Auf Anatols gestrigen Literaturhinweis zu Luise Puschs Repliken auf Maskulinguisten kommentierte Leser Martin, dass er nicht versteht, wie man „aus sprachwissenschaftlicher Sicht einen aktiven Eingriff in den Sprachgebrauch befürworten“ könne. Auf diese Art Argumentation wollte ich schon seit langem mal eingehen. Die Gelegenheit ist günstig.
Im Kern geht es vielen um einen angeblich offensichtlichen Widerspruch zwischen der Neutralität der Linguistik als deskriptive Wissenschaft und den Bemühungen um gerechte Sprache als direkten Eingriff in den Sprachgebrauch. Häufig wird der Vorwurf geäußert, dass Linguistinnen einerseits einen Eingriff zum „Schutz der Sprache“ mit Verweis auf eine deskriptive Perspektive ablehnen, andererseits aber mit (angeblichen) Forderungen nach sprachlicher Korrektur reagierten, wenn es um rassistische und sexistischen Sprachgebrauch geht (→ „Zensur!“). Linguistinnen, so die Schlussfolgerung, verhielten sich damit im Prinzip genau wie Sprachschützerinnen — nur eben umgekehrt.
Dieser Vorwurf wirkt vielleicht auf den ersten Blick nachvollziehbar — er ist aber völlig haltlos. Denn a) beruht er auf Missverständnissen und falschen Annahmen, b) vermischt er Dinge, die klar voneinander getrennt werden müssen und c) fordert er von Vertreterinnen der Sprachwissenschaft eine Neutralität, wie sie von keiner anderen Wissenschaftsdisziplin in ähnlichen gesellschaftspolitischen Kontexten erwartet werden würde.
Das erste Missverständnis ist die Vorstellung davon, was man unter „Sprachgebrauch“ versteht und was einen „aktiven Eingriff“ darstellt. Machen wir’s kurz: der Sprachgebrauch ist die Summe aller Äußerung aller Mitglieder der Sprachgemeinschaft in allen Situationen. Darin etwa durch grundgesetzliche Verankerung der Sprache eingreifen zu wollen, ist natürlich grob unfugig, weil sinnlos.
Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass Eingriffe per se unmöglich sind: denn mit jeder einzelnen Äußerung, mit der man Band durch Musikkapelle ersetzt, um einen Anglizismus zu vermeiden, greift die Sprecherin in den Sprachgebrauch ein, wenn auch zunächst nur auf der Mikroebene. Nichts anderes geschieht, wenn ich von meinen Studierenden spreche, anstatt von meinen Studenten oder meinen Studentinnen und Studenten. Es ist ein Eingriff in den Sprachgebrauch, ohne irgendjemandem vorzuschreiben, es mir gleich zu tun.
Die Entscheidungen einiger Universitäten, in offiziellen Schriftstücken bei generischer, also in nicht-spezifischer Referenz auf Personen statt dem Maskulinum das Femininum zu verwenden, ändert am Sprachgebrauch erstmal nur insofern etwas, weil da jetzt ein paar Schriftstücke als (sehr kleiner und eher minimalstreichweitiger) Teil des Sprachgebrauchs rumliegen, in denen das so ist. Viel wichtiger aber: es ist kein unmittelbarer Eingriff in den allgemeinen Sprachgebrauch, den aller anderen Mitglieder der Sprachgemeinschaft oder in die Sprache an sich. Es ist ja eins der größten Missverständnisse dieser Debatte: es ist eben auch keine sprachliche Zwangsverhaftung der Mitglieder der Universität (oder der Sprachgemeinschaft). Alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft können weiterhin selbst entscheiden, was sie verwenden, ohne Konsequenzen irgendeiner Art fürchten zu müssen. Wer sich natürlich schon durch die Debatte um gerechte Sprache angegriffen und konsequent verfolgt fühlt, dem sei gesagt, dass gerechte Sprache auch nichts dafür kann.
Ähnliches gilt übrigens in Teilen für die Debatte um die Tilgung rassistischer Begriffe in Kinderbüchern: es war erstmal nur die Entscheidung einiger Verlage über ihren Mikrosprachgebrauch. Sie sind aber keineswegs ein autoritäres Urteil darüber, wie die Sprachgemeinschaft zu sprechen hat. Sie sind aber natürlich erfreulicherweise ein Indiz dafür, wie sich immer mehr Sprecherinnen einen gerechten Sprachgebrauch vorstellen.
Ein mittelbarer Eingriff in den Sprachgebrauch aller ist folglich dann gegeben, wenn man erstens die persönlichen Präferenzen für gewisse sprachliche Formen aktiv in die Tat umsetzt. Man kehrt gewissermaßen zunächst vor seiner eigenen Tür und hofft, dass andere diesem Beispiel folgen. Übrigens: keine meiner Kolleginnen, Bekannten oder Freundinnen weist mich zurecht, wenn mir mal ein generisches Student rausrutscht — umgekehrt tue ich das auch nicht. ((Beim Begriff Neger ist das anders: dieser ist schon deutlich länger so negativ behaftet, dass er zumindest in meiner Welt entweder nicht verwendet oder bei Gebrauch instantan beanstandet wird.)) Wir sehen: immer noch spielen weder Zwang noch Zensur eine Rolle — daran ändert auch die (gefühlte oder reale) Vehemenz von allen Seiten nichts; die fällt wiederum eher unter eine persönliche Entscheidung, wie ich eine Diskussion führen möchte.
Wie nachhaltig ein so verstandener Eingriff in den Sprachgebrauch ist, hängt nun nicht nur von der persönlichen Verwendung und Verbreitung sprachlicher Muster ab, sondern auch davon, ob und wie plausibel man metaebenerdig argumentiert. Und diese Argumentation speisen die Linguistinnen und Kommentatorinnen anderer Disziplinen, die sich zu einer öffentlichen Diskussion entscheiden, in aller Regel aus Erkenntnissen der Wissenschaft. Dass solche Kommentare eine subjektive Grundmotivation mit sich bringen, ist natürlich, aber auch nur der Impuls für eine öffentliche Auseinandersetzung; der Argumentationskern sind Erkenntnisse aus einer deskriptiven Perspektive. ((Das unterscheidet linguistische Kommentatorinnen maximal von fast allen Sprachnörglerinnen.))
Die Annahme eines scheinbaren Widerspruchs zwischen linguistischer Deskription (wissenschaftlicher Anspruch) und normativen Handlungsanweisungen (gesellschaftspolitische Empfehlung) vermischt also chronologisch und konzeptuell zwei Ebenen miteinander. Wenn aus der Perspektive der Sozialwissenschaft im Allgemeinen ((Dazu zählen nicht wenige Linguistinnen ihre Disziplin aus guten Gründen.)) und der Linguistik im Speziellen zahlreiche Evidenz dafür existiert, dass der gegenwärtige Sprachgebrauch diskriminierend ist, dann kann man daraus ohne Widerspruch gesellschaftspolitische Kommentare ableiten — um den überwiegend normativ konnotierten Begriff Forderung an dieser Stelle mal zu vermeiden.
Dass deskriptive Wissenschaft und normative Handlungsanweisungen nicht im Widerspruch stehen, zeigen auch Analogien zu anderen Wissenschaften. Anatol brachte in den Kommentaren das Verhältnis von Biologinnen zur nicht-deskriptiven Medizin in die Diskussion, aber auch Empfehlungen für Umwelt‑, Bildungs- oder Wirtschaftspolitik beruhen auf Ergebnissen deskriptiver Wissenschaft. ((Wie diese Ergebnisse interpretiert und rezipiert oder ob sie von der Öffentlichkeit angenommen oder ob und wie sie von Regierungen umgesetzt werden und welche Rolle persönliche Motive spielen, steht auf einem völlig anderen Blatt; ebenso ob es sich um methodisch gute Forschung handelt oder nicht.)) Kern ist: nahezu überall, wo in diesen Fällen normative, gesellschaftliche Handlungsanweisungen draufstehen, stecken zumindest implizit objektiv-wissenschaftliche Kriterien drin.
Meine Lieblingsanalogie ist übrigens die, die sich ganz gut auf die Diskussionen um geschlechtergerechte Sprache als „verhunzte sprachliche Ästhetik“ anwenden lassen: Wenn Physikerinnen beobachten, dass der Apfel vom Baum nach unten fällt und nicht nach oben, ist es unerheblich, ob sie es aus ästhetischen Gründen lieber andersrum hätten. Aus ihrer Beobachtung folgern sie, dass man von einem Apfel getroffen und verletzt werden kann. Sie könnten also ihre Mitmenschen davor warnen, sich bei Starkwind unter einen Apfelbaum zu stellen. Sie können es bei misanthropischer Grundhaltung aber auch sein lassen. Wie stark eine eventuelle Nächstenliebe ausgeprägt ist, ist aber unabhängig von der deskriptiven Vorgehensweise, auf der die Erkenntnis und ihre Empfehlung beruht.
Was Leser Martin also genau mit „im Namen der Wissenschaft“ meinte, wenn sich Teile der Linguistik in Sprachgebrauchsdebatten einmischen, bleibt vage. Dass diese Forderungen (welche?) „im Namen der Wissenschaft“ dargestellt werden, kann ich nirgends erkennen, egal in welcher Disziplin. Es sei denn, man interpretiert die Berufung auf Forschungsergebnisse in Blogbeiträgen, Zeitungsinterviews oder Konferenzvorträgen als Darstellung „im Namen der Wissenschaft“. Das ist aber wenig zielführend. Denn erstens hat noch keine dieser Kommentatorinnen jemals sprachpolitische Forderungen gestellt, noch wäre es so, dass sich die Mitglieder der Sprachwissenschaft in großem Stil an dieser Art öffentlicher Debatte beteiligen würden. Man sollte diese Einwürfe also vielmehr dort einordnen, wo sie unter den mittelbaren, persönlich motivierten Eingriff in den Sprachgebrauch fallen.
Es gibt also keinen Grund einen Widerspruch zu konstruieren zwischen der Neutralität der Linguistik in Fragen des „Sprachverfalls“ — dessen These übrigens wissenschaftlich nicht operationalisierbar ist — und den Bemühungen darum, über die Mehrheit der Sprachgemeinschaft in nicht-diskriminierender Weise zu sprechen.
Bravo!
Ich möchte das noch zuspitzen: Doch, Wissenschaft ist auch selbst wertgebunden. Wahrhaftigkeit beispielsweise ist für Wissenschaft erforderlich. Daher können Wissenschaftler Lügen nicht wissenschaftlich rechtfertigen (auch wenn sie’s versuchen). Normative Argumente dafür, die Wahrheit zu sagen, sind aber in deskriptive Wissenschaft eingeschrieben.
Wenn man das weiterdenkt, ist auch menschliche Rechtsgleichheit und Redefreiheit wissenschaftsintern begründbar (und dem widersprechende Wissenschaftler geraten in einen performativen Selbstwiderspruch), weil für Wissenschaft das Argument zählt, nicht der Stand des Äußernden, und weil die Äußerung von Argumenten nicht verboten werden soll, weil das der Wissenschaft schadet.
Diese normativen Forderungen wurden Ihnen präsentiert im Namen der Wissenschaft. 🙂
Das Apfelphysikbeispiel gefällt mir; ich werde es bei Gelegenheit raubmordkopieren. Als etwas “seriöseres” Beispiel fiele mir etwa die Geschichtswissenschaft ein: Auch dort wird erst einmal untersucht, wie “die Geschichte” aussieht, welche Handlungen zu welchen Konsequenzen geführt oder beigetragen haben usw. Aber gerade von Geschichtswissenschaftler\inne\n würde man erwarten, dass sie sich auch aktiv zu aktuellen gesellschaftlich-politischen Entwicklungen äußern, insbesondere, wenn sie erkennen, dass diese Entwicklungen zu gefährlichen Konsequenzen führen können. Dann äußern sich jedoch einzelne Wissenschaftler\innen mit historischen Kenntnissen, nicht “die Geschichtswissenschaft(en)”.
Und auch in der Sprachwissenschaft äußern sich einzelne (mal mehr, mal weniger) Personen, nicht “die Sprachwissenschaft”. Die Wissenschaft bleibt deskriptiv, auch wenn Einzelne aus ihren Erkentnissen (auch unterschiedliche) Vorschläge und normative Forderungen ableiten. Bei den einzelnen Handelnden sehe ich also den Zusammenstoß zwischen Normativität und Deskriptivität: Deskriptive Forscher\innen *können* durchaus zu sprachpolitisch-normativ handelnden Personen werden. Und gerade weil sie sich in der Sache auskennen, sollten sie das auch. Dass dadurch der Sprachgebrauch evtl. massiv beeinflusst werden kann, der danach wieder deskriptiv untersucht wird, steht auf einem anderen Blatt.
[Habe übrigens die Kommentare beim anderen Artikel nicht gelesen und hoffe, ich wiederhole hier nicht zu viel.]
Danke, Susanne. Ich habe das übrigens (sehr viel kürzer und oberflächlicher) hier schon einmal diskutiert.
Vielleicht auch interessant, anzumerken, dass weitergehende Vorschläge zur feministischen Sprachplanung zunächst gar nicht, und bis heute nicht vorrangig von Sprachwissenschaftler/innen ausgingen/ausgehen, sondern von feministischen Aktivistinnen. Sprachwissenschaftler/innen (auch feministische) sind häufig eher zögerlich. Robin Lakoff glaubte 1973 nicht, dass sich das generische Maskulinum im Englischen abschaffen ließe und fand deshalb, man solle es gar nicht erst versuchen, sondern sich auf vielversprechendere Aspekte des Sprachgebrauchs konzentrieren. Heute ist das generische Maskulinum im Englischen in weiten Teilen verschwunden – weil feministische Aktivist/innen weniger zögerlich waren.
@Anatol: ups, den hatte ich gar nicht auf dem Zettel. Aber bei mittlerweile 1003 Beiträgen (gesehen?)…
@Michael: ja, nichts anderes habe ich gesagt. Der Kommentar, der meine Replik ausgelöst hat, war eine berechtigte Frage, sie erinnerte mich eben nur an den Vorwurf, der so oft gemacht wird. Und ob der so beeinflusste Sprachgebrauch wieder untersucht wird — das ist doch immer so. Es gibt ja nicht wenige Beispiele dafür, dass Sprachpflege Einfluss auf den Sprachgebrauch hat (von den Normen, die in der Schule gelehrt werden oder den Statusunterschieden, die dialektale Phänomene gegenüber der Standardsprache haben, ganz zu schweigen). Interessant ist dann doch die Frage, wie sich so etwas auswirkt.
@Erbloggtes: na klar, und stünde diese Wertgebundenheit, also das moralisch-ethische Grundverständnis, dann nicht vor der deskriptiven Verpflichtung?
Nette Analogie mit dem Apfelbaum, die sehr schön zeigt, was mir, vielleicht Leser Martin und anderen aufstößt:
Der Physik-Dozierende belässt es bei einem Vortrag über Gravitation mit einem dezenten Hinweis auf “bei Starkwind also besser nicht unter einen Apfelbaum stellen”. Und unterlässt — auch bei stark ausgeprägter Nächstenliebe — umfangreiche Forderungen nach Schaffung von Sperrzonen unter Apfel- und anderen Bäumen.
P.s.: Was für ein schönes Wort: Minimalstreichweitig!
Zunächst mal vielen Dank für den Artikel. Der Physikervergleich ist für mich auch sehr einleuchtend.
Zum “im Namen der Wissenschaft”: wann immer ich ein Interview mit z.B. Frau Pusch lese (z.B. http://www.nzz.ch/wissen/bildung/interview-pusch‑1.18112625), wird sie als Sprachwissenschaftlerin vorgestellt, und nicht als Feministin. Auch die Forderungen im Artikel (z.B. nach diesem “-in”-Eintrichtern) klingen meines Erachtens dadurch viel plausibler, “hat ja eine Wissenschaftlerin gesagt”. Und sprachpolitische Forderungen stellt Frau Pusch doch auch, oder nicht? (z.B. hier: http://www.dw.de/der-die-das-professor/a‑16864556) Ich sehe ja ein, dass das natürlich zunächst “nur” die Meinung von Frau Pusch ist, aber es wirkte auf mich eben anders. Aber ich hab’s ja jetzt kapiert.
Gegen den letzten Absatz lege ich aber doch mal Widerspruch ein: natürlich weiß ich (als studierter Germanist), dass an der These vom Sprachverfall nichts dran ist. Es ging mir ja auch überhaupt nicht darum, gendergerechte Sprache zu verbieten oder als Sprachverfall darzustellen, sondern nur darum, wie man sie als Sprachwissenschaftler begründet. Ich will nur nicht den Eindruck erwecken, ich würde geschlechtergerechte Sprache als “Verfall” betrachten oder aus anderen Gründen ablehnen.
@Martin: um Gottes willen, nein, das habe ich so auch nicht verstanden (und hoffentlich nicht so gesagt). Die wohltuend sachliche Diskussion hier (und gestern) war ja nur ein Auslöser dafür, was ich schon länger kommentieren wollte. Es erinnerte mich also nur daran. Da habe ich die Argumentation etwas verlagert.
Und was die Forderungen angeht: da muss man unterscheiden um Sprachpolitik im engeren Sinne, also der gesetzlich-rechtlich relevanten Politik und der „politischen“ Diskussion im weiteren Sinne, wenn man annimmt, dass diese Diskussionen grundsätzlich „politisch“ sind (im Sinne der gesellschaftlichen Mitwirkung). Letzteres ist natürlich gegeben, ersteres hat aber m.M.n. noch keine Sprachwissenschaftlerin gefordert, auch Frau Pusch nicht. Und dass Frau Pusch als Sprachwissenschaftlerin vorgestellt wird, liegt daran, dass sie eine ist, nicht, dass sie im Namen derselben handelt. Wenn eine Umweltbiologin zu Umweltfragen befragt wird, wird sie auch als solche Vorgestellt, nicht als Aktivistin (meistens, würde ich jetzt sagen).
@Susanne, 17:49: Ja, diese Normen sind Voraussetzungen deskriptiver Wissenschaft. Wenn man ihnen nicht zustimmt, braucht man mit Wissenschaft gar nicht erst anzufangen, weil sie dann schon im Ansatz scheitert. Wenn man die Normen leugnet, predigt man besser den wahren Glauben, statt wissenschaftlich zu arbeiten. Es soll ja neulich eine Wissenschaftsministerin gegeben haben, der es so ging.
PS: Puh, der Doppelpunkt zwischen den Uhrzeitziffern in meinem Kommentar ragt ja schrecklich weit empor. Dafür ist der Font offenbar nicht gemacht.
@Susanne: ok, diese Unterscheidung werde ich mir für die Zukunft merken. Da war ich wohl etwas zu voreilig bei meinen Rückschlüssen.
Das mit den Bezeichnungen ist so eine Sache für mich, und auch der Grund warum ich die Frage überhaupt gestellt habe: natürlich ist Frau Pusch Sprachwissenschaftlerin und ich will ihr die Kompetenz in diesem Bereich auch um Gottes Willen nicht absprechen, aber sie ist halt auch Feministin und ein Interview mit ihr hätte einen ganz anderen Klang, wenn sie auch als solche vorgestellt werden würde. Auch wenn die Aussagen ja dieselben wären und Frau Pusch dadurch auch nicht weniger Recht hätte.
Hmm…ich muss mir gerade mal Gedanken über die Konsequenzen meiner Aussage machen: zugespitzt suggeriere ich ja einen Interessenkonflikt. Das wollte ich aber eigentlich gar nicht. Hmm…
Zunächst einmal: Ich bin heute zum ersten Mal auf diesen Blog gestoßen.
Die Diskussion um gerechten Sprachgebrauch finde ich immer wieder interessant, aber so oft ich diverse Meinungen dazu lese, ich kann einfach nicht verstehen, wieso jemand sich für das generische Femininum entscheidet. Diese Form ist genauso diskriminierend wie die maskuline Form, und nur weil Frauen “so lange” diskriminiert wurden, ist es jetzt wohl kaum gerechtfertigt, den Spieß umzudrehen, oder? Zumal sich die Mehrheit der Frauen durch das generische Maskulinum nicht diskriminiert fühlt. Die gesamte Sprache besteht nur aus Normen. Da könnte ich genauso gut anfangen zu sagen “die Tisch”, weil mir der maskuline Artikel vielleicht aufstößt. Das ist natürlich “falsch”, aber diese Tatsache beruht ja auch nur auf einer Norm.
Aber das ist das Grundsätzliche, das es sich mit mir vielleicht gar nicht mehr zu diskutieren lohnt, vielleicht ist das meine eigene Schuld.
Problematisch an dem Artikel hier finde ich den Apfelvergleich, der hier in den Kommentaren auch noch hochgelobt wird. Ich sehe nicht ein, was ein physikalisches Phänomen mit einem sprachlichen Phänomen zu tun haben soll. Es ist eine physikalische Notwendigkeit, dass der Apfel herunterfällt. Es ist KEINE Notwendigkeit, dass irgendeine bestimmte sprachliche Form verwendet wird, wie du selbst schreibst. So ein plakatives und unpassendes Beispiel kann nur akzeptieren, wer schon deiner Meinung ist. Überzeugen wird es niemanden. Das nur als Tipp.
@ Manuela: Danke für Ihre Besorgnis. Wir freuen uns immer über Tipps von Leuten, die a) „zum ersten Mal auf diesen Blog stoßen“, b) „nicht verstehen können“, was X soll, aber auch keine Zeit darauf verwenden, etwas über X herauszufinden, c) Pseudo-Argumente wiederholen, mit denen seit dreißig Jahren versucht wird, die Diskussion um gerechte Sprache zum entgleisen zu bringen, und d) „nicht einsehen“, was Y bedeuten soll, aber auch keine Mühe darauf verwenden, Y zu verstehen.
@Anatol: Der Vergleich mit der Situation im Englischen hinkt auch an allen Ecken und Kanten. Da im Englischen weder bei Artikeln noch Substantiven in der Regel eine geschlechtsspezifische Form erkennbar ist, fällt es in dieser Sprache viel leichter, einen “gerechten” Sprachgebrauch durchzusetzen. Man muss nur ab und an ein Personalpronomen anpassen. Es ist völlig verständlich, dass solche geringen Änderungen auf wesentlich weniger Widerstand stoßen als die großen Anpassungen, die im Deutschen nötig sind.
Es mag im englischsprachigen Raum engagiertere Feministinnen gegeben haben, das kann ich nicht beurteilen, aber die sprachliche Lage wird definitv den größten Teil beigetragen haben.
@ Manuela: Und auch hier noch einmal: Wenn Sie etwas nach eigener Aussage „nicht beurteilen können“, warum glauben Sie dann, dass Sie etwas dazu beizutragen haben?
@Anatol: Ich muss mir wohl kaum von einer fremden Person vorwerfen lassen, dass ich mich nicht genügend mit Sachverhalten auseinandersetze. Im Gegenteil verstehe ich TROTZ der vielen, scheinbar so schlagkräftigen Argumente der anderen Seite diese Position nicht. Anstatt mir sarkastisch Vorwürfe zu machen, wäre es vielleicht angebracht gewesen, a) Erklärungen für die eigene Position vorzubringen oder (da ich verstehen kann, dass man jemand Verständnislosem nicht alles von vorn erklären will) b) mich auf Quellen zu verweisen, bei denen ich möglicherweise mehr dazu erfahren kann. Nicht, dass ich diese nicht selbst finden könnte, aber davon auszugehen, dass ich mich nicht erkundigen will und mich dann noch nicht einmal dazu zu ermutigen ist auch nicht gerade die feine Art.
Ebenso ist der Einsatz von Variablen und des Wortes “Pseudo-Argumente” nicht gerade ein fundierterer Umgang mit meinem Kommentar, als es meiner mit dem Artikel sein mag.
Wie schön auch, dass abweichende Meinungen hier so offen empfangen werden.
@ Manuela: Schön, dass Sie das einsehen.
@Anatol: Zumindest behaupte ich nicht etwas beurteilen zu können, was ich nicht kann. Statt eines erneuten Vorwurfs hätte ich mir hier ein paar Fakten von Ihnen erwünscht. Und statt nur auf meinen letzten Satz einzugehen, hätten Sie auch zu den Argumenten, die ich sehr wohl meine beurteilen zu können, etwas beitragen können.
@ Manuela: Und ich hätte mir erwünscht, dass Leute, die hier kommentieren, sich vorher mit dem Thema befassen, vor allem, wenn es eines ist, das hier im Blog immer wieder ausführlich diskutiert wurde und wird. Tja, da bekommen wir wohl heute beide nicht unsere Wünsche erfüllt.
@hext: Sie irren sich. Wir Physikerinnen machen sehr wohl dringende normative Vorschläge für die Einrichtung von Sperrzonen. Allerdings nicht um Apfelbäume, da der Treffer eines herabfallenden Apfels aus wenigen Metern meistens ungefährlich ist. Im Bundesamt für Strahlenschutz und in der Strahlenschutzkommisionen sind es hauptsächlich Physikerinnen und Strahlenmedizinerinnen, also Vertreterinnen deskriptiver Wissenschafen, die Vorschläge für Strahlenschutznormen erstellen.
“wenn mir mal ein generisches Student rausrutscht”
Ja, was denn nun? Ist es generisch? Dann können Sie es auch generisch verwenden.
@ Karla_Sophia Natürlich kann man es generisch verwenden. Man kann auch rassistische Ausdrücke in Kinderbücher schreiben, Frauen mit sexualisierten Beschimpfungen herabwürdigen, das Wort homosexuell und seine Synonyme als Schimpfwörter verwenden. Dass man es kann, heißt aber nicht, dass man es sollte.
@Anatol Stefanowitsch
“Natürlich kann man es generisch verwenden.”
Wenn es ein generischer Ausdruck IST, dann ist seine Verwendung mit denen von Ihnen angeführten Beispielen nicht vergleichbar.
Es ist kein generischer Ausdruck.
Wenn es kein generischer Ausruck ist, wie ist dann folgendes möglich:
“wenn mir mal ein generisches Student rausrutscht”
Ok, falls es hilft:
Ehrlich gesagt ist das jetzt aber eher Haarspalterei.
“Ehrlich gesagt ist das jetzt aber eher Haarspalterei.”
Wenn man auf die Bedeutung von Begriffen Wert legt, sollte man sich präzise ausdrücken. Wenn Sie das allerdings haasrpalterisch finden, sagen Sie einfach weiter “Studenten”. Ich bin sicher, Sie werden verstanden werden.
Dass keiner gezwungen wird, das generischen Femininum oder geschlechtsneutrale Begriffe zu benutzen, ist ja klar. Problematisch ist es in einer konkreten Situation dennoch. Um Missverständnisse zu vermeiden (da ich die Bemühungen um eine gerechte Sprache richtig finde und es mir nur darum geht, was passieren könnte), nehme ich als Beispiel Kleiderordnungen. Natürlich wird keiner gezwungen, auf einer Hochzeit einen Anzug zu tragen, die Konvention verlangt aber nach formaler Kleidung, was für den Mann Anzug bedeutet (ich behaupte mal ohne weiteres Wissen, dass dies im Durchschnitt noch zutrifft. Man korrigiere mich). Trägt man keinen, gibt man den anderen zu verstehen, dass man nicht bereit ist, dieser Konvention folgen. Gleichzeitig wird allen anderen deutlich gemacht, dass sie einer willkürlichen Konvention folgen, deren Einhaltung optional bzw. eine bewusste Entscheidung ist. Da kann das Selbstbild ins Wanken kommen (“eigentlich bin ich ja locker, aber ein Anzug bei einer Hochzeit muss doch sein”), was wiederum zu negativen Gefühlen ggüber dem anders gekleideten führen kann. Daher kommt vielleicht die Missdeutung, dass Hinweise auf gerechte Sprache als Forderung oder Zwang gesehen werden, was dann Trotzreaktionen oder eben hanebüchene Bestätigungen des Selbstbildes (“wenn ich das generische Maskulinum benutze, bin ich trotzdem kein Sexist, weil…”) zur Folge hat.