Auf manche Aussprachefragen gibt es keine eindeutige Antwort — zum Beispiel darauf, wie man <Chemie> ausspricht: Schemie, Chemie oder Kemie? Zwar vermerkt Duden online …
In der Standardlautung gilt nur die Aussprache çeˈmiː [d.i. der ich-Laut, KK] als korrekt; süddeutsch und österreichisch wird die Aussprache keˈmiː verwendet.
… aber dass hier eine Norm angesetzt wird, die sich nicht halten lässt, zeigen die Ergebnisse des Projekts Deutsch heute am Mannheimer Institut für deutsche Sprache. Man kann sie sich im Atlas zur Aussprache des deutschen Gebrauchsstandards (AADG) anschauen und sogar anhören. Die Chemie-Karte zeigt, dass die k-Lautung im Süden (Baden-Württemberg, Bayern, Österreich) fast ausnahmslos vorherrscht, während die sch-Aussprache im mittel- und ostniederdeutschen Raum dominiert. Die Variante mit dem ach-Laut ist auf die Schweiz beschränkt. Das vom Duden als »korrekt« gekennzeichnete ch findet sich nur im Nordwesten dominant. Damit wird sehr fraglich, mit welcher Berechtigung es als Standardlautung angesetzt wird, während die anderen Formen als regional abgetan werden (k) oder gar nicht erst Erwähnung finden (sch, schweizerdt. ch).
Entsprechend plädieren die AtlasmacherInnen auch für die Akzeptanz von mehr Variation im Standard und stellen fest:
Das Deutsche ist aufgrund seiner Geschichte auch heute noch eine sogenannte plurizentrische Sprache, d.h. es gibt nicht wie z.B. in Frankreich mit Paris eine einzige vorbildhafte Sprachform, sondern es bestehen mehrere, regionale und nationale Zentren, deren Sprachform vorbildhaft wirkt.
Das Projekt untersucht ganz gezielt keine Dialekte, sondern den »Gebrauchsstandard«, also das, was zum Beispiel GymnasiastInnen (die meisten Daten kommen von SchülerInnen im Alter von 17 bis 20) in formellen Situationen oder beim Vorlesen verwenden. Diese Daten stecken übrigens auch im höchst unterhaltsamen Ratespiel Hör mal, wo der spricht.
Weitere spannende AADG-Karten gibt es zu <später> (später vs. speter), der Endung <-ig> (billig vs. billich), <Kakao> (Ka-kau, Ka-ka‑o, …) und vielem mehr. Der Atlas befindet sich noch im Aufbau.
Über die Entstehung einer deutschen Standardlautung — die übrigens viel jünger ist, als die Standardsprache — habe ich übrigens hier einmal etwas geschrieben.
Die Aussprachenorm orientiert sich doch eher an der “Bühnenaussprache” (Siebs), weniger an Mehrheiten innerhalb der Bevölkerung.
Dazu steht was im letzten Link. Siebs ist auch nicht mehr der letzte Schrei 😉
Danke! Bei Standards kommt es allerdings auch nicht auf den “letzten Schrei” an, sonst wären sie keine Standards. 😉
Tja, die übliche nordwestdeutsche Spracharroganz. Scheint so eine Art Konvertiteneifer zu sein. Nachdem man sich dort die Fremdsprache Hochdeutsch angeeignet (!) hatte, begann man, den Rest der Sprachgemeinschaft nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.
So, genug getrollt für heute. 😉
Fragt sich (@ Post 3): Warum eigentlich “Standards” im Plural? Wenn man so sehr nach der großen Autorität sucht, die den Standard schlechthin festlegen darf und muss, müssten einem _mehrere_ Standards doch ein kaltes Grausen einjagen.
Ansonsten gilt weiterhin der altbewährte Vorgang: Der letzte Schrei von heute ist der Standard von morgen. Und über die Auswahl entscheidet die Sprechergemeinschaft in stiller Übereinkunft.
@ Jean-Pierre Teitinger: Warum “Standards” nicht im Plural, wenn es doch ganz allgemein gemeint ist? Und wie lautet die Adresse der “Sprechergemeinschaft”, die “in stiller Übereinkunft” entscheidet? Wo hält sie ihre Sitzungen ab? Oder arbeitet sie etwa wie eine geheime Loge? Schließlich: Wer schreit, hat meist unrecht. Das gilt gerade auch für den “letzten Schrei”. 😉
Die Sprechergemeinschaft braucht keine Sitzungen, das ist ja das Brilliante an ihr. Nichts ist demokratischer als Sprachwandel. Anders als Vereine (mit Anschrift), die von sich glauben entscheiden zu dürfen, was zum Standard gehört und was nicht (Anglizismen bäh; krampfige Neuschöpfungen, die sich nie durchsetzen juhu). Oder selbsternannte Grammatikprediger, die sowas schreiben wie “wer so spricht steht außerhalb der Grammatik und außerhalb des Standards” (Sic[k]!) — als könne ein Einzelner eine bedeutende Menge von Sprechern einfach aus dem Standard verbannen.
“Die Sprechergemeinschaft braucht keine Sitzungen, das ist ja das Brilliante an ihr. Nichts ist demokratischer als Sprachwandel. ” – so ist es! Dafür muss man Sprache auch einfach lieben!
Wer sagt denn, dass 17–20-jährige Gymnasiasten für die Sprechergemeinschaft representativ wären? Was ist denn mit anderen Altersgruppen oder Bildungsschichten?
Meine persönliche Erfahrung: Ich komme aus dem Mannheimer Umland (also nicht NWD) und zu meiner Schulzeit vor 20 Jahren war das immer CHemie. Wenn jemand SChemie gesagt hat, dann war das Dialekt. Ich glaube, dass die Sch-Variante doch von Dialekten beeinflusst ist. Das schleicht sich ja schnell ein. Komisches Projekt …
Nieman sagt, dass Schüler repräsentativ sind. Aber beteiligt sind sie natürlich am Sprachwandel trotzdem. Und jüngere Menschen sind oft tendenziell progressiver, d.h. in ihrem Sprachgebrauch sind manche Tendenzen erkennbar, die sich möglicherweise später breiter durchsetzen.
Ich komme auch aus dem Südwesten. Da galt ebenso “Schemie” als dialektal und “Chemie” als Standard. Das bedeutet aber nicht, dass das eine auf Ewigkeit falsch und das andere auf Ewigkeit richtig sein muss. Es ist natürlich schon interessant zu ergründen, woher die “sch”-Variante kommt. Aber selbst wenn sie dialektal ist, wird sie dadurch nicht automatisch verwerflich.
Standards sind reine Konvention. Es hat sich halt irgendwie durchgesetzt, dass die Aussprache von Chemie mit Achlaut, sch oder k als dialektal oder regional gilt, die mit dem Ichlaut hingegen nicht. In Film, Theater und Fernsehen hat eine Standardlautung durchaus Vorteile. Neben der Verständlichkeit, die dadurch gefördert wird, vermeidet sie geografische Assoziationen, die unerwünscht sein können. Die tatsächliche Herkunft des Sprechers ist egal und von der Rolle völlig unabhängig.
Wie recht Sie haben, Herr Förster, auf Theaterbühnen haben jegliche geographische Assoziationen keinen Platz.
Sollten Sie je das Wiener Burgtheater besuchen, würden Sie daher meine Wut verstehen, wenn Schauspieler aus Deutschland kommend, das Publikum mit ungerührter Selbstverständlichkeit ‘IHN’ ‘DERN”LERN’
‘KOMMN’ ‘NEHMN’
(soll heißen: IHNEN DEREN LERNEN KOMMEN NEHMEN)
belästigen.
Dieser Virus greift um sich — ähnlich wie das SCHAOS in SCHINA.….
Deutsche Kollegen verweigern die Ausprache des Anfangs K in CHEMIE — behaupten, daß die GIRAFFE mir G begänne .….… alternativlos, wie sie behaupten. Hier drängt sich zur geographischen noch eine weitere Assoziation auf … halten zu Gnaden.
Grüße aus Wien
Oh man ich studiere Chemie und war mir bis jetzt auch nicht sicher ob es Chemie oder Schemie heißt.
Es gibt Professoren die sagen Chemie und manche die sagen SChemie