Zugegeben, der Anglizismus des Jahres 2012 scheint zunächst deutlich weniger spektakulär daherzukommen als sein Vorgänger, der Shitstorm (es ist zum Beispiel unwahrscheinlich, dass sich in absehbarer Zeit jemand für seine Mithilfe bei dessen Verbreitung entschuldigen wird). Aber der bescheidene Anschein täuscht, denn sowohl das Wort Crowdfunding, als auch das, was es bezeichnet, haben es in sich.
Zunächst zum Bezeichneten: Während der Shitstorm bei allem Positiven, das er im Einzelfall bewirken kann, eher für die destruktiven Kräfte des World Wide Web steht, zeigt das Crowdfunding das produktive Potenzial der vernetzten Kultur des Netzes: Wer eine gute Idee für ein Produkt, ein Kunstprojekt oder einen guten Zweck hat, braucht sich dank der seit einigen Jahren entstehenden Crowdfunding-Plattformen weder mit Banken oder Risikokapitalisten herumzuärgern, noch muss er oder sie sich mit der Sammelbüchse auf den Marktplatz stellen. Stattdessen wird das Projekt mittels lieb gewonnener Praktiken wie Youtube-Videos und Blogbeiträgen möglichst eingängig vorgestellt, und alle, die es umgesetzt sehen möchten, können sich mit Summen daran beteiligen, die von einem Sammelbüchseneuro bis zu mehreren tausend Risikokapitaleuros rangieren können. Abgewickelt unbürokratisch mit ein paar Klicks auf einer Webseite.
Das Crowdfunding verwischt damit nicht nur die Grenzen zwischen Käufern und Investorinnen und zwischen Spende und Kaufpreis, es birgt auch die Chance zu einem wahrhaft nachhaltigen Wirtschaften, bei dem Rohstoffe erst dann zu Produkten verarbeitet werden, wenn es tatsächlich Abnehmer/innen dafür gibt. Es ermöglicht es Menschen mit guten Ideen, direkt an Menschen mit einer Wertschätzung für gute Ideen heranzutreten. Und es birgt die Lösung für ein im Zusammenhang mit immateriellen Gütern heiß bis bösartig diskutiertes Problem: Die Tatsache, dass nur das erste Exemplar eines solchen Gutes vor einer Weiterverbreitung geschützt werden kann, und auch das nur, indem man es geheim hält. Die Kosten für dieses Exemplar müssen beim Crowdfunding nicht mehr durch drakonische Verfolgung nicht genehmigter Kopien oder durch einen Appell an die Bereitschaft guter Menschen wieder hereingeholt werden, doch bitte für etwas zu bezahlen, das sie auch umsonst haben könnten. Stattdessen kann mit der Herstellung (oder Veröffentlichung) dieses ersten Exemplars gewartet werden, bis die Kosten gedeckt sind.
Dass diese innovative Art des Wirtschaftens an gesellschaftlicher Relevanz weiter zunehmen wird, ist höchst wahrscheinlich. Aber gilt das auch für das Lehnwort Crowdfunding? Es existiert eine deutsche Alternative: Schwarmfinanzierung. Interessanterweise hat die eine zweifelhafte Geschichte: Soweit ich es beurteilen kann, wurde das Wort zum ersten Mal am 23. März 2011 verwendet, als ein anonymer Benutzer es in den Wikipediabeitrag zum Crowdfunding eintrug. Der Benutzer legte außerdem eine Weiterleitung von „Schwarmfinanzierung“ auf „Crowdfunding“ an und fügte das Wort in einen weiteren Wikipediaartikel (über die Crowdfundingplattform Sellatape) ein. Damit endete seine kurze Mitarbeit an der Enzyklopädie. Im Deutschen Referenzkorpus taucht das Wort (abgesehen vom dort enthaltenen Wikipediabeitrag) erstmals im August 2011 in einer Pressemeldung der DPA auf. Außerdem findet es sich im Anglizismenindex des Vereins Deutsche Sprache, neben der Wortschöpfung „Schwarmauslagerung“ für Crowdsourcing. Ich nehme deshalb an, dass es sich um eine Wortschöpfung von Sprachkritikern handelt, die über die Wikipedia in die Presse eingeschleust wurde (falls es Belege gibt, die das widerlegen, wäre ich sehr daran interessiert).
Nun ist es natürlich für die Sprachgemeinschaft egal, auf welchem Weg ein Wort in die Sprache gelangt (die Wikipedia-Community müsste das oben beschriebene Szenario allerdings stören, da eine Enzyklopädie nur bereits vorhandenes Wissen abbilden sollte). Aber bislang scheint sich Schwarmfinanzierung nicht richtig durchzusetzen:
Es sieht also so aus, als ob uns auch das Wort Crowdfunding noch eine Weile begleiten wird. Und es ist ein interessantes Wort, denn es hat bereits ein genuin deutsches Verb hervorgebracht: crowdfunden. Dieses Verb wird nicht nur flektiert wie jedes andere — ich crowdfunde, du crowdfundest, wircrowdfunden usw. — es gibt sogar einen klaren Hinweis darauf, dass es von vielen Sprecher/innen als Verb mit einem typisch deutschen „trennbaren Präfix“ wahrgenommen wird: Da crowd bereits aus dem Wort Crowdsourcing/crowdsourcen vertraut ist, kann es in crowdfunden als eigenständiger Wortbestandteil wahrgenommen, der z.B. durch das Partizipialpräfix ge- getrennt werden kann: crowdgefundet (die erwartbarere Form gecrowdfundet ist derzeit noch ca. 5 Mal häufiger, aber das kann sich mit der zunehmenden Integration des Wortes in die Sprache ändern.
Auch in diesem Jahr hat unser Wettbewerb also gezeigt: Die deutsche Sprache bleibt lebendig — sie schließt Lücken in ihrem Wortschatz, die sich durch gesellschaftliche oder technologische Veränderungen auf tun, durch gezielte Entlehnungen aus anderen Sprachen, und sie integriert diese Entlehnungen ganz selbstverständlich in ihre Grammatik.
[Zur offiziellen Seite des Anglizismus 2012 mit Link auf die Pressemitteilung]
Vorfreude war die schönste Freude.
Die “Wikipedia-These” trifft auf Zustimmung, bitte mal ein Auge hierauf halten!
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Auskunft#Begriffsetablierung_.22Schwarmfinanzierung.22.3F
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Lieber Anatol,
“Crowdfunding” — die Sache ist gut, das Wort ist es in meinen Augen leider weniger. Ihre beiden Hauptargumente sind schwach:
1. Bestand eine Wortlücke? Eigentlich nicht, für die Finanzierung von größeren künstlerischen oder wissenschaftlichen Projekten gibt es die “Subskription”. Neu in jüngster Zeit ist die Kommunikationsplattform Internet, auf dessen Basis neue Subskriptionsmodelle entstanden. Es sind wohl die ganzen Web 2.0‑Konnotationen, die das “Crowdfunding” zu einem (für viele) attraktiven Begriff machen. Wie wir wissen, ist das Web 2.0 außerdem international — also englisch. 😉 Eine denotative Begrifflücke bestand jedoch nie.
Sicherlich ist die “Schwarmfinanzierung” ein unsägliches Wort, mir missfällt hier v.a. die ideologische Aufwertung einer anonymen Masse. Wenn schon ein deutsches Wort her sollte, um die gute alte Subskription zu ersetzen, dann hätte es die “Gemeinschaftsfinanzierung” getan.
2. Ist “crowdfunding” ein “genuin deutsches Wort”, wie Sie schreiben? Ich bestreite das.
a.) Die Wortbildung ist undurchsichtig (für deutsche Muttersprachler), weil weder “crowd” noch “funding” eingebürgerte deutsche Wörter sind.
b.) Deshalb wird “crowdfunding” auch von den meisten Sprechern nicht getrennt. Wer sagt etwa “Wir funden crowd den neuen Film von Till Schweiger”? Das Partizip “crowdgefundet” ist mehr als gekünstelt, schließlich wird sogar bei rein heimischen Bestandteilen einer Wortbildung nicht getrennt, wenn sich die Gesamtbedeutung nicht rein kompositionell aus den Einzelbedeutungen erschließt. Es heißt z.B. “gebauchpinselt”, nicht etwa “bauchgepinselt”. 😉
c.) Außerdem existiert nicht einmal das Partizip “gefundet”, geschweige denn das Verb “funden”. Schlechte Voraussetzungen für eine wirkliche Integration, finde ich.
Und d.) sind die beiden Kompositionsglieder noch nicht einmal phonologisch und orthographisch integriert. Die regelhaften Laut-Graphem-Beziehungen versagen hier völlig, das Wort müsste “Kraudfanding” geschrieben werden, mit entsprechender “kraut-iger” Aussprache.
Langer Ausführung kurzer Sinn: Die Behauptung, “crowdfunding” sei ein “genuin deutsches” oder zumindest “gut integriertes” Wort, das außerdem eine echte (denotative!) Wortschatzlücke füllt, ist sprachwissenschaftlich leicht zu widerlegen.
Grüße,
Jürgen
@ Jürgen: Jau,
Nö, „Subskription“ bedeutet eine schriftliche Verpflichtung, X Exemplare von Y zu Preis Z zu kaufen, bevor Y hergestellt ist. Die Ähnlichkeiten zum Crowdfunding sind marginal.
Crowd und Funding müssen keine eingebürgerten Wörter sein, damit die Wortbildung von Crowdfunding (partiell) durchsichtig ist.
Sagen Sie. Ein beträchtlicher Teil der Sprachgemeinschaft sieht das anders.
Ihre Behauptung zu bauchpinseln ist empirisch falsch, und es stimmt auch generell schlicht überhaupt nicht, dass Trennbarkeit mit Kompositionalität zusammenhängt.
Doch, das Verb funden existiert. Ein paar Beispiele:
Wir haben uns dazu entschieden uns selbst zu funden [Link]
Ich funde [das Projekt] mal mit,… [Link]
Nö, die versagen nicht. [k] wird auch in Crosslauf, Cannabis, Castor, Clown usw mit {c} geschrieben, [aUClown, downloaden, usw. mit {ow} geschrieben, [a] wird auch in Fun, Bunny, etc. mit {u} geschrieben. Crowdfunding führt keine einzige neue Phonem-Graphem-Beziehung ins Deutsche ein.
Dann widerlegen Sie mal. Bisher bin ich wenig beeindruckt.
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Das Crowdfunding-Modell ließe sich problemlos unter einen unverengten Subskriptionsbegriff subsumieren, s. Wikipedia. Natürlich: Wer hier aus Unkenntnis oder aus anderen Gründen eine Wortlücke spürt, benötigt ein neues Wort. Und wird im Englischen, der lingua franca in der Wirtschaft und der IT, oft zu schnell fündig. Ich bedauere das, weil nach meiner Beobachtung die Häufigkeit englischer Wörter in deutschen Texten mit unpräzisem Denken korreliert.
Beispiel „crowdsourcing“. In einer seiner häufigsten Verwendungen steht es im Ausdruck „per/mit/durch Crowdsourcing finanziert“ – wörtlich heißt das „per Massenfinanzierung finanziert“! Der semantisch durchsichtige Ausdruck „durch crowdsourcing ermöglicht“ wird hingegen eher selten benutzt.
Ebenso ist vielen nicht klar, was das durch Reanalyse abgeleitete Verb „crowdfunden“ bedeutet: „Eine Masse finanziert ein Projekt.“ Oft wird nämlich die Objektstelle durch Geld/Kosten besetzt („Wir haben 65000 EUR gecrowdfunded.“) und die Subjektstelle durch eine Einzelperson („Mein Cousin hat einen Kurzfilm gecrowdfunded.“).
Zum letzten Punkt: Sicher gibt es deutsche Sprecher, die das Verb „funden“ benutzen oder die in der Lage sind, „crowdsourcing“ korrekt auszusprechen. Das heißt jedoch nicht, dass alle dort vorkommenden Phonem-Graphem-Korrespondenzen auch zum Kernsystem des Deutschen gehören.
Gegen „Crowdfinanzierung“ hätte ich übrigens wenig Einwände.
(Dieses Posting ist die Zusammenfassung einer eigenen Recherche.)
Bitte alle Vorkommen von “crowdsourcing” in Gedanken durch “crowdfunding” ersetzen. Danke.
Schöner Anglizismus des Jahres!
Bei einem Schwarm denke ich an Zugvögel, aber nicht an Menschen. Bei einer Crowd ist es klar, dass es um eine Menschenmenge geht und das Wort hat sich auch schon längst als Synonym für Publikum durchgesetzt, was wie mir scheint auch wichtig ist dafür, dass sich Menschen angesprochen fühlen.
Aktuell benutze ich das Wort sehr häufig, weil ich auch gerade eine Kampagne laufen habe. 😉
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Ein tolles Ergebnis und das Wort Crowfunding ist auch heute noch in aller Munde.
Ich finde das Wort Crowdfunding furchtbar.
Warum immer diese schlimmen Anglismen?
Gemeinschaftsfinanzierung, wie oben dargestellt, wäre verständlicher.