Viele Universitäten, Behörden und andere staatliche Einrichtungen haben Leitfäden zur geschlechtergerechten Sprache. Nicht, weil sie von linksextremen, sexuell ausgehungerten Gutmenschen (wie mir) geleitet werden, sondern, weil es Gleichstellungsgesetze gibt, die das fordern (und die wiederum, liebe Freunde ((Kein generisches Maskulinum)) der maximalen Mannigfaltigkeit männlicher Meinungsäußerungen, setzen nur Artikel 3, Abs. 2 eures grenzenlos geliebten Grundgesetzes um). Auch die Gleichstellungsbeauftragte der UNIVERSITÄT ZU KÖLN hat gerade einen solchen Leitfaden herausgegeben und damit die Kölner Redaktion der BILD auf den Plan gerufen. „Müssen wir jetzt alle „Bürger*innensteig“ sagen?“ fragt die, und fährt besorgt fort: „Was darf man eigentlich noch sagen?“ Nun, „man“ darf natürlich sagen, was „man“ will, solange „man“ nicht Mitarbeiter/in der Universität zu Köln (oder einer anderen Behörde mit einem entsprechenden Leitfaden) ist. Insofern ist das ganze eigentlich keine Nachricht, aber vielleicht ist es ein ermutigendes Zeichen, dass die BILD es für eine hält und nach den besorgten Einstiegsfragen erstaunlich neutral über Gendergap, männliche Dominanz und gesellschaftliche Akzeptanzprobleme berichtet. Was die Kommentatoren ((Kein generisches Maskulinum)) naturgemäß nicht davon abhält, der Kölner Gleichstellungsbeauftragten zu bescheinigen, nicht alle „Tassen/Tassinen im Schrank“ bzw. „ein paar Schrauben/Schrauber locker“ zu haben.
Nicht nur bei der BILD scheint die Vernunft ausgebrochen zu sein: Der Deutschlandfunk, der sich in der Debatte um die Entfernung rassistischer Sprache gerne auf die Seite derjenigen schlägt, denen das den umgehenden und unaufhaltsamen Untergang des absolut anzuhimmelnden Abendlandes bedeutet, lässt ausnahmsweise mal jemanden zu Wort kommen, der sich mit der Materie auskennt: DEUTSCHLANDRADIO KULTUR interviewt den Kinder- und Jugendliteraturwissenschaftler Hans-Heino Ewers, der dankenswerter Weise all die Argumente mitbringt, die ich seit Jahren wie ein Rufer in das wüste Durcheinander an Dummheiten, das als öffentliche Diskussion des Themas gilt, einzubringen versuche.
Und auch die österreichische PRESSE lässt sprachliche Vernunft walten und rückt den Anglizismenjägern und Fremdworthassern ((Kein generisches Maskulinum)) zur Abwechslung mal nicht den Stuhl zurecht, sondern den Kopf gerade: Warum es nicht in den kollektiven Kopf des Vereins Deutsche Sprache ginge, dass „Dauerlaufen“ kein Joggen, „Jeans“ keine Nietenhosen und Caffè Latte, Cappuccino und Melange nicht einheitlich (ohnehin zur Hälfte arabischer) „Milchkaffee“ sind. Was die Kommentatoren ((Kein generisches Maskulinum)) naturgemäß nicht davon abhält, darauf hinzuweisen, dass das Problem a gar nicht der Milchkaffee sei, sondern das Wort „Sale“ und der „Stasi-Verfolgungswahn“, mit dem die „Verfechter“ ((Vermutlich ein generisches Maskulinum)) der Political Correctness die Sprache kaputtmachen. Was zumindest eines zeigt: die Sprache von nützlichen Lehnwörter aus dem Englischen zu säubern ist Bürgerpflicht, die Sprache von sexistischen Lehnwörtern aus der Vergangenheit zu säubern ist Hochverrat. Naja, es sind Österreicher, für die gilt eben unser glorreiches, Geschlechtergerechtigkeit gebietendes Grundgesetz nicht.
sehr amüsant (ich mag heut nicht heulen), you made my day = du machtest meinen tag — oder so 😉
Eine große Kunst ist es solche “Zustände” immer wieder deutlich, klar und sachlich zu beschreiben. Deine gründliche Beharrlichkeit tut besonders gut.
So entlarvend wie die Sprachbrocken sind, müßten eigentlich Etliche mit rotleuchtenden Ohren in Maulwurfshügeln feststecken. Wahrscheinlich aber sind die Maulwürfe dagegen…
Dafür danke ich dir, unbekannterweise. Sehr.
Naja, es gibt gute und schlechte Leitfäden. Unter den mir bekannten ist der 2009 von der Schweizer Bundeskanzlei unter dem Titel „Geschlechtergerechte Sprache“ herausgegebene trotz einiger Schwächen und seines Umfangs immer noch der beste. Dieser aus Köln ist bestenfalls gut gemeint. Er wird nicht zu besser oder gerechter formulierten Texten aus der Uni Köln führen.
Nitpick: „die Sprache von nützlichen Lehnwörter aus dem Englischen zu säubern“ – Die Kaffees sind italienisch und französisch.
“und die […] setzen nur Artikel 3, Abs. 2 eures grenzenlos geliebten Grundgesetzes um)”
Und bereits in Abs. 3 des gleichen Artikels heißt es: “Niemand darf wegen seines[!!!] Geschlechtes, […] benachteiligt oder bevorzugt werden”.
Sisyphos lässt grüßen 🙁
Ach, gut gemeint das alles … und doch zum Scheitern verurteilt. Warum? Sprachlenkung funktioniert nicht, wenn es das Ökonomieprinzip verletzt, und neue markierte Formen einführt, statt alte aufzuheben. Jede und jeder möge das an der eigenen Sprachpraxis überprüfen.
Ich hab mal vor längerer Zeit Luise Pusch in einem Vortrag gehört, und war sehr angetan von ihren anarchischen Ratschlägen, durch kreative Sprachverwendung Rollenklischees auszuhebeln. So von der Art: “Der Arzt schaute auf ihre Uhr und verabschiedete den Patienten.” Oder “Als Gott sah, dass alles gut war, lehnte sie sich zufrieden zurück.” Frauen können auch bei generischen Maskulina mitgemeint sein — wenn man es eben beim Meinen nicht belässt. Es sind nicht die Wörter und Formen selbst, die ausgrenzen oder einschließen, sondern der Gebrauch, den man von ihnen macht.
Statt die personenbezogene Genusverwendung durchgehend zu sexualisieren, sollte man sie vielmehr weitestmüglich entsexualisieren. Um das Band zwischen Genus und Sexus zu durchtrennen, könnte man z.B. bei exklusivem Bezug auf männliche Personen das Adjektiv “männlich” einschalten: “Jeder männliche Schweizer ist wehrpflichtig.”
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Mit einer gesunden Mischung aus Bereitschaft zum Hochverrat und Bewusstsein fuer Buergerpflichten bewaffnet sollte es uns doch moeglich sein, uns selbst unserer eigenen, persoenlichen Sprachsouveraenitaet zu berauben und unsere Sprache wegzuentwickeln vom Mittel zur Kommunikation persoenlicher Gedanken hin zum Mittel der Verbreitung von politischen Botschaften wie Geschlechterpolitik oder Anglophobie/-philie.
Aber (mal angenommen, es gelingt uns, den laestigen Instinkt, der sich gegen spuerbare von aussen Sprachformung wehrt, wegzutrainieren) waere da nicht eine groessere Vielfalt an Richtungen wuenschenswert? Was, wenn man zwar keinen gesunden Menschenverstand mehr braucht, um Sexisten von Nichtsexisten zu unterscheiden, weil man entsprechende Sprachcharakteristika im entsprechend erweiterten Grammatik-Duden nachschlagen kann, aber immer noch ein voelliges Sprachlenkungsvakuum bei den tagespolitischen Themen herrscht? Koennte man nicht langwierigen Bundestagsdebatten einfach aus dem Weg gehen, indem man sich mehr um parteipolitische Sprachlenkung kuemmert?