In der Überschrift eines Beitrags zur Nanotechnologie auf Spektrum.de habe ich heute morgen das Wort Winzpartikel (für Nanopartikel) gelesen. Das Wort hat mich, vor allem auf einer Wissenschaftsseite, etwas befremdet, weil es den verulkenden und gleichzeitig deutschtümelnden Klang typischer Wortschöpfungen der Sprachnörgler hat. Ich bat also die Spektrum-Redaktion per Twitter, das Wort nie wieder zu verwenden, da ich ihr andernfalls „eine wütende E‑Post von meinem Klapprechner“ schreiben würde.
Auf dem Weg zur Arbeit habe ich dann darüber nachgedacht, woher das Wort Winzpartikel wohl stammen mag. Eine Google-Suche ergab eine sehr überschaubare Anzahl von Treffern, sodass sich seine (bislang kurze, hoffentlich bald beendete) Geschichte weitgehend vollständig nachvollziehen lässt.
Die erste Verwendung, die ich finden konnte, stammt aus dem Forum der Webseite „wallstreet-online“, wo ein/e Nutzer/in am 20. Oktober 2001 folgendes schrieb:
- Apropos Rußfilter bei Diesel. Da weiß man schon einige Jahre, dass diese Winzpartikel, die bei der Dieselverbrennnung freigesetzt werden, in unsere Bronchien gelangen und bleiben, sich mit der Zeit anhäufen. [Kommentar, wallstreet-online.de, 20.10.2001]
Der Zusammenhang war hier also nicht Nano-Technologie, sondern Feinstaub, und Winzpartikel hat hier einen klar negativen Beiklang – der Feinstaub wird, wegen seiner geringen Größe, als gefährlich und unkontrollierbar empfunden. Das gilt auch für die anderen zwei Verwendungen, die ich im Zusammenhang mit Feinstaub finden konnte:
- Bei TDI und Co. sieht man den Ruß dagegen nicht mehr; nicht mal ein hinter den Auspuff gehaltener Lappen färbt sich schwarz, weil die Winzpartikel einfach hindurchfliegen. [Kommentar, ZEIT.de, 30.9.2010]
- Sollten Sie aber einen Direkteinspritzer-Diesel fahren, dann können Sie es überhaupt nicht verhindern, dass der mit bis zu 2000 Bar feinstzerstäubte Kraftstoff zu Abermilliarden Winzpartikeln je Liter Kraftstoff verbrennt, die wir nicht sehen und nicht spüren und somit arglos einatmen. [Kommentar, faz.net, 11.1.2011]
Die erste Verwendung im Zusammenhang mit Nanotechnologie stammt aus dem Jahr 2006, ebenfalls aus einem Forum:
- Wunder gibt es immer wieder, bei der Lackpflege aber sicher nicht. Wenn da mal einer auf die Idee kommt, einige Winzpartikel mit reinzumischen fördert das nur den Preis und erleichtert die Namensfindung. Nano und Polymer sind halt in. [Kommentar, chrysler-forum.com, 22.6.2006]
Hier liegt kein bedrohlicher Beiklang vor, es geht eher darum, die Partikel aufgrund ihrer geringen Größe als wirkungslos darzustellen.
Zwei Jahre später findet sich die nächste Verwendung des Wortes im Bereich Nanotechnologie, gleichzeitig die erste Verwendung überhaupt, die nicht aus einem Forenkommentar stammt, sondern aus einem Zeitungstext. Das Wort wird dabei neutral, ohne einen negativen oder abwertenden Beiklang verwendet:
- Die Nanotechnik durchdringtbereits den Alltag. Werbung verspricht kratzfeste und saubere Beschichtungen bei Autos, Fenstern und Häuserfassaden. Auch in der Medizin gelten die Winzpartikel als Hoffungsträger. [Tanja Kotlorz, Berliner Morgenpost, 12.2.2008 (Bezahlschranke)]
Insgesamt finden sich sechs weitere Verwendungen im Bereich Nanotechnologie, in relativ großen Abständen und interessanterweise wieder hauptsächlich mit einerm bedrohlichen Beiklang. Lediglich der Spektrum-Artikel (der bislang letzte Treffer für das Wort Winzpartikel) stellt es in einen explizit positiven Zusammenhang:
- Ein ganz grosses gesundheitliches Problem kommt in meinen Augen mit den “neuen” Nano-Nahrungsmitteln auf uns zu. Diese winzigen Partikel werden nochmal anders verstoffwechselt (der Darm ist neben der Haut das grösste Organ des Menschen). Wenn diese Winzpartikel auch noch Zellschranken, evt. sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden, na dann “alles Gute”. [Kommentar, supernature-forum.de, 2.6.2008]
- Keine Angst vor Nano? Ob die Winzpartikel gefährlich sind, hängt von den verwendeten Materialien ab. [news.de/dpa, 29.7.2009]
- Und schon lauern wieder neue, in ihrer Auswirkung auf den Menschen und die ganze Natur mal wieder nicht einschätzbare Risiken, von denen jeder mehr oder minder betroffen ist, z.B. die „Technologie der Zukunft“, die Nanotechnologie, die mit ihren Winzpartikeln ausgehend von Medikamenten, Kosmetika, Cremes, Sprays, Anstrichen, Beschichtungen, Kleidung… bis in die menschliche Zelle eindringt und unsere Blut- Hirn-Schranke überwindet. [Wolfgang Maes, baubiologie.de, Frühjahr 2011]
- Sie wiesen auch nach, dass Nanoteilchen über Algen an Zooplankton weitergegeben werden, und somit in der natürlichen Nahrungskette der Fische auftauchen könnten, wenn die Winzpartikel über Abwässer in den Lebensraum der Fische gelangen. [dpa, 23.2.2012]
- „Wir haben es mit Winzpartikeln zu tun, die sich über Jahrzehnte anreichern.“ [Barbara Dohmen, zitiert auf suedkurier.de, 22.3.2012]
- Winzpartikel beseitigen Gift im Blut [Spektrum.de, 17.5.2013]
Die Verwendung des Wortes im Zusammenhang mit Nanotechnologie liefert die größte in sich stimmige Gruppe von Belegen, und sie ist die einzige, die sich nicht vorrangig oder ausschließlich in Forenkommentaren findet. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Verwendungen für alle möglichen Arten kleiner Teilchen oder Mengen, die ich hier der Vollständigkeit halber alle aufliste (danach folgt aber ein kurzes Fazit, also im Zweifelsfall bitte einfach überspringen):
- schau daß du die linsen zwischendurch immer mal wieder mit der flüssigkeit säuberst, sonst hast du staubkörner und sonstige winzpartikel drunter und kannst sie nach dem einsetzen direkt wieder rausnehmen [Kommentar, spin.de, 26.2.2007]
- mal abgesehen von den Resten an Hunde- und anderer Scheiße die Du täglich
einatmen darfst, oder in Winzpartikeln via Schuhwerk in Deine Bude bringst! [Kommentar, derkeiler.com, 12.6.2007] - Bisher sehen sie aber top aus und — ich wiederhole mich jetzt — die Vergaser werden bei jeder Inspektion sauberer. Keine Ablagerungen, kein Schmodder (bis auf Winzpartikel im Nadelventil ). [Kommentar, W650 Forum, 11.2.2008]
- Gegen die Geschwindigkeit von so einem Winzpartikel ist jede Bö der gelangweilte Schlag eines Mottenflügels [Kommentar, leo.org, 18.3.2008]
- sind das nicht nur Myionen, oder Tachionen oder sowas? Also winzige Winzpartikel eines winzigen Partikels? [Kommentar, Cosmiq.de, 25.7.2008]
- Die DNA-Identitätsfeststellung ist nicht nur ausgereift, sie ist fast perfekt. Genau in dieser Perfektion liegt das Problem. Winzpartikel reichen, um die Datenbank im Keller des Bundeskriminalamts zu füttern, die in nicht allzu ferner Zeit eine Million Personenmuster gespeichert haben wird. [Jost Müller-Neuhof, Tagesspiegel, 28.3.2009]
- Offenbar entsteht beim Aufprall zumindest partiell sehr große Hitze, daher würde ich auch auf glühende Winzpartikel tippen. [Kommentar, co2air.de, 23.2.2011]
- Grad bei so Winzpartikeln spielen Van-der-Waals-Kräfte und der ganze Schnickschnack ja ne große Rolle. [Kommentar, bym.de, 14.3.2011]
- Die Mascara ging gar nicht, tat total weh sobald nur 1 Winzpartikel in die Augen kam. [Kommentar, Med1.de, 17.2.12]
Fazit: Das Wort Winzpartikel ist sehr selten. Es stammt ursprünglich aus der Diskussion um Feinstaub und hat dort eine negative Bedeutung. Davon abgesehen wird es hauptsächlich in Internetforen, also einer sehr informellen Textsorte, verwendet, um alle möglichen geringen Mengen oder kleinen Teilchen zu bezeichnen. Dabei steht manchmal nur die Größe im Mittelpunkt, häufig findet sich aber auch hier ein negativer Beiklang. Die Bedeutung „Nanopartikel“ wurde 2008 von der Journalistin Tanja Kotlorz in die Pressesprache übernommen und fristet dort eine sehr randständige Existenz, wobei sich neben Verwendungen mit einem negativen Beiklang auch neutrale oder (wie bei Spektrum) positive Verwendungen finden.
Warum Spektrum es für eine gute Idee hält, dieses etwas alberne, informelle und hauptsächlich negativ belegte Wort in den populärwissenschaftlichen Diskurs einzuführen, wird uns vielleicht ja der/die Autor/in der betreffenden Schlagzeile in den Kommentaren unten erzählen. Wenn nicht, nerven wir die Redaktion solange auf Twitter, bis sie es doch tun. Und wenn auch das nicht wirkt, starten wir eine Petition mit einem dazugehörigen offenen Brief: Von Wissenschaftsredaktionen darf nie wieder ein Winzpartikel ausgehen.
Ganz ehrlich? Ich verstehe die drastische Ablehnungshaltung nicht. Im Gegenteil: Ich finde es eigentlich sehr entspannend, wenn auch Texte, in denen es um komplexe wissenschaftliche Themen geht, mit einem Augenzwinkern geschrieben sind — und ich persönlich empfinde das Wort “Winzpartikel” als ein solches verbales Augenzwinkern.
Hä? Wie richtig festgestellt, ist Spektrum populärwissenschaftlich. Dort darf man gerade in um Aufmerksamkeit heischenden Überschriften mit Synonymen und Sprachspielereien etwas freier umgehen als in todernsten, überseriösen Fachmagazinen. Ich zumindest erfreue mich an solchen Wortschöpfungen, denn immer nur Postillon ist auf Dauer doch zu gekünstelt.
Gleich die Deutschtümler dahinter zu vermuten, wirkt ein bisschen paranoid, und aus den wenigen Textbelegen schon eine – womöglich einzige – etablierte Bedeutung mit negativer Konnotation ableiten zu wollen, wäre ziemlich gewagt.
Natürlich darf man diese Winzpartikel nicht mit denen verwechseln, die in den Wein gekippt werden, damit jeder Jahrgang anders schmeckt …
Hmja. Ein genauerer Blick hätte zutage gefördert, dass es sich gar nicht um eine Meldung von Spektrum.de handelt, sondern aus dem gedruckten Heft.
Auf Spektrum.de hieß die Meldung “Minischwamm saugt Giftstoffe auf”.
@ Lars Fischer: Der Artikel ist unter der von mir zitierten Überschrift auf spektrum.de abrufbar, aber inwiefern spielt das überhaupt eine Rolle? Das Wort Winzpartikel ist falsch und verdorben! (Über Minischwamm müsste ich erst noch nachdenken).
Also, nach dem was ich hier lese muss ich zugeben, dass sich mir das Problem nicht so recht erschliessen will. Der Begriff “Winzpartikel” wird also von allen möglichen Menschen in allen möglichen Zusammenhängen in Verbindung mit allen möglichen Werturteilen verwendet, wenn auch insgesamt eher selten. So what? Eigentlich entspricht das in etwa dem, was ich auch ohne weitere Kenntnisse aus dem Bauch heraus vermutet hätte.
Und was ist jetzt so schlimm daran, dass der Begriff in der Überschrift eines Artikels eines populärwissenschaftlichen Magazins auftaucht?
Um ehrlich zu sein, erscheint mir hier der Furor der sprachwissenschaftlichen (um nicht zu sagen “sprachhygienischen”) Kritik dem der Anglizismenjäger vom VDS auf unschöne Weise gar nicht so unähnlich. Da frage ich mich schon fast: dürfen wir jetzt bald mit der Gründung eines Lobbyvereins wider unliebsame Eindeutschungen von Lehnwörtern rechnen?
@ klappnase: Pff, „Furor“ – kommen Sie mir hier jetzt nicht mit gauckscher Rhetorik, sonst sehe ich mich gezwungen, alternativlos zu werden.
Hallo Anatol,
interessante Analyse.
Aber findest Du nicht, dass Du das ein bisschen zu eng siehst?
Liebe Grüße
Richard
@ Richard Zinken: Wir können es natürlich auch locker sehen und einfach die deutsche Sprache den Bach runter gehen lassen. Als nächstes gehen wir des Genitivs verlustig und werden vom Dativ abhängig.
@Anatol Nun ja, ich kannte Dich bisher als Worterlauber, nicht Wortverbieter
Richtig so! Nie wieder Winzpartikel!Dank Prof. Dr. Werner Gruber wissen wir doch längst, dass derartige Partikel wissenschaftlich korrekt als “wuzzi-wuzzi-wuzzi- kleine Partikel” zu bezeichnen sind.
Mann, bin ich dämlich; hab erst beim zweiten mal erkannt, dass das nur Satire ist…
@ dingdong: Winzpartikel ist ein derart bescheuertes Wort, dass sich jede Beschäftigung damit verbietet, die nicht satirisch ist.
Ich habe vor etwa 30 Jahren begonnen die Vorsilbe “Winz-” für Dinge zu benutzen, die zu klein sind (mit abschätziger Bedeutung). Das erste Wort, das ich so verwendet habe, war “Winzzimmer”. Dafür findet Google immerhin 1300 Fundstellen, etwa im Sinne von “Studentenbude”.
@ Wentus: OMG, Sie haben recht, Winz- ist tatsächlich eine produktive Vorsilbe:
Wie furchtbar – ich habe meine Zeit damit verschwendet, über ein einzelnes bescheuertes Wort zu ranten, und dabei ist das ein ganzes Wortfeld…
Achjeh, die “warum über sowas aufregen”-Kommentare…
Zum einen denk ich mir: Nun, wer das Wort mag, darf es auch verwenden, und wenn es sich danach durchsetzt, nagut.
Zum anderen: Die negative Konnotation ist jetzt wirklich nicht das, was ich mir für eine informierte, ausgewogene Besprechung eines so aufgeladenen und bepolemisierten Themas wünsche.
Das kann einfach nur Satire sein. Der Satz Wir können es natürlich auch locker sehen und einfach die deutsche Sprache den Bach runter gehen lassen. Als nächstes gehen wir des Genitivs verlustig und werden vom Dativ abhängig. passt auch irgendwie nicht zu Ihnen.
Kleiner technischer Hinweis zu Fund Nr. 13:
Es handelt sich eigentlich um einen Newsgroup-Post (Usenet), eine andere Fundstelle hier: http://groups.google.com/group/de.sci.medizin.diabetes/msg/c2178090ebd32c62?hl=de
(Dass eine Google-Suche nicht im eigenen Sub-Portal fündig wird, ist ein eigenes, trauriges Thema.)
Nanopartikel ist aber doch auch kein anständiges deutsches Wort, sondern aus dem Griechischen und Lateinischen entlehnt, wild zusammengesetzt und in der Presse breitgetreten. Auf Zwergteilchen oder Zwergenteilchen könnten wir uns einigen. Das ist dann wirklich klein, passt in jeden Vorgarten und ist immernoch viel größer als ein Gottesteilchen.
Die Glosse erinnerte mich spontan an “Nilli Nano”, einem Boulevardstück mit Heinz Erhardt in einer seiner Paraderollen.
Aber ‘Winzling’ ist ein schönes und freundliches Wort (-ling macht alles wieder gut) und sollte von der Berantung ausgenommen werden!
EIne schöne Satire 😉