Anfang Dezember machte wieder mal die Panikmache vor dem Aus des Deutschen als Wissenschaftssprache die Runde (z.B. hier in einem Beitrag auf DRadio). Darin wird in einem Nebensatz des Arguments „fehlender Mehrsprachigkeit“ mal wieder gemault, dass beim Aussterben des Deutschen in der Wissenschaft gleich auch die Hochschulunterrichtssprache Deutsch bedroht ist.
Das fand ich schon länger faszinierend. Diese Behauptung, dass die Lehre „nur noch auf Englisch“ stattfinde (was natürlich abhängig ist vom Mollgehalt des Klageliedes). Denn außerhalb meines eigenen Fachbereichs war Englisch in reingeschnupperten Fächern BWL, VWL, Sprachlehrforschung und Sinologie die Ausnahme. Allenfalls in Politikwissenschaft hatten wir überhaupt ein nennenswertes Seminarangebot in englischer Sprache. Das Argument ist ja meist eine Version des Apokalypsegefälles von Deutsche Wissenschaftler/innen publizieren nicht mehr auf Deutsch > unterrichten nicht mehr auf Deutsch > Deutsch an Unis stirbt aus > Wissenschaft aus Deutschland stirbt aus/wird nicht mehr beachtet > Wissenschaft (generell) verkümmert > die deutsche Sprache verkümmert > Tod (oder so ähnlich). Anatol hat die schräge Logik eines irrational konstruierten Zusammenhangs an dieser Stelle vorzüglich entlarvt.
Heute widme ich mich mal kurz und oberflächlich dem Argument „es wird nicht mehr auf Deutsch unterrichtet“ (bzw. seinen Varianten). Dafür habe ich das Vorlesungsverzeichnis der Freien Universität Berlin für das Wintersemester 2012/13 durchsucht (hier), auch, weil die FU gegen den Verdacht immun ist, wenig für internationale Spitzenforschung zu tun.
So schaut‘s da aus, nach Fachbereichen sortiert und unter der dringenden Warnung, dass da nix methodisch wasserfest ist, sondern nur eine Einschätzung unter der Annahme, dass die Vorlesungsdatenbank irgendwie Tendenzen der Unterrichtssprachen widerspiegelt (von Lehrveranstaltungen, die überhaupt eine Unterrichtssprache ausweisen):
Fachbereich | Deutsch | Englisch | %EN |
Biologie, Chemie, Pharmazie | 405 | 62 | 13,3% |
Erziehungswissenschaft & Psychologie | 111 | 8 | 6,7% |
Geowissenschaften | 252 | 12 | 4,5% |
Geschichts- & Kulturwissenschaften | 487 | 20 | 3,9% |
Mathematik & Informatik | 258 | 14 | 5,1% |
Philosophie & Geisteswissenschaften | 419 | 70 | 14,3% |
Physik | 82 | 41 | 33,3% |
Politik- & Sozialwissenschaften | 55 | 67 | 54,9% |
Rechtswissenschaft | 138 | 21 | 13,2% |
Veterinärmedizin | 162 | 1 | 0,6% |
Wirtschaftswissenschaften | 153 | 19 | 11,0% |
—- | |||
Gesamt: | 2522 | 335 | 11,7% |
Anzahl an Lehrveranstaltungen mit ausgewiesener Unterrichtssprache in deutscher und englischer Sprache nach Fachbereichen, sowie der Anteil von englischsprachigen Veranstaltungen an allen Veranstaltungen mit ausgewiesener Unterrichtssprache. Einige Fachbereiche (z.B. FB Charité) sowie die Zentraleinrichtungen (z.B. Sprachenzentrum, Zentrale Datenverarbeitung) sind aus Gründen fehlender Daten bzw. Möglichkeit der Verzerrung ausgeklammert. ((In einer früheren Version drückten die Prozentzahlen das Verhältnis EN/DE aus. Danke an Axel für den Hinweis. Damit wäre die englische Unterrichtssprache für Politik-/Sozialwissenschaften etwas, öhöm, besser weggekommen.))
Die genaue Gesamtanzahl an Lehrveranstaltungen lässt sich über die Suchfunktion leider nicht ohne weiteres feststellen; nach FU-Angaben sind es aber etwa 5000 für ein Wintersemester. Es ist deshalb gut möglich, dass die fehlenden Veranstaltungen den Anteil englischsprachiger Lehrveranstaltungen noch sinken lassen würde, da offenbar nicht jedes Dozierende eine Unterrichtssprache angegeben hat (bzw. überhaupt die Notwendigkeit zur Angabe sah). Die Vermutung ist hoffentlich nicht allzu weit hergeholt, dass Deutsch dann Standard ist, ohne in der Datenbank ausgewiesen zu werden. ((Die Möglichkeit, dass es andere Unterrichtssprachen als Deutsch und Englisch gibt, lässt sich wie folgt minimieren: Im Fachbereich Philosophie & Geisteswissenschaften, wo fast alle Philologien untergebracht sind und dementsprechend die meisten anderen Sprachen vermutet werden, sind das: Französisch (0), Italienisch (2), Niederländisch (4), Persisch (0), Polnisch (0), Portugiesisch (1), Russisch (0) und Spanisch (3).))
Der geringe Anteil englischsprachiger Lehrveranstaltungen hat selbst mich überrascht. Haben mich die Wehklagen auf ein viel extremeres Ergebnis vorbereitet? (Offenbar.) Aus der Tabelle ist klar: es ist nichts klar. Außer vielleicht, dass das Lehrangebot mitnichten auf Englisch „umgestellt“ ist. (Die 70 Lehrveranstaltungen für Philosophie & Geisteswissenschaften werden laut Vorlesungsverzeichnis wenig überraschend alle in der Anglistik angeboten.) Irgendwie will ich daraus gar kein Bild lesen. Naja, außer vielleicht, dass der Englischanteil im Ausreißerfachbereich Politik- und Sozialwissenschaft dort offenbar die gute Reputation der dortigen Forschungsinstitute runterwirtschaftet? Könnte es am Übel eines Fokus auf 12 forschungsintensive internationale Masterstudiengänge (bei nur einem Bachelor ((Wobei keine Aussagen über das Verhältnis von Anzahl BA-Studierende zu MA-Studierende möglich ist bzw. abgeleitet werden sollte.))) liegen? Das Ende ist nah!
Ich weiß nicht, wie repräsentativ diese kleine Untersuchung ist. Ich fürchte: mal so, mal so und kommt drauf an. In Abwesenheit besserer Studien sollte man das auch nicht so ernst nehmen. Denn die These ist, dass an kleineren und/oder techniklastigeren Universitäten sowie an praxisorientierten Fachhochschulen und Berufsakademien häufiger auf Englisch unterrichtet wird, als an traditionellen Volluniversitäten. Aber die wissenschaftsfernere Ausbildung an praxisorientierten Einrichtungen (BA, FH) ist dann ja eher selten Inhalt der Klagelieder, wenn der Untergang der Wissenschaftssprache Deutsch herbeigeredet wird (irrationale Angst und krude Argumentationslogik, siehe oben). Vielleicht liege ich auch daneben — auf sachliche Kommentare freue ich mich ganz besonders.
Vielleicht ist es nicht repräsentativ, aber die Panik vor dem Untergang der Unterrichtssprache Deutsch ist zumindest für eine große Universität und für jetzt unbegründet. Und das ist durchaus gut so — denn wir fangen offenbar nach wie vor in der Muttersprache an, fachübergreifend. Auch das ist gut so. Es ist so hübsch „mehrsprachig“, eben ganz wie gewünscht.
Schau dir mal Deine Prozente nochmal genau an. Ich glaube, das wird einleuchtender, wenn du den Anteil an allen jeweils mit Sprache ausgewiesenen Seminaren angibst, also statt:
Politik– & Sozialwissenschaften 55 67 121,8%
besser
Politik– & Sozialwissenschaften 55 67 54,9%
Viele Grüße,
Axel.
@Axel: Danke, ist eingearbeitet — bei den meisten macht das keinen substantiellen Unterschied, aber das ist natürlich weniger verzerrend.
@Evanesca: warum kontraproduktiv? Man muss zwischen Meta- und Objektsprache unterscheiden. In welcher Metasprache unterrichtet wird (oder publiziert, for that matter), ist nicht abhängig von der Objektsprache (bei Anglistik und Germanistik fallen sie jedoch meist zusammen). Ich könnte, wenn sowohl meine Studierenden und ich diesen Sprachen mächtig wären, auf Esperanto, Klingonisch oder Mathematik unterrichten.
Ich finde es sogar positiv, dass Veranstaltungen der Anglistik/Romanistik größtenteils in der jeweiligen Sprache gehalten werden. Alles andere empfände ich als kontraproduktiv.
Wenn man Gastdozenten aus dem Ausland hat, die kein Deutsch sprechen, ist es selbstverständlich, dass sie auf Englisch unterrichten.
Ansonsten ist Englisch als Unterrichtssprache an der Universität außerhalb von Anglistik/Englisch Lehramt und teilweise wirtschaftswissenschaftlichen Fächern immer noch eher ein Exot.
Das kommt aber stark auf die Fachrichtung an. Eine kurze Suche an der Technischen Hochschule Zürich (http://www.vvz.ethz.ch/Vorlesungsverzeichnis):
Alle Kurse: 242 Seiten mit Lerneinheiten
Englische Kurse: 131 Seiten mit Lerneinheiten.
Natürlich sind das keine präzisen Daten und werten möchte ich das Resultat auch nicht, bloss feststellen, dass es da Unterschiede gibt.
Ohne Frage, aber genau das hab ich auch gesagt (bzw. bestätigt meine These): techniklastige Unis, praxisorientierte Unis/FHs/BAs -> mehr auf Englisch. Wenn man deine Angaben „hochrechnet“, kommt man auf etwa n bisschen mehr als n Drittel — wobei ich jetzt auf die Schnelle auch nicht sagen könnte, ob da nicht auch noch Sprachkurse mit drin sind (scheint aber nicht so zu sein). Danke für den Link, da kann man ggf. was mit anfangen. Wird in der Schweiz auch über den Niedergang der Wissenschaftssprache Deutsch diskutiert?
Gerade die Studenten an Fachhochschulen mit einem hohen Anteil von Quereinsteigern ohne Spracherfahrung (wg. Ausbildung, Beruf) hätten wahrscheinlich Schwierigkeiten, dem Unterrichtsstoff in Englisch zu verfolgen. Ich habe an der TFH Berlin „Technische Informatik“ studiert und keine einzige Vorlesung war auf Englisch. (nur die dicken Fachbücher 🙂
FYI, auch an der TU Wien wird kaum etwas auf Englisch gelehrt.
Die Seminarvorträge und Pre-/Post-Doc-Sachen sind eher auf Englisch, aber davor (BSc/Dipl.-Ing.)? Quasi niente.
Noch ein kleiner Fehler in den Prozenten: Bei der Veterinärmedizin müsste es “<1%” heißen, aber “<0,1%” ist zuwenig. Jaja, netter Versuch, diese sprachmordenden Vets in Schutz zu nehmen!
Ist korrigiert, danke!
Also die einzigen Lehrveranstaltungen, die ich auf englisch mitgemacht habe (Kulturanthropologie an der Uni Göttingen), waren auch welche von Gastdozentinnen (einer in Finnland lehrenden Amerikanerin und einer Bulgarin). Was mir aufgefallen ist, war der hohe Anteil an ausländischen (Gast-)Studierenden, die da mitgemacht haben. Für die war die englische Sprache offenbar ein echter Anreiz.
Insgesamt waren das aber nur vier Veranstaltungen in *hust* fast zehn Jahren Uni…
@Simone & Susanne Flach
Ich habe in der Schweiz studiert und meines Wissens ist der angebliche Niedergang der (hoch-)deutschen Sprache als Wissenschaftssprache in der Schweiz kein Thema.
Meiner Erfahrung nach empfinden viele junge Schweizer das Hochdeutsche als Fremdsprache und fühlen sich häufig sogar wohler, wenn sie englisch oder französisch sprechen.
Insofern ist es also wenig verwunderlich, wenn an der ohnehin recht international ausgelegten ETH Zürich viele Kurse auf englisch angeboten werden.
Allerdings kann ich mich nur auf meine persönliche Erfahrung stützen, mir sind keine Studien zu diesen Themen bekannt.
Warum wurde mein Kommentar gelöscht?
Also hier noch etwas zum Inhalt: Die 14 Veranstaltungen in der Mathematik und der Informatik scheinen mir zu niedrig. Wie hast du die Angabe »Englisch/Deutsch« bzw. »Deutsch/Englisch« gezählt?
Interessant — ich hätte eher damit gerechnet, dass hier massenweise Links zu englischsprachigen Vorlesungsverzeichnissen auftauchen.
@Sven: Das ist ein interessanter Punkt, Quereinstieg.
@Pechmarie: Dass Hochdeutsch für viele SchweizerInnen als Zweitsprache gesprochen wird (und/oder als Fremdsprache empfunden wird), ist klar — allerdings erklärt der Zweitsprachstatus nicht die Präferenz für Englisch oder Französisch, das für DeutschschweizerInnen dann ja üblicherweise auch nur Zweit- bzw. Fremdsprache ist.
@Thomas: „Deutsch/English“ ist in der Aufzählung nicht enthalten — weil die Datenbank der Onlinesuche dafür keine Veranstaltungen auswirft (und vermutlich nicht funktioniert), übrigens für keinen Fachbereich. Das bedeutet natürlich nicht unbedingt, dass keine Veranstaltungen mehrsprachig angeboten wird. Genauso fehlen natürlich Veranstaltungen, die eine Sprache angegeben haben, aber in einer anderen angeboten werden.
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Ich glaube, dass es in 90 Jahren immer noch die deutsche Sprache geben wird. Allerdings wird sie dann wohl keine Wissenschaftssprache mehr sein(auch wenn die hier vorgestellte Statistik dass noch nicht bestätigt), denn die Elite und damit auch die Akademiker werden dann Englisch oder eine andere Weltsprache sprechen und Deutsch wird bestenfalls nur noch zur Verständigung im privaten Umfeld dienen. Teilweise ist das ja auch jetzt schon in der Wirtschaft der Fall. Das kann bedauern wer will…