Keine Woche vergeht, in der ich nicht irgendwo lese, dass die Sprache der „Schlüssel zur Integration“ sei. Dabei geht es meistens um Schulkinder mit Migrationshintergrund, denen mittels wenig nachvollziehbarer Kriterien mangelhafte Deutschkenntnisse attestiert werden. In Österreich, berichtet unter anderem der KURIER, dürfen Schuldirektor/innen solchen sprachlichen Schlüsselkindern in Zukunft die Schulreife absprechen und sie in gesonderte Vorschulklassen abschieben, wo sie dann ohne Kontakt zu deutschsprachigen Schüler/innen, also vermutlich durch Magie, Deutsch lernen sollen.
In der Schweiz traf der Eifer der (Spr|W)ach- und Schließgesellschaft dieser Tage dagegen laut BASLER ZEITUNG nicht wehrlose Schulkinder, sondern sieben türkischstämmige Parlamentarier/innen des Baseler Stadtrats. Die seien kaum zu verstehen, sagen nun einige Stadträte – sicher nur rein zufällig allesamt Mitglieder der „bürgerlichen“ Parteien SVP und LDP. Sie fordern eine Art österreichische Schulpflicht für Stadträte: In Zukunft solle nur noch zur Wahl aufgestellt werden, wer fehlerlos Deutsch spreche. Wenn sie sich damit durchsetzen würden, könnte das aber ungeahnte Konsequenzen haben, denn die grüne Politikerin Mirjam Ballmer sieht die sprachlichen Defizite ganz woanders: bei den „Urschweizern aus bürgerlichen Parteien“, die mit dem Hochdeutschen so ihre Probleme hätten.
Und der TRIERISCHE VOLKSFREUND erklärt auf seiner Kindernachrichtenseite, woran es liegt, dass das Schloss zur Integration für österreichische Schulkinder, Schweizer Stadträte und sonstige Unintegrierte so schwer zu knacken ist: „Wenn Ausländer Deutsch lernen, staunen sie manchmal“! Worüber? Zum Beispiel über die Verben, die am Ende des Satzes stehen – „Da muss man sich den ganzen Satz von vorn bis hinten genau anhören, bis man weiß, was gemeint ist.“ Ich bin da skeptisch, denn das haben Sätze ja so an sich, egal, wo das Verb steht. Und die türkischen Stadträte können sich damit sowieso nicht herausreden, denn auch im Türkischen steht das Verb an letzter Stelle.
Vielleicht sollten wir aber ohnehin aufhören, soviel über Schlüssel zu reden, und lieber herausfinden, welcher Idiot eigentlich ein Schloss vor die Integration gehängt hat.
Am Meisten “liebe” ich ja solche *hust* netten Menschen, die Integration so definieren, dass Einwanderer nur noch Deutsch zu sprechen haben und bei sich zu Hause gefälligst Bratwurst und Sauerkraut zuzubereiten haben — sonst wären sie nicht integriert.
Ich kann gar nicht abschätzen, wie viele Diskussionen ich wutentbrannt über diesen Quatsch geführt habe…
Ich bin schwer begeistert von dem Sachverstand, der aus den österreichischen Maßnahmen spricht. Wenn man die Kinder mit Deutschmuttersprachlern zusammen Deutsch lernen ließe, würden sie von denen ja die ganzen Fehler mitlernen, also das österreichische Äquivalent von “Kattarina, geh im Bett” oder, um einen aktuellen Buchtitel zu zitieren, “Schantall, tu ma die Omma winken!” Und wenn die zu ihrem unseligen Migrationshintergrund noch schlechtes Umgangsdeutsch lernen würden, Gossensprache gar, hätten sie ja gar keine Chance mehr, die Armen. Da sind schön sauber isolierte Lerngruppen doch eindeutig die bessere Wahl!
Man könnte die hinterher gleich noch ein eigenes Eckchen Österreich schicken, wo sie dann ihr frischgelerntes lupenreines Deutsch ganz unter sich und unbehelligt von Österreichern praktizieren können. Dann entfällt auch die lästige Integriererei.
Nach einem Selbstversuch bleibe ich bei der Ansicht, dass die hiesige Landessprache die Grundlage für die Integration ist: Ich habe Mathematik-Unterricht für arabische Kinder in arabischer Sprache gehalten.
Das Ergebnis war nur Verunsicherung, weil die neuen Wörter (z.B. für Kehrwert, Quadratwurzel) von niemandem aus der arabischen Familie und dem arabischen Freundeskreis verstanden wurden.
Natürlich ist Sprache der Schlüssel zu einem Leben in einem fremden Land…
Sonst wären doch die Deppen in den RTL/Vox-Auswanderer-“Dokus” nicht so lustig,
wenn diese Leute in einem mallorquinischen Amt aufschlagen oder in den USA von der Polizei angehalten werden.
Aber diese Probleme sind nicht neu. Schon in meiner Schulzeit gab es die Vourteile gegen die “heimgekehrten” Sudetendeutschen. Und während der Schulzeit meines Sohnes Ende der 90er siedelten auch in unserem Landkreis vermehrt russische Aussiedler.
Der österreichische Weg ist sicher nicht der richtige. Ist doch aber wohl eine Kann-Bestimmung. Gute Lehrer und Direktoren werden dem nicht folgen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Basler_Zeitung#Neuorientierung_2010.2F2011
mag eine interessante Hintergrundinformation sein.