Eine der unsympathischsten Aktionen des Vereins Deutsche Sprache ist die alljährliche Wahl eines „Sprachpanschers des Jahres“. Die funktioniert so: 1) Der Verein nominiert prominente Personen wegen abstrus konstruierter sprachlicher Sünden; 2) die Prominenz der Nominierten sorgt für eine breite Berichterstattung; 3) der VDS steht ohne nennenswerte Leistung als Wahrer der deutschen Sprache da. Getroffen hat es diesmal Wolfgang Schäuble, dessen Verbrechen gegen die Deutschlichkeit in „unbeholfenen Exkursionen ins Englische“ bestehe. Mit denen „mache er seit Jahren den Übersetzern in Brüssel Konkurrenz und falle damit allen Versuchen in den Rücken, Deutsch als echte Arbeitssprache in der EU zu verankern“.
Wem das noch nicht abstrus genug ist, der wird sich vielleicht für die Begründung der zweiten Nominierten erwärmen können: Die DUDEN-Redaktion. Deren Gräueltat besteht darin, dass sie den tatsächlichen Sprachgebrauch abbildet – oder, wie der VDS es ausdrückt, dass sie ihr „einstmals respektierte Nachschlagewerk zum billigen Handlanger von Modefuzzis und Amitümlern aller Art verkommen und … durch das gedankenlose Aufnehmen dummer Anglizismen diesen erst den offiziellen Gütestempel aufgedrückt“ habe. Unter den weiteren Nominierten ist auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, den ich vor zwei Jahren schon einmal gegen eine völlig aus der Luft gegriffene Sprachmordanklage verteidigen musste. Leider bekennen sich die Nominierten häufig schuldig und geloben Besserung. Ich hoffe aber, dass sie diesmal den Mut haben, sich gegen den Schauprozess des Sprachterrorregimes zur Wehr zu setzen, wie es vor zwei Jahren die Bundesagentur für Arbeit getan hat.
Während der Verein Deutsche Sprache sprachlich Abtrünnige verfolgt wie einst die Inquisition Häretiker, hat sich deren Sponsor, die katholische Kirche, in den Kampf gegen die zweite große Plage des reinen und wahren Idioms begeben: die „politisch korrekte Sprache“. Die, so gab Feldherr Franciscus bekannt, sei „scheinheilig“ (ganz anders, also, als die katholische Kirche, die ja echtheilig ist). Sie habe deshalb im Sprachgebrauch von Christen nichts zu suchen, denn die „sagen die Wahrheit einfach geradeheraus“ (ganz anders, also, als die katholische Kirche, die sich die Wahrheit ja nur auf verschlungenen Wegen entlocken lässt). Ich kritisiere die katholische Kirche ja sonst durchaus ab und zu, aber dieses explizite Bekenntnis zur politischen Inkorrektheit finde ich erstaunlich ehrlich und deshalb lobenswert.
Aber nicht nur die heilige Mutter Kirche in ihrer Gänze kämpft gegen die Verrohung sprachlicher Sitten, auch einzelne Kirchenmänner tun vor Ort, was sie können. So zum Beispiel ein namentlich nicht genannter Diener der Herrn in Münster, der in einer Art nachpfingstlichen Wort zum Sonntag die Jugend dafür ins Gebet nimmt, dass sie anstelle eines anständigen äh oder ähm die Phrase Keine Ahnung in ihre Sätze einbauen. Denn ein „schnell dahingeworfenes ‚Keine Ahnung‘“ komme bei ihm „so an, als ob die Aussage des ganzen Satzes belanglos wäre.“ Ich persönlich glaube ja, der wackere Hirte liegt mit seiner Interpretation hier falsch – seine jugendlichen Schäfchen beziehen sich mit ihrem keine Ahnung doch wohl vielmehr auf Matthäus 5.3: „Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.“
Ein Bibelwort, übrigens, das, wenn es stimmt, der versammelten Sprachkritikerschar eine sehr hoffnungsvolle Prognose für deren Nachleben beschert.
Äh … Nein, tut er sicher nicht.
Doch, tut er. Die Inquisition setzte zuvörderst auf Buße der reuigen Sünder und griff erst bei Verstocktheit oder Wiederholungstätern zum strafrechtlichen Instrument — das damals eben auch Folter und Scheiterhaufen umfasste, dem heute aber aufgrund zivilisatorischen Fortschritts eher die Klage entspricht (die der VDS ja auch bisweilen erwägt). Der Vergeich ist somit historisch korrekt.
Sehr schön geschrieben, Anatol.
danke für diesen Beitrag, der die Bigotterie gewisser Herren (es sind ja nur Herren, komischerweise) sehr schön herausarbeitet.
Rechtschreibfehler sind meiner klemmenden Tastatur geschuldet. Wie kriegt man Frikadellenkrümel aus einer Laptop-Tastatur raus???
Die Kritk an Schäuble ist nicht nur konstruiert, sondern echte DEutschlandtümmelei (und ich dachte nicht, dass ich jemals etwas schreiben würde, was ihn verteidigt).
Und der Duden wird ja immer gerne von Sprachwächtern angegriffen.
Was den papst betrifft: Nach seiner Wahl wurden Priester auf CNN gefragt. Mein Zweit-Lieblingskommentar: “Ein ehrlicher Mann” (Nicht so wie die ganzen Lügenpäpste in der Vergangenheit?)
“Sprachterrorregime” wird mein Wort des Monats!
@ Mr Ringo: “…eher die Klage entspricht (die der VDS ja auch bisweilen erwägt)”
Echt!?! I’m shocked!!! Wann? Wo? Gegen wen?
Also am schönsten finde ich eigentlich, dass in der Anwärterliste auch geobra Brandstätter auftaucht. Nach 29 Jahren fällt es also auch dem VDS auf, dass Playmobil Produkte mit englischen Bezeichnungen verkauft…
@PlantPerson. beispielsweise hier http://www.vds-ev.de/sn-mobil/53/S9A1_nrw.html
und hier http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62011CO0093:DE:HTML
Aber angestrebte Verfassungsänderungen rechne ich auch zu diesem Bereich.
@ Mr Ringo: Danke! Ich komme aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus…
Sehr sympathischer Kommentar 🙂 Spricht mir aus der Seele!
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Nietzsches Version gefällt mir besser, kommt mir ehrlicher vor, als das Original Matthäus 5:3 (nach Elfmeterschiessen?):
“Selig sind, die da geistlich arm sind; insbesondere, wenn man ihnen Recht gibt.”
@Statistiker: Man vermeidet Frikadellenkrümel auf einer Laptop-Tastatur indem man statt Frikadellen Buletten isst. Wenn das Malheur schon passiert ist, empfehle ich Ihnen, an einem sonnigen und trockenen Nachmittag die Tastatur oder das ganze Laptop in ausgeschaltetem Zustand neben einem Ameisennest zu legen. Das Gerät bitte nicht wieder einschalten, bevor Sie nicht sicher sind, dass alle Ameisen wieder fort sind.
Aktuell äußert sich die EKHN zur Nominierung:
http://www.jesus.de/blickpunkt/detailansicht/ansicht/landeskirche-hessen-nassau-reagiert-erfreut-ueber-nominierung-zum-sprachpanscher-2013192733.html
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