Die neue Straßenverkehrsordnung ist ja in den letzten Tagen wegen ihrer geschlechtergerechten Sprache von den üblichen Verdächtigen intensiv kritisiert worden. Eine Verlinkung auf die Kritiken erspare ich Ihnen und verlinke stattdessen auf die ausführliche sachliche Diskussion des Lexikografieblogs. Wie dort, und auch in der hier am Freitag diskutierten Pressemeldung des Auto Club Europa angemerkt wird, sind bei der Anpassung vereinzelt Wörter im Maskulinum stehengeblieben. In einigen Fällen, die das Lexikografieblog auflistet, scheint das reine Nachlässigkeit zu sein, da die betreffenden Wörter an anderen Stellen durch geschlechtsneutrale Formulierungen ersetzt wurden, doch bei einem Wort liegt das Problem möglicherweise tiefer. In Paragraf 36, Abs. 1 der StVO heißt es nach wie vor:
Die Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten sind zu befolgen. Sie gehen allen anderen Anordnungen und sonstigen Regeln vor, entbinden den Verkehrsteilnehmer jedoch nicht von seiner Sorgfaltspflicht.
Hier müsste bei einer geschlechtsneutralen Formulierung natürlich eigentlich die Doppelnennung Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen stehen, oder eine Alternative für das Wort Beamter/Beamtin gefunden werden, wie z.B. das aus dem Partizip bedienstet abgeleitete Bedienstete/r, das, wie alle aus Partizipien abgeleitete Personenbezeichnungen, im Plural geschlechtsneutral ist (der Bedienstete — die Bediensteten und die Bedienstete — die Bediensteten).
Habe ich eben gesagt, „wie alle aus Partizipien abgeleiteten Personenbezeichnungen“? Ja, alle, mit einer Ausnahme: dem Wort Beamter selbst. Denn dieses Wort verhält sich äußerst merkwürdig. Im Maskulinum verhält es sich genau wie ein aus einem Partizip abgeleitetes Wort – seine Endung variiert je nachdem, ob es mit einem definiten Artikel (wie der) oder einem unbestimmten Artikel (wie ein) verwendet wird: der Beamte aber ein Beamter, ganz analog zu der Bedienstete aber ein Bediensteter. Personenbezeichnungen, die nicht aus Partizipien abgeleitet sind, verändern ihre Form nicht, z.B. der Fahnder und ein Fahnder. ((Nachtrag: Das ist ungenau formuliert, siehe Kristins Kommentar. Genauer geht es darum, dass von Partizipien abgeleitete Substantive adjektivisch flektiert werden, während das bei anderen Substantiven eben nicht der Fall ist.)) Die feminine Form Beamtin verändert ihre Form ebenfalls nicht, sie verhält sich analog zu Formen wie Fahnderin, nicht zu Formen wie Bedienstete. Die folgende Tabelle zeigt die Asymmetrie zwischen der maskulinen und der femininen Form:
Maskulinum | Femininum | |||
Definit | Indefinit | Definit | Indefinit | |
Singular | der Beamte der Fahnder der Bedienstete |
ein Beamter ein Fahnder ein Bediensteter |
die Beamtin die Fahnderin die Bedienstete |
eine Beamtin eine Fahnderin eine Bedienstete |
Plural | die Beamten die Fahnder die Bediensteten |
Beamte Fahnder Bedienstete |
die Beamtinnen die Fahnderinnen die Bediensteten |
die Beamtinnen Fahnderinnen Bedienstete |
Mir fällt kein anderes Wort ein, das eine solche Asymmetrie zwischen der maskulinen und femininen Form zeigt. Woher kommt dieses merkwürdige Verhalten?
Nun, zunächst ist gar nicht auf den ersten Blick erkennbar, dass das Wort Beamter von einem Partizip abgeleitet ist — das müsste ja beamt lauten, und ein solches Partizip gibt es nicht. Wenn überhaupt, gibt es das Partizip beamtet, abgeleitet von dem altertümlichen Verb beamten (das heute meist durch verbeamten ersetzt wird). Aus diesem Partizip müssten sich dann eigentlich die Formen der Beamtete und die Beamtete ableiten.
Tatsächlich ist beam[p]t aber eine alte Form des Partizips von beamten, die sich in Texten aus dem 16. bis 19. Jahrhundert häufig findet. Z.B.:
- …vnd wie ein andere enzeln person die nit beampt ift…[1533]
- Dann das man darum gibt, soll denen die beampt seynd, bezahlt werden [1722]
- Zum Ersten von den Gerichten vnd Personen daran beampt. [1833]
Von dieser Form ist das Wort Beamter abgeleitet, und deshalb verhält es sich noch heute, wo das Partizip beamt nicht mehr existiert, wie alle anderen von Partizipien abgeleiteten Personenbezeichnungen.
Aber eben nur in der männlichen Form. Wenn es sich durchgängig auch in der weiblichen Form regelhaft verhielte, müssten auch diese Formen analog zu Wörtern wie die Bedienstete gebildet werden, wie in der folgenden Tabelle dargestellt:
Maskulinum | Femininum | |||
Definit | Indefinit | Definit | Indefinit | |
Singular | der Beamte der Fahnder der Bedienstete |
ein Beamter ein Fahnder ein Bediensteter |
die Beamte die Fahnderin die Bedienstete |
eine Beamte eine Fahnderin eine Bedienstete |
Plural | die Beamten die Fahnder die Bediensteten |
Beamte Fahnder Bedienstete |
die Beamten die Fahnderinnen die Bediensteten |
Beamte Fahnderinnen Bedienstete |
Interessanterweise klingen diese Formen für mich nicht sehr auffällig — Die Polizeibeamte stellte mir einen Strafzettel aus ist ein Satz, der mir gar nicht weiter auffallen würde, wenn ich nicht gerade darauf achte. Und das geht offensichtlich nicht nur mir so, denn mit etwas Geduld finden sich authentische Beispiele für genau diese Form sogar in Büchern. Ein paar Beispiele:
- Demnach verlor der weibliche Beamte durch Verheiratung mit dem Angehörigen eines anderen Landes die … Staatsangehörigkeit …. Bleibt die Beamte im Dienst und fordert der sie anstellende Staat den Besitz der inländischen Staatsangehörigkeit… [1919]
- Die Beamte dort nahm die Bestätigung nicht einmal in die Hand. Sie sagte, dass es für uns verboten sei… [1995]
- Dazu die zuständige Beamte: „Nehmen Sie keinen Rechtsanwalt…“ [1999]
(Besonders interessant im Beispiel (4) der Wechsel vom „generischen“ Maskulinum der weibliche Beamte zum Femininum die Beamte).
Aber warum sind diese Formen so selten (der Duden kennt sie überhaupt nicht), und woher kommt die viel häufigere, obwohl in diesem Fall unregelmäßige Form Beamtin (die einzige weibliche Form zu Beamter, die der Duden kennt)?
Nun, die Antwort ist einfach und einfach traurig: Zunächst gab es viele hundert Jahre lang zwar das Partzip beam[p]t aber keine weiblichen Beamt(inn)en, für die man daraus eine weibliche Form hätte ableiten müssen. Ich konnte nicht genau herausfinden, wann in Deutschland die erste Frau in den Beamtenstand berufen wurde, aber die ersten Beispiele, die ich gefunden habe, liegen um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Zu diesem Zeitpunkt war das Partzip beam[p]t aber schon aus der deutschen Sprache verschwunden, so dass es nicht mehr unmittelbar als Quelle für die Ableitung einer weiblichen Form die Beamte dienen konnte. Stattdessen wurde die weibliche Form durch das Suffix -in gebildet.
So kommt es, dass bis heute die maskuline und die feminine Form des Wortes Beamter/Beamtin in ihrem strukturellen Verhalten eine Asymmetrie aufweisen, die daran erinnert, dass Frauen so lange vom Beamtenstand ausgeschlossen waren, dass die deutsche Sprache selbst sich in dieser Zeit drastisch ändern konnte.
Die Tatsache, dass sich vereinzelt doch die eigentlich erwartbare Form die Beamte findet, zeigt aber, dass dieser traurige historische Fehler wenigstens sprachlich noch korrigiert werden könnte. Vergessen wir die Form die Beamtin und verwenden ab jetzt einfach die Form die Beamte. Das jahrhundertelange Berufsverbot für Frauen machen wir damit nicht ungeschehen, aber die deutsche Sprache würde ein Stück weit „logischer“ (was Sprachnörgler freuen sollte) und gerechter (was alle vernünftigen Menschen freuen sollte).
Und Paragraf 36, Abs. 1 der StVO wäre plötzlich geschlechtsneutral, ohne dass der Text dafür geändert werden müsste. ((Naja, das stimmt leider nicht ganz, denn es findet sich darin ja auch das Wort Verkehrsteilnehmer, wo eigentlich nach der neuen Sprachregelung Verkehrsteilnehmende stehen müsste.))
Bin ich der einzige, dem nicht nur “die Beamte” nicht auffiele?
Sondern “die Beamtin” wirklich als falsch klingend wahrnimmt?
Hach, substantivierte Adjektive! Da kann ich natürlich nicht an mich halten und muss, für alle Interessierten, noch etwas präzisieren:
Die Verteilung von starker und schwacher Adjektivflexion im Deutschen richtet sich nicht nach Definitheit, sondern nach dem Vorhandensein eines Flexivs am Begleiter. Im Nom.Sg.Mask. hat ein zufällig keins, daher starke Flexion (aber: eines Beamten, einer angestellten Person, schwach).
Ich finde diese sprachlichen Ausführungen nur auf genau dieser Ebene, nämlich der Sprachlichen interessant. Was aber bei der ganzen Sache für mich absolut unverständlich bleibt, ist der Nutzen verschiedener Formen ganz generell. Entweder wollen Frauen Gleichberechtigung, dann ist meiner Meinung nach das Ganze sowieso Unsinn, außer wenn man es philologisch betrachtet. Ein Beamter ist dann schlicht als sächliche Berufsbezeichnung zu verstehen, eine weibliche Form völlig unnötig, da es egal ist ob der Berufsausübende nun männlich oder weiblich ist, da ja Gleichberechtigt. Ebenso gilt das dann natürlich auch beim Ermittler, Fahnder etc. Müssen aber Unterschiede zwischen den betreffenden Personen gemacht werden, je nachdem, welchen Geschlechtes sie angehören, wenn also KEINE Gleichberechtigung zwischen männlichen und weiblichen Berufstätigen existiert, dann brauchen wir auch differierende Bezeichnungen.
@ RedPony: Erstens geht es hier nicht darum, was „Frauen“ „wollen“, sondern um die Funktionsweise und Geschichte der deutschen Sprache, die uns an dieser Stelle den grammatischen Schnappschuss eines jahrhundertelangen sexistisch motivierten Ausschlusses von Frauen aus dem Beamtenstand präsentiert. Zweitens können Sie sich zwar wünschen, das Wort Beamter sei „schlicht als sächliche Berufsbezeichnung zu verstehen“, aber Wünsche sind eben Wünsche, und so ändert das natürlich nichts daran, dass Beamter eine männliche Berufsbezeichung ist.
“Die feminine Form Beamtin verändert ihre Form ebenfalls nicht, sie verhält sich analog zu Formen wie Fahnderin, nicht zu Formen wie Bedienstete.”
Ich erkenne schon eine Asymmetrie, aber zwischen “die Bedienstete” und “eine Bedienstete” findet doch ebenfalls keine Veränderung statt? Ist *das* also wirklich der Unterschied?
@Ben: Ja, siehe Kristins Kommentar. Bei dem Dativ/Genitiv der/einer Bediensteten sehen sie dann wieder die Veränderung, während das Wort Beamtin unverändert bleibt (der/einer Beamtin). Ich habe eine Fußnote hinzugefügt, um auf die ungenaue Formulierung im Text hinzuweisen.
Die Neigung zur sprachlichen Schräglage dürfte der Branche inhärent sein. Stolperte ich doch vor einigen Jahren noch über die “Amtmännin” als einen der übelsten sprachlichen Miß(be)griffe. Der oder die Urheber dürfte(n) verbeamtet gewesen sein, sicherlich aber im Sinne des neudeutschen Begriffs aus der Populärkultur “weggebeamt”.
Vielen Dank, das hat mein diffus empfundenes Unwohlsein bei dieser StVO/Beamtengeschichte in klare Gedanken gefasst.
Etwas unwohl ist mir aber bei dem Vorschlag, Beamtinnen künftig “die Beamte” zu nennen. Das würde die jahrhundertelange Diskriminierung sprachlich zum Verschwinden bringen und so auch heute noch bestehende Diskriminierungen dementieren.
Müsste es in Beispiel 1 nicht »iſt« statt »ift« heißen?
Also ich muss sagen, dass mir das Wort “die Beamte” sehr geläufig ist. Ich hätte spontan gesagt, dass “die Beamtin” falsch wäre …
Spontan hätte ich gesagt, dass das zweitere eher eine neuere Erscheinung ist, ohne das jetzt überprüft zu haben.
@made: Doch bei mir auch.
Ich finde “die Beamte” auch unauffällig, “die Beamtin” fast etwas gezwungen. Daß sich allerdings Beamt- wohl trotzdem nicht mehr ganz unproblematisch genusneutral verwenden läßt, habe ich kürzlich durch diese Beispiele plausibel zu machen versucht:
Während ich den ersten Satz unproblematisch finde, um auszudrücken, daß all meine (im Zusammenhang relevanten) weiblichen Bekannten mir auf die Nase gehauen haben, finde ich den zweiten Satz deutlich merkwürdiger, was eigentlich nur dadurch zu erklären ist, daß “die Polizeibeamten” für mich eine Menge männlicher solcher bezeichnet. (Womit “die Beamte” dann keinen Plural hätte. Auch wieder bitter, wo sich das Genus von Plural-NPen doch eh schon nur durch anaphorische Aufnahme zu zeigen vermag.)
Es würde mich interessieren, wie das andere sehen. Stimmen die Intuitionen da mit meinen überein?
@ David: Hier kommen allerdings neben grammatischen und semantischen Aspekten auch noch gesellschaftliche Stereotype ins Spiel, von denen bekannt ist, dass sie auch bei geschlechtsneutralen Pluraleformen Akzeptabilitätsurteile beeinflussen können – Polizeibeamt/innen sind stereotyp männlich, Bekannte nicht. Vgl.
(1a) Die Reiningungskräfte schlugen mir eine nach der anderen auf die Nase.
(1b) ? Die Sondereinsatzkräfte schlugen mir eine nach der anderen auf die Nase.
(2a) Die Alleinerziehenden schlugen mir eine nach der anderen auf die Nase.
(2b) ? Die Vorstandsvorsitzenden schlugen mir eine nach der anderen auf die Nase.
Vielleicht sogar
(3a) Die Anglistikstudierenden schlugen mir eine nach der anderen auf die Nase.
(3b) ? Die Informatikstudierenden schlugen mir eine nach der anderen auf die Nase.
Ich verfolge Bestrebungen, geschlechterbezogener Diskriminierung auf der Ebene von Sprache zu begegnen, seit einer Weile recht interessiert.
Dieser Artikel hat mich insofern beeindruckt, dass im Gegensatz zu vielen Impulsen in diese Richtung in diesem Fall der Sprachgebrauch nicht verkompliziert, sondern vereinfacht wird. Zumindest wenn man der Einfachheit halber die Anzahl der Buchstaben als Mass nimmt.
Ich stehe sprachlichen Reformbemuehungen in diesem Bereich insofern bisher kritisch gegenueber, dass ich beispielsweise befuerchte, dass bewusst geschlechtergerecht formulierte Sprache, die zu sehr vom “ueblichen Sprachgebrauch” abweicht, vom Leser/Hoerer bewusst als “geformte Sprache” wahrgenommen wird. Wenn diese dann noch sprachlich komplizierter ist als der intuitivere Sprachgebrauch, wird moeglicherweise ein der Intention entgegengesetzter Effekt erzielt, weil man geneigt sein koennte, das Ganze nicht mehr fuer voll zu nehmen.
Da sehe ich in griffigeren Formulierungen wie beim Beispiel der Beamten mehr Potential.
Schöner Artikel!
Also ich kannte das Wort Beamtin noch gar nicht. Hätte das direkt als falsch eingestuft und als Erfindung irgendwelcher Anhänger der Pseudowissenschaft der Genderstudies kommt.
Der Beamte, die Beamte. So kenn ich das schon von klein auf.
Und wenn das nun falsch sein soll, dann fress ich nen Besen. Den jeder Ottonormalbürger sagt das so und die Allgemeinheit bestimmt die Sprache und nicht irgendwelche Sesselpupser von den Genderstudies.