Wegen eines nicht besonders guten Blogbeitrags wurde heute in meiner Twitter-Timeline diskutiert, welches grammatische Geschlecht das Fragepronomen wer hat – genauer, ob es sich wie in dem verlinkten Beitrag behauptet, um ein Maskulinum handelt.
Sprachwissenschaftlich ist das keine einfache Frage. In einigen Zusammenhängen verhält es sich wie ein sogenanntes Utrum, eine Form die sich auf Menschen (und manchmal uns nahestehende Tiere), aber nicht auf unbelebte Gegenstände bezieht. So kann mit wer nach Maskulina, Feminina und Neutra gefragt werden, solange es Menschen sind. Bei Gegenständen muss dagegen mit was oder welches gefragt werden:
- Wer ist der größte Mann der Welt?
- Wer ist die größte Frau der Welt?
- Wer ist das größte Kind der Welt?
- * Wer ist das größte Flugzeug der Welt?
- Was/welches ist das größte Flugzeug der Welt?
Und auch Antworten auf Wer-Fragen können Maskulina, Feminina und Neutra sein, solange die sich auf Menschen beziehen:
- Wer ist das?
- (a) Der größte Mann der Welt.
- (b) Die größte Frau der Welt.
- (c ) Das größte Kind der Welt.
- (d) * Das größte Flugzeug der Welt.
Wer wird deshalb von manchen Sprachwissenschaftlern als genusneutral bezeichnet.
Allerdings scheint es sich in anderen Zusammenhängen wie ein Maskulinum zu verhalten. ((Siehe auch: PITTNER, Karin (1998) Genus, Sexus und das Pronomen wer. In Robert J. Pittner/Karin Pittner (Hg.), Beiträge zu Sprache und Sprachen 2. Vorträge der 5. Münchner Linguistik-Tage 1995. München: Lincom Europa, 153–162.)) Die vorherrschende Lehrmeinung in der Sprachwissenschaft, und die Intuition vieler Sprecher/innen, besagt, dass wir uns auf wer nur mit maskulinen Pronomen rückbeziehen können:
- Nochmal kurz… wer von euch gibt seinen Kindern Sanostol? [Link]
- Wer von Euch hat schon einmal sein ganzes Leben umgekrempelt? [Link]
- Wer von euch ist schwanger und hatte trotzdem seine Periode? [Link]
Besonders interessant ist hier das Beispiel (9), da es sich, anders als die Beispiele (7) und (8), zwingend auf Frauen bezieht, wir es also nicht mit einem „generischen Maskulinum“ zu tun haben. Trotzdem wird das maskuline Possesivpronomen seine verwendet.
Diese Beispiele deuten klar darauf hin, dass das Fragepronomen wer maskulin ist. Allerdings nur, wenn sich nicht auch authentische Beispiele finden lassen, bei denen ein Rückbezug durch ein feminines Pronomen hergestellt wird.
Solche Beispiele sind zwar deutlich seltener als die mit maskulinen Pronomen, aber sie finden sich trotzdem in zu großer Menge, um sie als Fehler oder Ausnahme abzutun. Hier sind ausgewählte Beispiele, die ich unter den ersten 50 Google-Treffern von [“wer von euch * ihren”] und den ersten 30 Treffern von [“wer von euch * ihre”] gefunden habe:
- Wer von Euch hat ihren Arbeitgeber schon über die neuen Umstände [ihre Schwangerschaft, A.S.] aufgeklärt? [Link]
- Wer von euch hat ihre Tage auch erst ganz spät bekommen und hat nie starke Blutung? [Link]
- Wer von euch kauft ihren Katzen Kitekat? [Link]
- Hallo Mamis, habe mal eine Frage: Wer von euch gibt ihren Liebsten die Kindermilch? [Link]
- Wer von euch hatte trotz Schwangerschaft ihre Regel? [Link]
- Wer von euch kann uns ihre Erfahrung mal mitteilen? [Link]
- Vielleicht mag mir ja wer von euch von ihren Erfahrungen mit dem Monitor erzählen. [Link]
Es fällt auf, dass die meisten dieser Beispiele von Frauen produziert wurden, in Kontexten, in denen sie hauptsächlich mit anderen Frauen kommunizieren. Auch Doppelformen finden sich mit wer:
- Wer von euch kann mir seine/ihre Erfahrungen – nur zu diesen beiden Reifen – mitteilen. [Link]
- Wer von euch reinigt seinen/ihren Geschirrspüler regelmäßig? [Link]
Diese Formen sind weniger klar auf „weibliche“ Zusammenhänge begrenzt.
Es scheint plausibel, dass hier ein Sprachwandelprozess zu beobachten ist, ((Siehe auch PUSCH, Luise (1984) Frauen entpatrifizieren die Sprache: Feminisierungstendenzen im heutigen Deutsch. In Luise Pusch, Das Deutsche als Männersprache. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 76–108.)) im Laufe dessen das Fragepronomen wer sein maskulines Genus verliert und ein echtes Utrum wird. Und dieser Sprachwandelprozess wird möglicherweise von Frauen angeführt (was aus soziolinguistischer Sicht nicht völlig unerwartet wäre).
[Nachtrag: Alternativ wäre die Hypothese bedenkenswert, dass wir es möglicherweise mit zwei verschiedene stabilen Varietäten des Deutschen zu tun haben: Einer, in der wer maskulin ist [Deutsch‑M], und einer, in der es maskulin/feminin ist [Deutsch-FM]. Weiterhin wäre es dann interessant, ob diese beiden Varietäten gleichmäßig über männliche und weibliche Sprecher/innen verteilt wären, oder ob Deutsch-FM häufiger von Frauen gesprochen wird. Aus der Psycholinguistik wissen wir, dass Männer das „generische Maskulinum“ häufiger als tatsächliches Maskulinum interpretieren als Frauen. Bisher habe ich mir das so erklärt, dass Männer eben bei Maskulina nie darüber nachdenken müssen, ob sie mitgemeint sind, Frauen dagegen sehr wohl. Es könnte aber auch daran liegen, dass Genus im Deutsch-FM weniger starr ist als im Deutsch‑M. Allerdings müsste man dann im Deutsch-FM auch Sätze wie Der Arzt hat ihr Stethoskop vergessen mit einer Interpretation sagen können, bei der sich ihr auf der Arzt bezieht – was mir zweifelhaft (aber nicht ausgeschlossen) erscheint.]
Als ich in ‘jenem’, oben erwähnten Blogartikel das Beispiel las: “wer hat ihren Bleistift liegen gelassen?” assoziierte ich folgendermaßen:
Wer hat den Bleistift [einer weiteren weiblichen 3. Person, also nicht den eigenen] liegen gelassen?
Das war dann wohl ein weniger einleuchtendes Beispiel für einen Sprachwandel, den A.S beschreibt und mit authentischen Beispielen belegt.
Thanks für den kleinen erklärenden Gedankenausflug!
@ Sophie: Zwei Dumme, ein Gedanke
Hab heute folgendes gelesen:
http://evidentist.wordpress.com/2013/04/17/feministische-sprachmagie/
Da hab ich mir das gleiche gedacht: Das Beispiel “Wer hat SEINEN Bleistift liegengelassen” kann man doch getrost durch “Wer hat DEN Bleistift liegengelassen” ersetzen.
Manchen Sprachnörglern fehlt es offenbar an Gehirnschmalz, an solche Formulierungen zu denken.…
Naja, man kämpft im Kleinen und keiner will es akzeptieren.…. “Das versteht Oma ja nicht” heißt es bei jedem Anglizismus. Dass man Oma damit für strunzdumm erklärt, merkt nicht mal Oma.…..
> Besonders interessant ist hier das Beispiel (9), da es sich […] zwingend auf Frauen bezieht,
Stimmt vermutlich damit überein, wie es im Original gemeint war, aber Zisnormativität.
“Zwei Dumme…” mag ich ja noch akzeptieren, aber mit der Folgerung “…ein Gedanke” tue ich mir schwer, @Statistiker.
Ich empfinde Gedanken, ja: Denken überhaupt — gerne frei und weit — selten als per se nörgelnd.
Ich liebe es geradezu, meinen Geist zum Weiterdenken angeregt zu sehen durch kluge Köpfe wie A.S., der mir immer wieder belegt, dass der gedankliche Trab innerhalb bestimmter Konventionen und Grenzpfählen zwar opportun, aber nicht annähernd so bereichernd, inspirierend ist, wie der Blick über Konventionen, Grenzen hinweg.
Und wenn diese gedanklichen Ritte über konventionelle Hürden hinweg dann stattfinden auf satten, grünen, sachlich fundierten Wiesen und unter einem Wind, der mir human, Richtung Gerechtigkeit, Gleichberechtigung [auch jenseits von Feminismus] strebend um die Ohren weht, dann reite ich gerne gedanklich mit und verlasse Konvention und eingezäumtes Terrain…und sei es, um für einen Moment weit zu denken, weiter, als ich “Dumme” selbst, allein, vermag.
Außerdem liebe ich Sprache. Und Wandel. Auch gerne Sprachwandel.
Finde ich insofern interessant, als mal eine Dozentin dem Kurs von einer Radikalfeministin erzählt hat, die statt “wer” immer “welche” gesagt hat — und damit die Männer im Auditorium ausschloss — da sie “wer” für ein Maskulinum gehalten hat.
Und was den Sprachwandel durch Frauen angeht — so käme ich mir schlicht und ergreifend irgendwie merkwürdig vor, wenn ich schreiben würde “Wer von meinen Pyjamapartygästen hat seinen BH bei mir vergessen?” Es ist zwar nicht sehr wissenschaftlich, aber der Satz fühlt sich einfach nicht gut an. Also würde ich schreiben “Wer von meinen Pyjamapartygästen hat ihren BH bei mir vergessen?” Denn natürlich kann kein “er” sowas vergessen haben *g* (wobei Ausnahmen die Regel bestätigen).
Es muss also nicht mal zwingend ein bewusst sprachlicher Vorgang sein. Ein einfaches “der Satz fühlt sich komisch an” reicht, um aus “seinen” ein “ihren” zu machen.
Interessant. Bei uns an der Uni wurde in einem Seminar mal beiläufig erwähnt, dass “wer“ maskulin sein soll, was mich allein schon deswegen irritiert hat, weil ich es nicht einleuchtend fand, dass ein Interrogativpronomen überhaupt ein Genus haben kann (was wäre denn z.B. mit “wessen“ oder “wem“, wo es gar keine Neutrumform gibt?). Mir stellen sich gerade zwei Fragen: erstens, damit die Argumentation, dass “wer“ maskulin ist bzw. war und hier ein Sprachwandel stattgefunden hat, funktioniert, müssten die Beispiele mit femininem Bezug ja relativ neu sein, oder? Sind sie das auch? Und zweitens, wie ist denn das dann in den anderen Fällen, denn ich tue mich gerade schwer, in den anderen drei Fällen Beispiele zu konstruieren, in denen ein Interrogativ- und ein Possessivpronomen zusammen auftreten (außer vielleicht sowas wie “wem ist sein/ihr Auto gestohlen worden?“ oder so). Haben dann einige Pronomina verschiedene Genera und andere nicht?
Dazu fällt mir der vor immerhin fast 30 Jahren gehörte Satz ein: Jemand hat ihren Lippenstift in der Damentoilette liegen lassen.
Da stört immer noch das “Jemand”
Was wäre eine Alternative?
Prima Analyse, finde ich! Danke schön! Meine Intuition besagte, dass das “wer” nicht Träger des Genus ist. Das Genus wird erst durch “seinen” festgelegt. Wer das Genus bewusst offen lassen will, muss fragen:
“Wer hat einen Bleistift hier liegen gelassen?” oder “Wer hat den Bleistift liegen gelassen?”
Wer hingegen nur Frauen ansprechen will, darf offenbar (ohne missverstanden zu werden) heute fragen: “Wer von euch hat ihren Bleistift vergessen?”
Finde die Beispiele in den Kommentaren ganz spannend, ja zum Beispiel mit “wessen”. Da wird nich diskutiert, welches Genus dieses trägt.
Liegt da vielleicht bei vielen Sprachkritiker*innen eine Pseudoetymologie vor? Von wegen “wer” klingt ähnlich wie “er”? Ich bin keine HISTORISCHE Linguistin, kann es also weder bejahen noch verneinen. Aber kommt so die Frage vielleicht zustande?
Für mich wären auch Interrogative erstmal neutral. und wie Erbloggtes sagte, dasserst die referierenden Pronomen den Unterschied machen? Für Personen scheint ja vieles möglich zu sein, wenn auch mit subjektiv gefühlten Abstrichen.
@Evanesca: Du beschreibst sehr schön die Intuition in konkreten genderspezifischen Kontexten, dass der grammatische Genus (feminin) den Sexus (weiblich) zum Ausdruck bringen soll. “Sein BH” hört sich tatsächlich schrill an! Die Radikalfeministin, die lieber das Fragepronomen “wer” ersetzen möchte, weiß offenbar nicht, dass es neben dem grammatischen Kongruenzprinzip auch ein konkurrierendes semantisches gibt (“Das junge Ding zog ihre Bluse aus.”) Die Unfähigkeit, zwischen Sexus und Genus zu unterscheiden teilt sie ironischerweise mit den strukturreaktionären Sprachbewahrern, die ja auch sonst das grammatische Kongruenzprinzip fetischisieren.
Die Lösung für das Geschlechterproblem kann nur so sein, wie die Sprache selbst, nämlich pragmatisch. D.h.: den sexuellen Unterschied dort markieren und sichtbar machen, wo er zählt und dort einzuebnen, wo er nicht zählt. Das generische Maskulinum ist überall dort kein Problem, wo es wirklich generisch ist, also keine sexuellen Stereotypen verstärkt. Unser Bundeskanzler heißt Merkel. Where is the problem? (Ich meine sprachlich …)
@AS: Danke für die vielen erhellenden Belege. Kleiner Hinweis: Auch Satz 9 (“Wer hatte seine Periode?”) ist ein Beispiel für den generischen (unmarkierten) Gebrauch des maskulinen Possessivpronomens; sogar ein besonders eindeutiges, da die nichtgenerische (markierte) Interpretation schon im Satz selbst ausgeschlossen wird.
Nein, das kann kein generischer Gebrauch sein, denn der Satz kann unter keinen* Umständen als auf Männer bezogen interpretiert werden. [* d.h., solange wir von einer cis-normativen Interpretation (siehe Kommentar von tE oben) ausgehen.]
@Martin und @Erbloggtes: Ich hatte schon ein Posting begonnen, wo ich so wie ihr argumentieren wollte. Bis ich mir das Beispiel 9 von AS noch einmal genauer angesehen habe: “Wer von euch hatte seine Periode?” Dieser Satz und andere wie “Wer hat seinen (??ihren) Lippenstift vergessen?” sind nur möglich, wenn die semantische Genuszuweisung (der Kontext ist nicht generisch!) durch ein konkurrierendes Prinzip blockiert wird, und das kann nur die grammatische Genuszuweisung durch “wer” sein.
@Jürgen A.: Ich verstehe leider mangels Fachkenntnissen nicht, was Du zu erklären versuchst. Mein Eindruck ist, dass “wer” maskulinischer Herkunft ist, sich aber im Sprachgebrauch derzeit zu einem Utrum (ein tolles Wort, das ich vorher noch nie gehört habe) entwickelt.
@Erbloggtes: Ich versuch es, ganz einfach zu erklären (was nicht ganz einfach ist). Also: Wenn du eine Frau siehst und du sie deinem Freund zeigen willst, deutest du auf sie sagst: “Schau mal, wie sie lächelt!” Hier musstest du auf keine grammatische Regel achten, also wählst du ganz natürlicherweise die feminine Form “die”. Wenn das “wer” in dieser Hinsicht völlig neutral wäre, dann dürfte es nur feminine Formen geben (“Wer hat ihre Tage?”). Das ist aber nicht der Fall.
Zum Utrum: Ich fürchte, das ist falsch. “Wer” ist nämlich eigentlich sowohl maskulin als auch neutral (weil “sein-” eben beides einschließt). Nimmt man jetzt noch feminin dazu, bekommt man als Ergebnis nicht ein Utrum — das schließt die Neutralen aus -, sondern eine genuslose Form.
Erstens: Was genau ist an „in einigen Zusammenhängen verhält es sich wie“ missverständlich? (Ernstgemeinte Frage).
Zweitens: Nein, wer ist nicht „sowohl maskulin als auch neutral“, da *Wer ohne Sünde ist, das werfe den ersten Stein – analog zu Welches Kind ohne Sünde ist, das werfe den ersten Stein eindeutig ungrammatisch ist (anders als Wer ohne Sünde ist, die werfe den ersten Stein, ein Satz, der wenigstens für diejenigen Sprecher/innen grammatisch ist, die feminine Anaphern zulassen). Wieder so ein Zusammenhang, in dem sich wer wie ein Utrum verhält.
Das Interrogativpronomen bewahrt einen Zustand aus (vor-)indogermanischer Zeit, als man “animat — inanimat” unterschied.
Als sich “animat” in “feminin” und “maskulin” aufteilte, entwickelte man für die anderen Pronomen entsprechende Femininformen, für das Fragepronomen aber nicht.
Wenn ich nichts übersehen habe, entwickelten bislang nur Sanskrit (kā) und Gotisch (ƕo) eigene Formen, mit denen man speziell nach Frauen fragen kann.
@Jürgen: Semantisches Kongruenzprinzip ist ein toller Fachbegriff, danke. Dann weiß ich endlich, wie ich meine Intuition fachlich erklären kann. Bin ja leider keine Sprachwissenschaftlerin, sondern lediglich eine künftige Englisch/Ethik-Lehrerin mit Riesenfaible für Sprachen und Linguistik.
@Vytautas: Und wieder was gelernt! Wie genau wurde denn sprachlich zwischen belebt und unbelebt unterschieden?
Zum Bleistift: In “Wer hat seinen Bleistift hier liegengelassen?” Kann man das “seinen” nicht durch “einen” ersetzten, weil mit der Verwendung von “seinem” deutlich gemacht wird, dass der Sprecher jemand andern für die störende Position des Bleistift verantwortlich macht (nach den Maximen: Wenn’s mir nicht gehört, kann ich’s nicht einfach wegräumen oder Jede® kümmere sich um seinen Kram). Grammatisch ist das schon in Ordnung, pragmatisch passt’s nicht mehr. Das kann nur durch ganz andere Formulierungen aufgefangen werden.
@Anatol
In “Wer ohne Sünde ist, der (*das) werfe den ersten Stein” hat “wer” die Funktion eines Relativpronomens. Richtig, dort ist es eindeutig maskulin. Es müsste aber zusätzlich noch die Identität von “wer” als Frage- und Relativpronomina bewiesen werden. Das halte ich für unmöglich, weil grammatische Wörter oft polyfunktional sind (siehe die Modalverben oder haben, sein und werden) und in den verschiedenen Funktionen sich auch grammatisch und semantisch nicht identisch verhalten.
Was passiert, wenn man das Beispiel in einen Fragesatz umformt?
??“Wer, der (*die/das) ohne Sünde ist, wird wohl den ersten Stein werfen?”
Die Grammatikalität/Akzeptabilität dieses Satzes ist äußerst fraglich.
“Wer von euch, der/die/?das) ohne Sünde ist, möchte den ersten Stein werfen?”
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich ein Mädchen auf seine Gruppe mit dem Neutrum bezieht — so wie Frauen auf ihre Gruppe mit dem Femininum. Die Genuswahl ist hier nicht grammatisch, sondern semantisch/pragmatisch gesteuert.
“Was genau ist an „in einigen Zusammenhängen verhält es sich wie“ missverständlich?”
Utrum ist wie Genus eine grammatische Kategorie, aber der Unterschied zwischen den Fragepronomen “wer” und “was” ist ein semantischer (personal vs. nichtpersonal). Zwischen Grammatik und Semantik besteht keine 1:1‑Beziehung, obwohl es Schnittmengen und Zwischenstufen gibt.
@Jürgen A.: Könnten Sie aufhören, Pseudodebatten zu führen? Ihre Beispiele zeigen, dass der Rückbezug durch ein Neutrum weder für Relativpronomen noch für Fragepronomen möglich ist, der Rückbezug durch ein Femininum aber durchaus. Damit verhält sich wer hier, wie ich gesagt habe, wie ein Utrum, egal, wie häufig Sie hier irgendwelche Allgemeinplätze über das Verhältnis von Grammatik und Semantik wiederholen.
@Anatol
“Nein, das kann kein generischer Gebrauch sein, denn der Satz kann unter keinen* Umständen als auf Männer bezogen interpretiert werden.”
“Generisch” heißt in den Verwendungen, die ich kenne, nicht nur “inkludierend”, sondern v.a. “neutralisierend”, “unspezfisch”, mit einem Wort: “unmarkiert”. Das schließt die (scheinbare) Exklusion ausdrücklich mit ein (“Sie ist unser bester Ingenieur.”)
Siehe z.B.: http://de.wikipedia.org/wiki/Generisches_Maskulinum#Anwendung_des_generischen_Maskulinums
Dieser “exklusive” Gebrauch des Maskulinums ist sogar das deutlichste Merkmal für die erfolgreiche Grammatikalisierung zum generischen Maskulinum. Der inkludierende Gebrauch ist die Zwischenstufe (der Grammatikalisierungskontext), die diesen Schritt ermöglicht. Im exklusiven Gebrauch ist das Band zwischen Inhalt (männlich) und Form (maskuliner Genus) endgültig durchtrennt.
Erst wenn sich grammatisch maskuline Formen auch ausschließlich auf Frauen beziehen können, sind sie wirklich geschlechtsneutral. Welches andere Attribut als “generisch” wäre denn passender?
@Jürgen A.: Ingenieur kann sich auf Männer beziehen, Wer trotz Schwangerschaft seine Periode hat kann das nicht. Ansonsten sehen Sie sich an, was ich an anderen Stellen über das generische Maskulinum gesagt und geschrieben habe.
@Anatol:
Finde eine derartige Zurkenntnisnahme meiner ‘politischkorrektnörgeligen’ Korrektive durchaus gut! Hoffentlich wird mir verziehen, dass ich hierbei wohlüberlegt auf “Dank“esformulierungen verzichte.
Das primäre Thema in diesem Faden interessiert mich zwar prinzipiell, aber würde ich soviel dazu schreiben wie ich wollte, von den vermeintlich pseudoetymologisch Motivierten und den diversen immer beliebten Generika, wäre mir das gerade schon wieder viel zu belastend. Und nachher würde ich damit noch alles hier verstopfen. Also bleibt das einzig wortreiche meinerseits hier wohl dieser Beitrag.
Für mich sind weder »Wer hat seinen BH vergessen?« noch »Wer von Euch hatte noch nie seine Tage?« ein Problem. Vollkommen akzeptabel.
@foobarbaz: Schön, schön. Aber darum geht es ja in dem Text auch nicht.
Eine ähnliche Datenlage würde ich auch bei “jemand” u.dgl. erwarten.
Kurz zu den Beispielen 1.–3. und in 6.; ich sehe nicht, wieso diese Beispiele für die Klärung der Frage einschlägig sein sollten. Sie wären es, soweit ich sehe, nur dann, wenn die Kopula Genuskongruenz zwischen Subjekt und Prädikatsnominativ verlangen würde, was sie aber generell nicht tut:
(19) a. Diese Frau ist der reinste Segen
b. Dieser Typ ist die reinste Pottsau
(5) ist irreführend, weil auch in (1)–(3) welch- nahezu synonym verwendet werden kann. Das gilt aber nicht für alle Fragen, bspw. (6’): Wer/Was ist das?
Pronomen sind übrigens (neben Flexion und Movierung) durchaus ein Bereich, in dem man dem Deutschen einen systematischen Sexismus vorwerfen könnte, allerdings würde ich nicht entscheiden wollen, zu Lasten welchen Geschlechts: sein- funktioniert analog mein‑, dein‑, kein- und ein-, während ihr- ziemlich allein steht.
Genau genommen muss man entscheiden, ob ein Wort ein (semantisches oder grammatisches) Geschlecht zeigt, trägt oder prägt. (Kombinationen sind häufig.)
Es wurde wohl schon hinreichend darauf hingewiesen, dass maskuline und männliche Pronomen nicht ein und dasselbe sind (und da fehlt ein ‹s›).
Ein Aspekt fehlt der Diskussion übrigens noch: die Pluralanapher auf bzw. der Numerus von wer.
PS: Genus ist ein Neutrum.
@Anatol:
Dann habe ich etwas missverstanden.
Warum ist ein Beispiel wie »Wer hatte noch nie seine Tage?« relevant? Nur weil das Pronomen formal maskulin ist? Warum ist das ein Argument dafür, dass »wer« nicht generisch maskulin ist? Ich dachte immer, bei Generika ginge es gerade darum, formales Genus nicht mit natürlichem Geschlecht zu verwechseln, d.h. dass sowohl das »wer« als auch das »seine« einfach im neutralen Geschecht der Sprache steht, so dass eine Frage nach der Möglichkeit einer Verwendung des – meines Empfinden nach, formal tatsächlich falschen – weiblichen Pronomens doch eigentlich keine Rolle spielen dürfte. Wollte man tatsächlich sprachlich hervorheben, dass nur Frauen gemeint sind – das heißt Männer explizit ausschließen –, so bleibt die eindeutige Formulierung »Welche von Euch hatte noch nie Ihre Tage?«
Habe ich also grundlegend falsch verstanden, dass generisches Maskulinum sich nicht auf Semantik, sondern auf formale Kriterien bezieht, so dass diese Kongruenzbeispiele relevant werden?
Pingback: Netzfunde der letzten Tage (18.4.-21.4.) | "Nächstens mehr."
Nach der Lektüre dieses Eintrags und der Kommentare fiel mir Christian Morgensterns Werwolf wieder ein — dieser geht zum Grab des Dorfschullehrers, um sich beugen zu lassen. Ich dachte, das liefert vielleicht weitere Indizien, denn: der Werwolf, des Weswolfs usw. klappt; bei Frau und Kind muss der Dorfschullehrer (bzw. dessen Leiche) aber passen! Allerdings nicht, weil Morgenstern erkannt hätte, dass es Wer nur im Maskulinum gibt; nein, es geht um Singular und Plural. Leider keine Hilfe in dieser Frage, trotzdem ein schöner Sprachspaß!
Nachzulesen z.B. hier: http://meister.igl.uni-freiburg.de/gedichte/mor_c24.html
PS: Vergleichend fällt mir dazu noch ein, dass man im Englischen den Rückbezug in den Beispielsätzen in den Plural setzen kann (wie mir in der Schule erklärt wurde, um die geschlechtliche Unbestimmtheit des/der Bezeichneten auszudrücken), auch wenn wenn das Prädikat zu “who” im Singular steht: Who has left their pen/bra/prostata cancer brochure?
PPS: Was würde eine (feministisch-)grammatische Analyse der folgenden Beispiele ergeben?
18. Wer sind die Frauen, die ihre Tampons überall liegenlassen?
19. Was sind das für Frauen?
20. Diese Frauen sind der Gipfel! (oder: die Gipfelin?)
Kann es sein, dass “Wer” vom Genus her (was ist eigentlich das Adjektiv zu “Genus”, “generisch” oder “genetisch” doch wohl nicht?) ein Neutrum ist? Also wie “was”, nur dass sich “wer” vereinbarungsgemäß auf Personen bezieht?
“Wer hat seinen Stift hier liegen gelassen?” Mit “seinen” als neutrales Possesivpronomen?
Wobei ich es schon cool fände, wenn man im Deutschen ein Utrum einführte.