In den nächsten Wochen diskutiert die Anglizismus-des-Jahres-Jury die Wortkandidaten, die es in die Endrunde geschafft haben. Heute das Substantiv Fracking und das dazugehörige Verb fracken.
Das Wort Fracking (machmal auch: Fracing) ist eine Kurzform des englischen Hydraulic Fracturing, der Bezeichnung für eine Technik zur Förderung von Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas. Dabei wird in die Gesteinsschichten, die die Rohstoffe umschließen, unter hohem Druck ein Gemisch aus Wasser und verschiedenen Chemikalien hineingepumpt, um auf diese Weise Risse zu erzeugen, durch die die Rohstoffe zur Bohrungsstelle fließen können.
Wer mehr über die Technik selbst erfahren will, dem sei dieser aktuelle Beitrag im Fischblog empfohlen; aus lexikografischer Perspektive sind zwei Dinge wichtig: In Deutschland lagert sehr viel Erdgas in Gesteinsschichten, an die ohne diese Technik derzeit kein Herankommen ist (weshalb die Energiekonzerne die Technik gerne in großem Maßstab anwenden möchten), und die Technik hat schwerwiegende Konsequenzen für die Umwelt (weshalb vor allem die Menschen in den potenziellen Fracking-Gebieten das unbedingt verhindern wollen). Das führt zu einer anhaltenden Debatte, die das Wort im letzten Jahr in den allgemeineren Sprachgebrauch gespült hat: Im Deutschen Referenzkorpus taucht es 2010 in nur zwei Texten auf, 2011 findet es sich bereits 70 Mal in 25 verschiedenen Texten, und bis Juli 2012 (weiter geht das Korpus derzeit noch nicht) waren es dann schon über 400 Treffer in mehr als 160 Texten.
Mit der Verwendungshäufigkeit stieg auch das Interesse an dem Wort stark an: Google Trends zeigt ein erstes zaghaftes Interesse Ende 2010, das bis November 2011 stark ansteigt und nach einem anfänglichen leichten Absacken bis Ende 2012 auf seinen bisherigen Höchststand klettert. ((Tatsächlich geht der Höhenflug im Januar 2013 weiter, für das Wort dürfte also im laufenden Jahr ein weiterer Häufigkeitsanstieg bevorstehen.))
Das Wort erfüllt damit klar die ersten zwei Bedingungen unseres Wortwettbewerbs: Es stammt aus dem Englischen, und es ist im Jahr 2012 massiv ins Bewusstsein und den Sprachgebrauch einer breiteren Öffentlichkeit gelangt. Die breite Verwendung des Wortes hat dazu geführt, dass es in der Online-Version des DUDEN bereits einen Eintrag hat.
Fracking ist ein typisches Lehnwort, das als Bezeichnung für eine vorher nicht bekannte und deshalb auch nicht benannte Sache gemeinsam mit dieser übernommen wurde. Es füllt also eine wichtige Lücke im deutschen Wortschatz, denn in der Diskussion um das Für und Wider der Förderung immer schwerer erreichbarer Rohstoffe gibt es derzeit keine andere allgemein akzeptierte Bezeichnung für diese Technik. Der Wikipedia-Eintrag zu Hydraulic Fracturing nennt die (mehr oder weniger deutschen) Alternativen hydraulische Frakturierung, hydraulisches Aufbrechen, hydraulische Riss-erzeugung und hydraulische Stimulation und liefert auch Quellennachweise. Die Verwendungshäufigkeiten dieser Alternativen sind jedoch um mehrere Größenordnungen niedriger als die von Fracking, und sie finden sich selten in einem an Laien gerichteten Sprachgebrauch.
Das Wort hat sich in kürzester Zeit so gut in die deutsche Sprache eingefügt, dass sogar schon ein davon abgeleitetes Verb existiert: fracken. Dieses taucht im Deutschen Referenzkorpus 2011 erstmals auf, als Partizip Perfekt (gefrackt): Der Kunsthandwerker wohnt in Fort Worth, „dem wohl einzigen Ort auf der Welt, in dem mitten im Stadtgebiet gefrackt werden darf (Texas im Gasrausch, Mannheimer Morgen, 04.06.2011). In 2012 finden sich dann auch Treffer für andere Formen des Verbs, wie etwa Dabei soll sich BNK selbstverpflichtet haben, in Wasser- und Naturschutzgebieten nicht fracken zu wollen (Wasserschutzgebiet abgelehnt, Braunschweiger Zeitung, 22.06.2012). Und auch ein aus dem Verb abgeleitetes Substantiv Fracken findet sich im Deutschen Referenzkorpus: Auch wenn sauberes Fracken gelingt: Die Bohrkosten gingen ins Unermessliche (Weil wir es nicht wollen!, Niederösterreichische Nachrichten, 08.03.2012). Das in seiner Wortstruktur eingedeutschte Fracken könnte mittelfristig das englische Fracking ersetzen, aber derzeit ist es eine sehr randständige Form.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Fracking/fracken ist ein starker Kandidat für den Anglizismus des Jahres: Ein englisches Lehnwort, das eine Lücke füllt und bereits dabei ist, in neue Bereiche der deutschen Grammatik vorzudringen. Darüber hinaus ist es — auch wenn das kein offizielles Kriterium für den Anglizismus des Jahres ist — von hoher gesellschaftlicher Relevanz, steht es doch nicht nur für einen aktuellen Konflikt um eine konkrete Technik, sondern stellvertretend auch um den allgemeineren Konflikt zwischen der Notwendigkeit der Energiegewinnung auf der einen und der Notwendigkeit eines sorgsamen Umgangs mit unserer Umwelt auf der anderen Seite.
möglicherweise auch als Verbform schon länger im Ego-Shooter-Bereich zu finden? (jemanden in seine Bestandteile zerlegen)
und zumindest phonetische Nähe zu:
http://www.urbandictionary.com/define.php?term=frak&page=1
🙂
“… das eine Lücke füllt und bereits dabei ist, in neue Bereiche der deutschen Grammatik vorzudringen.”
Wenn es dann noch neue Sprachfreiheit “freisetzt”, ist Fracking ja ein voller Erfolg ;o)
Danke für die Erklärung, die mir nach einem WDR-Beitrag im letzten Jahr zwischenzeitlich wieder entfallen war.
Es spricht vermutlich für mein fehlendes Allgemeinwissen, aber mir war der Begriff eher aus einer anderen Quelle bekannt: http://en.wikipedia.org/wiki/Frak_(expletive)
Könnte aus dieser Ecke nicht auch zumindest ein Teil des “gesteigerten Interesses” bei Google Trend stammen?
Oder bin ich hier etwa der einzige Ober-Nerd?
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