Sprachlich drehte sich die öffentliche Diskussion in dieser Woche vorrangig um das Unwort des Jahres, Opfer-Abo, das Susanne am Dienstag bereits besprochen hat. Ich kann mich ihrer Bewertung anschließen und will hier nur einen Nebenaspekt nachreichen. Die TAZ erwähnt in ihrer Meldung zum Unwort, dass das Wort Opfer „in der Jugendsprache eine schwache, dumme oder unterlegene Person“ bezeichne, die „an ihrer schlechten Behandlung selber Schuld“ sei. Ich bin mehrfach darauf angesprochen worden, a) ob das stimme und b) wie es dazu kommen konnte. Die erste Antwort ist einfach: Ja, es stimmt, sogar der DUDEN führt die Bedeutung „Schwächling, Verlierer (besonders als Schimpfwort)“ als „abwertenden“ Begriff der Jugendsprache auf. Die zunächst ungewöhnlich erscheinende Verschiebung im Wortgebrauch ergibt sich dabei nicht vorrangig aus einer Veränderung der früheren Wortbedeutung „jemand, der durch jemanden, etwas umkommt, Schaden erleidet“ — diese Bedeutung bleibt ja auch in der jugendsprachlichen Verwendung erhalten. Was sich verändert hat, ist das hinter dem Sprachgebrauch stehende Wertesystem: in einer Gesellschaft, in der Menschen füreinander einstehen, sind Opfer Menschen, denen etwas Schreckliches zugestoßen ist, weil wir nicht ausreichend auf sie aufgepasst haben, und denen deshalb unsere Fürsorge und unser Mitgefühl gilt. In einer Gesellschaft, in der jeder für sich versucht, auf der gesellschaftlichen Leiter möglichst weit nach oben zu klettern, sind Opfer Menschen, die zu schwach für diesen brutalen Kletterwettbewerb waren, und die wir dafür verhöhnen, um ja nicht mit ihnen gleichgesetzt zu werden. Und unsere Jugendlichen haben offensichtlich sehr genau erkannt, welches dieser beiden Gesellschaftsmodelle wir ihnen vorleben.
Als Opfer widriger sprachlicher Entwicklungen sah sich ja vor einigen Wochen Wolfgang Thierse, der bei seinem Bäcker im tiefsten Prenzlauer Berg offenbar auf verständnislose Blicke stößt, wenn er Schrippen oder Pflaumenkuchen bestellt, und der sich deshalb Maßnahmen zur Rettung des Berlinerischen wünscht, damit er nicht furchtbare schwäbische Unwörter wie Wecke und Datschi über die Lippen bringen muss. Nun meldet die BILD (ja, ich weiß, tut mir leid, aber wenn ich meinen leistungsschutzrechtsinduzierten Boykott schon aufgebe, dann richtig), dass Karnevallegende Jupp Menth sich auf ganz ähnliche Weise als sprachlich ausgestoßener im eigenen Land fühlt: „Wenn ich auf einer Kölner Bühne stehe, fühle ich mich wie ein Ausländer mit kölschem Migrationshintergrund“. Das Kölsche, so Menth weiter, werde im Karneval „langsam zur Fremdsprache“. Der heitere Jeck ist aber pragmatischer als der immer schlechtgelaunte Thierse: Er passt seine Sprache den neuen Gegebenheiten an und spricht eben ein hochdeutschnahes „Adenauer-Kölsch“. So einfach und schmerzlos kann ein Dialekt also aussterben, wenn die Zuschauerquoten der öffentlich-rechtlichen Karnevalssender bundesweit goutierbare Büttenreden erfordern.
Apropos goutierbar: Unsere Sprache könnte aus dem Schmatzen unserer äffischen Vorfahren entstanden sein, wie die sprichwörtlichen amerikanischen Wissenschaftler herausgefunden haben. Die österreichische DIEPRESSE.COM berichtet, dass Makaken im selben Rhythmus schmatzen, in dem wir sprechen, und da liegt es ja nahe, dass aus dem lautstarken Genuss von, sagen wir, Pflaumenkuchen, das Wort für Pflaumenkuchen entstanden ist. Beim schwäbischen Zwetschgendatschi mit halte ich es sogar für die einzig plausible Erklärung — anders erschließt sich schlicht nicht, woher die Vielzahl klar erkennbarer Schmatzlaute in diesem Wort kommen sollte. Und auch beim Kölsch halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass es aus dem Geräusch entstanden ist, das beim Trinken dieses Bier-Ersatzes entsteht. Und danach wurde dann eben auch die Stadt benannt, die heute nicht einmal auf dem Karneval an ihre sprachlichen Wurzeln erinnert werden will.
Als Lehrer möchte ich nur mal bestätigen, dass “Opfer” tatsächlich mittlerweile ein Schimpfwort geworden ist. Früher hätten wir im selben Kontext “Loser” gesagt, insofern ist das vielleicht ein Sieg für den VDS 🙂
(Und ein Hinweis: Drüben bei den Scienceblogs gabs bei Florian Freistätter eine Diskussion über die neue Kleine Hexe)
Was denkt sich ein Sprachwissenschaftler bei “leistungsschutzrechtsinduzierten Boykott”?
Dass er sich nicht verständlich ausdrücken muss, wenn er sich für besonders vornehm hält?
Was “induziert” ihn oder sein Rechnersystem da?
Ein Mensch, der sich als “alles” versteht: Anthropologie, tierexeprimenteller Froschungs‑, pardon: Forschungsergebnisse, als semantischer Importeur schwäbischer (vielleicht ja auch: bayerischer [?] Zwetschgendatschi)?
Hier kann man nachlesen, was ein lexikokrafischer Nachweis bietet, ja für “Datsch”:
http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GD00878
Etwas weniger Allmächtigkeit (Allwissen)… wäre ja ein professoraler Gewinn.
Sind Sie sicher, dass die Umwertung des Begriffs ‘Opfer’ von den Leuten kommt, die auf der gesellschaftlichen Leiter so weit wie möglich nach oben klettern wollen, also denen, die man früher Yuppies (*) nannte? Ich habe mir immer vorgestellt, dass es aus den Kreisen stammt, die unten hängen blieben und innerhalb ihrer Gruppe nach stark und schwach differenzieren.
Belegen kann ich das allerdings nicht.
(*) Heißen die noch so, die Yuppies?
Datschi ist meines Erachtens nicht schwäbisch. Jedenfalls auf der Schwäbischen Alb und um Reutlingen herum, habe ich das Wortnoch nicht gehört. Ich kenne das Wort aber aus Bayern.
Würde ein solches Wort auf schwäbisch gebildet, müsste meinem Sprachempfinden “Dadschdər” (also Schriftdeutsch “Gedatschter”) lauten.
Sagen Sie das bloß dem Thierse nicht, das brächte ihn endgültig durcheinander.
“Opfer” kann ich bestätigen, “Loser” war schon zu meiner Schulzeit out.
“Du Opfer” bedeutet im Grunde genommen so viel wie “Du ewiger Verlierer”, hat aber im Grunde genommen keine feste Definition. Es ist einfach “diffus ein Schimpfwort, das irgendwie abwertend verwendet wird”.
Kölsch ist kein Bierersatz, sondern eine regionale Biersorte. Kölsch ist ein obergärig gebrautes Bier, im Gegensatz beispielsweise zum Pils.
Protip: Einfach mal probieren!
Och je. Auch ganz unabhängig von meiner Eigenschaft als Quotenneoliberaler finde ich das arg platt.
Haben Sie dafür Belege, Gründe, Argumente, die Sie verschweigen, oder haben Sie die Behauptung tatsächlich nur mal so freihändig aufgestellt?
Opfer hat meiner Meinung nach noch andere Bedeutungen: die, die geopfert werden (z. B. die Opferlämmer, wobei ich von Opferlöwen noch nichts gehört habe) Es sind also nicht nur die, denen etwas passiert, sondern auch die. die bewusst ausgewählt werden. “Der Täter suchte sein Opfer.” Aus meiner Sicht liegt hier die Assoziation zur “Jugendsprache” etwas näher.
Pingback: Du Opfer @ Saakje Daheim
Kann es sein, dass die Ironiedetektoren einiger Leser/innen hier nicht richtig justiert sind?
Ein Wort zum Zwetschgendatschi. Ich bin aus Augsburg, und mir wurde stets erzählt, dass diese Leckerei eine Ur-Augsburger Erfindung sei (und damit ist auch der Streit hinfällig, ob schwäbisch oder bairisch/bayerisch), die darauf zurückgeht, dass sich eine unvorsichtige (Augsburger!!) Bäckersfrau aus Versehen auf den Pflaumen- nein! Zwetschgenkuchen gesetzt und ihn somit “gedatscht/gedätscht”, jedenfalls plattgedrückt und damit zum Datschi geadelt habe. Es steht völlig außer Frage (für mich), dass ein Pflaumenkuchen und ein Zwetschgendatschi zwei völlig verschiedene Dinge sind, erstens weil Zwetschgen und Pflaumen m.E. nicht das selbe sind, und weil ein Datschi eben eine maximale Höhe hat (jedenfalls nicht beliebig hoch sein kann), sonst wäre er keiner.
Im schwäbischen Dialekt gibt es kein “Zwetschgendatschi” nie und nimmer.
Wenn dann wird ein Pflaumenkuchen
als Zwetschgenkuchen bezeichnet.
Für alle die mehr über den schwäbischen Dialekt wissen wollen schaut mal bei Wikipedia nach.Denn schwäbisch reden nicht nur die Schwaben aus Württemberg sondern noch Bayern,Allgäuer oder sogar Österteicher in Tirol!
noch Bayern,