Frankreich ist ja, wenn man deutschen Sprachnörglern glauben schenkt, ein sprachpflegerisches Paradies. Reine Sprachflüsse plätschern dort gallisch glitzernd durch romanisch rollende Wörterwiesen, auf denen präziöse Pariser Phrasenstrukturbäume Schatten spenden. Aus der Fremde eindringendes Sprachunkraut wird von von weisen Wortwächtern mit fester Hand ausgemerzt, die an seiner stelle liebevoll latinisierende landessprachliche Leckerbissen züchten. Die Französinnen und Franzosen würden es auch gar nicht anders wollen, und so herrschte feingeistiges frankophones Frohlocken, als die Academie Française verkündete, dass das Wort Hashtag schon an der Grenze gestoppt worden und durch das mot-dièse („Rautenwort“) ersetzt worden sei. Nur die französische Sprachgemeinschaft konnte dem neuen Wort natürlich wieder mal nichts abgewinnen. Aber die besteht eben, wie überall, aus degoutanten Degenerierten, von denen wir uns nicht düpieren lassen sollten.
In Deutschland, wo wir es längst aufgegeben hatten, Bollwerke gegen die anglophonen Angreifer zu errichten, die in unser Sprachparadies eingedrungen sind, regt sich nun endlich Widerstand — „Plattdeutsch erobert digitale Welt“, titelt die SYLTER RUNDSCHAU. Und tatsächlich berichtet der Artikel dann von erstaunlichen Bodengewinnen, die das Plattdeutsche in der digitalen Welt zu verzeichnen hat. Beziehungsweise, zu verzeichnen haben wird. Beziehungsweise, zu den Plänen einer plattdeutschen Eroberung, die der schleswig-holsteinische Ministerpräsident fördert. Beziehungsweise fördern will. Aber egal: Hauptsache, es gibt eine Eroberung. Und die gibt es! Beziehungsweise, die gibt es in einem alternativen Universum, in der die Digitalisierung eines niederdeutschen Wörterbuches samt Grammatik als Eroberung gilt. Aber das sind Nebensächlichkeiten, von denen wir uns Erfolgsmeldungen von der Sprachfront nicht verderben lassen sollten.
Gefechte um fremdes Sprachgut spielen auch in Angela Merkels Biographie eine überraschende Rolle, wie die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG meldet: Für deren Talent für die russische Sprache musste sich ihre Russischlehrerin nicht vor Sprachnörglern oder Wortwächtern, sondern auf einer Parteiversammlung rechtfertigen. Denn Merkel war ja Pfarrerstochter, und die Partei hätte es lieber gesehen, wenn die Lehrerin sich auf die Russischkenntnisse von Arbeiter- und Bauernkindern konzentriert hätte. Diejenigen, die Merkel bis jetzt für ein gut angepasstes Rädchen in der politischen Maschinerie der Deutschen Demokratischen Republik gehalten haben, stehen ob dieser beeindruckenden Nachricht ihres sprachlichen Widerstands jetzt natürlich dumm da. Aber das ist etwas, worüber wir uns unter dem Rautenwort #russischtalent dringend unterhalten sollten.
Danke wieder für die Sammlung!
Gibt es eigentlich irgendeinen guten Ausdruck für den Umstand, dass Sprachnörgler wollen dass der Staat auf die Sprache einwirkt (Wenn es Anglizismen betrifft),. aber nicht wollen dass der Staat auf die Sprache einwirkt (Neue Rechtschreibung, und im prinzip auch Neger-Debatte)?
@Peer:
Paradoxon?
@AS:
Der erste Link funktioniert bei mir leider nicht. Da stecken sicher die französischen Sprachschützern dahinter… 😉
Der Link ist repariert, danke an die Hinweisgeber/innen.
@peer und @Nathalie Kognitive Dissonanz
Ich finde es immer irgendwie schön, wenn es mehr Regionalsprachen und Dialekte ins Internet schaffen.
Denn oftmals sieht es so aus, als würden Dialektsprecher langsam aussterben — und mit ihnen ein wichtiges Stück regionaler Kultur.
Die Entwicklung in Frankreich sehe ich zwiespältig — denn hinter einer Fassade des Sprachschutztums, das Anglizismen raushält, steckt eine brodelnde Sprachentwicklung des Französischen selbst.
Denn viele Verlan-Wörter (http://de.wikipedia.org/wiki/Verlan) sind mittlerweile in den normalen Sprachgebrauch eingedrungen und das Französische nimmt immer wieder arabische Lehnwörter auf.
Nur trennen die Franzosen geradezu rigoros zwischen Schriftsprache/Hochsprache — frei von fremden Einflüssen — und dem gelebten, gesprochenen Französisch: Das sich hinter wohlbeschnittenen Hecken umso wohler fühlt und wild gedeiht.
Ich stimme peer zu.