Sprachbrocken 16/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Während die römisch-ortho­doxe Kirche sich mit Jorge Mario Mer­goglio aka Franziskus I schon des zweit­en twit­tern­den Pap­stes in Folge rüh­men kann, muss ihr rus­sis­ches Gegen­stück wohl auf abse­hbare Zeit ohne Kurz­nachricht­en ihres Ober­haupts auskom­men. Wie die Nachricht­e­na­gen­tur RIA NOVOSTI berichtet, hält Wladimir Michailow­itsch Gund­ja­jew aka Kyril I nichts von der „Twit­ter-Sprache“, dem „Twit­ter-Stil“ und vor allem wohl dem „Twit­ter-Tem­po“, das die Welt heutzu­tage erwarte. Seel­sorge sei wichtiger als prompte Reak­tio­nen auf aktuelle Ereignisse. Der Pon­tif­ex sieht das ja offen­sichtlich anders: Statt, wie sein Vorgänger, nur Kalen­der­sprüche zu twit­tern, bat er vorgestern seine Schäfchen darum, mit ihm gemein­sam für die Opfer der Explo­sion in ein­er tex­anis­chen Düngemit­telfab­rik zu beten. Nett gemeint, zweifel­sohne, aber schw­er nachvol­lziehbar, warum aus­gerech­net dieses Ereig­nis – und auss­chließlich dieses – sein­er Aufmerk­samkeit würdig ist.

Bei allen Dif­feren­zen über den Umgang mit den sozialen Medi­en haben die bei­den Kirchenober­häupter aber eines gemein­sam: Sie sind bei­de die ersten, die sich ihren jew­eili­gen Kün­stler­na­men gewählt haben. ((Nach­trag: Also, nicht die ersten, die sich selb­st Kün­stler­na­men gewählt haben, son­dern die ersten, die sich die Namen Franziskus und Kyril gewählt haben. Was eigentlich erstaunlich ist, weil diese Namen in den jew­eili­gen Organ­i­sa­tio­nen ja dur­chaus einen Brand-Cred­i­bil­i­ty-Vorschuss hat­ten und ich davon aus­ge­gan­gen wäre, dass die Namen längst vergeben waren.)) Das gibt ihnen eine gewisse Einzi­gar­tigkeit, die Kinder mit Namen wie Luca, Sophie, Max­i­m­il­ian und Marie wohl schmer­zlich mis­sen wer­den – wis schon seit Jahren führen die näm­lich auch 2012 wieder die Liste der beliebtesten Vor­na­men an, die die GESELLSCHAFT FÜR DEUTSCHE SPRACHE jährlich ermit­telt. Selb­st mit dem Num­merierungssys­tem, das Päp­ste, Patri­ar­chat­en und son­stige Patrizier häu­fig pfle­gen, wird diesem Prob­lem nicht beizukom­men sein, denn wer will schon beispiel­sweise Max­i­m­il­ian MMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM MMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM MMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM MMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMCDXXI heißen? Die trau­rige Wahrheit ist doch, dass das römis­che Zahlen­sys­tem für solche Größenord­nun­gen schlicht nie gedacht war.

Trau­rig ist auch oft die Wahrheit hin­ter Woh­nungsange­boten. Um Woh­nungssuchen­den zu helfen, die Beschrei­bun­gen von Mieto­b­jek­te zu ver­ste­hen, hat die B.Z. ein Glos­sar der Mak­ler­sprache veröf­fentlicht aus dem wir zum Beispiel erfahren, dass indi­vidu­ell geschnit­ten auf eine „verko­rk­ste Rau­maufteilung“ hin­deutet, während gut geschnit­ten alles heißen kann. Aber wollen wir in Zeit­en akuten Woh­nungs­man­gels diese Wahrheit­en wirk­lich wis­sen? Mir scheint, Seel­sorge wäre da wichtiger.

11 Gedanken zu „Sprachbrocken 16/2013

  1. Kristin Kopf

    Glück­licher­weise ist die Lage nicht so düster, wie die GdS sie erscheinen lässt — die Auszäh­lung unter­schei­det näm­lich nicht zwis­chen Erst- und Zweit­na­men. Da z.B. Maria ein typ­is­ch­er Zweit­name ist, gewin­nt er unzuläs­sig viel Gewicht. Für wis­senschaftliche Zwecke sind diese Lis­ten dadurch ärg­er­licher­weise nicht so brauchbar.
    Lei­der auch nicht auf per­fek­te Weise erhoben, aber m.E. den­noch sin­nvoller, sind die Lis­ten von Knut Biele­feld. Hier kann man sehen, dass bei den Zweit­na­men Maria weit oben ist (Platz 3), bei den Erst­na­men aber erst auf Rang 69 (!!) auftritt.
    Max­i­m­il­ian ist als Erst­name auf Rang 9, als Zweit­name auf Rang 3.

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  2. sndrsch

    Die römisch-ortho­doxe Kirche wird in The­olo­gen- und Kirchenkreisen u. a. auch römisch-katholis­che Kirche genannt… 😉

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  3. Philipp

    @Kristin: Inter­es­sante Links, aber gibt es etwas Entsprechen­des vielle­icht auch für Ruf­na­men? Ich weiß, daß es da entsprechend schw­er­er ist, zuver­läs­sige Sta­tis­tiken zu kriegen, aber es würde mich doch interessieren. 🙂

    … sagt jemand, dessen Ruf­name der Zweit­name ist.

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  4. Kristin Kopf

    @Philipp: Der Ruf­name wird meines Wis­sens nicht fest­gelegt, weshalb die Standesämter wahrschein­lich nicht über entsprechende Dat­en ver­fü­gen. Ich kenne an ern­stzunehmenden Vor­na­menssta­tis­tiken nur diese beiden.

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  5. MCBuhl

    …und ich dachte, der Franz hätte keine Ordi­nalzahl (weil er doch der erste seines Namens ist)
    Sollte Bild­blog sich getäuscht haben?

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  6. sndrsch

    Aber Sie akzep­tieren den Anspruch, der in dem Begriff “ortho­dox” steckt? ;-)(Ich bin übri­gens evan­ge­lisch, nur so, um etwaige Missver­ständ­nisse zu vermeiden.)

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