Warum der Plural kein Femininum ist

Von Anatol Stefanowitsch

In unserem Lek­türetipp vom Dien­stag ging es unter anderem um einen Beitrag, in dem der Sprach­wis­senschaftler André Mei­n­unger die eigen­willige These ver­tritt, dass das gener­ische Maskulinum ((Also die Ver­wen­dung masku­lin­er For­men für gemis­chte Grup­pen (In mein­er Vor­lesung sitzen 300 Stu­den­ten) oder abstrak­te Kat­e­gorien (In mein­er Sprech­stunde waren heute keine Stu­den­ten).)) keine Ungerechtigkeit gegenüber Frauen darstelle, da ihm im Plur­al ein gener­isches Fem­i­ninum gegenüber ste­he. Der Kern sein­er Argu­men­ta­tion geht so:

Das Deutsche ist so gerecht und frauen­fre­undlich, wie es mehr eigentlich gar nicht geht. Die Plu­ral­form ist die weib­liche. Wir sagen so selb­stver­ständlich „sie“, dass es gar nicht auf­fällt. Rein syn­chron, also auf den gegen­wär­ti­gen Sprachzu­s­tand bezo­gen, und for­mal, also auf die äußer­lich sicht­bare Erschei­n­ung bezo­gen, ist das Plu­ral­pronomen iden­tisch mit der weib­lichen Sin­gu­lar­form. Also: Selb­st wenn eine reine Män­ner­gruppe schießt oder alle Män­ner schwitzen, heißt es „sie schießen“ oder „sie schwitzen“. … Und das bedeutet, wir haben im Deutschen sehr wohl schon lange und vol­lkom­men unent­deckt ein gener­isches Fem­i­ninum. Dieses macht sich im Plur­al deut­lich – und ist dabei aber schein­bar so undeut­lich, dass es entwed­er nie­mand bemerkt hat oder wissentlich ver­schwiegen wird. Die deutsche Sprache ist also sehr gerecht. Im Sin­gu­lar scheint es eine Art gener­isches Maskulinum zu geben, im Plur­al ein fem­i­nines. Der Plur­al heißt “sie”. Und auch im Sub­stan­tivbere­ich ist der Artikel für die Mehrzahl for­m­gle­ich mit dem fem­i­ni­nen Artikel: “die”. ((Mei­n­unger, André (2013). Wie sex­is­tisch ist die deutsche Sprache? Die WELT, 7. Juli 2013.))

Die Sprach­wis­senschaft­lerin Luise Pusch antwortet in ihrem Blog aus­führlich auf Mei­n­ungers Argu­men­ta­tion und zeigt, dass der Plur­al im Deutschen keineswegs ein Fem­i­ninum ist, auch wenn Pronomen und Artikel im Plur­al und im Fem­i­ninum Sin­gu­lar gle­ich ausse­hen. Ihre Argu­men­ta­tion will ich hier nicht wieder­holen, wer ihren Artikel noch nicht gele­sen hat, sollte das jet­zt tun und dann zurückkommen.

Wieder da? Gut. Denn in einem Punkt geht Luise Pusch über­mäßig milde mit Mei­n­ungers Argu­men­ta­tion um: Sie geste­ht ihm zu, dass sie „der Form nach weib­lich ist“ und zeigt dann, dass es in der Funk­tion klare Unter­schiede gibt. Tat­säch­lich sind aber wed­er das Pronomen sie noch der Artikel die der Form nach weib­lich: Mei­n­ungers Argu­men­ta­tion bricht schon an diesem Punkt zusammen.

Das Deutsche ist näm­lich eine fusion­ale Sprache, bei der (vor allem bei gram­ma­tis­chen Mor­phe­men wie Artikeln, Pronomen, Suf­fix­en) kein Eins-zu-Eins-Ver­hält­nis zwis­chen Form und Funk­tion beste­ht, sodass Pronomen und Artikel für sich genom­men nur in Aus­nah­me­fällen ein­deutig auf ein bes­timmtes Genus (gram­ma­tis­ches Geschlecht) hin­weisen. Pusch deutet das kurz an, als sie darauf hin­weist, dass Mut­ter in dem Satz Gib der Mut­ter einen Kuss nicht plöt­zlich zum Maskulinum wird, konzen­tri­ert sich dann aber auf andere Aspek­te des Problems.

Um zu erken­nen, dass Pronomen und Artikel für sich genom­men meis­tens keinen ein­deuti­gen Rückschluss auf das gram­ma­tis­che Geschlecht eines Wortes zulassen, müssen wir sie im Gesamtzusam­men­hang des Sprach­sys­tems betra­cht­en, in dem sie nicht nur Genus, son­dern außer­dem noch Kasus (Fall) und Numerus (Einzahl/Mehrzahl) sig­nal­isieren. Tabelle 1 zeigt die Per­son­al­pronomen, Tabelle 2 die Artikel.

Tabelle 1: Per­son­al­pronomen im Deutschen
SINGULAR PLURAL
MASK. NEUT. FEM. M/N/F
NOMINATIV er es sie sie
DATIV ihm ihm ihr ihnen
AKKUSATIV ihn es sie sie
GENITIV sein­er sein­er ihrer ihrer
Tabelle 2: Def­i­nite Artikel im Deutschen
SINGULAR PLURAL
MASK. NEUT. FEM. M/N/F
NOMINATIV der Mann das Kind die Frau die Leute
DATIV dem Mann(e) dem Kind(e) der Frau den Leuten
AKKUSATIV den Mann das Kind die Frau die Leute
GENITIV des Mannes des Kindes der Frau der Leute

Es wird sofort deut­lich, dass es nur einen Artikel gibt, der für sich genom­men eine ein­deutige Zuord­nung zu einem Genus erlaubt: das, das für die Kom­bi­na­tio­nen [NEUTRUM + SINGULAR + NOMINATIV] und [NEUTRUM + SINGULAR + AKKUSATIV] ste­ht. Bei den Pronomen sieht es etwas bess­er aus: er find­et sich nur bei der Kom­bi­na­tion MASKULINUM + SINGULAR + NOMINATIV], ihn find­et sich nur bei [MASKULINUM + SINGULAR + AKKUSATIV] und es find­et sich nur bei [NEUTRUM + SINGULAR + NOMINATIV] und [NEUTRUM + SINGULAR + AKKUSATIV]. Alle anderen Pronomen/Artikel tauchen je nach Kasus und Numerus bei ver­schiede­nen gram­ma­tis­chen Geschlechtern auf, sind also nicht ein­deutig zuzuord­nen. Der Artikel der, zum Beispiel, kann für sechs ver­schiedene Kom­bi­na­tio­nen von Genus, Numerus und Kasus stehen:

  1. MASKULINUM + SINGULAR + NOMINATIV
  2. FEMININUM + SINGULARDATIV
  3. FEMININUM + SINGULAR + GENITIV
  4. MASKULINUM + PLURAL + GENITIV
  5. FEMININUM + PLURAL + GENITIV
  6. NEUTRUM + PLURAL + GENITIV

Und die Form die ste­ht für acht ver­schiedene Kombinationen:

  1. FEMININUM + SINGULAR + NOMINATIV
  2. FEMININUM + SINGULAR + AKKUSATIV
  3. MASKULINUM + PLURAL + NOMINATIV
  4. FEMININUM + PLURAL + NOMINATIV
  5. NEUTRUM + PLURAL + NOMINATIV
  6. MASKULINUM + PLURAL + AKKUSATIV
  7. FEMININUM + PLURAL + AKKUSATIV
  8. NEUTRUM + PLURAL + AKKUSATIV

Artikel und Pronomen im Deutschen sig­nal­isieren also kein gram­ma­tis­ches Geschlecht, son­dern eine Kom­bi­na­tion aus Genus, Numerus und Kasus. Um am Artikel zu erken­nen, ob ein Sub­stan­tiv ein Maskulinum, Fem­i­ninum oder Neu­trum ist, müssen wir deshalb auch dessen Kasus und Numerus ken­nen. Mehr noch: Wir müssen wis­sen, mit welchem Artikel es in jed­er einzel­nen Kom­bi­na­tion von Genus, Kasus und Numerus ste­ht, denn während es eben bei bes­timmten Kom­bi­na­tio­nen Über­lap­pun­gen in der Form gibt, hat jedes Genus eine einzi­gar­tige Menge von Artikeln (ein soge­nan­ntes Par­a­dig­ma), die es von den anderen bei­den Gen­era unterscheidet.

Auch das Fem­i­ninum und der Plur­al unter­schei­den sich in ihren Artikeln, wenn man jew­eils das gesamte Par­a­dig­ma ein­bezieht: Während Nom­i­na­tiv, Akkusativ und Gen­i­tiv jew­eils iden­tisch sind, lautet der Dativ beim Fem­i­ninum Sin­gu­lar der (Er hat der Frau eine falsche Erk­lärung geliefert), im Plur­al aber den (Er hat den Männern/Frauen/Kindern eine falsche Erk­lärung geliefert). Außer­dem unter­schei­det sich das Plur­al vom Fem­i­ninum Sin­gu­lar natür­lich durch die Form des Sub­stan­tivs, die im Plur­al eben eine Plu­ral­form, im Fem­i­ninum Sin­gu­lar aber eben eine Sin­gu­lar­form ist. Das alles zu ignori­eren und so zu tun, als sei der Artikel die per se fem­i­nin und der Plur­al deswe­gen ein „gener­isches Fem­i­ninum“, ist schlechte Linguistik.

Es ist auch schlechte Lin­guis­tik, so zu tun, als sei dies in irgen­dein­er Weise mit dem „gener­ischen Maskulinum“ ver­gle­ich­bar, denn das ist eben abso­lut iden­tisch mit dem nor­malen Maskulinum (was auch weit­er nicht ver­wun­der­lich ist, denn es ist ja ein ganz nor­males Maskulinum, dessen gener­ische Ver­wen­dung nichts mit dem Sprach­sys­tem des Deutschen, son­dern mit einem patri­ar­chalen Sprachge­brauch zu tun hat).

Da Mei­n­unger aber kein schlechter, son­dern ganz im Gegen­teil ein sehr guter Lin­guist ist, muss man hier fast eine gewisse Mutwilligkeit in der Argu­men­ta­tion ver­muten – vor allem in Kom­bi­na­tion mit sein­er Andeu­tung, dass die fem­i­nis­tis­che Sprach­wis­senschaft das ange­bliche gener­ische Fem­i­ninum im Plur­al „wissentlich ver­schwiegen“ haben kön­nte. Nein, die fem­i­nis­tis­che Sprach­wis­senschaft hat hier nichts ver­schwiegen. Sie ist ein­fach gute Linguistik.

31 Gedanken zu „Warum der Plural kein Femininum ist

  1. Jacob

    Merk­würdi­ge Idee, das Plur­al-sie als Fem­i­ninum zu sehen. Das Wort “sie” ist doch ein­fach ein Homonym. Gibts bei anderen Wörtern auch. Gle­ich­er Klang, ver­schiedene Bedeu­tung. Oder irre ich mich?

    Mit der gle­ichen Logik kön­nte auch umgekehrt das weib­liche Per­son­al­pronomen “sie” als verkappter Plur­al gese­hen wer­den. Damit sind dann bes­timmt noch viel inter­es­san­tere The­o­rien drin.

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  2. Alexander Lasch

    Die Debat­te kann man doch nur so führen, wenn man sprach­his­torische Entwick­lun­gen ausklam­mert. Das mag zwar unter eini­gen Linguist_innen üblich sein, richtiger wird es aber dadurch nicht. Dass ab dem Ger­man­is­chen und der Fes­tle­gung des Stam­makzents die Neben­sil­ben (und damit u. a. die Träger [ich schreibe jet­zt nicht _innen] gram­ma­tis­ch­er Infor­ma­tio­nen) abgeschwächt und abge­baut wur­den und nach und nach Demon­stra­tivpronomen (und nicht nur diese) u. a. die Funk­tion von Artikeln über­nah­men, ist mMn kein Gen­derthe­ma — warum sollte das auch so sein? 

    Was Mei­n­unger und Pusch da ver­anstal­ten, ist wohl fürs Som­mer­loch geschrieben, genau so wie sein Artikel zum Schimpfen im Spraachen­blog — schade ist’s.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Alexan­der: Das Genus von Sub­stan­tiv­en, vor allem solchen, die auf Per­so­n­en ver­weisen, ist aber ein Gen­derthe­ma, und die Behaup­tung, das Deutsche sei eine Frauen­sprache weil der Plur­al „weib­lich“ sei, ist eben­falls ein Genderthema.

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  3. Jacob (@j_kanev)

    Und was nimmt man für eine Form, wenn sich in der Gruppe sowohl Män­ner als auch Frauen befind­en? Eben.

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  4. Clemens

    Eine Sache überzeugt mich an Ihrer Tabelle nicht: Sie unter­schei­den auch im Plur­al die drei Gen­era und zählen daher z.B. bei “der” sechs und bei “die” acht ver­schiedene Bedeu­tun­gen. Ich würde eher sagen: Im Plur­al gibt es gar keine Unter­schei­dung nach Genus, son­dern eine ein­heitliche, genus­neu­trale Form, die in Ihren Lis­ten fol­glich auch nur je ein­mal auf­tauchen dürfte – für “der” und “die” ergäben sich dann nur je vier Bedeutungen.

    Aber mehr noch: Wenn die Plu­ral­for­men tat­säch­lich genus­neu­tral sind, müssen sie bei dieser Betra­ch­tung eigentlich ganz aus­geklam­mert wer­den, denn Sie wollen hier ja zeigen, “dass Pronomen und Artikel für sich genom­men meis­tens keinen ein­deuti­gen Rückschluss auf das gram­ma­tis­che Geschlecht eines Wortes zulassen”. Das kön­nen Sie redlicher­weise nur dann zeigen, wenn das gram­ma­tis­che Geschlecht über­haupt bes­timm­bar ist, und das ist im Plur­al m.E. nicht der Fall (außer über das Nomen, aber dann würde man Sin­gu­lar und Plur­al wieder ungle­ich behan­deln). Betra­chtet man nun aber die Sin­gu­lar­for­men allein, so sind “sie”, “ihr” und “die” eben tat­säch­lich auf das Fem­i­ninum beschränkt; als Aus­nahme bleibt einzig und allein “der” übrig, das Maskulinum oder Fem­i­ninum sein kann. Insofern hat Mei­n­ungers Behaup­tung, die Plu­ral­for­men (als genus­neu­tral ver­standen) seien for­mal mit den Fem­i­ni­na iden­tisch, dur­chaus einige Berechtigung.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Clemens: Der Plur­al ist keine genus­neu­trale Form, Sub­stan­tive behal­ten im Plur­al das gram­ma­tis­che Geschlecht, das sie auch im Sin­gu­lar haben. Am Artikel sieht man das nicht, denn der ist im Plur­al eben für alle Gen­era gle­ich, aber man sieht es am Kon­gruen­zver­hal­ten ander­er Wörter im Satz, z.B. jeder der Män­ner, jede der Frauen, jedes der Kinder (vgl. auch Luise Puschs Beispiele in ihrer Diskus­sion von Mei­n­ungers Text). Mei­n­ungers Behaup­tung hat unter kein­er ser­iösen Betra­ch­tung eine Berech­ti­gung (außer vielle­icht sprach­his­torisch, selb­st dann ist seine Argu­men­ta­tion aber um 180 Grad ver­dreht, dazu näch­ste Woche mehr), denn das Par­a­dig­ma der Plu­ral­pronomen und ‑artikel ist nun ein­mal nicht mit dem der Fem­i­ni­na im Sin­gu­lar iden­tisch. In der Sprach­wis­senschaft geht es nicht um ober­fläch­liche Impres­sio­nen – erst recht nicht, wenn sie auf gezielt her­aus­ge­grif­f­e­nen Dat­en beruhen – son­dern um eine präzise Beschrei­bung des Sprachsystems.

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  5. Rosi

    Immer­hin gibt es im Franzö­sis­chen, und wohl auch gebräuch­lich, ein Plur­al-Fem­i­ninum: elles.” Und damit ist jet­zt was genau bewiesen?

    Das ganze Aus­gezäh­le von (ver­meintlich) fem. oder mask. Mor­phe­men ändert nichts am patri­ar­chalen Sprachge­brauch. Wie Ste­fanow­itsch wun­dere ich mich nicht nur über Mei­n­ungers aben­teuer­liche Argu­men­ta­tion, son­dern auch darüber, wie er die Ebe­nen durcheinan­der bringt: Selb­st wenn alle Pronomen und Artikel nach­weis­lich fem­i­nin wären, wäre das Deutsche keine “Frauen­sprache”. Da ich Mei­n­unger eben­falls für einen guten Lin­guis­ten halte, frage ich mich ern­sthaft, was ihn da gerit­ten hat.

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  6. Clemens

    @Anatol Ste­fanow­itsch: Selb­stver­ständlich behal­ten SUBSTANTIVE im Plur­al ihr gram­ma­tis­ches Geschlecht, aber Sie haben noch nicht wirk­lich nachgewiesen, dass auch PERSONALPRONOMEN und ARTIKEL, isoliert betra­chtet, im Plur­al ein gram­ma­tis­ches Geschlecht haben.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      Per­son­al­pronomen und Artikel haben isoliert betra­chtet über­haupt kein Geschlecht, sie sig­nal­isieren Kom­bi­na­tio­nen aus Genus, Kasus und Numerus. (Wobei die Sache bei Per­son­al­pronomen bei deik­tis­ch­er Ver­wen­den auf­grund des natür­lichen Geschlechts natür­lich etwas kom­pliziert­er ist).

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  7. Clemens

    In der Duden-Gram­matik lese ich ger­ade: “Hinge­gen stim­men die Plu­ral­for­men des bes­timmten Artikels für alle drei Gen­era übere­in, so daß im Plur­al die Kat­e­gorie Genus nicht zum Aus­druck kommt.” Das hat­te ich in etwa gemeint.

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  8. Alexander Lasch

    @Anatol: Bei Nomen gehe ich sofort mit, keine Frage, auch wenn da der Zahn der Zeit (vor allem bei der Eineb­nung der weib­lichen For­men im Plur­al) seine Spuren beson­ders deut­lich hin­ter­lassen hat.

    Richtig span­nend wird The­ma im Sprachver­gle­ich (Sol/Sonne; Luna/Mond).

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  9. Alexander Lasch

    … und noch ein Nach­trag: Wer z. B. Per­son­al­pronom­i­na als Indiz für einen männlich per­spek­tivierten Sprachge­bauch inter­pretieren möchte, wird im Alt­niederdeutschen fündig. Die häu­fig­sten Per­son­al­pronom­i­na als Ing­wäon­is­men, die sehr zeit­ig auftreten sind “he” und “it”.

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  10. Clemens

    @Anatol Ste­fanow­itsch:

    Per­son­al­pronomen und Artikel […] sig­nal­isieren Kom­bi­na­tio­nen aus Genus, Kasus und Numerus.”

    Genau, und das Genus sig­nal­isieren sie im Plur­al eben nicht.

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  11. Martin

    @Clemens: ein­fach im oberen Beispiel die Sub­stan­tive durch Pronom­i­na erset­zen, und schon ist klar, dass auch dort ein Genus auftritt: jed­er von ihnen, jede von ihnen, jedes von ihnen usw.

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  12. Clemens

    Ja natür­lich, weil das Per­son­al­pronomen “ihnen” Sub­stan­tive aller drei Gen­era vertreten kann. Ich wollte ja auch nicht sagen, dass es das Genus im Plur­al gar nicht gibt, son­dern dass es im Plur­al von Artikeln und Per­son­al­pronomen eben “nicht zum Aus­druck kommt” (Duden). Meine The­o­rie, dass die Plu­ral­for­men genusüber­greifend oder genusin­dif­fer­ent sind, erscheint mir jeden­falls immer noch ein­fach­er als die The­o­rie, es gebe auch im Plur­al drei genusspez­i­fis­che For­men, die zufäl­liger­weise alle drei gle­ich lauten.

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  13. David

    Insofern hat Mei­n­ungers Behaup­tung, die Plu­ral­for­men (als genus­neu­tral ver­standen) seien for­mal mit den Fem­i­ni­na iden­tisch, dur­chaus einige Berechtigung.

    Abge­se­hen davon, daß der Dativ eine Aus­nahme darstellt, hat diese Behaup­tung schon allein deswe­gen ihre Berech­ti­gung, weil sie wahr ist. Das kann man ohne jegliche The­o­rie über­prüfen. Es geht aber um die Frage, ob aus der bloßen for­malen Iden­tität auf das fem­i­nine Genus der Plu­ral­form geschlossen wer­den kann, und das geht wed­er dann, wenn man annimmt, daß die Plu­ralar­tikel jedes Genus haben kön­nen, noch dann, wenn man annimmt, daß sie gar keines haben.

    Meine The­o­rie, dass die Plu­ral­for­men genusüber­greifend oder genusin­dif­fer­ent sind, erscheint mir jeden­falls immer noch ein­fach­er als die The­o­rie, es gebe auch im Plur­al drei genusspez­i­fis­che For­men, die zufäl­liger­weise alle drei gle­ich lauten.

    So sieht es auch zunächst aus. Diese Annahme rächt sich aber, wenn man die The­o­rie der Nom­i­nalphrasen for­mulieren möchte. Nimmt man an, daß auch die Plu­ral­for­men Genus­träger sind, so kommt man zu der ein­fachen Gesetzmäßigkeit:

    KNG([Art + N])=KNG(Art)=KNG(N)

    Das soll besagen, daß in ein­er NP der Form [Art + N] stets die Kasus‑, Numerus- und Genus­merk­male von Artikel und Sub­stan­tiv untere­inan­der und mit denen der NP übereinstimmen.

    Wollte man erre­ichen, daß die Plu­ralar­tikel genus­neu­tral sind, so müßte man das etwa so formulieren:

    KN([Art + N]) = KN(Art)=KN(N) und
    G([Art + N]) = G(Art) = G(N) falls N([Art + N]) = singular
    G([Art + N]) = G(N) falls N([Art + N]) = plural

    Das ist deut­lich umständlicher.

    Es muß allerd­ings nicht zwin­gend so umständlich sein; aber da spie­len dann Details der zugrun­degelegten The­o­rie mit rein. Falls KNG ein­fach nur eine Menge von Merk­malen sein sollte, so kön­nte die Formulierung:

    KNG(Art) ⊆ KNG([Art + N]) = KNG(N)

    aus­re­ichend sein, die auch wieder recht ein­fach ist. Man sieht allerd­ings, daß es grund­sät­zlich vorkom­men kann, daß eine ver­meintliche Vere­in­fachung an ein­er Stelle des Sys­tems Verkom­plizierun­gen an anderen Stellen zur Folge hat. Deswe­gen sollte eine solche Vere­in­fachung nie für sich allein son­dern immer nur im Gesamt­bild betra­chtet werden.

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  14. Wentus

    Die Aufhe­bung der Gren­zen zwis­chen den Gen­era im Plur­al wie im Deutschen ist ungewöhn­lich unter den Sprachen der Welt, die sich weit ver­bre­it­et haben.

    Inter­es­sant ist die ara­bis­che Regel, den Plur­al der Adjek­tive von Sachen unab­hängig vom Genus als Fem­i­nine Form zu bilden. Aber für Per­so­n­en unter­schei­det man das Genus auch im Plural.

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  15. Theresa Jakob

    Faszinierend — zumin­d­est für mich als von HERRschaftssprache betrof­fe­nen Frau — und Nicht-Sprachwissenschaftlerin — 

    Das der eigentliche Diskurs von den HER­Ren hier wieder mal nicht geführt wird.

    Wann begreift ihr es endlich Jungs- ich als Frau bin “nicht Teil von” — es reicht mir nicht huld­voll miteingeschlossen zu wer­den von HERRschaftssprache

    Das gener­ische Maskulinum ist eben nicht nur ein Lin­guis­tis­ches Prob­lem son­dern ein HERRschaftsinstrument

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  16. Mathias Miller-Aichholz

    Die Frau Pusch und ihre lin­guis­tis­chen Ergüsse kön­nen mir gestohlen bleiben. Wenn Fem­i­nistin­nen argu­men­tieren, der für bei­de Geschlechter gel­tende Plur­al z.B. “die Arbeit­er” sei in Wirk­lichkeit ein männlich­er und kein neu­traler, weil er orthografisch ident mit ersterem ist, dann gälte im Umkehrschluss: “Sie” als Plur­al mehrerer Per­so­n­en ist weib­lich und nicht neu­tral, weil orthografisch ident mit dem weib­lichen Plur­al. Bei­des ist falsch.

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    1. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

      @ Math­ias Miller-Aich­holz: Laut Ihrer Web­seite hal­ten Sie sich ja für einen „Textspezial­is­ten“ – ich habe einen Spezial­is­ten-Tipp für Sie: Texte wer­den bess­er, wenn man Ahnung von dem hat, über das man schreibt. Das ist bei Ihrem Kom­men­tar ganz offen­sichtlich nicht der Fall, wenn Sie glauben, dass es Fem­i­nistin­nen oder irgend­je­man­dem son­st darum geht, ob etwas „orthogafisch ident“ ist. Das soge­nan­nte „gener­ische“ Maskulinum ist ein stin­knor­males auf Män­ner bezo­genes Maskulinum, weil es sprach­sys­temisch iden­tisch mit dem nor­malen Maskulinum ist und weil es psy­cholin­guis­tisch wie ein nor­males Maskulinum inter­pretiert wird. Das Plur­al ist *kein* Fem­i­ninum, weil es sprach­sys­temisch nicht ein­mal annäherungsweise mit diesem iden­tisch ist und psy­cholin­guis­tisch auch nicht so inter­pretiert wird. Und jet­zt gehen Sie doch ein­fach mal in sich, ler­nen entwed­er etwas über die Funk­tion­sweise von Sprache oder über­denken Ihre Beruf­swahl, und ers­paren uns Ihre ama­teurlin­guis­tis­chen Ergüsse.

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  17. .rhavin

    Es gbt sehr wohl gener­ische Fem­i­ni­na im Deutschen: ›die Zicke‹ oder ›die Schlampe‹ z.B. wer­den sowohl für Män­nchen als auch für Weibchen ver­wen­det. Auch mit ›eine Pet­ze‹ wer­den Män­ner sehr viel häu­figer etiket­tiert als mit der zumin­d­est exis­ten­ten wenn auch sel­te­nen masku­li­nen Form ›ein Petzer‹.

    Ihr seht liebe weib­liche Leser, es ist doch gerecht.

    😉

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  18. Kai Hiltmann

    Puschs und Ihre Argu­men­ta­tion sind for­mal vol­lkom­men kor­rekt, aber beziehen sie sich auf den Kern des Problems?
    Pusch geht davon aus, dass ein Begriff wie „Frau“ oder „Mann“ ein bes­timmtes Genus habe und dass dieses in der Flek­tion unverän­der­lich sei. Wenn es im Dativ „der Frau“ oder im Nom­i­na­tiv Plur­al „die Män­ner“ heiße, folge daraus offen­sichtlich, dass die Form des Pronomens vom Genus vol­lkom­men unab­hängig sei.
    Das ist allerd­ings ein for­maler Ansatz, den man hin­ter­fra­gen kann.

    Nehmen wir an, dass das biol­o­gis­che Geschlecht ein­er Per­son und das neu­trale eines Dings eine andere Kat­e­gorie darstelle als der sprach­liche Genus. Kon­ven­tioneller Weise beze­ich­nen wir diesen auch als „weib­lich“, „männlich“ oder „neu­tral“, was im Fall sein­er kat­e­gorischen Ander­sar­tigkeit ver­wirrend ist. Beze­ich­nen wir den Genus also z.B. als „sw“ (sprach­lich weib­lich), „sm“ und „sn“.
    Die Frage ist nun: was genau beze­ich­net der sprach­liche Genus? Es liegt sich­er auf der Hand, dass er mit dem biol­o­gis­chen Geschlecht kor­re­liert ist, immer­hin ist für die Kom­mu­nika­tion in ein­er Gesellschaft das biol­o­gis­che Geschlecht des Gegen­stands von hoher Bedeu­tung. Den­noch kön­nen auch andere Fak­toren Ein­fluss haben, denn was ist denn ein Mann / eine Frau in der Gesellschaft? Das biol­o­gis­che Geschlecht spielt im Fam­i­lien­zusam­men­hang eine Rolle; wichtige Aspek­te sind aber auch Dom­i­nanz vs. Unterord­nung, Aktiv­ität vs. Ruhe, Berechen­barkeit vs. Spon­taneität und viele andere. Möglicher­weise hat sich aus ein­er großen Zahl von gesellschaftlich rel­e­van­ten Aspek­t­po­lar­itäten eine Zuord­nung zu den drei Men­gen „sw“, „sm“ und „sn“ her­aus­ge­bildet, in denen zwar das biol­o­gis­che Geschlecht des Gegen­stands eine große, aber nicht die alleinige Rolle spielt.
    Die Flek­tions-Fälle beze­ich­nen primär die syn­tak­tis­che Funk­tion eines Wortes, sie beze­ich­nen aber auch Aspek­te eines Dings. Dem­nach kann „Frau“ im Dativ the­o­retisch dur­chaus in eine andere Zuord­nungs­gruppe rutschen als im Nom­i­na­tiv. „Män­ner“ ist eine Gruppe und damit etwas anderes als „Mann“, von einem Indi­vidu­um ganz zu schweigen. Eine Gruppe „Män­ner“ hat offen­sichtlich andere Eigen­schaften als „ein Mann“ und dieser wieder andere als „Thomas“. Zumin­d­est the­o­retisch kann daher der Begriff „Män­ner“ den Genus „sw“ besitzen, während „Mann“ den Genus „sm“ hat.
    Wir kön­nten uns auch vorstellen, dass statt mit­tels Sprache mit Malerei kom­mu­niziert werde. Die Farbe Rosa kön­nte dabei stark für das biol­o­gisch Weib­liche und Blau für das Männliche ste­hen. Eine Per­son kön­nte dann im Bild mehr mit Rosa- oder mehr mit Blautö­nen und eine Gruppe eher in Rosa als in Blau dargestellt wer­den oder dom­i­nante Per­so­n­en der Gruppe in Rosa und der Rest in Blau. Analoges wäre in musikalis­ch­er Kom­mu­nika­tion möglich.

    Unser aktuelles Prob­lem ist, dass Men­schen, die sich selb­st über ihr biol­o­gis­ches Geschlecht definieren, sich sprach­lich unpassend beschrieben oder sprach­lich aus­ge­gren­zt empfind­en. Das ist sehr sub­jek­tiv. Während eine Frau darauf beste­hen kann, als Kan­z­lerin beze­ich­net zu wer­den, hat der/die andere den Ein­druck, „Kan­z­lerin“ sei die dem Kan­zler zuge­ord­nete und von ihm abhängige Per­son („Frau Bürg­er­meis­terin“ als Frau des Bürg­er­meis­ters) und damit ein eher diskri­m­inieren­der Begriff – eine aktive und autonome Frau sei daher eher ein „Kan­zler“.

    In den ver­gan­genen Jahrhun­derten waren bes­timmte Lebens­bere­iche weib­lich und andere männlich dominiert. In den sprach­lichen Beze­ich­nun­gen ist damit sicher­lich oft der biol­o­gis­che Aspekt in den Vorder­grund getreten. Um diese Dom­i­nanz aufzubrechen, wäre der nahe­liegende Weg, sie physisch zu verän­dern, statt indi­rekt sprach­lich. Da der Mech­a­nis­mus der sprach­lichen Genus-Zuord­nung offen­sichtlich noch nahezu voll­ständig unver­standen ist, dürften prim­i­tive Umbe­nen­nun­gen auch keinen nach­halti­gen Effekt haben.

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  19. Mycroft

    Jet­zt mal ganz doof gefragt, was ist mit Hauptwörtern im Plur­al, die entwed­er keine Sin­gu­lar­form haben, oder aber solche, die nicht nur zu ein­er Sin­gu­lar­form gehören?
    Haben die kein Genus? Oder mehr als eines? Oder sind das getarnte Utren (Plur­al von “Utrum”, das Gegen­teil von Neutrum)?

    - Leute (Men­schen, Frauen, Män­ner, Kinder, etc.)
    — Eltern (Mut­ter, Vater, Elternteil)
    — Geschwis­ter (Schwest­er, Brud­er, Geschwisterchen)
    — Inter­sex­uelle (die Inter­sex­uelle, der Inter­sex­uelle, das inter­sex­uelle men­schliche Wesen, welch­es sich weigert, sich der chro­nis­chen Zweigen­derung unser­er Gesellschaft zu unter­w­er­fen, aber nicht mit “es” beze­ich­net wer­den will, und gerne ein eigenes Pronomen hätte)
    — Möbel (das Möbel­stück, ok, ver­mut­lich Neutrum)
    — Deutsche

    (Rei­hen­folge willkür­lich gewählt)

    Ich weiß nicht, ob das hier jet­zt die richtige Stelle für diese Frage ist.

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  20. Kristin Kopf

    @Mycroft: Das hat zwar wenig mit dem Beitrag zu tun, aber: Inter­sex­uelle und Deutsche sind ursprünglich Adjek­tive und kön­nen entsprechend (wie Adjek­tive auch) sowohl maskulin als auch fem­i­nin sein (vgl. hier, im Sprachlog gabs auch mal was dazu).

    Manche der anderen haben einen Sin­gu­lar (ein­fach mal im eben ver­link­ten Wörter­buch check­en), andere nicht — und wo kein Sin­gu­lar, da natür­lich auch keine Genus­bes­tim­mung nötig (und sinnvoll).

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  21. Mycroft

    Ok, dann bedanke ich mich trotz­dem für die Antwort.
    Es gibt zwar viele Dinge, die nicht nötig oder sin­nvoll sind, und trotz­dem getan wer­den, aber gut, was nicht geht, geht nicht. 😉

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  22. Pingback: Sexismus über die Sprache gewälzt | Gedankenfahrrad

  23. Phil Gagneur

    Die Frage ist möglicher­weise nur falsch formuliert…
    Wir soll­ten uns vielle­icht fra­gen Ob das deutsche Fem­i­ninum ursprünglich nicht ein Plu­ral­form entspricht? Es spricht viel dafür: ‑er wird für die Superlativbildung/die Präzisierung, ‑es für das “unbes­timmt” und ‑ie für “mehr/mehrere” verwent.
    Im Dativ wird “die” zu “der” > Der Mann ist mit di(es)er Frau gekommen…

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