Von der Neutralität der Linguistik

Von Susanne Flach

Auf Ana­tols gestri­gen Lit­er­aturhin­weis zu Luise Puschs Rep­liken auf Maskulin­guis­ten kom­men­tierte Leser Mar­tin, dass er nicht ver­ste­ht, wie man „aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht einen aktiv­en Ein­griff in den Sprachge­brauch befür­worten“ könne. Auf diese Art Argu­men­ta­tion wollte ich schon seit langem mal einge­hen. Die Gele­gen­heit ist günstig.

Im Kern geht es vie­len um einen ange­blich offen­sichtlichen Wider­spruch zwis­chen der Neu­tral­ität der Lin­guis­tik als deskrip­tive Wis­senschaft und den Bemühun­gen um gerechte Sprache als direk­ten Ein­griff in den Sprachge­brauch. Häu­fig wird der Vor­wurf geäußert, dass Lin­guistin­nen ein­er­seits einen Ein­griff zum „Schutz der Sprache“ mit Ver­weis auf eine deskrip­tive Per­spek­tive ablehnen, ander­er­seits aber mit (ange­blichen) Forderun­gen nach sprach­lich­er Kor­rek­tur reagierten, wenn es um ras­sis­tis­che und sex­is­tis­chen Sprachge­brauch geht (→ „Zen­sur!“). Lin­guistin­nen, so die Schlussfol­gerung, ver­hiel­ten sich damit im Prinzip genau wie Sprach­schützerin­nen — nur eben umgekehrt.

Dieser Vor­wurf wirkt vielle­icht auf den ersten Blick nachvol­lziehbar — er ist aber völ­lig halt­los. Denn a) beruht er auf Missver­ständ­nis­sen und falschen Annah­men, b) ver­mis­cht er Dinge, die klar voneinan­der getren­nt wer­den müssen und c) fordert er von Vertreterin­nen der Sprach­wis­senschaft eine Neu­tral­ität, wie sie von kein­er anderen Wis­senschafts­diszi­plin in ähn­lichen gesellschaft­spoli­tis­chen Kon­tex­ten erwartet wer­den würde.

Das erste Missver­ständ­nis ist die Vorstel­lung davon, was man unter „Sprachge­brauch“ ver­ste­ht und was einen „aktiv­en Ein­griff“ darstellt. Machen wir’s kurz: der Sprachge­brauch ist die Summe aller Äußerung aller Mit­glieder der Sprachge­mein­schaft in allen Sit­u­a­tio­nen. Darin etwa durch grundge­set­zliche Ver­ankerung der Sprache ein­greifen zu wollen, ist natür­lich grob unfugig, weil sinnlos.

Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass Ein­griffe per se unmöglich sind: denn mit jed­er einzel­nen Äußerung, mit der man Band durch Musikkapelle erset­zt, um einen Anglizis­mus zu ver­mei­den, greift die Sprecherin in den Sprachge­brauch ein, wenn auch zunächst nur auf der Mikroebene. Nichts anderes geschieht, wenn ich von meinen Studieren­den spreche, anstatt von meinen Stu­den­ten oder meinen Stu­dentin­nen und Stu­den­ten. Es ist ein Ein­griff in den Sprachge­brauch, ohne irgend­je­man­dem vorzuschreiben, es mir gle­ich zu tun.

Die Entschei­dun­gen einiger Uni­ver­sitäten, in offiziellen Schrift­stück­en bei gener­isch­er, also in nicht-spez­i­fis­ch­er Ref­erenz auf Per­so­n­en statt dem Maskulinum das Fem­i­ninum zu ver­wen­den, ändert am Sprachgebrauch erst­mal nur insofern etwas, weil da jet­zt ein paar Schrift­stücke als (sehr klein­er und eher min­i­mal­stre­ich­weit­iger) Teil des Sprachge­brauchs rum­liegen, in denen das so ist. Viel wichtiger aber: es ist kein unmit­tel­bar­er Ein­griff in den all­ge­meinen Sprachge­brauch, den aller anderen Mit­glieder der Sprachge­mein­schaft oder in die Sprache an sich. Es ist ja eins der größten Missver­ständ­nisse dieser Debat­te: es ist eben auch keine sprach­liche Zwangsver­haf­tung der Mit­glieder der Uni­ver­sität (oder der Sprachge­mein­schaft). Alle Mit­glieder der Sprachge­mein­schaft kön­nen weit­er­hin selb­st entschei­den, was sie ver­wen­den, ohne Kon­se­quen­zen irgen­dein­er Art fürcht­en zu müssen. Wer sich natür­lich schon durch die Debat­te um gerechte Sprache ange­grif­f­en und kon­se­quent ver­fol­gt fühlt, dem sei gesagt, dass gerechte Sprache auch nichts dafür kann.

Ähn­lich­es gilt übri­gens in Teilen für die Debat­te um die Tilgung ras­sis­tis­ch­er Begriffe in Kinder­büch­ern: es war erst­mal nur die Entschei­dung einiger Ver­lage über ihren Mikrosprachge­brauch. Sie sind aber keineswegs ein autoritäres Urteil darüber, wie die Sprachge­mein­schaft zu sprechen hat. Sie sind aber natür­lich erfreulicher­weise ein Indiz dafür, wie sich immer mehr Sprecherin­nen einen gerecht­en Sprachge­brauch vorstellen.

Ein mit­tel­bar­er Ein­griff in den Sprachge­brauch aller ist fol­glich dann gegeben, wenn man erstens die per­sön­lichen Präferen­zen für gewisse sprach­liche For­men aktiv in die Tat umset­zt. Man kehrt gewis­ser­maßen zunächst vor sein­er eige­nen Tür und hofft, dass andere diesem Beispiel fol­gen. Übri­gens: keine mein­er Kol­legin­nen, Bekan­nten oder Fre­undin­nen weist mich zurecht, wenn mir mal ein gener­isches Stu­dent raus­rutscht — umgekehrt tue ich das auch nicht. ((Beim Begriff Neger ist das anders: dieser ist schon deut­lich länger so neg­a­tiv behaftet, dass er zumin­d­est in mein­er Welt entwed­er nicht ver­wen­det oder bei Gebrauch instan­tan bean­standet wird.)) Wir sehen: immer noch spie­len wed­er Zwang noch Zen­sur eine Rolle — daran ändert auch die (gefühlte oder reale) Vehe­menz von allen Seit­en nichts; die fällt wiederum eher unter eine per­sön­liche Entschei­dung, wie ich eine Diskus­sion führen möchte.

Wie nach­haltig ein so ver­standen­er Ein­griff in den Sprachge­brauch ist, hängt nun nicht nur von der per­sön­lichen Ver­wen­dung und Ver­bre­itung sprach­lich­er Muster ab, son­dern auch davon, ob und wie plau­si­bel man metaeben­erdig argu­men­tiert. Und diese Argu­men­ta­tion speisen die Lin­guistin­nen und Kom­men­ta­torin­nen ander­er Diszi­plinen, die sich zu ein­er öffentlichen Diskus­sion entschei­den, in aller Regel aus Erken­nt­nis­sen der Wis­senschaft. Dass solche Kom­mentare eine sub­jek­tive Grund­mo­ti­va­tion mit sich brin­gen, ist natür­lich, aber auch nur der Impuls für eine öffentliche Auseinan­der­set­zung; der Argu­men­ta­tionskern sind Erken­nt­nisse aus ein­er deskrip­tiv­en Per­spek­tive. ((Das unter­schei­det lin­guis­tis­che Kom­men­ta­torin­nen max­i­mal von fast allen Sprachnörglerinnen.))

Die Annahme eines schein­baren Wider­spruchs zwis­chen lin­guis­tis­ch­er Deskrip­tion (wis­senschaftlich­er Anspruch) und nor­ma­tiv­en Hand­lungsan­weisun­gen (gesellschaft­spoli­tis­che Empfehlung) ver­mis­cht also chro­nol­o­gisch und konzeptuell zwei Ebe­nen miteinan­der. Wenn aus der Per­spek­tive der Sozial­wis­senschaft im All­ge­meinen ((Dazu zählen nicht wenige Lin­guistin­nen ihre Diszi­plin aus guten Grün­den.)) und der Lin­guis­tik im Speziellen zahlre­iche Evi­denz dafür existiert, dass der gegen­wär­tige Sprachge­brauch diskri­m­inierend ist, dann kann man daraus ohne Wider­spruch gesellschaft­spoli­tis­che Kom­mentare ableit­en — um den über­wiegend nor­ma­tiv kon­notierten Begriff Forderung an dieser Stelle mal zu vermeiden.

Dass deskrip­tive Wis­senschaft und nor­ma­tive Hand­lungsan­weisun­gen nicht im Wider­spruch ste­hen, zeigen auch Analo­gien zu anderen Wis­senschaften. Ana­tol brachte in den Kom­mentaren das Ver­hält­nis von Biologin­nen zur nicht-deskrip­tiv­en Medi­zin in die Diskus­sion, aber auch Empfehlun­gen für Umwelt‑, Bil­dungs- oder Wirtschaft­spoli­tik beruhen auf Ergeb­nis­sen deskrip­tiv­er Wis­senschaft. ((Wie diese Ergeb­nisse inter­pretiert und rezip­iert oder ob sie von der Öffentlichkeit angenom­men oder ob und wie sie von Regierun­gen umge­set­zt wer­den und welche Rolle per­sön­liche Motive spie­len, ste­ht auf einem völ­lig anderen Blatt; eben­so ob es sich um method­isch gute Forschung han­delt oder nicht.)) Kern ist: nahezu über­all, wo in diesen Fällen nor­ma­tive, gesellschaftliche Hand­lungsan­weisun­gen drauf­ste­hen, steck­en zumin­d­est impliz­it objek­tiv-wis­senschaftliche Kri­te­rien drin.

Meine Lieblingsanalo­gie ist übri­gens die, die sich ganz gut auf die Diskus­sio­nen um geschlechterg­erechte Sprache als „ver­hun­zte sprach­liche Ästhetik“ anwen­den lassen: Wenn Physik­erin­nen beobacht­en, dass der Apfel vom Baum nach unten fällt und nicht nach oben, ist es uner­he­blich, ob sie es aus ästhetis­chen Grün­den lieber ander­srum hät­ten. Aus ihrer Beobach­tung fol­gern sie, dass man von einem Apfel getrof­fen und ver­let­zt wer­den kann. Sie kön­nten also ihre Mit­men­schen davor war­nen, sich bei Stark­wind unter einen Apfel­baum zu stellen. Sie kön­nen es bei mis­an­thropis­ch­er Grund­hal­tung aber auch sein lassen. Wie stark eine eventuelle Näch­sten­liebe aus­geprägt ist, ist aber unab­hängig von der deskrip­tiv­en Vorge­hensweise, auf der die Erken­nt­nis und ihre Empfehlung beruht.

Was Leser Mar­tin also genau mit „im Namen der Wis­senschaft“ meinte, wenn sich Teile der Lin­guis­tik in Sprachge­brauchs­de­bat­ten ein­mis­chen, bleibt vage. Dass diese Forderun­gen (welche?) „im Namen der Wis­senschaft“ dargestellt wer­den, kann ich nir­gends erken­nen, egal in welch­er Diszi­plin. Es sei denn, man inter­pretiert die Beru­fung auf Forschungsergeb­nisse in Blog­beiträ­gen, Zeitungsin­ter­views oder Kon­feren­zvorträ­gen als Darstel­lung „im Namen der Wis­senschaft“. Das ist aber wenig zielführend. Denn erstens hat noch keine dieser Kom­men­ta­torin­nen jemals sprach­poli­tis­che Forderun­gen gestellt, noch wäre es so, dass sich die Mit­glieder der Sprach­wis­senschaft in großem Stil an dieser Art öffentlich­er Debat­te beteili­gen wür­den. Man sollte diese Ein­würfe also vielmehr dort einord­nen, wo sie unter den mit­tel­baren, per­sön­lich motivierten Ein­griff in den Sprachge­brauch fallen.

Es gibt also keinen Grund einen Wider­spruch zu kon­stru­ieren zwis­chen der Neu­tral­ität der Lin­guis­tik in Fra­gen des „Sprachver­falls“ — dessen These übri­gens wis­senschaftlich nicht oper­a­tional­isier­bar ist — und den Bemühun­gen darum, über die Mehrheit der Sprachge­mein­schaft in nicht-diskri­m­inieren­der Weise zu sprechen.

27 Gedanken zu „Von der Neutralität der Linguistik

  1. Erbloggtes

    Bra­vo!

    Ich möchte das noch zus­pitzen: Doch, Wis­senschaft ist auch selb­st wert­ge­bun­den. Wahrhaftigkeit beispiel­sweise ist für Wis­senschaft erforder­lich. Daher kön­nen Wis­senschaftler Lügen nicht wis­senschaftlich recht­fer­ti­gen (auch wenn sie’s ver­suchen). Nor­ma­tive Argu­mente dafür, die Wahrheit zu sagen, sind aber in deskrip­tive Wis­senschaft eingeschrieben.

    Wenn man das wei­t­er­denkt, ist auch men­schliche Rechts­gle­ich­heit und Rede­frei­heit wis­senschaftsin­tern begründ­bar (und dem wider­sprechende Wis­senschaftler ger­at­en in einen per­for­ma­tiv­en Selb­st­wider­spruch), weil für Wis­senschaft das Argu­ment zählt, nicht der Stand des Äußern­den, und weil die Äußerung von Argu­menten nicht ver­boten wer­den soll, weil das der Wis­senschaft schadet.

    Diese nor­ma­tiv­en Forderun­gen wur­den Ihnen präsen­tiert im Namen der Wissenschaft. 🙂

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  2. Michael

    Das Apfel­physik­beispiel gefällt mir; ich werde es bei Gele­gen­heit raub­mord­kopieren. Als etwas “ser­iöseres” Beispiel fiele mir etwa die Geschichtswis­senschaft ein: Auch dort wird erst ein­mal unter­sucht, wie “die Geschichte” aussieht, welche Hand­lun­gen zu welchen Kon­se­quen­zen geführt oder beige­tra­gen haben usw. Aber ger­ade von Geschichtswissenschaftler\inne\n würde man erwarten, dass sie sich auch aktiv zu aktuellen gesellschaftlich-poli­tis­chen Entwick­lun­gen äußern, ins­beson­dere, wenn sie erken­nen, dass diese Entwick­lun­gen zu gefährlichen Kon­se­quen­zen führen kön­nen. Dann äußern sich jedoch einzelne Wissenschaftler\innen mit his­torischen Ken­nt­nis­sen, nicht “die Geschichtswissenschaft(en)”.
    Und auch in der Sprach­wis­senschaft äußern sich einzelne (mal mehr, mal weniger) Per­so­n­en, nicht “die Sprach­wis­senschaft”. Die Wis­senschaft bleibt deskrip­tiv, auch wenn Einzelne aus ihren Erkent­nis­sen (auch unter­schiedliche) Vorschläge und nor­ma­tive Forderun­gen ableit­en. Bei den einzel­nen Han­del­nden sehe ich also den Zusam­men­stoß zwis­chen Nor­ma­tiv­ität und Deskrip­tiv­ität: Deskrip­tive Forscher\innen *kön­nen* dur­chaus zu sprach­poli­tisch-nor­ma­tiv han­del­nden Per­so­n­en wer­den. Und ger­ade weil sie sich in der Sache ausken­nen, soll­ten sie das auch. Dass dadurch der Sprachge­brauch evtl. mas­siv bee­in­flusst wer­den kann, der danach wieder deskrip­tiv unter­sucht wird, ste­ht auf einem anderen Blatt.
    [Habe übri­gens die Kom­mentare beim anderen Artikel nicht gele­sen und hoffe, ich wieder­hole hier nicht zu viel.]

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  3. Anatol Stefanowitsch

    Danke, Susanne. Ich habe das übri­gens (sehr viel kürz­er und ober­fläch­lich­er) hier schon ein­mal diskutiert.

    Vielle­icht auch inter­es­sant, anzumerken, dass weit­erge­hende Vorschläge zur fem­i­nis­tis­chen Sprach­pla­nung zunächst gar nicht, und bis heute nicht vor­rangig von Sprachwissenschaftler/innen ausgingen/ausgehen, son­dern von fem­i­nis­tis­chen Aktivistin­nen. Sprachwissenschaftler/innen (auch fem­i­nis­tis­che) sind häu­fig eher zöger­lich. Robin Lakoff glaubte 1973 nicht, dass sich das gener­ische Maskulinum im Englis­chen abschaf­fen ließe und fand deshalb, man solle es gar nicht erst ver­suchen, son­dern sich auf vielver­sprechen­dere Aspek­te des Sprachge­brauchs konzen­tri­eren. Heute ist das gener­ische Maskulinum im Englis­chen in weit­en Teilen ver­schwun­den – weil fem­i­nis­tis­che Aktivist/innen weniger zöger­lich waren.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Anatol: ups, den hat­te ich gar nicht auf dem Zettel. Aber bei mit­tler­weile 1003 Beiträ­gen (gese­hen?)…

      @Michael: ja, nichts anderes habe ich gesagt. Der Kom­men­tar, der meine Rep­lik aus­gelöst hat, war eine berechtigte Frage, sie erin­nerte mich eben nur an den Vor­wurf, der so oft gemacht wird. Und ob der so bee­in­flusste Sprachge­brauch wieder unter­sucht wird — das ist doch immer so. Es gibt ja nicht wenige Beispiele dafür, dass Sprach­pflege Ein­fluss auf den Sprachge­brauch hat (von den Nor­men, die in der Schule gelehrt wer­den oder den Sta­tusun­ter­schieden, die dialek­tale Phänomene gegenüber der Stan­dard­sprache haben, ganz zu schweigen). Inter­es­sant ist dann doch die Frage, wie sich so etwas auswirkt.

      @Erbloggtes: na klar, und stünde diese Wert­ge­bun­den­heit, also das moralisch-ethis­che Grund­ver­ständ­nis, dann nicht vor der deskrip­tiv­en Verpflichtung?

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  4. hext

    Nette Analo­gie mit dem Apfel­baum, die sehr schön zeigt, was mir, vielle­icht Leser Mar­tin und anderen aufstößt: 

    Der Physik-Dozierende belässt es bei einem Vor­trag über Grav­i­ta­tion mit einem dezen­ten Hin­weis auf “bei Stark­wind also bess­er nicht unter einen Apfel­baum stellen”. Und unter­lässt — auch bei stark aus­geprägter Näch­sten­liebe — umfan­gre­iche Forderun­gen nach Schaf­fung von Sper­rzo­nen unter Apfel- und anderen Bäumen.

    P.s.: Was für ein schönes Wort: Minimalstreichweitig!

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  5. Martin

    Zunächst mal vie­len Dank für den Artikel. Der Physik­erver­gle­ich ist für mich auch sehr einleuchtend.

    Zum “im Namen der Wis­senschaft”: wann immer ich ein Inter­view mit z.B. Frau Pusch lese (z.B. http://www.nzz.ch/wissen/bildung/interview-pusch‑1.18112625), wird sie als Sprach­wis­senschaft­lerin vorgestellt, und nicht als Fem­i­nistin. Auch die Forderun­gen im Artikel (z.B. nach diesem “-in”-Eintrichtern) klin­gen meines Eracht­ens dadurch viel plau­si­bler, “hat ja eine Wis­senschaft­lerin gesagt”. Und sprach­poli­tis­che Forderun­gen stellt Frau Pusch doch auch, oder nicht? (z.B. hier: http://www.dw.de/der-die-das-professor/a‑16864556) Ich sehe ja ein, dass das natür­lich zunächst “nur” die Mei­n­ung von Frau Pusch ist, aber es wirk­te auf mich eben anders. Aber ich hab’s ja jet­zt kapiert.

    Gegen den let­zten Absatz lege ich aber doch mal Wider­spruch ein: natür­lich weiß ich (als studiert­er Ger­man­ist), dass an der These vom Sprachver­fall nichts dran ist. Es ging mir ja auch über­haupt nicht darum, gen­derg­erechte Sprache zu ver­bi­eten oder als Sprachver­fall darzustellen, son­dern nur darum, wie man sie als Sprach­wis­senschaftler begrün­det. Ich will nur nicht den Ein­druck erweck­en, ich würde geschlechterg­erechte Sprache als “Ver­fall” betra­cht­en oder aus anderen Grün­den ablehnen.

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      @Martin: um Gottes willen, nein, das habe ich so auch nicht ver­standen (und hof­fentlich nicht so gesagt). Die wohltuend sach­liche Diskus­sion hier (und gestern) war ja nur ein Aus­lös­er dafür, was ich schon länger kom­men­tieren wollte. Es erin­nerte mich also nur daran. Da habe ich die Argu­men­ta­tion etwas verlagert.

      Und was die Forderun­gen ange­ht: da muss man unter­schei­den um Sprach­poli­tik im engeren Sinne, also der geset­zlich-rechtlich rel­e­van­ten Poli­tik und der „poli­tis­chen“ Diskus­sion im weit­eren Sinne, wenn man annimmt, dass diese Diskus­sio­nen grund­sät­zlich „poli­tisch“ sind (im Sinne der gesellschaftlichen Mitwirkung). Let­zteres ist natür­lich gegeben, ersteres hat aber m.M.n. noch keine Sprach­wis­senschaft­lerin gefordert, auch Frau Pusch nicht. Und dass Frau Pusch als Sprach­wis­senschaft­lerin vorgestellt wird, liegt daran, dass sie eine ist, nicht, dass sie im Namen der­sel­ben han­delt. Wenn eine Umwelt­bi­olo­gin zu Umwelt­fra­gen befragt wird, wird sie auch als solche Vorgestellt, nicht als Aktivistin (meis­tens, würde ich jet­zt sagen).

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  6. Erbloggtes

    @Susanne, 17:49: Ja, diese Nor­men sind Voraus­set­zun­gen deskrip­tiv­er Wis­senschaft. Wenn man ihnen nicht zus­timmt, braucht man mit Wis­senschaft gar nicht erst anz­u­fan­gen, weil sie dann schon im Ansatz scheit­ert. Wenn man die Nor­men leugnet, predigt man bess­er den wahren Glauben, statt wis­senschaftlich zu arbeit­en. Es soll ja neulich eine Wis­senschaftsmin­is­terin gegeben haben, der es so ging.

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  7. Erbloggtes

    PS: Puh, der Dop­pelpunkt zwis­chen den Uhrzeitz­if­fern in meinem Kom­men­tar ragt ja schreck­lich weit empor. Dafür ist der Font offen­bar nicht gemacht.

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  8. Martin

    @Susanne: ok, diese Unter­schei­dung werde ich mir für die Zukun­ft merken. Da war ich wohl etwas zu vor­eilig bei meinen Rückschlüssen.

    Das mit den Beze­ich­nun­gen ist so eine Sache für mich, und auch der Grund warum ich die Frage über­haupt gestellt habe: natür­lich ist Frau Pusch Sprach­wis­senschaft­lerin und ich will ihr die Kom­pe­tenz in diesem Bere­ich auch um Gottes Willen nicht absprechen, aber sie ist halt auch Fem­i­nistin und ein Inter­view mit ihr hätte einen ganz anderen Klang, wenn sie auch als solche vorgestellt wer­den würde. Auch wenn die Aus­sagen ja diesel­ben wären und Frau Pusch dadurch auch nicht weniger Recht hätte.

    Hmm…ich muss mir ger­ade mal Gedanken über die Kon­se­quen­zen mein­er Aus­sage machen: zuge­spitzt sug­geriere ich ja einen Inter­essenkon­flikt. Das wollte ich aber eigentlich gar nicht. Hmm…

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  9. Manuela

    Zunächst ein­mal: Ich bin heute zum ersten Mal auf diesen Blog gestoßen.
    Die Diskus­sion um gerecht­en Sprachge­brauch finde ich immer wieder inter­es­sant, aber so oft ich diverse Mei­n­un­gen dazu lese, ich kann ein­fach nicht ver­ste­hen, wieso jemand sich für das gener­ische Fem­i­ninum entschei­det. Diese Form ist genau­so diskri­m­inierend wie die masku­line Form, und nur weil Frauen “so lange” diskri­m­iniert wur­den, ist es jet­zt wohl kaum gerecht­fer­tigt, den Spieß umzu­drehen, oder? Zumal sich die Mehrheit der Frauen durch das gener­ische Maskulinum nicht diskri­m­iniert fühlt. Die gesamte Sprache beste­ht nur aus Nor­men. Da kön­nte ich genau­so gut anfan­gen zu sagen “die Tisch”, weil mir der masku­line Artikel vielle­icht auf­stößt. Das ist natür­lich “falsch”, aber diese Tat­sache beruht ja auch nur auf ein­er Norm.
    Aber das ist das Grund­sät­zliche, das es sich mit mir vielle­icht gar nicht mehr zu disku­tieren lohnt, vielle­icht ist das meine eigene Schuld.

    Prob­lema­tisch an dem Artikel hier finde ich den Apfelver­gle­ich, der hier in den Kom­mentaren auch noch hochgelobt wird. Ich sehe nicht ein, was ein physikalis­ches Phänomen mit einem sprach­lichen Phänomen zu tun haben soll. Es ist eine physikalis­che Notwendigkeit, dass der Apfel herun­ter­fällt. Es ist KEINE Notwendigkeit, dass irgen­deine bes­timmte sprach­liche Form ver­wen­det wird, wie du selb­st schreib­st. So ein plaka­tives und unpassendes Beispiel kann nur akzep­tieren, wer schon dein­er Mei­n­ung ist. Überzeu­gen wird es nie­man­den. Das nur als Tipp.

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    1. Anatol Stefanowitsch

      @ Manuela: Danke für Ihre Besorg­nis. Wir freuen uns immer über Tipps von Leuten, die a) „zum ersten Mal auf diesen Blog stoßen“, b) „nicht ver­ste­hen kön­nen“, was X soll, aber auch keine Zeit darauf ver­wen­den, etwas über X her­auszufind­en, c) Pseu­do-Argu­mente wieder­holen, mit denen seit dreißig Jahren ver­sucht wird, die Diskus­sion um gerechte Sprache zum ent­gleisen zu brin­gen, und d) „nicht ein­se­hen“, was Y bedeuten soll, aber auch keine Mühe darauf ver­wen­den, Y zu verstehen.

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  10. Manuela

    @Anatol: Der Ver­gle­ich mit der Sit­u­a­tion im Englis­chen hinkt auch an allen Eck­en und Kan­ten. Da im Englis­chen wed­er bei Artikeln noch Sub­stan­tiv­en in der Regel eine geschlechtsspez­i­fis­che Form erkennbar ist, fällt es in dieser Sprache viel leichter, einen “gerecht­en” Sprachge­brauch durchzuset­zen. Man muss nur ab und an ein Per­son­al­pronomen anpassen. Es ist völ­lig ver­ständlich, dass solche gerin­gen Änderun­gen auf wesentlich weniger Wider­stand stoßen als die großen Anpas­sun­gen, die im Deutschen nötig sind.
    Es mag im englis­chsprachi­gen Raum engagiert­ere Fem­i­nistin­nen gegeben haben, das kann ich nicht beurteilen, aber die sprach­liche Lage wird definitv den größten Teil beige­tra­gen haben.

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  11. Manuela

    @Anatol: Ich muss mir wohl kaum von ein­er frem­den Per­son vor­w­er­fen lassen, dass ich mich nicht genü­gend mit Sachver­hal­ten auseinan­der­set­ze. Im Gegen­teil ver­ste­he ich TROTZ der vie­len, schein­bar so schlagkräfti­gen Argu­mente der anderen Seite diese Posi­tion nicht. Anstatt mir sarkastisch Vor­würfe zu machen, wäre es vielle­icht ange­bracht gewe­sen, a) Erk­lärun­gen für die eigene Posi­tion vorzubrin­gen oder (da ich ver­ste­hen kann, dass man jemand Ver­ständ­nis­losem nicht alles von vorn erk­lären will) b) mich auf Quellen zu ver­weisen, bei denen ich möglicher­weise mehr dazu erfahren kann. Nicht, dass ich diese nicht selb­st find­en kön­nte, aber davon auszuge­hen, dass ich mich nicht erkundi­gen will und mich dann noch nicht ein­mal dazu zu ermuti­gen ist auch nicht ger­ade die feine Art.
    Eben­so ist der Ein­satz von Vari­ablen und des Wortes “Pseu­do-Argu­mente” nicht ger­ade ein fundiert­er­er Umgang mit meinem Kom­men­tar, als es mein­er mit dem Artikel sein mag.
    Wie schön auch, dass abwe­ichende Mei­n­un­gen hier so offen emp­fan­gen werden.

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  12. Manuela

    @Anatol: Zumin­d­est behaupte ich nicht etwas beurteilen zu kön­nen, was ich nicht kann. Statt eines erneuten Vor­wurfs hätte ich mir hier ein paar Fak­ten von Ihnen erwün­scht. Und statt nur auf meinen let­zten Satz einzuge­hen, hät­ten Sie auch zu den Argu­menten, die ich sehr wohl meine beurteilen zu kön­nen, etwas beitra­gen können.

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    1. Anatol Stefanowitsch

      @ Manuela: Und ich hätte mir erwün­scht, dass Leute, die hier kom­men­tieren, sich vorher mit dem The­ma befassen, vor allem, wenn es eines ist, das hier im Blog immer wieder aus­führlich disku­tiert wurde und wird. Tja, da bekom­men wir wohl heute bei­de nicht unsere Wün­sche erfüllt.

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  13. Joachim

    @hext: Sie irren sich. Wir Physik­erin­nen machen sehr wohl drin­gende nor­ma­tive Vorschläge für die Ein­rich­tung von Sper­rzo­nen. Allerd­ings nicht um Apfel­bäume, da der Tre­f­fer eines her­ab­fal­l­en­den Apfels aus weni­gen Metern meis­tens unge­fährlich ist. Im Bun­de­samt für Strahlen­schutz und in der Strahlen­schutzkom­mi­sio­nen sind es haupt­säch­lich Physik­erin­nen und Strahlen­medi­ziner­in­nen, also Vertreterin­nen deskrip­tiv­er Wis­senschafen, die Vorschläge für Strahlen­schutznor­men erstellen.

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  14. Karla_Sophia

    wenn mir mal ein gener­isches Stu­dent rausrutscht”

    Ja, was denn nun? Ist es gener­isch? Dann kön­nen Sie es auch gener­isch verwenden.

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    1. Anatol Stefanowitsch

      @ Karla_Sophia Natür­lich kann man es gener­isch ver­wen­den. Man kann auch ras­sis­tis­che Aus­drücke in Kinder­büch­er schreiben, Frauen mit sex­u­al­isierten Beschimp­fun­gen her­ab­würdi­gen, das Wort homo­sex­uell und seine Syn­onyme als Schimpfwörter ver­wen­den. Dass man es kann, heißt aber nicht, dass man es sollte.

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  15. Karla_Sophia

    @Anatol Ste­fanow­itsch
    “Natür­lich kann man es gener­isch verwenden.”

    Wenn es ein gener­isch­er Aus­druck IST, dann ist seine Ver­wen­dung mit denen von Ihnen ange­führten Beispie­len nicht vergleichbar.

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  16. Karla_Sophia

    Wenn es kein gener­isch­er Aus­ruck ist, wie ist dann fol­gen­des möglich: 

    wenn mir mal ein gener­isches Stu­dent rausrutscht”

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    1. Susanne Flach Beitragsautor

      Ok, falls es hilft: 

      ein gener­isch ver­wen­detes Student.

      Ehrlich gesagt ist das jet­zt aber eher Haarspalterei.

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  17. Karla_Sophia

    Ehrlich gesagt ist das jet­zt aber eher Haarspalterei.”

    Wenn man auf die Bedeu­tung von Begrif­f­en Wert legt, sollte man sich präzise aus­drück­en. Wenn Sie das allerd­ings haas­r­pal­ter­isch find­en, sagen Sie ein­fach weit­er “Stu­den­ten”. Ich bin sich­er, Sie wer­den ver­standen werden.

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  18. Thankmar

    Dass kein­er gezwun­gen wird, das gener­ischen Fem­i­ninum oder geschlecht­sneu­trale Begriffe zu benutzen, ist ja klar. Prob­lema­tisch ist es in ein­er konkreten Sit­u­a­tion den­noch. Um Missver­ständ­nisse zu ver­mei­den (da ich die Bemühun­gen um eine gerechte Sprache richtig finde und es mir nur darum geht, was passieren kön­nte), nehme ich als Beispiel Klei­derord­nun­gen. Natür­lich wird kein­er gezwun­gen, auf ein­er Hochzeit einen Anzug zu tra­gen, die Kon­ven­tion ver­langt aber nach for­maler Klei­dung, was für den Mann Anzug bedeutet (ich behaupte mal ohne weit­eres Wis­sen, dass dies im Durch­schnitt noch zutrifft. Man kor­rigiere mich). Trägt man keinen, gibt man den anderen zu ver­ste­hen, dass man nicht bere­it ist, dieser Kon­ven­tion fol­gen. Gle­ichzeit­ig wird allen anderen deut­lich gemacht, dass sie ein­er willkür­lichen Kon­ven­tion fol­gen, deren Ein­hal­tung option­al bzw. eine bewusste Entschei­dung ist. Da kann das Selb­st­bild ins Wanken kom­men (“eigentlich bin ich ja lock­er, aber ein Anzug bei ein­er Hochzeit muss doch sein”), was wiederum zu neg­a­tiv­en Gefühlen ggüber dem anders gek­lei­de­ten führen kann. Daher kommt vielle­icht die Miss­deu­tung, dass Hin­weise auf gerechte Sprache als Forderung oder Zwang gese­hen wer­den, was dann Trotzreak­tio­nen oder eben hanebüch­ene Bestä­ti­gun­gen des Selb­st­bildes (“wenn ich das gener­ische Maskulinum benutze, bin ich trotz­dem kein Sex­ist, weil…”) zur Folge hat.

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