder Kinder einen Mohrenkopf noch Mohrenkopf nennen.
* aber lies erst mal mal die Kommentare der “Almute Peters” auf https://www.lawblog.de/index.php/archives/2014/10/23/lange-gefaengnissstrafe-fuer-falsche-aussage/ !!
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Zigeunerschnitzel, auch Jägerschnitzel und ähnliche Erfindungen der niederen Gastronomie sind ohnehin fragwürdig. Die Bezeichnung Paprikaschnitzel ist schon deshalb überlegen, weil sie über das Angebot etwas Objektives aussagt: Vorsicht Paprika, ist scharf. Vorsicht Zigeuner wäre gastronomischer Schwachsinn (UND zugleich diskriminierend). Dennoch Danke für die Aufklärung über die noch ziemlich junge Herkunft des Zigeunerschnitzels.
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Ein wunderbarere Blogbeitrag, den ich immer wieder unter entsprechende Diskussionen verlinke. Danke!