Sich über die Jugend und ihren Sprachgebrauch zu echauffieren, sei den Sprachnörglern, Kulturfixierern und anderen Veränderungs-verängstigten von Herzen gegönnt – schließlich haben es schon ihre Großeltern so gehalten, und deren Großeltern und die Großeltern der Großeltern von deren Großeltern. Aber spätestens wenn er sich unversehens dabei ertappt, mit Wladimir Putin einer Meinung zu sein, sollte auch der fanatischste Vergangenheitsfundamentalist einen Augenblick innehalten und über die gedanklichen Schritte nachdenken, die ihn in diese unangenehme Situation gebracht haben. Das ist Edwin Baumgartner von der WIENER ZEITUNG nicht gelungen. Putins Gesetz gegen Kraftausdrücke im Fernsehen ziele zwar wegen seiner willkürlichen Auslegbarkeit eindeutig auf eine Zensur der öffentlichen Rede ab. Aber angesichts des durch die synchronisierten Fassungen amerikanischer Filme inspirierten zotig-vulgären Sprachgebrauchs der heutigen Jugend (wirklich, das habe ich mir nicht ausgedacht) sei es ja Zensur zu einem guten Zwecke.
Für ein Gesetz gegen Kraftausdrücke hat der Verein Deutsche Sprache bislang nie plädiert (zu gerne zitiert man wohl den analfixierten – und auch sonst sehr unangenehmen – imaginären Übervater der sprachlichen Reinheit, Martin Luther), aber ein Gesetz gegen Anglizismen käme durchaus gelegen. Bis es soweit ist, behilft man sich mit dem Anglizismenindex, mit dessen aktueller Ausgabe sich eine Pressemeldung der APA befasst, die sich unter anderem auf DIEPRESSE.COM findet. ((An dieser Stelle stand ursprünglich der Satz „Bis es soweit ist, behilft man sich mit dem Anglizismenindex, mit dessen aktueller Ausgabe sich eine Pressemeldung der APA befasst, die ORF.AT aus unerfindlichen Gründen in der Rubrik ‘Science’ (was in etwa soviel heißt, wie „Wissenschaft“) veröffentlicht hat.“ Das ORF hat diese Meldung aber inzwischen gelöscht, möglicherweise, so spekuliert DASTANDARD.AT, weil derzeit Verbindungen zwischen dem Verein Muttersprache und rechtsextremen Organisationen vermutet werden.)) Anerkennend wird dort etwa die Alternative Mixgetränk für das englische Cocktail erwähnt, ganz ohne dass es jemandem auffiele, dass Mix ja kein bisschen deutschstämmiger ist, als Cock oder Tail. Dem Geschäftsstellenleiter des Vereins Muttersprache (einer Art österreichischem Schwesterverein des VDS), Norbert Prohaska, gehen die Vorschläge der deutschen Sprachnörglerkollegen ohnehin nicht weit genug. Das Mountainbike würde er gerne als Kraxelfahrrad bezeichnet sehen (wirklich, das habe ich mir nicht ausgedacht), wo die deutschen Kollegen sich mit der fantasielosen Lehnübersetzung Bergfahrrad zufrieden geben.
Ganz gegen Gesetze zur sprachlichen Reinheit wäre vermutlich die Schweizer Dichterin Ilma Rakusa, die, wie die BADISCHE ZEITUNG berichtet, ihre acht Sprachen (Ungarisch, Slowenisch, Deutsch, Russisch, Serbokroatisch, Französisch, Italienisch und Englisch) je nach kommunikativer Wetterlage auswählt. Das Russische sei eher warm, das Deutsche eher kalt. Englische Wörter streut sie ein, wann immer es ihr „Kopforchester“ verlange. Welche Temperatur solche Anglizismen haben, erfahren wir nicht; wir müssen uns deshalb an den Forderungen des Vereins Deutsche Sprache orientieren, der sie ja gerne auf 451 Grad Fahrenheit erhitzt sähe (gut, das habe ich mir jetzt ausgedacht).
Unter Übersetzern wird Luther eigentlich immer ziemlich hoch geschätzt, dafür, dass er (vor allem für seine Zeit) eine ziemlich realistische und praxisnahe Herangehensweise bei seiner Bibelübersetzung hatte, “Sinn für Sinn statt Wort für Wort” und so. Wieso findest du den denn doof? (Ernst gemeinte, interessierte Frage!)
Wenn der Herr Baumgartner wenigstens wüsste, dass es auch ohne amerikanisch infizierte Synchronisation genügend “Kraftausdrücke” im Russischen gibt: http://de.wikipedia.org/wiki/Russischer_Mat
Zum Kraxelfahrrad: Hier sollte man nicht vergessen, dass die Fremdwort-Jäger in Österreich (wie auch in Baiern) gegen zwei Goliathe gleichzeitig antreten müssen: Das Englische und das Boreale. Letzteres ist oft der schlimmere Feind. Umgekehrt gibt es das natürlich auch, wie man nachlesen kann.
“Kraxelrad” täte mir sehr gefallen, in der (süddeutschen) Umgangssprache würde es sich sofort heimisch fühlen. Es muss ja nicht gleich das Mountainbike aus allen sprachlichen Registern verdrängen. “Kraxelfahrrad” macht leider den Vorteil der Kürze zunichte, ebenso das vorgeschlagene “Bergfahrrad” — warum nicht “Bergrad”?
Naja der VDS hat ja keine Ahnung von Sprache… Es ist halt ein Stammtischverein von Leuten, für die ein Anglizismus ein Wort ist, an dass sie sich noch nicht gewöhnt haben. 🙂
Kraxelfahrrad finde ich auch deshalb unpassend, weil man damit doch mehr bergab unterwegs ist als bergauf. Oder kann man auch bergab kraxeln?
@Martin B
Natürlich! Wer raufkraxelt, muss auch wieder runterkraxeln. Da verhält sich “kraxeln” so wie “klettern”. Belege findest du leicht per Google; und das Leipziger Wortschatzlexikon gibt “herunter” als zweithäufigste Kookkurenz von “kraxeln” an (hinter “hinauf”).
Grüße,
Jürgen
Der Anglizismus im Mixgetränk ist ganz schnell ersetzt: Mischgetränk ist genauso kurz und sagt es noch “deutscher”. Ein Mischgetränk, der Herr? Ja, ich nehme dann eine Blutige Marie, bitte. Oder vielleicht doch lieber einen Geschlechtsverkehr am Strand?
Als Preuße würde ich übrigens mit Kraxel(fahr)rad fremdeln, und Berg(fahr)rad trifft es auch nicht recht. Wer in der Lüneburger Heide querfeldein fährt, hat ja bis zum Horizont keinen Berg, der den Namen verdient (der Wilseder Berg zählt nun wirklich nicht!). Wie wäre es mit Gelände(fahr)rad? Das kann man auch schön abkürzen: GelFa, GF, Gelrad oder Grad…
@gnaddrig: Ja! Wie konnte das Geländerad eigentlich in Vergessenheit geraten? In Aachen gibt es sogar Mountainbiker, die ihren Sport in einem “Geländefahrrad Aachen e.V.” ausüben. Die dachten sich wohl auch, Aachen und Berge??
Ist doch schön, wenn jeder das Wort findet, das am besten zu ihm passt.