Die Geschichte der geschlechtergerechten Sprache, das mussten wir auch dieser Tage wieder feststellen, ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Voller mutwilliger, vermeidbarer Missverständnisse, die eigentlich bereits hundert Mal ausgeräumt worden sind.
Dass die Macher/innen der Heidelberger Studierendenzeitung RUPRECHT nicht die hellsten Sterne am qualitätsjournalistischen Sternenhimmel sind, wird schnell klar, wenn man mit dem konfrontiert wird, was diese für „Satire“ halten: Sexismus mit einer Prise Verharmlosung von rechtsextremem Terrorismus. Auf der Titelseite eines fiktiven „Heidelbergerinnener Studentinnenmagazins“ namens „carola“ finden sich Teaser wie „Ohne Lernen durch die mündliche Prüfung: Unsere besten Styling-Tipps“ aber auch „Frau Zschäpe plaudert aus dem Nähkästchen / Zwischen zwei Männern / Beate über die besten Untergrund-Stellungen für drei“. Anlass dieser „Satire“ ist die Entscheidung der „ruprecht“-Redaktion, ihre Texte nicht mehr zu „gendern“ und auch den Untertitel der Zeitschrift von Heidelberger Studierendenzeitung in Heidelberger Studentenzeitung zu ändern.
In einer „Glosse“ (oder wie heißt das noch gleich, wenn man(n) sich selbstgerecht die Eier krault?), begründet ein gewisser Kai Gräf diese Entscheidung damit, dass das Blatt „erwachsen“ werde und „sich der Ketten seiner Backfischjahre“ entledige und versieht das ganze mit dem Habitus der Vernunft und der bürgerlichen Revolution gegen (fiktive) „Wächter des guten Tons“. Auf einen Leserinnenbrief, der sowohl die ausschließende Wirkung des ab sofort im „ruprecht“ praktizierten „generischen“ Maskulinum als auch die perfide Verquickung von geschlechtergerechter Sprache mit NSU-Verharmlosung angesprochen, folgt ein Lehrbuchbeispiel diskriminierungsbejahender Apologetik: Erstens, auch die Frauen in der Redaktion seien mehrheitlich gegen das Gendern (dahinterstehendes Missverständnis: Frauen können nicht sexistisch sein); zweitens, man schließe ja bei der Benutzung des generischen Maskulinum „selbstverständlich … alle Geschlechtergruppen mit ein“ (dahinterstehendes Missverständnis: Wenn ich etwas oft genug wiederhole, wird es auf magische Weise wahr), drittens, Frauenzeitschriften seien viel sexistischer als das generische Maskulinum, und außerdem sei das ja Satire (dahinterstehendes Missverständnis: Wer „Satire!“ ruft, hat automatisch recht).
Während die ruprecht-Redaktion zu wenig gendert, gendert die Redaktion des Fußball-Fanzines DIARIO DI DARIO zu viel. Wie @LOTTERLEBEN in einem äußerst lesenswerten Text berichtet, möchte diese Zeitschrift „die trennende geschlechtliche Polarisierung aufheben sowie das Individuum als Mensch und nicht als Mann, Frau oder Trans* ins Zentrum stellen“. Deshalb verwende man auch den Begriff Mensch*schaft statt Mannschaft. Ein lobenswertes Vorgehen, wäre da nicht das Problem, dass das Fanzine sich ausschließlich mit Männerfußball zu beschäftigen scheint, und dass es im Fußball allgemein ja in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion eigentlich immer um Männerfußball geht (es muss schon eine Frauenfußballweltmeisterschaft kommen, damit der Frauenfußball überhaupt als Fußball wahrgenommen wird). @Lotterleben enttarnt deshalb die mutwilligen Missverständnisse hinter der scheinbar genderbewusste Begriffswahl des Fanzines aufs Feinste. Sie mache genau diejenigen Strukturen und Personengruppen unsichtbar, die durch genderbewusste Sprache allgemein und das Gender-Sternchen im Besonderen eigentlich sichtbar gemacht werden sollen. In einer reinen Männerdomäne zu behaupten, wir seien doch alle Menschen, die nicht durch ihr Geschlecht definiert werden dürften, benennt sie kompromisslos als das, was es ist – „klassische Privilegierten-Argumentation“.
Natürlich ist es einfach, Geschlecht zu ignorieren, wenn mann (oder frau in einer Heidelberger Studierendenzeitungsredaktion) von Sexismus nicht betroffen ist.
Ich finde, den Rückgriff aufs generische Maskulinum beim ruprecht ebenfalls äußerst unglücklich und rückwärtsgewandt. Auch die Satireseite ist (mal wieder) nicht gelungen. Blendet man diese Aspekte jedoch kurz aus, bleibt ruprecht in Heidelberg nach wie vor tatsächlich die einzige Zeitung mit nennenswerter Auflage, die regelmäßig kritische und unabhängige Beiträge zu Uni- und Stadtpolitik veröffentlicht. In dieser Funktion ist sie absolut unverzichtbar. Ihre Macher/innen sind also vielleicht doch “die hellsten Sterne am qualitätsjournalistischen Sternenhimmel” Heidelbergs, denn ein fehlgeleitetes Gender- und Humorverständnis hat mit den Inhalten von Qualitätsjournalismus zunächst nichts zu tun, oder?
Unbedarfte Menschenfreundinnen wie ich könnten vermuten, dass es sich bei der ”Entscheidung der „ruprecht“-Redaktion, ihre Texte nicht mehr zu „gendern“ und auch den Untertitel der Zeitschrift von Heidelberger Studierendenzeitung in Heidelberger Studentenzeitung zu ändern”, um die eigentliche Satire handelt. Darauf deutet auch die Entlehnung des Begriffs “Backfischjahre” aus den 1950ern hin.
Dass Frauenzeitschriften, die hier persifliert wurden, weitaus sexistischer sind als irgendwelche unterbliebene Sprachkosmetik (oder als Männerzeitschriften), dürfte doch wohl unstrittig sein. Was der Einzelne für Satire hält oder nicht, ist diesbezüglich völlig unerheblich.
Übrigens scheint das bisher obligatorische redaktionelle Gendern des gesamten Magazins nicht pauschal durch (Pseudo-)Generika, sondern lediglich durch eine individuelle Entscheidung fakultativen Genderns per Artikel ersetzt worden zu sein.
Um mal auf was Sprachliches zu kommen: „Leserinnenbrief“ klingt falsch, wenn es um den (Leser-)Brief einer Leserin geht, denn ‚nen‘ ist keine übliche Fuge (d.h. ‚n‘ schon, aber nicht nach ‚n‘).
PS: Passend, dass der Artikel unter „Glossen“ veröffentlicht wurde.
@Christoph Päper: Das erste n ist ein rein graphematisches Phänomen, und Fugenelemente werden nicht graphematisch, sondern morphologisch bestimmt. Entsprechend gibt es ja auch das Sekretärinnenproblem und den Junggesellinnenabschied (für — obwohl das keine Rolle spielt — exakt eine Junggesellin).
Auch eine kleine Recherche in Zeitungen fördert weitere Bildungen zutage, die ein produktives Muster nahelegen, zum Beispiel den Königinnenakt (Aktgemälde “The Blue Queen”, das Elizabeth II. zeigt), die Präsidentinnensuche (für einen Verein) und die Partnerinnensuche.
“Lerserinnenbrief”? Wörter wie “Müllerinnenart”, “Bäuerinnenschule” und “Debütantinnenball” zeigen, dass es Zusammensetzungen dieser Art schon gab, als noch nicht »gegendert« wurde.
Kristin Kopf, ich glaube, man darf die Beispiele nicht alle gleich behandeln, denn einige der unmovierten Linkskomponenten fordern selbst schon – ohne auf N zu enden – die N‑Fuge (Junggesell+en+abschied, Präsident+en+suche), andere nicht (Partner+∅+suche</i) oder sogar eine andere (König+s+akt). Nichtsdestotrotz scheint mein individuelles Sprachgefühl hier tatsächlich von der Sprachgemeinschaft abzuweichen.
Stephan, diese Gegenbeispiele sind nicht analog gebildet, da es jeweils um eine Mehrzahl von Bäuerinnen und Debütantinnen geht. Bei den Müllerinnen könnte man drüber nachdenken.
Über die Müllerin/nen müsste man wirklich erstmal nachdenken. Google schätzt 46.000x Müllerinnenart gegen 78.000x Müllerinart. Wikipedia hat sich für eine Müllerin entschieden:
http://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCllerinart
Laut Duden ist “die Studenten” der Plural für “der Student/ die Studentin”, der das maskuline “der Student” sowie das feminine “die Studentin” umfasst. Daher die Bezeichnung Studentenzeitung. Die Zuordnung des Artikels “die” für Feminum und Plural ist arbiträr. Jede Frau kann sich hier gerne in dem “die” wiederfinden, wenn sie verzweifelt nach einen graphematischen Hinweis im Druckbild auf sich selbst sucht.
@Christoph Päper: Was hat das Fugenverhalten der unmovierten Formen mit dem der movierten Formen zu tun?
Movierung ist ein derivationeller Wortbildungsprozess, und Wortbildungsprodukte können prinzipiell als kompositionelles Erstglied verwendet werden, unabhängig vom Verhalten ihrer Ableitungsbasis — ich verstehe daher den Zusammenhang nicht ganz?
Außerdem: Plural. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich den Kommentar richtig verstanden habe, aber: Es gibt zwar einzelne Beispiele, bei denen das Erstglied durch das Fugenverhalten Pluralität auszudrücken scheint (Arzthaus — Ärztehaus, Hausfront — Häuserfront, Bankkonto — Bankenkrise), aber von einem grammatischen Phänomen lässt sich aufgrund der fehlenden Obligatorik nicht sprechen (Bischofskonferenz, Freundeskreis, Damenbesuch).
Die meisten gemischtflektierenden Feminina (d.h. keine Endung in den Singularkasus, en-Endung in den Pluralkasus) besitzen das paradigmische Fugenelement -en-, und zwar völlig unabhängig von möglicher Ein- oder Mehrzahl des Erstglieds: Einen Tantengeburtstag kann man auch besuchen, wenn nur eine einzige Tante feiert, ein Blumentopf oder eine Blumenvase kann nur eine Blume enthalten, ein Waschmaschinendefekt nur eine Waschmaschine betreffen, ein Lampenschirm sich nur auf einer Lampe befinden, eine Kassettenhülle bietet nur Platz für eine Kassette, ein Kistendeckel ist nur auf einer Kiste drauf, und und und.
Da scheint mir jetzt sehr wortreich erklärt, was man schon im ersten Semester lernt: “Die Kompositionsstammformen haben nicht die gleiche Bedeutung wie die gleichlautenden Flexionsformen.”
Ja. So ist das halt, wenn man zu einem Thema promoviert … 😉
Zeige mir ein nicht durch Motion erzeugtes Femininum, das im Singular auf N endet und in irgendeiner Komposition eine N‑Fuge fordert, ohne gleichzeitig zwingend Pluralbedeutung zu haben. Das Genus dürfte sogar egal sein. (Vielleicht übersehe ich aber auch nur etwas.)
Die unmovierten Formen würde ich beachten, weil Analogbildungen nicht unwahrscheinlich sind, d.h. man wird wegen Junggesellenabschied auch Junggesellinnenabschied statt Junggesellinabschied erwarten dürfen, aber aus Partner∅suche hätte sich genausogut Partnerinsuche statt Partnerinnensuche entwickeln könne.
Ich bin übrigens aufgrund ihrer Regelhaftigkeit und Generizität nicht mehr restlos davon überzeugt, dass Movierung im Deutschen wirklich noch Derivation und nicht bereits Flexion ist – zumindest, wenn auch die Pluralbildung, die ebenfalls mit Extensionsänderung einhergeht, Flexion ist.
Man kann sich da natürlich streiten, die Movierung ist wirklich sehr reihenbildend — aber sie ist auf eine bestimmte semantische Gruppe beschränkt, nämlich belebte Maskulina, die Männer (und manchmal auch Tiere) bezeichnen. Damit ist sie noch wesentlich restringierter als zum Beispiel die Diminution, die ja oft als flexionsartiges Phänomen gehandelt wird.
Obwohl es einzelne Entwicklungen gibt, die eine steigende Obligatorik nahelegen (Die Bahn als Bewahrerin), kann man m.E. eine Einordnung als Flexion nicht rechtfertigen.
Zum ersten Punkt: Das ist jetzt natürlich eine schwierige Aufgabe, da die deutschen Feminina aufgrund historischer Entwicklungen fast allesamt zweisilbig sind und auf Schwa auslauten.
Mir ist aber noch immer nicht klar, was das beweisen soll? Wenn es außer Wörtern auf -in keine gibt, die eine en-Fuge nehmen, kann es die en-Fuge bei -in nicht geben? Und warum das Beharren auf der Singular- und Pluralsemantik, wenn doch eine Vielzahl von Wörtern mit Fugenelementen zeigen, dass es sich eben nicht mehr um Flexion handelt und somit kein systematischer Numerusausdruck in der Fuge erfolgt?
Diminutive nehmen relativ häufig eigene Bedeutungen an (Herrchen/Frauchen, Männchen, Pärchen, Brötchen) bzw. das Wort ohne -chen oder -leinist nicht (mehr) gebräuchlich: Eichhorn, Seepferd, Mär, *Mäd (~ Maid/Magd). Das ist bei movierten Wörtern nicht der Fall (höchstens bei Wöchnerin). Pluralia- und Singulariatantum stellen die Numerusflexion in Frage, wenigstens ein bisschen.
Ich wollte (zumindest ursprünglich) nur darauf hinaus, dass (unabhängig vom Genus) N‑Fuge nach N‑Endung sonst nicht vorkommt, außer bei Übereinstimmung mit der Pluralform und entsprechender Semantik. Deswegen wirkt Leserinnenbrief mit Singularbedeutung der Linkskomponente auf mich seltsam.