Ich bin ein wenig enttäuscht: Da beugt sich ein Verlag dem Meinungsterror der Gutmenschen und zerstört unwiderbringich einen bis dato sakrosankten Text, ein unverzichtbares Zeitzeugnis der deutschen Mythologie, und das deutsche Feuilleton schweigt. Kein weißer Ritter, der zum Endkampf um die Meinungshoheit — entschuldigung, Meinungsfreiheit (Freudsche Fehlleistung, ist mir so durchgerutscht) bläst, niemand, der, wenn er das Abendland schon nicht vor dem Untergang bewahren kann, wenigstens mit fliegenden Druckfahnen mit ihm untergeht.
[Hinweis: Der folgende Text enthält Beispiele rassistischer Sprache.]
Was ist überhaupt geschehen? Setzen Sie sich lieber, bevor ich es Ihnen sage: Ein Kinderbuchverlag hat das Wort Negerlein aus einem Buch gestrichten! Wie die taz berichtet, wird die nächste Auflage von Ottfried Preußlers „Die kleine Hexe“ ohne dieses für die deutsche Seele doch so lebensnotwendige Wort auskommen müssen.
Und was tut die deutsche Medienlandschaft? Sie übernimmt kritiklos die handzahme Pressemeldung der AFP und gibt sich nicht einmal bei der Gestaltung der Schlagzeilen Mühe, diesen ungeheuerlichen Vorgang angemessen zu würdigen. „Die kleine Hexe – Verlag streicht das Wort Neger“ — so und ähnlich lauten die Meldungen. Ausgerechnet die Welt bringt duckmäuserisch sogar die Intention des Verlags in der Schlagzeile unterzubringen und verzichtet peinlich politisch korrekt auf das Wiederholen des gestrichenen Wortes: Kinderbuchklassiker “Die kleine Hexe” ohne diskriminierende Worte.
Der Spiegel wagt es wenigstens, der Überschrift ein sanft tadelndes „Korrekte Kinderbuchsprache“ voranzustellen, der Stern hatte ursprünglich einen Verweis auf die neue Ikone der gerechten Sprache, Kristina Schröder, in seiner Überschrift (siehe Bildschirmfoto), hat diesen aber inzwischen wieder gelöscht.
Dem Trierischen Volksfreund gerieten vor unterdrückter Empörung allerdings die Verlage durcheinander: „Verlag Oetinger streicht «Neger» aus Kinderbüchern“, titelte man dort und schob dem bereits 2009 vor dem Zorn der politisch korrekten Kulturbanausen eingeknickten Pippi-Langstrumpf-Verlag damit auch die Schande zu, die eigentlich dem Preußler-Verlag Thienemann gebührt.
Als einziger aufrechter Feuilletonist erweist sich Alexander Dick von der Badischen Zeitung, der die kulturell Sprengkraft des Vorgangs erkennt und angemessen würdigt: „Sprach-Exorzismus“, titelt er, und befürchtet — zu Recht, zu Recht! — dass „als Nächstes … jetzt wohl Theodor W. Adorno an die Reihe“ kommen werde. Denn von Preußler zu Adornos ist es nur ein kleiner Schritt. Er erkennt auch messerscharf die wahren Motive der „Sprachreiniger“: ihr gewissen wollen die beruhigen, diese scheinheiligen „Gutmenschen“: „Wer auf das Wort ‘Neger’ verzichtet, kann womöglich trotz des täglichen Leids in Afrika – ‘schwarzer Kontinent’ darf man nicht sagen! – ein wenig beruhigter schlafen – im Taka-Tuka-Paradies der politisch Korrekten.“
Sehr richtig, Herr Dick! Wir Gutmenschen wollen mit rassistischer Sprache deshalb nicht konfrontiert werden, weil sie uns ständig an all die Schlechtmenschen erinnert, die, gute und völlig harmlose deutsche Wörter wie „Neger“ auf den Lippen, in Afrika Brunnen graben und Impfstoffe verteilen… ((Da es mit der Ironie so eine Sache ist und vielleicht nicht alle Leser/innen meine Positionen zu diesem Thema kennen: Ich habe sie am Beispiel Pippi Langstrumpf ausführlich diskutiert, z.B. in den Beiträgen Pippi Langstrumpf, Negerprinzessin und Übersetzungsproblem und Pippi, geh von Bord.))
Hat irgendeiner der Qualitätsjournalisten mal bei Preußler und seiner Familie angefragt? Meiner Erfahrung nach sind die durchaus bereit, mit Menschen zu reden.*
*Yo, ich bin zu faul mich durch die immer gleiche dpa-Meldung bei diversen Qualitätsprintprodukten zu wühlen.
Der Verlagsleiter deutet an, dass man schon länger mit Preußler und der Familie über eine Entschärfung diskutiert habe und die sich lange gegen eine Überarbeitung gewährt haben — wie es ja laut Oetinger-Verlag auch bei Lindren und ihren Erben der Fall war. Ist eben auch blöd, sich mit seinem eigenen Alltagsrassismus auseinanderzusetzen, da beharrt man lieber auf der Unantastbarkeit von Kinderbüchern und behauptet gegen jede Evidenz, dass diese Wörter früher ganz harmlos waren (weil, früher gab es ja in unserer Gesellschaft quasi überhaupt keinen Rassissmus).
Agatha Christies Roman “And Then There Were None” hieß ursprünglich “Ten Little Niggers” und wurde nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich im Laufe der Jahre massiv entschärft. Aus zehn kleinen Niggern wurden schon 1940 für die US-Ausgabe zehn kleine Indianer und später dann zehn kleine Spielzeugsoldaten. Der Schauplatz der Geschichte wurde von Nigger Island nach Indian Island verlegt. In Deutschland hieß das Buch erst “Letztes Weekend”, ab 1982 dann “Zehn kleine Negerlein”. 2003 wurde der Titel schließlich in “Und dann gabs keines mehr” geändert.
War das jetzt alles richtig oder falsch?
http://en.wikipedia.org/wiki/And_Then_There_Were_None
Gestern — im sozialen Netzwerk meines Vertrauens — entspann sich ein Mini-Dialog genau zu dieser Thematik. Ich las die Bedenken meines Gesprächspartners, die Scheu, in ein Original, einen Text nachträglich und von fremder Hand sozusagen, einzugreifen.
Den Impuls für diese Scheu kann ich nachvollziehen. Wir kritzeln schließlich auch nicht in alten Gemälden herum oder in den Partituren unserer Komponisten, jedoch… verändern wir entlang der Geschichte geschriebener Texte ständig jene… Originale.
Eine Übersetzung z.B., jede Übersetzung, ist per se ein solcher Eingriff, eine Interpretation.
Nehmen wir — wieder nur als Beispiel ‑Märchentexte der Brüder Grimm, dann wird die Anzahl an Eingriffen, Interpretationen, Varianten seit dem Erscheinen 1812 fast ins Unendliche gehen und das sogar ungedenk der Millionen Übersetzungen in fremde Sprachen.
Übrigens wird durch solche Eingriffe, wie der oben genannte, niemand gehindert, ein Werk, und sei’s das Buch von Preußler, im Original oder eben in einer früheren Version zu kaufen, zu lesen.
Ich bin f ü r … solche Eingriffe.
Wofür wollen wir stehen als Gesellschaft, als Verlage?
Gehen wir davon aus, dass solche wie o.g. Rassismen nicht beabsichtigt sind, dann dürfte doch ein solcher Eingriff eher willkommen sein, zeugt er doch von einem Bewußtsein, von einem erklärten Willen, sich von Diskriminierung und Rassismus zu distanzieren!
Mir als Leserin, bzw. als ehemaliger Vorleserin von Kinderbüchern standen nur zu oft Tränen der Empörung in den Augen, wenn ich mit Büchern freudig nach Hause kam und beim Lesen wieder mal feststellen musste, dass ‘kein Schwein’ in der Redaktion eines Verlages solche Bücher mit einer Art ‘Political-Correctness-Brille’ angeschaut, wenigstens überflogen hatte.
Das betrifft nicht nur die Texte, sondern ‑und das ganz extrem — auch die Illustrationen. Weißhäutige, blonde, rothaarige Kinder, wo man nur hinschaut. Taucht mal ein Ali oder ein etwas dunkelhäutigeres Kind auf, ist es mit Garantie eine Problemgeschichte, bzw. hat eben das Thema …zum Thema.
Da meine Kinder (nicht nur dunkelhäutig, sondern auch) zweisprachig Englisch/Deutsch aufgewachsen sind, hatte ich gute Vergleichsmöglichkeiten mit zeitgenössischen englischsprachigen Bilder- und Kinderbücher und muss sagen, dass es diese Art Diskriminierung, diesen Rassismus, der bei uns und unseren Verlagen leider noch gängigster Alltag ist, nicht (mehr)gibt.
Ich schätze sogar, dass dort geschriebene oder auch ungeschriebene Gesetze dafür sorgen, dass Verlage, Illustratoren, Autoren sich an Political Correctness halten müssen.
Die Umsetzung von Political Correctness ist immer mit eher unbequemen Maßnahmen verbunden.
Wollen wir als Gesellschaft, als (jeweilige) Institution uns dem Ziel unterstellen, NICHT zu diskriminieren, nicht rassistisch zu sein? Ja dann können und müssen wir bestimmte Maßnahmen ergreifen, um das auch zu zeigen, gerade und vor allem unseren Kindern.
Haben wir dieses Ziel, diese Absicht fest vor Augen, dann findet sich auch der entsprechende Weg dazu und ich möchte uns nicht umgekehrt… den langen herumeiernden Weg gehen sehen, bis auch der letzte Trottel kapiert hat, dass das Wort Neger diskriminierend ist und ein für alle Mal aus unserem Sprachschatz verschwinden sollte. Jetzt… und sofort. Heute noch!
Natürlich gehört solche Sprache aus heutigen Auflagen entfernt/ersetzt.
Was mich persönlich stets ärgert ist das Argument, man habe eben früher so gesprochen, das habe aber mit wirklichem Rassismus nichts zu tun gehabt — es sei lediglich ein sprachliches Problem gewesen.
Das ist doch Quatsch. Vielleicht verständlich, weil man ja gerne Schönfärberei betreibt — aber eben trotzdem falsch.
Natürlich hat man (also, um Missverständnissen vorzubeugen: “man” bedeutet durchaus “wir”, schließt mich also ein) früher mit “Neger” u.ä. nicht lediglich die Hautfarbe beschrieben wollen/beschrieben. Das wurde ausgrenzend, abgrenzend und abwertend genutzt.
Man kann sich dafür heute schämen; man kann auch versuchen sich mit “das war eben damals so” von individueller Schuld freizusprechen — aber das zu leugnen finde ich albern.
Und deshalb ist es gut, richtig und wichtig auch alte Bücher von Rassismus zu befreien. Weil es nämlich vollkommen egal ist, welche Hautfarbe der Protagonist hat.
Kurzer Nachtrag:
Ich schrieb: “mit zeitgenössischen englischsprachigen Bilder- und Kinderbüchern”. Das ist nicht ganz korrekt. Ich meine (damit nur) Bücher aus England und USA, pardon.
Das immer wieder angeführte Argument, man habe eben früher so gesprochen, das habe aber mit wirklichem Rassismus nichts zu tun gehabt, zieht wahrscheinlich deshalb in Deutschland so gut, weil wir Jahrzehntelange Erfahrung mit solcher Art Vergangenheitsleugnung haben. “Das war eben damals so” gilt ja genauso für die Nazis, die nach 1945 natürlich niemals böse Menschen gewesen sein wollten.
Gutmenschen sind wir natürlich auch nicht, daher der Rat für das Jahr 2013: Don’t be a Dick.
Hallo,
ich habe eine Frage und ich bitte, diese wirklich als Wissensfrage und nicht als rhetorisch bzw. als Trollerei zu betrachten. Deshalb auch eine kurze Erläuterung:
In meiner Kindheit und Jugend wurde “Neger” als der korrekte und neutrale Begriff gebraucht und propagiert. “Schwarzer” wurde eher abgelehnt, da er zu nah an den als Kinderschreck gebrauchten “schwarzen Mann” erinnerte. Weiterhin wurde darin eine Beschränkung auf die Hautfarbe gesehen, die die Geschichte (inbegriffen eine Geschichte des Rassismus, der Ausbeutung und Verfolgung), Kultur und Identität negierte.
Sprache und vor allem der Gebrauch wandelt sich und inzwischen wird die Bezeichnung “Neger” allgemein als negativ konnotiert angesehen und auch von den so Bezeichneten abgelehnt.
Was aber ist die derzeit korrekte Bezeichnung? Bei der Suche im Internet finden sich verschiedenen Diskussionen mit z.T. unterschiedlichen Aussagen und auch beim überlesen des Beitrages und der Kommentare finde ich da keine Antwort.
Wahrscheinlich ist diese allgemein bekannt, dem nicht in die aktuelle Diskussion involvierten Leser stellt sich jedoch diese Frage.
Vielen Dank für den Beitrag, den Blog und viele Grüße
mmetzger
Hallo mmetzger!
Darf ich mich vielleicht an einer Antwort versuchen, die vielleicht nicht ganz dem entspricht, was Sie erwarten? Schauen Sie sich doch diesen Vortrag des Autors des obigen Artikels mal an (wenn Sie nicht 80 Minuten Zeit dafür haben, dann vielleicht 3 Minuten ab Zählzeit 9:52, hier verlinkt):
http://youtu.be/6w0mHcPc7Ek?t=9m52s
Die Frage, die sich dann stellt, ist doch, *wofür* “Neger” der neutrale Begriff gewesen sein soll, und unter welchen Voraussetzungen. An Voraussetzungen möchte ich Rassenlehre erwähnen, die heute völlig überholt ist. Was bleibt ohne Rassentheorie übrig, was man mit “Neger” (oder dem Ersatzwort, nach dem Sie fragen) bezeichnen könnte? Meinen Sie vielleicht “Menschen mit dunklerer Hautfarbe”? Könnte ich mir vorstellen. Zum Beispiel in dem Satz: “Menschen mit dunklerer Hautfarbe bekommen nicht so leicht einen Sonnenbrand wie Menschen mit hellerer Hautfarbe.” Lustigerweise hat man dabei gleich deutsche Rentner auf Mallorca mit in die Aussage inkludiert, ebenso die Sonnenstudio-Junkies.
Schöne Grüße
Erbloggtes
Die Frage von mmetzger bringt mich aber zu der Überlegung, dass es ja häufig nicht ausreicht, rassistische Wörter zu ersetzen. Man kann ja durchaus Zweifel haben, ob Verlage bei solchen Überarbeitungen die dezenteren Rassismen überhaupt finden. Aber auf “Kinderbuchklassiker”, in denen mehr als eine Ersetzung von “Negerprinzessin” durch “Südseeprinzessin” nötig wäre, sollte man wahrscheinlich besser ganz verzichten.
Danke für die Antworten und die Verlinkung auf den Vortrag. Vieles kann ich gut nachvollziehen und verstehen. Mir fällt auch nicht ein, wozu ich in letzter Zeit aktiv eine Unterscheidung nach Hautfarbe benötigt hätte. Ausgangspunkt war eine Frage meines Sohnes, dessen Mitschüler einen Punkt Abzug erhalten hat, weil dieser in einem Vortrag den Begriff “Schwarzer” gebraucht hat — Richtig wäre nach Meinung der Lehrerin “Farbiger” gewesen. Nun scheint mir, dass eher die Thematisierung, ob die Unterscheidung bezüglich der Hautfarbe sinnvoll ist, wesentlich produktiver gewesen wäre. Ich werde meinen Sohn, den Link mal empfehlen.
Konsens besteht darin, dass der Begriff “Neger” heute nicht mehr gebraucht werden sollte. Aber vielleicht zum Verständnis auf die Frage nach dem wofür. Zur Zeiten der Bürgerrechtsbewegung und “leninistisch” geprägter Revolutionstheorien gab es die Vorstellungen (gerade auch afroamerikanischer Gruppen): die dunkle/ nicht-weiße Hautfarbe als identitätsstiftend zu betrachten, in dem Sinne: “wir sind die, die von den Weißen unterdrückt wurden, wir sind nicht nur Afrikaner, denn wir wurden in die ganze Welt verschleppt und leben jetzt hier, wir sind keine Amerikaner, denn wir wurden als Sklaven hierher gebracht, wir sind keine Kenianer oder Angolaner …, den das sind kolonialistische Konstrukte und wir lassen uns nicht in Stämme teilen, denn das schwächt uns im Kampf gegen die Unterdrückung … — ich denke, die damalige Argumentation wird deutlich. Das soll keine Relativierung sein. Im Vortrag wird schließlich gut beschrieben, wie sich Begrifflichkeiten ändern.
Ob man Kindern Pippi vorlesen sollte oder nicht, muss wohl jeder für sich entscheiden. Ich habe es getan und für meine Tochter (21 Jahre) hat das Buch in ihrer Erinnerung noch heute eine große Bedeutung, als weibliche Rollenfigur, die stark, unabhängig ist und ihren Weg geht und sich nicht alles sagen lässt. Das mit der “Negerprinzessin” war für Sie nicht relevant — was eher dafür spricht, dass moderne Fassungen/ Übersetzungen auf diese Formulierungen verzichten können.
Danke nochmal und viele Grüße
Rosa Elefanten! Immer wieder gerne wird systemischer, also sprachinhärenter Sexismus (seltener Rassismus etc.) postuliert, aber wenn man sich mit scheinbaren Lösungen dafür an Literatur wagt, stellt man schnell fest (wie AS am Ende seiner Artikelserie zu Pippi Langstrumpf), dass es sich eher um textinhärenten Sexismus (und hier häufiger auch Rassismus) handelt, der wiederum Spiegel seiner Kultur in Zeit und Raum ist, egal welche Hautfarbe oder welches Geschlecht der Autor hat(te).
Solche Überarbeitungen sind also gut gemeint, aber können in den meisten Fällen abseits von Augenwischerei nicht funktionieren oder benötigen einen derartigen Aufwand, dass es schwer wird, das ursprüngliche Werk wiederzuerkennen, und man stattdessen besser gleich einen neuen Text geschaffen hätte, der nur noch vom Original inspiriert ist. Dann wird man sich allerdings mitunter den Vorwurf des Plagiats oder der mangelnden eigenen Kreativität gefallen lassen müssen, denn zu sehr ist in der Gutenberg-Epoche (16. – 20. Jh.) das Ideal des statischen analogen Originals verbreitet, wenn auch nicht so stark wie in anderen Künsten (z.B. bild- und formgebende seit langem, Musik seit spätem 19. Jh. und beides weitgehend weiterhin).
PS: Nicht zu unterschätzen ist übrigens, dass jede Überarbeitung erneut mindestens 70 Jahre urheberrechtlich geschützt ist. Sofern diese von Dritten stammt, wird das problematische Material hingegen i.d.R. bereits früher frei nutzbar, Pippi im Original bspw. in ziemlich genau 60 Jahren, die neue bzw. überarbeitete deutsche Übersetzung voraussichtlich erst Mitte bis Ende des 22. Jahrhundert. Nicht nur deswegen sollte, solange er noch lebt, nur Herr Preußler seine Texte (in seiner Sprache) überarbeiten oder diesen Prozess zumindest steuernd begleiten.
PPS: Aus linguistischer (aber wohl weniger aus literaturwissenschaftlicher) Sicht sollten auf dem Cover von Übersetzungen die Namen der Übersetzer ebenso prominent stehen wie der des Autors des Originaltexts, der allerdings meist alleiniger Schöpfer von Handlung und Charakteren ist. Analoges gilt bei der Umsetzung in andere Medien, bspw. Film.
Lieber Herr Päper,
ganz aufrichtig: es war mir scheißegal, ob ich nun (z.B.) das Wort ‘Neger’ text- oder sprachinhärent interpretieren hätte könnensollen, als ich meinen damals kleinen Söhnen vorlas, bzw. vorlesen wollte aus jenen Büchern, mit manchen von denen auch ich aufgewachsen war.
Fakt ist: diese Rassismen, Diskriminierungen konnte und wollte ich meinen Kleinen nicht zumuten und ich habe diese Bücher entsorgt, einfach weggeschmissen.
Dass Rassismus, Diskriminierung nicht verschwindet, wenn man Sprache per Dekret, per Political-Correctness-Klausel (oder Ähnlichem) anpasst, dürfte klar sein.
Dass man ein Zeichen damit setzt, eine Richtung vorgibt, allerdings auch und ich möchte ‘uns’ diese Richtung einschlagen sehen.
Außerdem…ich bitte nochmals darum, sich mal die Bücher im Regal anzusehen.
Welche Bücher lesen Sie im Original…und wenn ja, in welcher Fassung?
Welche als Übersetzung, wenn ja: in welcher Fassung, bzw. in welchen Fassungen?
Falls Sie nicht Sprach‑, Literaturwissenschaftler sind…welche Bücher lesen Sie tatsächlich im ORIGINAL, also ohne jeweils dem Sprachwandel angepasste Variante in Kauf zu nehmen?!
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@Sophia: Übrigens streichen wir ziemlich oft in den Partituren unserer Komponist*innen rum. Zum Beispiel, wenn wir Klaviersätze zu Orchesterstücken schreiben, wenn wir Fingersätze und Interpretationszeichen nachträglich reinschreiben (wird gemacht) oder wenn wir verschiedene Versionen zur Auswahl nebeneinander stellen. Ganz zu schweigen von Adaptationen in andere Genres hinein, oder schlicht Coverversionen und Mash-ups, Dj-Tracks etc. — das fängt schon an, wenn eine Hände zu klein sind, bestimmte Akkorde gleichzeitig zu greifen und ich Töne nachspielen muss. Technisch gesehen habe ich damit die Musik verändert, und ich weiß nicht, ob es dem/der Komponist*in lieber gewesen wäre, ich hätte etwas Anderes gemacht (Töne ausgelassen, das Stück nicht gespielt…).
Was ich meine: Die Hoheit des/der Kunstschaffenden wird nicht in allen Bereichen als so eindeutig geltend anerkannt, und nicht in allen Fragen innerhalb der Bereiche: Übersetzungen und Synchronisationen gelten zum Beispiel als vertretbarer Eingriff, obwohl dabei oft kontextabhängige Inhalte oder schlicht Wortwitz verloren gehen.
Auch bei Dramen gilt die künstlerische Freiheit in der Aufführungspraxis.
Daher finde ich auch die Debatte entlang der “künstlerischen Authentizität” weitgehend künstlich. Ich sehe das Problem eher darin, dass man ganze Passagen (und Bücher) umschreiben müsste, weil sie so sehr mit dem Gedanken “them funny non-white peoples” geschrieben sind, und Aspekte wie die Wildheit/Rohheit/Naturverbundenheit/“Ursprünglichkeit”/bla von Menschen in “exotischen” Ländern der Südsee hervorgehoben werden, da hilft auch der Wortgebrauch wenig weiter. Frauen werden ja trotz des weitgehenden Verzichts auf abfällige Bezeichnungen trotzdem in aller Regel in sexistischer Tradition dargestellt.
Was hilft da? Eine gesellschaftliche Auseinandersetzunge zu diskriminierenden Zuschreibungen vielleicht, und viele Zusatzerklärungen beim Vorlesen. Oder?
Ich habe eben mal die Pippi-Langstrumpf-Artikel gelesen. “Eigener Neger, der einem mit Schuhcreme zwecks Schwärzung poliert.”.
Auch wenn Pippi hier sein will, wie die anderen — natürlich ist das Ganze nach heutiger Sicht rassistisch. Wenn sich sowas durch das gesamte Buch zieht, muß man entweder mit der politischen Unkorrektheit leben (für erwachsene Leser kein Problem) oder sich von diesem Buch als Kinderlektüre trennen. Man wird ja auch nicht den Kleinen eine DVD mit “Hitlerjunge Quex” in die Hand drücken.
(Ein Wiedersehen mit Heinrich George und Rudolf Platte!)
Aber die “Reinwaschung” aus politischen oder wirtschaftlichen Motiven hat Tradition. Die Werke Karl Mays werden regelmäßig “angepaßt”. Teilweise erhöht das die Lesbarkeit der oft recht langschweifigen Originale, andererseits hat man wieder eine Schutzfrist, die man ausnutzen kann.
Anderes Beispiel: Die Bibel. Ich habe noch eine etwas ältere. Die Sprache deutlich deutlicher als heutzutage. Eine Kostprobe:
Hld. 6, 4: (alt) “Wende deine Augen von mir, denn sie machen mich brünstig.”
Hld. 6, 5: (neu) “Wende deine Augen von mir, / denn sie verwirren mich.”
Wir sehen — Zensur aus Gründen politischer Korrektheit (Gerechter Zorn der Sittsamen 🙂 ) ist keine neue Erscheinung.
Vielen Dank für den aufschlussreichen Ausflug ins Reich der Musik. Hätte ich eigentlich auch wissen müssen, habe aber gedanklich wohl geschludert. Merci.
Auf die letzten Absätze der Vorschreiberin würde ich jetzt gerne näher eingehen, werde aber hier — das ist mir die ganzen Tage schon im Kopf — auf einen Beitrag der von mir sehr geschätzten Dr. Mutti verweisen, die genau zu diesem Thema hier schreibt und exakt meine Einstellung, als auch ziemlich genau meine Lebensrealität widerspiegelt:
http://drmutti.wordpress.com/2012/09/10/man-muss-nur-reden-mit-den-kindern/
“Daher finde ich auch die Debatte entlang der “künstlerischen Authentizität” weitgehend künstlich.”
Entschuldigung, aber da liegt offenbar ein Missverständnis vor. Aufführungen und Darbietungen von künstlerischen Werken sind per se regelmäßig Interpretationen eben jener Werke, nicht aber die Werke selbst. Auch bei einer Lesung eines Buches (Hörbuch-Fassung etc.) snd Kürzungen, Auswahl legitim — aber eben auch eine Interpretation. Wer ins Werk selber eingreift handelt auf einer ganz anderen Ebene. “Künstlich” ist diese Diskussion keineswegs, sondern spiegelt unsere Auffassung von Kunst und Freiheit der Kunst.
Es gibt in Deutschland eine unsägliche Tradition einer Zensur oder “Neugestaltung” von Kunstwrken, die bis heute anhält. Darunter fallen die zahlreichen “geschnittenen” Filme, aber auch Werke der Weltliteratur. So gibt es eine lange Historie verhackstückter Ausgaben literarischer Klassiker: Eine politische, erwachsene Satire wie “Gulliver’s Travels” oder Klassiker wie “Moby Dick” und eben “Huckleberry Finn” sind hierzulande doch eben meist nur in achtungslos kastrierten Fassungen als “Kinderbücher” bekannt und werden auch so rezepiert. Gebrauchsliteratur zum Vorlesen eben.
Auch das kennzeichnet eine Gesellschaft.
Sophia, bei Pippi Langstrumpf überwiegen m.E. die popkulturelle Relevanz und die starke weibliche Titelfigur die gelegentlichen Anachronismen (v.a. kolonialer Rassismus und Eltitarismus, monarchische Märchenwelt, Gewalt- und Drogenverherrlichung), sodass ich sie meinen Kindern nicht vorenthalten würde. Die Kleine Hexe habe ich nie gelesen. Eine kurze Internetrecherche ergab, dass es wohl um das 16. Kapitel „Fastnacht im Walde“ geht, dessen Text (mit meinen Hervorhebungen) laut einer russischen Schulausgabe – das einzige, was ich dazu spontan online frei verfügbar finden konnte – so beginnt:
Hier werden also Karnevalsverkleidungen beschrieben wie sie in den 50ern nicht nur unter Kindern wohl üblich waren und auch heute noch zu finden sind. Als Kostüm eignet sich generell alles, was irgendwie ungewöhnlich und charakteristisch (außerdem am besten leicht imitierbar und erkennbar) ist. Sie basieren wie Karikaturen auf visuellen Topoi, naiv vereinfachten Vorstellungen.
Die meisten sind kulturell so fest verankert, dass sich auch heutige Kinder noch etwas darunter vorstellen können, aber was das mit dem Zirkus, wo es heute nur noch Tiere, Akrobaten und Clowns und keine Schaubuden mehr gibt, zu tun hat, wird sich ihnen (zum Glück) nicht ohne Erklärung erschließen. Auch das Bild des „Türken“ hat sich mit den Gastarbeiterkampagnen, die erst nach Erscheinen des Buches starteten, deutlich geändert, nämlich v.a. zum inländischen Nachbarn. Man könnte ihn in „Osmane“ ändern, aber obwohl „1001-Nacht“-Kostüme durchaus noch verbreitet sind, könnten sich die meisten aktuellen, vor allem jungen Leser darunter wohl wenig vorstellen; „Aladin“ würde – Disney sei Dank – hingegen funktionieren.
Das Wort Hottentotten dürfte nahezu ausgestorben sein. Mir ist es in meinem Ü30-Leben praktisch nur als Bestandteil von Hottentottenmusik im Sprachgebrauch der Großeltern begegnet. Über Indianer, Eskimo(frauen) und Menschenfresser hätte ich eher kritische Kommentare erwartet als über Chinesen(mädchen), wobei auffällt, dass Preußler nicht die Movierung mit -in(nen) wählt und weibliche Verkleidungen durchgängig im Plural, männliche (außer Cowboys) nur im Singular vorkommen.
PS: Was mein eigenes irrelevantes Leseverhalten angeht, so beherrsche ich leider nur Englisch und Deutsch ausreichend, bevorzuge Sachliteratur und Vorlesen fällt altersbedingt noch flach.
Wenn man schon beim zensieren ist, könnte dann bitte jemand das unsägliche “Pippi” aus dem Namen streichen? Klingt doch ziemlich eklig und verleiht den Langstrumpfgeschichten einen Hauch von Fäkalfetisch. *schüttel*
…(mindestens) einen weißen Ritter gibt es dann doch: Jan Fleischhauer heute bei Spiegel online:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/warum-kinderbuecher-politisch-korrekt-umgeschrieben-werden-a-878115.html
Mir dreht sich der Magen um. Derailing for dummies.
@a2nika: Oh mein Gott. Man weiß gar nicht, WO man anfangen soll!