Das Wort Crowdfunding ist eine direkte Entlehnung des englischen crowdfunding. Wie im Englischen bezeichnet es auch im Deutschen eine Art der Kapitalbeschaffung, bei der sehr viele Einzelpersonen jeweils eine kleine Summe beisteuern und dafür je nach Höhe der Summe eine Gegenleistung erwerben — diese kann von einer Danksagung auf der Firmenwebseite oder ein T‑Shirt über ein oder mehrere Exemplar/e des finanzierten Produkts bis hin zu einem persönlichen Treffen mit den Schöpfer/innen des Produkts (z.B. Musiker/innen o.ä.) reichen. Typischerweise findet das Crowdfunding über spezielle Webseiten, sogenannte Crowdfunding-Plattformen statt.
Beim Crowdfunding handelt es sich um ein relativ neues Phänomen. In Deutschland gingen die ersten großen Crowdfunding-Plattformen 2011 ans Netz, sodass auch das Wort Crowdfunding, (abgesehen von drei vereinzelten Treffern 2009 und 2010) erst 2011 mit 68 Treffern einen nennenswerte Häufigkeit im Deutschen Referenzkorpus aufweist, die sich für das Jahr 2012 noch einmal mindestens verdoppeln dürfte (da die zweite Jahreshälfte 2012 im Korpus bislang nicht durch Texte vertreten ist, lässt sich das nicht genau sagen). Google Trends zeigt, dass das Interesse an dem Suchwort Crowdfunding 2011 erstmals messbar war und ab Ende 2011 drastisch anstieg, der bisherige Höchststand wurde im April 2012 erreicht. Auch 2013 nimmt das Interesse weiter zu.
Die ersten zwei Bedingungen unseres Wörterwettbewerbs sind damit erfüllt: Das Wort besteht aus englischem Sprachmaterial und es breitete sich im Jahr 2012 erstmals im allgemeinen Sprachgebrauch in Deutschland aus. Aber wie wichtig ist die Lücke, die es füllt?
Zunächst ist festzuhalten, dass es überhaupt eine Lücke füllt, denn eine deutsches Wort konnte sich bisher nicht auf breiter Ebene durchsetzen: Crowdfunding ist etwa 4 Mal (Deutsches Referenzkorpus) bis 5 Mal (deutsche Webseiten im Google-Index) häufiger als die aussichtsreichste deutsche Alternative, die Lehnübersetzung Schwarmfinanzierung. Das könnte sich in Zukunft ändern, denn im Deutschen Referenzkorpus deutet sich ein Häufigkeitsanstieg des Wortes Schwarmfinanzierung an — während das Verhältnis zu Crowdfunding im Jahr 2011 nur 1:10 war, stieg es im Jahr 2012 auf 1:5 an. Da Schwarmfinanzierung in einer Reihe mit dem gut etablierten Schwarmintelligenz steht, wäre es eine gut motivierte Alternative zum Crowdfunding, das allerdings seinerseits zum ebenfalls gut etablierten Lehnwort Crowdsourcing passt, für das sich keine deutsche Alternative durchsetzen konnte. ((Das Wort Schwarmintelligenz scheint übrigens im Abstieg begriffen zu sein: Es erreichte im Deutschen Referenzkorpus in 2011 mit 150 Treffern seinen bisherigen Höchststand, stürzte aber in der ersten Jahreshälfte 2012 auf nur 15 Treffer ab. Möglicherweise ist das etwas neckische Schwarm- also schon verbraucht.))
Dass die Lücke wichtig ist, ist anzunehmen, denn alles deutet darauf hin, dass das Crowdfunding als Form der Kapitalbeschaffung nicht so bald wieder verschwinden wird — die Zahl der Crowdfunding-Projekte und die Summe des insgesamt eingenommenen Geldes scheint eher zu- als abzunehmen. Das Crowdfunding passt außerdem zu einer nachhaltigen Form des Wirtschaftens, da eine Ware nur und erst dann produziert wird, wenn sich genügend Abnehmer/innen gefunden haben, die sie auch wirklich haben wollen. Die direkte Finanzierung eines Produkts durch seine Kunden könnte außerdem ein erster Schritt zu einer Demokratisierung der Wirtschaft sein, hin zu einem System, in dem nicht Investoren oder Marketingabteilungen, sondern die Verbraucher/innen selbst entscheiden wofür Ressourcen überhaupt eingesetzt werden sollen.
Ein Hinweis darauf, dass das Wort Crowdfunding sich bereits bestens in die deutsche Sprache integriert hat, ist (wie auch im Falle von Fracking) die Existenz eines daraus abgeleiteten Verbs — crowdfunden. Da es sich dabei potenziell um ein komplexes Verb aus crowd und funden handelt, ist die spannende Frage, wie die Sprachgemeinschaft das Partizip Perfekt bildet. Es könnte, wie bei Lehnwörtern oft der Fall ist, als einfacher Stamm crowdfunden behandelt werden — das Partizip Perfekt wäre dann gecrowdfundet. Da aber bereits das Verb crowdsourcen existiert, könnte es auch als Kombination aus einer Verbpartikel crowd und einen Wortstamm funden behandelt werden — das Partizip wäre dann crowdgefundet. Und tatsächlich existieren beide Formen, wobei die erste Möglichkeit (gecrowdfundet) etwa fünf Mal häufiger ist als die zweite (crowdgefundet).
Wegen seiner weiter ansteigenden Häufigkeit und der weiterhin wachsenden Bedeutung dessen, was es bezeichnet, ist Crowdfunding/crowdfunden ein sehr starker Kandidat für den diesjährigen Anglizismus des Jahres. Nicht zuletzt, weil er zeigt, dass das Internet nicht nur negative kulturelle Praktiken wie den letztes Jahr siegreichen Shitstorm hervorbringen kann.
Allerdings kann man das Wort noch nicht als gänzlich angekommen betrachten, wenn die Süddeutsche es nicht kennt. Dort heißt es:
“Die Plagiatsuche funktioniert nach dem Prinzip des Crowdsourcing: Die Nutzer überweisen Heidingsfelder einen bestimmen Betrag auf sein Konto. Dabei geben den Namen des Kandidaten an, der überprüft werden soll. Mindestgebot: 20 Euro.
Kommt genügend Geld auf eine Person zusammen, beginnt die die Überprüfung”.[1]
Sehr interessant finde ich auch die Bemerkung zum Niedergang der Schwarmintelligenz. Ich sehe deutliche Ressentiments in der Mainstreampresse, die mich vermuten lassen, dass künftig vielleicht negativer konnotierte Begriffe statt Schwarm oder Crowd Einsatz finden.
Definitiv ein würdiger Kandidat.
Jedoch gibt es an Ihrer Beschreibung der wirtschaftlichen Seite des Crowdfundings einiges auszusetzen:
Crowdfunding ist nicht unbedingt an den Erwerb oder die Konsumierung des herzustellenden Produktes gebunden. Als Bonus für besonders großzügige Spender/Anleger wird die kostenlose Bereitstellung des Produktes als eine Art “Kapitalrendite” in Aussicht gestellt. Auf der einfachsten Ebene ist Crowdfunding jedoch ein massenbasiertes Mäzenatentum.
Damit einhergehend ist das Versprechen nachhaltigen Wirtschaftens nicht zwingend einhaltbar. Ein Projekt mag zwar genug Investoren/Mäzenaten für eine Anschubfinanzierung gefunden haben, niemand garantiert aber, von den oben beschriebenen Ausnahmen abgesehen, die Abnahme des Endproduktes.
Mit der Demokratisierung des wirtschaftlichen Prozesses ist es auch nicht weit her, da es immer noch die Vermögenden sind, von denen letztenendes alles abhängt.
“Mit der Demokratisierung des wirtschaftlichen Prozesses ist es auch nicht weit her, da es immer noch die Vermögenden sind, von denen letztenendes alles abhängt.”
Fast noch wichtiger scheint mir der Einwand, dass — vorausgesetzt das Crowdfundingwesen käme aus seiner derzeitigen Nische heraus und würde zu einem gesamtwirtschaftlich gesehen relevanten Faktor werden — sich vermutlich ziemlich schnell zeigen würde, dass ein Projekt um erfolgreich gecrowdfundet zu werden zuerst einmal beträchtlich in die Eigen-PR investieren müsste, um in einer Masse konkurrierender Projekt vom “Publikum” überhaupt noch wahrgenommen zu werden.
Das spricht jetzt zwar nicht gegen das Crowdfunding an sich, aber der grosse Enthusiasmus, den viele dieser Form der Projektfinanzierung entgegenbringen und insbesondere die Hoffnungen betreffend ihrer Auswirkungen auf unser Wirtschaftssystem, scheinen mir doch etwas — pardon — naiv.
Es wurde aber auch schon hübsch eingedeutscht als “Krautfunding” incl Buch zum Thema.
Ich halte das Wort auch für einen guten Kandidaten! Und glaube, dass selbst wenn das Crowdfunding wirtschaftlich nicht erfolgreich sein sollte, die Praxis doch unsere kulturellen Gewohnheiten prägen wird. Und so wird der Begriff sicherlich noch viele Ableitungen, Weiterentwicklungen oder Übertragungen erfahren.
@klappnase: Ich stimme der Notwendigkeit der Eigen-PR absolut zu. Sicherlich werden die erfolgreicher sein, die schon einen Namen haben. Aber vielleicht können sie so eher Projekte vorantreiben, die sie wirklich interessieren. Und dass (Eigen-)PR Teil des Prozesses sein muss, muss nicht das K.O. des Crowdfunding bedeuten. Im Gegenteil wird diese Einsicht die befeuern, die sich bis dahin vielleicht gegen (Eigen-)Marketing gewehrt haben.
@slowtiger: Eine weitere Eindeutschung findet sich bei dem Projekt Krautreporter.
Die Abneigung gegen den Begriff der Schwarmintelligenz habe ich im Übrigen auch bei Wissenschaftlern beobachten können.
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