#Heute kümmern wir uns nach Fracken bzw. fracking gestern um den nächsten Kandidaten: Hashtag. Nominiert wurde es von Leser Analytiker. Eine Begründung dazu gab’s nicht (ab dem nächsten Jahr überprüfe ich die Hausaufgaben!). Erklärung offenbar überflüssig.
Deshalb erläutern wir Hashtag zunächst kurz für diejenigen, die Twitter bisher nur aus dem Fernsehen kennen ((Die Menge [Programmiersprachensprecher/innen]&!=[Twitter/innen] dürfte leer sein.)) und besonders für diejenigen, die sich kurz dachten, ich hätte vielleicht ein <c> in der Überschrift vergessen. Sodenn, Definition: Ein Hashtag ist so eine Art Schlagwort für den Zettelkatalog im Netz.
Mit #Hashtags werden typischerweise Tweets, Posts oder Bilder in sozialen Netzwerken verschlagwortet, um sie einem bestimmten Thema zuzuordnen. Dazu gehören meist Namen von Personen, die gerade öffentlich Teil der Diskussion sind (#schavan), aktuelle Nachrichten, Skandale oder Inhalte bzw. deren Schauplätze (#BER), Gates (#krawattengate), Kürzel für laufende Fußballspiele (#scfvfb) oder Sportarten (#biathlon), Namen von Konferenzen (#staps) oder Namen von Wortwahlen (#adj2012). Woher auch meine Oma den Hashtag kennen würde, wären dann aus besagtem Fernsehen: „Sagen Sie uns Ihre Meinung im Internet unter dem Stichwort #musikantenstadl.“ (Moderator/innen sprechen das dann so aus wie früher ‚Verwendungszweck‘.)
Die Hashtags sind verlinkt und ermöglichen die Suche nach anderen Tweets mit diesem Stichwort (wobei alle Tweets mit diesem Stichwort angezeigt werden, ob gehashtagt oder nicht). Auf einer zweiten Ebene werden mit Hashtags aber auch Emotionen, Zustände, Wunschdenken, Kommentare, Zugehörigkeit, Empathie und Ironie markiert (#kaffee, #WirSindLlama oder #fail) oder Meme gestartet (#würstchenfilme). Diese werden als Meta-Schlagworte gesetzt. Mit der Kommentar- und Ironietagfunktion eignen sich Hashtags auch für andere Netzwerke, in denen Verlinkung in kurzen Statusmeldungen keine zentrale Rolle spielt (z.B. bei Facebook).
Das Wort
Unschwer erkennbar: der Hashtag wird dann zum Hashtag, sobald ein # vorangestellt wird. Hash ist das — obächtle — englisch-englische Wort für das #-Zeichen (im Amerikanischen nennt man # pound, s.u.); tag ist englisch für Schlag- oder Stichwort. Ein Hashtag ist demnach ein willentlich gesetztes und somit bewusst hervorgehobenes Schlagwort. Interessanterweise widerspricht aber gerade die Twitter-Hilfe dieser Definition, indem es das #-Symbol als Hashtag bezeichnet:
Definition: The # symbol, called a hashtag, is used to mark keywords or topics in a Tweet. It was created organically by Twitter users as a way to categorize messages.
[Definition: Das #-Zeichen, Hashtag genannt, wird eingesetzt, um Schlüsselwörter oder Themen in einem Tweet zu kennzeichnen. Es wurde zur Kategorisierung von Nachrichten {organically??} entwickelt.]
Üblicherweise ist mit Hashtag aber nicht das Symbol # gemeint, was dem Schlagwort vorangestellt wird (und womit das Schlagwort verlinkt und klickbar wird), sondern das Gesamtkonstrukt an sich:
Dienstreise für BID-Kongress in Leipzig genehmigt. Da kann ich mich ja jetzt registrieren. Gibt es schon einen offiziellen #Hashtag dafür? (@nabatz)
Ihr müsst mal dieses #ibes hashtag suchen und versuchen die Seite zu aktualisieren ohne neue Tweets zu laden! Godtierquest (@Hr_Donk)
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im mutmaßlichen Ursprungsland des #Hashtags (USA) das #-Symbol pound genannt wird, dort hash als Bezeichnung für das Symbol aber nahezu unbekannt ist. Davon kann jede/r mit diagnostizierter Links-Rechts-Schwäche ein Lied singen, die/der öfters mal bei in den USA ansässigen Telekonferenzfirmen anrufen muss und bei Eingabe des Passworts zum Drücken des [pound sign] aufgefordert wird. #panik! (Wer jetzt hektisch auf dem Smartphone nach dem Knopf sucht: er ist rechts.)
Aktualität
Konzept und Begriff Hashtag gibt’s schon länger, ist aber eigentlich total 2012. Zwei zuverlässig befragbare Datenbanken zeigen für 2012 einen eindeutigen Anstieg: z.B. ein ZEIT-Archiv von Menschen, die coole Dinge mit Twitter als Korpus anstellen und GoogleTrends, das das Suchaufkommen nach diesen Stichworten abbildet bzw. abzubilden versucht. In anderen Quellen zu suchen ist relativ müßig — die meisten bilden nur bis 2009 ab (GoogleBooks spuckt weder für Deutsch, noch für Englisch etwas aus) — dem Jahr, in dem der Hashtag für eine größere und größer werdende Sprachgemeinschaft geboren wurde.
Hashtag (im Deutschen meist der, seltener auch das) ist insgesamt sehr neu, also nicht aus einem anderen Bereich übernommen und noch überwiegend auf den Kontext beschränkt, für den es in der derzeitigen Verwendung am meisten nutzt. Ableitungen davon tun sich noch etwas schwer, also als Verb hashtaggen oder als Nominalisierung in das Hashtaggen, haben aber Potential, es aus dem Umfeld von Twitter & Co. herauszukatapultieren („Wie würdest du dein Leben hashtaggen?“). Die Relevanz wurde von Mitgliedern der American Dialect Society erkannt und dort zum Wort des Jahres 2012 gewählt (wo man 2009 schon tweet als #woty gekürt hat).
Hashtag ist auch so neu (und außerhalb des Twitteruniversums auch eher selten) ((Programmierer/innen und IRC-Nerds müssen mir diese Haltung grundsätzlich nachsehen.)), dass es in soliden und aufnahmefreudigen Online-Wörterbüchern nicht auftaucht (Merriam-Webster oder OED). Der Duden will mir immerhin helfen: „Meinten Sie #waschtag?“
Die Lücke füllen
Natürlich war vor dem Hashtag auch keine Lücke, die zu füllen war (bei AdJ-Kandidaten, die das betrifft, bin ich meist eher skeptisch). Allerdings ist Hashtag deshalb so nett, weil es differenziert. Wo man argumentieren könnte, dass es Schlagwort oder Stichwort gibt, bleibt die Feststellung, dass Schlag- und Stichwort eben, wie so oft bei vorgeschlagenen Alternativen, einen sehr viel allgemeineren Bereich abdecken: Vor „Auf mein Hashtag!“ werden Sie im Theater sicher sein, Hand drauf.
Andererseits erweitert Hashtag auch das, was man Schlagwort nennen könnte: wir verschlagworten eben nicht nur mit Themen, sondern auch mit Temperamenten. Will dafür jemand ernsthaft Rautenzeichenschlagwort oder Doppelkreuzironiemarkierungsstichwort? #wohlkaum
Fazit
Schwierig. Zwar gefällt mir Hashtag. Aber bei der Konkurrenz in diesem Jahr? ((NB: Endrunde ist nicht der Anglizismus des Jahres.)) Mir ist Hashtag als Begriff (noch) etwas zu meta. Das könnte auch die hohe Trefferquote beim Beliebtheitscheck GoogleTrends erklären oder die Beiträge besonders im Zeit-Archiv, die dort überwiegend in Artikeln über Twitter, Diskussionen um Twitterdiskussionen und/oder in Definitionen auftauchen. Aber besonders mit zarten Gehversuchen von hashtaggen bzw. ganz zarte von das Hashtaggen beginnt eine vielversprechende Karriere und gibt ihm den Status als Lehnwort mit Potential. Für jetzt war aber #Hashtag nominiert. Mal schaun!
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#NB: Im englischen Sprachraum scheint Hashtag auch Teil eines Twitter-induzierten Nebenkriegsschauplatz der Sprachverfallsdebatte zu sein. Dort befürchten offenbar einige Kommentatoren, dass Hashtags zumindest in ihrer Funktion als Metakategorisierung (meta-hashtagging) die englische Sprache ruinieren (und warum das nicht so ist: hier oder hier). Dies dürfte im deutschsprachigen Raum solange eine unbegründete Sorge sein, wie Sprachverfallsapokalyptiker nicht wissen, wovon #wir reden und glauben, dass Twitter zur Recyclingsprach-, ach, lassen wir das.
“Organically” im Zitat oben dürfte bedeuten, dass es aus dem Gebrauch heraus entstanden ist, also quasi “organisch gewachsen” im Gegensatz zu “als Funktion eingeführt”. Also etwa:
@CB: Ja, das war auch meine Vermutung — klang aber ziemlich dämlich in dem Moment. Und auch nach wie vor finde ich das eine eher unglückliche Formulierung, trotzdem Danke!
Kleine Korrektur:
“# ist das — obächtle — englisch-englische Wort für das #-Zeichen” ist ein wunderschöner Satz, aber auch ein bisschen redundant. 😉
“Aus dem Gebrauch heraus” trifft es gut, viele Twitter-Funktionen kommen ja mehr oder weniger direkt von den Nutzern, neben dem #hashtag auch das @nutzer. Vielleicht “Es hat sich unter Twitter-Benutzer_innen zu einer Methode entwickelt, Nachrichten zu kategorisieren”. Ein schönes Übersetzungsproblem.
Ich finde den ganzen Wettbewerb sehr interessant und bin vor allem gespannt auf den Artikel zur Triggerwarnung, die mein diesjähriger Favorit ist — füllt sie doch nicht nur eine Begriffs‑, sondern auch eine Bewusstseinslücke.
@Johannes: #, argh, ist korrigiert, danke. Triggerwarnung ist leider nicht in der Endrunde.
Stimmt natürlich. Pardon, vor dem zweiten Kaffee und zwischen Klausuren bin ich nicht immer in der Lage, zwischen Nominierungsliste und Endrundenliste zweifelsfrei zu unterscheiden.
“Interessanterweise widerspricht aber gerade die Twitter-Hilfe dieser Definition, indem es das #-Symbol als Hashtag bezeichnet”
Eigentlich finde ich diese Twitter-Definition einleuchtend. Wenn ich in Html schreibe <b>Hashtag</b> ist ja auch nur das “<b>” (bzw. das “</b>”) der Tag, nicht der Text zwischen den Tags. Ist diese umgangssprachlich abweichende Bedeutung von “Hashtag” jetzt wohl eine deutsche Spezialität oder sieht man das in GB und USA genau so?
Aargh, jetzt habe ich doch glatt vergessen, dass das Kommentarfeld Html spricht 😉
Na, da hier sicher nur Html-Profis reinschauen, wissen bestimmt alle, was ich meine :))
@klappnase: Ich vermute, dass sich die umgangssprachliche Bedeutung von “Hashtag” in Analogie zu Tags als (inhaltliche) Schlagwörter auf anderen Web2.0‑Seiten gebildet hat. Selbst auf Twitter haben die meisten Nutzer nicht so viel mit HTML oder anderen Auszeichnungssprachen zu tun.
It was created organically by Twitter users as a way to categorize messages.
Es wurde zur Kategorisierung von Nachrichten {organically??} entwickelt.
Alternative:
Twitter User haben es auf natürliche Weise entwickelt um Nachrichten zu kategorisieren.
Die Hauptaussage in dieser Passage ist, dass der Hashtag von den Usern von Twitter entwickelt wurde. Das ‘organically’ soll dabei betonen, dass dies ohne zutun von Twitter selbst geschah.
In den USA wird heute ‘organical’ in erster Linie im Sinne von ‘Bio’ verwendet (organic milk = Bio Milch). Ich denke daher, dass ein Wort aus dem Umfeld von ’natürlich’ am besten als Übersetzung geeignet ist.
@Klappnase: Habe Deinen Kommentar repariert 😉
\(^_^)/ Danke schööön (^3^)
Bei der Überschrift hab ich mich ja erstmal gefragt, was “Hashtag” mit dem “Adjektiv 2012” zu tun hat…
@klappnase: ich frage immer „gibt’s n allgemeinen Hashtag?“ — das würde ja nur Sinn machen, wenn man Symbol+Wort meint. Ob man das im englischsprachigen Raum genauso sieht, müsste man mal schauen, aber ich würde das instinktiv bejahen. Ich habe bei den Recherchen gemerkt, dass einige amerikanische Newbies bei der Frage „what’s a hashtag?“ etwas konsterniert gefragt haben, ob das nicht poundtag heißen müsste und ihnen dann geantwortet wurde, dass man damit das gesamte Ding meint.
@Markus: netter Versuch 🙂 und ja, schon klar, aber mit Abstand gelesen drückt es nicht das aus, was gemeint ist, oder? Dazu hat organisch im Deutschen (noch) nicht diese Bedeutungsreichweite. Klingt sehr nach Lehnübersetzung. Und natürlich, hm, ich weiß nicht.
@Michael: Hihi. Ich hoffe, Sie haben gedanklich nicht auch noch ein c dazugemalt.
@Susanne Flach : du hast natürlich recht, zumindest lt. http://en.wikipedia.org/wiki/Hashtag sieht man’s im Englischen tatsächlich genauso.
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Tolle Erklärung, wenn auch wieder mit vielen unverstandenen Fremdworten. Trotzdem danke! Gruß, UWK
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