Auch die taz hat so eine Art Sprachglosse, auch wenn sie nicht so heißt und irgendwie auch etwas versteckt daher kommt. Aber Peter Köhler schreibt in DIE WAHRHEIT ab und zu über Sprachliches. Letzte Woche nahm er sich die Präpositionen vor und deren sich „breit machende“ falsche Verwendung. Aus meinen Abozeiten der taz-Printausgabe meine ich mich zu erinnern, dass DIE WAHRHEIT in Wahrheit so eine Satire- und Kommentarseite ist, aber das ist lange her. Satire dürfen wir in diesem Fall vermutlich ausschließen, nehmen wir die Sache also erstmal ernst.
Üblicherweise wird bei Beschwerden über den Gebrauch von Präpositionenen die Kasuszuweisung moniert (wegen dem Dativ und so). Interessanterweise spielt das bei Köhlers Beispielen überhaupt keine Rolle. Außerdem beschränkt er sich auf die Kernpräpositionen an, auf, für, gegen, in, mit, vor, über, unter und zu, lässt also etwas seltenere, komplexere oder eigenwilligere wie trotz oder aufgrund unangetastet. Das macht es einfacher, weil die unübersichtliche Peripherie dieser heterogenen Wortklasse für unsere Betrachtung irrelevant ist.
Beginnen wir mit ein paar Beispielen, die Köhler ins Feld führt.
„Tatsächlich sind im Zuge der rasanten ökonomischen Entwicklung ganz konkrete Nöte des Alltags entstanden, auf die Chinas Führung keine politischen Lösungen anbietet.“
„Die Sprecherin der ‚Damen in Weiß‘, einer Frauenorganisation, vertraut in das Verhandlungsgeschick der katholischen Kirche.“
„Manche Insulaner sympathisierten für die Deutsch-Nationalen, andere für die Kommunisten.“
Köhlers These lautet ja allgemein, dass diese Belege „grammatische Fehler“ darstellen. Die Plausbilität der These hängt zwar etwas von der Auffassung der Terminus Grammatik ab — lässt sich aber vereinfachen, indem man allgemeiner davon ausgeht, dass seine Belege unidiomatische, also ungebräuchliche Wendungen enthalten. Damit ist gemeint, dass die Verbindung von Lösungen anbieten mit auf (statt für), sympathisieren mit für (statt mit) oder vertrauen mit in (statt auf) einfach komisch klingen. Ändert man die lexikalischen Elemente bzw. die Wortklasse, ist aber alles wieder im Lot: auf die China keine politischen Antworten hat oder das Vertrauen in das Verhandlungsgeschick. Man hat halt Lösungen/Sympathien für oder Antworten auf etwas (oder für jemanden). Sie sind seltsam, weil sie konventionalisierte Wortkombinationensmuster ignorieren, aber „grammatische Fehler“ im engeren Sinne sind sie eigentlich nicht.
Nun ist es so, dass Präpositionen nicht nur eine recht heterogene Gruppe darstellen, sondern auch noch zu den mehrdeutigsten sprachlichen Elementen gehören. ((Die Frage, ob Präpositionen eher lexikalische Einheiten oder eher grammatische Funktionselemente sind, soll uns hier jetzt nicht beschäftigen.)) Zwar kann man z.B. bei in intuitiv eine relativ klare Grundbedeutung erkennen, aber schon bei an wird es schwierig: das rote Sofa steht an der Wand, aber ich schreibe einen Brief an einen Freund. Allen Präpositionen weitgehend gemein ist aber, dass sie eine Beziehung zwischen zwei Dingen herstellen. Diese kann im Falle von Objekten räumlicher und bei nicht-materiellen Dingen abstrakter Natur sein. Die nicht-konkrete Verwendung motiviert sich dabei aus einer räumlichen, was vor allem für die Kategorisierung abstrakter Konzepte wichtig ist. Ein Beispiel:
„Das Volk der Bolebedu blickt über eine 400 Jahre währende Geschichte des Regenmachens zurück.“
Auch hier: wir blicken eher auf die Geschichte, weil wir sie in Wendungen wie dieser als Ganzes wahrnehmen, sozusagen als Objekt; ein prozessuraler Charakter steht hier nicht im Vordergrund. Das muss nicht notwendigerweise so sein: auf und über können in der zugrundeliegenden konkret-räumlichen Verwendung zwei unterschiedliche Perspektiven auf eine Situation versprachlichen: sie blickte auf die Stadt vs. sie blickte über die Stadt sind zwei miteinander verwandte, aber dennoch verschiedene Blickwinkel. Geschichte ist im obigen als Objekt kategorisiert, kann aber auch als Prozess verstanden werden: über die Geschichte (hinweg).
Neben diesen eher unidiomatisch klingenden Verwendungen kann man Köhlers Belege in eine weitere Gruppe „falscher Präpositionen“ einteilen, die allerdings einen deutlicheren Bedeutungsunterschied haben, wie Köhler auch richtig anmerkt:
siehe die taz-Überschrift „Urteil über Rechtsrocker“, die den Unterschied zwischen Gerichtsurteil und Meinung einebnet,
„Uros Djurovic macht einen Film zum Neonazi“.
Ein Film zu/m/r und ein Film über bleiben zwar grundsätzlich Filme, haben aber natürlich unterschiedliche Referenzpunkte: der Film zum Veggie Day wird einen anderen Inhalt haben als der Film über den Veggie Day. Und das Urteil über wird vom Feuillton gesprochen, das Urteil gegen von einem Gericht.
Die letzte Art von Belegen fällt dann aber weder in die Gruppe bedeutungsunterscheidender, noch in die unidiomatischer Verwendung:
Anders als jener Schüler, der laut taz „auf Prüfungen lernte“
Daran saß ich lange. Sehr lange. Und es war der erste Beleg, den ich empirisch überprüfen musste, um überhaupt sein Problem zu identifizieren: offenbar meint Köhler, man könne nur für eine Prüfung lernen. Das ist aber falsch: man kann sowohl auf, als auch für eine Prüfung oder Klausur lernen. Eine oberflächliche Google-Treffer liefert sogar grob doppelt so viele Treffer für auf, als für für. Köhlers Analogie, dass „diverse Medienschaffende anscheinend [darauf verzichten], für ihren Beruf zu lernen“ (und nicht auf) ist Unsinn, weil Prüfung und Beruf unterschiedlich kategorisiert werden. Die Variation auf/für ist leicht erklärbar: die Wahrnehmung von Klausuren und Prüfungen als zeitlich abgeschlossene Einheiten motiviert offenbar eher auf als für, obwohl beides möglich ist. Beim Beruf ist die zeitliche Abgeschlossenheit nicht gegeben, weshalb hier nur für akzeptabel scheint. Die Wahl der Präposition hängt schließlich an der Kategorisierung der vom Nomen bezeichneten Dinge (hier: Klausur vs. Beruf), nicht am Verb (hier: lernen).
Das ist natürlich eine recht simplifizierende Darstellung einer höchst komplexen Angelegenheit (und da blieben jetzt viele, linguistisch spannende Belege unberücksichtigt). Inwiefern für alle unkonventionellen Verwendungen von Präpositionen metaphorische Motivation identifiziert werden kann, ist eine spannende Frage, dafür reicht jetzt aber die Zeit nicht — für einige kann man die Motivation klarer zeigen, als für andere. Und grundsätzlich will ich mit Köhler nicht zu hart ins Gericht gehen — die meisten seiner Beispiele sind gar nicht so weit hergeholt. Er übt aber eher solide Kritik an den Fähigkeiten mancher JournalistInnen, entweder Konventionen einzuhalten oder mit Copy, Paste und dem Redigieren richtig umzugehen, als an einem „falschen“ Gebrauch. In manchen Fällen wirkt es fast so, als haben die UrheberInnen bei der sprachlichen Umformulierung einfach die Anpassung der Präposition vergessen. ((In einem extremen Fall zitiert Köhler einen Beleg sogar so falsch und aus dem Kontext gerissen, dass es seine Argumentation ziemlich banal aussehen lässt (und sich der Verdacht aufdrängt, dass das Originalzitat einfach nur eine missglückte Formulierung ist. Wäre auch eine Journalistenkrankheit).
Köhler schreibt: „Im übrigen wird auch dort, wo „zu“ richtig wäre, gern was anderes genommen: „Stammzellen können sich in jedes Gewebe des Körpers entwickeln“ (Bayern alpha), Ähnliches gilt für Präpositionen.“
Bei BR-alpha heißt es aber: „Diese jungen Zellen haben eine Besonderheit: Aus ihnen entwickeln sich alle Körperzellen. Sie haben das Potential, sich in jegliches Gewebe entwickeln zu können, wie beispielsweise Blutzellen, Nervenzellen, Hautzellen oder Muskelzellen. Das heißt aus jeder dieser Zellen kann sich theoretisch ein kompletter, eigenständiger Organismus bilden.“)) Wer selbst regelmäßig schreibt, weiß, wie sich das anfühlen kann.
„Die Sprecherin der ‚Damen in Weiß‘, einer Frauenorganisation, vertraut in das Verhandlungsgeschick der katholischen Kirche.“
Da habe ich mich sofort gefragt, ob das vielleicht vom Englischen beeinflusst ist (confide in s.b./s.th., trust in s.b./s.th.)
Ach ja, falscher Stil. Darüber beklagen die Sprachpinscher dieser Welt sich gerne und reden den armen Lesern was von Grammatik ein.
Wie du im Beitrag ja schön zeigst, liegt den Präpositionen oft [immer?] eine räumliche Metapher* zugrunde. Da darf der Schreiber sich doch gerne aussuchen, wie genau der Raum auszugestalten ist, siehe das Geschichtsbeispiel.
Bei Urteil sehe ich die klare Einteilung in ‘über’ für Kritiker und ‘gegen’ für Richter nicht ein. Unser Rechtssystem steht zum Glück nicht gegen Angeklagte, sondern sieht bei ihnen Potenzial zur Besserung. Wir wollen Verurteilte resozialisieren. Da halte ich es für angemessen, wenn Autoren ‘über’ auch bei Gerichtsurteilen verwenden.
Haben Sie beim “oberflächlichen” Googeln auch darauf geachtet, ob sich bei den Stellen, in denen “auf” eine Prüfung gelernt wird, noch irgendwo ein kleines “hin” verbirgt? Denn dass jemand “auf eine Prüfung hin” lernt, fühlt sich für mich normal an.
@Christoph Drössner: nein, habe ich nicht, danke für den Hinweis. Aber sowas kann man ja nachholen: „auf die|eine Prüfung|Klausur hin lernen“ gibt insgesamt etwa 100 Treffer. Wobei das natürlich unfair ist, weil sehr unflexibel. Aber diese Unflexibilität gilt natürlich auch für „auf die Prüfung lernen“, welche allein schon 500.000+ Treffer hat.
@Thomas: ich habe auch nie gesagt, dass die Kritik an der Verwendung unberechtigt ist. Das Argument ist lediglich, dass sie unidiomatisch sind, von korrekt war nirgends die Rede. Und ob das Verb blicken oder zurückblicken ist, ist irrelevant. Präpositionen haben was mit der Relation von Nominalen zu tun, nicht mit Verben.
Spontan dachte ich (Jahrgang 78), dass ich in meinem bisherigen Leben gefühlt nur “auf” Prüfungen/Klausuren/Klassenarbeiten gelernt habe, nie “für”.
Beim Nachdenken über die beiden Varianten empfinde ich leichte Bedeutungsunterschiede. Mit “auf” verbinde ich einen intensiveren, länger andauennden Vorbereitungsprozess. Dementsprechend fühlt sich “ich lerne fürs Abitur” ebenso falsch an wie “ich lerne auf den Vokabeltest”, aber bei “ich lerne für/auf die Klausur” klingt beides richtig.
“Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.” Tatsächlich lernen die Studierenden aber nur auf Prüfungen.
Ich verstehe die Argumentation nicht. Die ersten vier Beispiele beinhalten die aufgezeigten Fehler, ungeachtet dessen, ob man die Formulierungen so abändern kann, dass die Präpositionen stimmen. Beim vierten Beispiel ist zu beachten, dass das Verb »zurückblicken« und nicht »blicken« ist.
Beim sechsten Beispiel hat »zum« einen finalen Sinn, wie dein »Film zum Veggie Day« belegt. Das ist aber nicht das, was der Autor ausdrücken wollte.
OT: die wahrheit-seite der taz ist auch heute noch eine satire- und kommentar-seite. 🙂
@Susanne: Das Verb bestimmt aber, welche Präpositionen lexikalisch möglich sind.
@Thomas: Die Praxis bestimmt, wie Sprache funktioniert.
@Susanne: Danke für die Erläuterungen!
@Erbloggtes: Ja, und die überwältigende Mehrheit der Deutschsprecher empfindet es als falsch, »zurückblicken« mit »über« zu benutzen.
Nicht im Traum wäre es mir eingefallen, “auf” eine Prüfung zu lernen.
Regionale Unterschiede, vielleicht?
Mir scheint “auf eine Prüfung lernen” auch sehr regional und ist mir aus meiner südwestdeutschen Sozialisierung umfassend vertraut. Hätte bei mir also keinesfalls ein Sternchen.
Warum ich den Post aber gerade hervorgekramt habe:
Köhler hat in den letzten Wochen immer wieder viel hypernormativen Unsinn verzapft — einiges davon würde ich deutlich weniger wohlwollend beurteilen als hier im Post. Und der letzte Beitrag scheint mir in den Rahmen der Blog-Themen besonders zu passen, weil es da um geschlechtergerechte Sprache geht:
http://www.taz.de/Die-Wahrheit/!127106/
@Phil: der neue Köhler-Artikel ist unerträglich Punkt