Dass deutsche Unternehmen die englische Sprache gerne verwenden, um sich ein internationales Image zu geben, ist nicht nur ein Trivialplatz, es ist sogar Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung. ((Z.B. Ingrid Piller (2001) Identity construction in multilingual advertising. Language in Society 30, 153–186.)) Besonders die Deutsche Bahn hat das in der Vergangenheit so ausgiebig getan, dass sie sogar von Lehnwortliberalen wir mir dafür schon (wenn auch sehr milde) kritisiert worden ist – wir haben sie im Sprachlog aber auch schon für ihre kreative Lehnwortikonografie und für ihr nur scheinbar defizientes, tatsächlich aber historisch akkurates Englisch gelobt.
Weniger differenziert ist der Verein Deutsche Sprache, der der Deutschen Bahn nicht nur ein- sondern gleich zweimal den Titel „Sprachpanscher des Jahres“ verliehen hat (1999 traf es den längst vergessenen Bahnchef Johannes Ludewig, 2007 dann den heutigen Flughafenretterdarsteller Hartmut Mehdorn). Die ließen sich davon wenig beeindrucken, aber 2010 erhielten die Dortmunder Anglizismenjäger dann unverhofften Beistand von höchster Stelle: Bundesverkehrsminister Ramsauer erließ erst ein sprachverfalls-malerisch begründetes Lehnwortverbot für sein Ministerium (mit einer Liste linguistischer No-Gos) und kündigte dann an, auch die in seinen Verantwortungsbereich gehörende Deutsche Bahn von lästigem Lehngut zu läutern.
Viel ist da bislang nicht passiert – die Service Points heißen vielerorts wieder „Information“ (schon mehrfach habe ich auf Bahnhöfen seither von Bahnmitarbeitenden Sätze gehört wir „Da müssen sie zum Service Point – lassen Sie sich nicht verwirren, der heißt jetzt ‚Information‘“. Was allerdings den Minister nicht daran hindert, periodisch vor die Presse zu treten, und den Kampf gegen die Anglizismen auf deutschen Bahnhöfen erneut auszurufen. Vorzugsweise dann, wenn die Deutsche Bahn wegen echter Probleme in der Kritik steht – zum Beispiel jeden Winter, wenn die Züge ausfallen, weil es zu kalt ist, oder jede Sommer, wenn die Züge ausfallen, weil es zu heiß ist.
So dürfte auch seine aktuelle Kriegserklärung der Ablenkung von defekten Klimaanlagen und sonstigen sommerlichen Verzögerungen im Betriebsablauf sein. Flyer sollen jetzt beispielsweise reindeutsch „Handzettel“ heißen – ein echter Fortschritt gegenüber 2010, als sie durch das französische Lehnwort „Broschüre“ entanglisiert werden sollten. Aber da, wo es den Sprachnörglern so richtig wehtut, lässt die Bahn alles beim Alten – das Call-a-Bike soll ebenso erhalten bleiben, wie die BahnCard und der Intercity-Express. Denn gegen „englisch klingende Markennamen“ habe man nichts und überhaupt ließe sich dort „das Rad nicht mehr zurückdrehen“.
Wohin auch zurück, frage ich mich da. In die goldene Zeit, als Call-a-Bike noch „Ruf-ein-Rad“ hieß, die BahnCard noch als „BahnKarte“ (oder, bevor das Wort Karte im 14. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnt wurde, als BahnAusweis) bezeichnet wurde und wir den Intercity Express liebevoll „Zwischenstadtrenner“ nannten?
Denn an so eine Zeit kann ich mich gar nicht erinnern. Wohl aber an eine Zeit, als Züge tatsächlich zur angekündigten Zeit bei überlebensfreundlichen Innentemperaturen an den angekündigten Ort fuhren. Aber vielleicht lassen sich ja Verspätungen und Zugausfälle leichter ertragen, wenn sie in einer sprachlich reinen Umgebung stattfinden.
Eine wunderbare Erklärung für die Funktion von Nationalismus! Indem man über ein emotional besetztes Thema redet, lenkt man effektiv von einem weniger emotional besetzten Thema ab, auch wenn letzteres eine materielle Grundlage hat.
Für Ramsauer dürfte sich das auszahlen, da für seine potentiellen Wähler die Benutzung von Lehnwörtern wie Flyer oder Service Point stark angstbesetzt ist: “Was, wenn die künftig nur noch so reden? dann verstehe ich ja nichts mehr!” Gleichzeitig ist Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Temperaturerträglichkeit in Zügen für Ramsauers Wähler natürlich emotional ziemlich uninteressant. (Es sollte sie aber interessieren, wenn die unzufriedenen Bahnfahrer wieder aufs Auto umsteigen und dann mit ihren Fiat Pandas auf der linken Spur verhindern, dass man seinen BMW richtig ausfahren kann.)
Das Schlimmste ist immer noch die Bezeichnung “DB Bahn”. Deutsche Bahn Bahn macht keinen Sinn und Geschäftszweige wie Deutsche Bahn Bahn Fernverkehr und Deutsche Bahn Bahn Regio *grusel*
Man darf das Problem nicht unterschätzen. Wir kennen doch alle die ausgemergelten Senioren mit dem verzweifelten Blick in den tief umränderten Augen, die orientierungslos in halb zerfallenen Schuhen auf den Bahnhöfen umhertaumeln und sich an Passanten festklammern, diese in schrillem Ton um Hilfe anflehend, weil sie nicht wissen, was ein Ticket ist, und auch mit Begriffen wie Service oder Intercity nichts anfangen können.
Und die Hotline soll laut Medienberichten im Zuge der linguistischen Repatriierung wieder Service-Nummer heißen. Irgendwo bei der Deutschen Bahn freut sich gerade jemand, den Verein Deutsche Sprache erstklassig betrollt zu haben. 😉
@Muriel: Lach nicht über die Senioren. Ich bin hier am Hbf Hannover wirklich schon einmal abends einer alten Frau begegnet, die hier umstieg, etwas Aufenthalt hatte und mich nach der Toilette fragte — sie stand übrigens unmittelbar davor. Auf die Idee, dass die Leuchtreklame “McClean” eine Toilette bezeichnen könnte, ist die offenbar nicht zu den regelmäßigen Bahnnutzern gehörende Frau nicht gekommen, und ihre gesamte Lebenserfahrung war ihr in dieser Situation auch keine Hilfe.
Gut, dass ihr schnell geholfen werden konnte… 😉
Auch wenn einige der Aspekte sicher zutreffend sind (Ablenken von größeren Problemen bei der Bahn), so ist doch die plumpe Verunglimpfung von sinnvollen Wortanalogien ebenso populistisch.
Man könnte statt “Ruf-ein-Rad” einfach Leihrad sagen.
Es kommt halt immer auf den Willen an, den man hat — oder auch nicht.
Was ist eigentlich ein “Trivialplatz”? Der Duden kennt das Wort nicht. Sollte vielleicht der “Gemeinplatz” gemeint sein?
Wenn wir Wörterbuchlückenjagd spielen, habe ich gewonnen, denn ich habe noch viel mehr Wörter in dem Artikel gefunden (eigentlich nicht nur ge- sondern sogar er-), die nicht im Duden stehen: Lehnwortliberaler, Lehnwortikonografie, Flughafenretterdarsteller, sprachverfallsmalerisch, entanglisieren und natürlich das lexikografisch leider immer noch nicht gewürdigte Sprachnörgler.
Die angeführten Begriffe Call-a-bike, Bahncard und Intercity-Express, die die Bahn beibehalten will, sind nur drei von insgesamt 2 200 Anglizismen, für die sie nun deutsche Entsprechungen einführen will. Damit werden auch Sprachpfleger gut leben können. Es sei denn, es bleibt nicht nur bei der Ankündigung und die zurückgedeutschten Begriffe schlagen sich auch nach und nach im optischen Umfeld der Bahn nieder.
Ich wünsche der Deutschen Bahn bei diesem Unterfangen alles Gute. 2 200 Anglizismen, die allein im Bahnbereich eingeführt wurden (und das in einem sprachgeschichtlich kleinen Zeitraum der letzten 30–40 Jahre) sind zu viele in zu kurzer Zeit.
Es bestätigt sich immer wieder neu, daß das Deutsche wohl sehr nachhaltig gerettet wäre, so es denn seine Pfleger selbst alle richtig zu erlernen geruhten.
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Wichtig ist allein die Verständlichkeit: Bei der Deutschen Bahn bin ich Kunde und ich habe ein Recht darauf, auch ohne Abitur und Englischkenntnisse die wichtigsten Orte zu finden, beispielsweise die Toilette!!! Maßstab ist hier nicht der Klügste sondern der Dümmste!
@Max: Das wirft natürlich die Frage auf, welche Bezeichnung für diese Örtlichkeit auch der Dümmste — ohne tiefere Fremdsprachenkenntnisse — versteht:
Toilette — ziemlich französisch
WC — water closet, englisch, davon abgeleitet auch die Kurzform Klosett
Latrine — Latein
Abort — erscheint mir lateinisch, jedenfalls die Vorsilbe
Da bleiben eigentlich nur Scheißhaus und Donnerbalken. Welche darf’s denn sein?